Biographien und biographische Skizzen



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diese Dinge zu sagen. In selbständiger Weise setzte er sidi bereits mit der Natur Gottes, mit den Fragen des Christentums, mit dem geistigen Fortschritte der Menschheit auseinander. Kühnheit und auch Reife des Urteils begegnen uns in diesen Arbeiten. Auch an eine Dichtung, den Roman «Abelard und Heloise», wagte er sich bereits. Hier erscheint er in Stil und Inhalt als Nachahmer Millers, des Sigwart-dichters. Seine Sehnsucht nach einer über alle Wirklichkeit erhabenen vollkommenen Welt hat ihn in die Bahn dieses Dichters gebracht, für den es auf Erden nur Tränen über gebrochene Herzen und versiegte Hoffnungen gab und für den das Glück nur jenseits des Todes liegt. Das Motto auf Jean Pauls Roman schon zeigt, daß diese Stimmung ihn ergriffen hat: «Der Empfindsame ist zu gut für diese Erde, wo kalte Spötter sind - in jener Welt nur, die mitweinende Engel trägt, findet er seiner Tränen Belohnung.»

In Hof fand Jean Paul bereits das, was sein Herz am meisten brauchte, teilnehmende Freunde: Christian Otto, den Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns, der später der Vertraute seiner literarischen Arbeiten wurde; Johann Richard Hermann, den Sohn eines Zeugmachers, einen genialen Menschen voll Tatkraft und Wissen, der leider schon im Jahre 1790 den Anstrengungen eines an Entbehrungen und Not reichen Lebens erlag. Ferner Adolf Lorenz von Oerthel, den ältesten Sohn eines reichen Kaufmanns aus Töpen bei Hof. Letzterer war im Gegensatze zu Hermann eine weiche, gefühlsinnige Natur voll Sentimentalität und Schwärmerei. Hermann war realistisch veranlagt und vereinigte mit wissenschaftlichem Sinn praktische Lebensklugheit. In diesen zwei Charakteren traten Jean Paul bereits die Typen entgegen, die er später in seinen Dichtungen in

mannigfachen Abänderungen verkörperte, als idealistischen Siebenkäs gegenüber dem realistischen Leibgeber; als Walt gegenüber dem Vult. Am 19. Mai 1781 wurde Jean Paul als Student der Theologie in Leipzig immatrikuliert.



Universitätsleben

Entgegengesetzte Gedanken und Empfindungen führten in Jean Pauls Seele einen wilden Kampf, als er die Lehrsäle der hohen Schule betrat. Meinungen und Anschauungen hatte er durch eifrige Lektüre eingesogen; aber weder seine künstlerische noch seine philosophische Phantasie wollte sich so entfalten, daß das von außen Aufgenommene eine festbestimmte, individuelle Struktur angenommen hätte. Die Grundkräfte seiner Persönlichkeit wirkten stark, aber unbestimmt; die Energie war groß, die Gestaltungskraft schwerfällig. Die Eindrücke, die er empfing, erregten in ihm mächtige Empfindungen, trieben ihn zu entschiedenen Werturteilen; aber sie wollten sich in seiner Phantasie nicht zu plastischen Bildern und Gedanken formen.

Auf der Universität suchte Jean Paul nur vielseitige Anregung. Es gehörte zu den Selbstverständlichkeiten der Familientradition, daß er als ältester Sohn eines Geistlichen Theologie studierte. Wenn die Absicht, Theologe zu werden, bei ihm je eine Rolle gespielt hat, so datierte das jedenfalls nicht lange. An seinen Freund Vogel schreibt er: «Ich habe mir die Regel in meinen Studien gemacht, nur das zu treiben, was mir am angenehmsten ist, für was ich am wenigsten ungeschickt bin und was ich jetzt schon nützlich finde und dafür halte. Ich habe mich oft betrogen, wenn ich dieser Regel gefolgt bin, allein ich habe diesen Irrtum nie bereut. -

Das studieren, was man nicht liebt, heißt mit dem Ekel, mit der Langeweile und dem Überdruß kämpfen, um ein Gut zu erhalten, das man nicht begehrt; das heißt die Kräfte, die sich zu etwas anderm geschaffen fühlen, umsonst an eine Sache verschwenden, wo man nicht weiter kommt, und sie der Sache entziehen, in der man Fortgang machen würde.» Als geistiger Genußmensch, der nur das sucht, was die in ihm schlummernden Kräfte zur Entwickelung bringt, lebt er an der Universität. Er hört Kollegien über den Johannes bei Magister Weber, über Apostelgeschichte bei Morus; über Logik, Metaphysik und Ästhetik bei Platner, über Moral bei Wieland, über Mathematik bei Gehler; über lateinische Philologie bei Rogler. Daneben liest er Voltaire, Rousseau, Helvetius, Pope, Swift, Young, Cicero, Horaz, Ovid und Seneca. Die Tagebuchblätter und Studien, in denen er Gehörtes und Gelesenes sammelt und verarbeitet, wachsen zu dicken Bänden an. Eine fast übermenschliche Arbeitskraft und Arbeitslust entwickelt er. Seine Ansichten legt er in Abhandlungen nieder, aus denen das Ringen nach einer freien, von religiösen und gelehrten Vorurteilen unabhängigen Weltanschauung spricht.

Die Unsicherheit seines Geistes, die Jean Paul hinderte, gegenüber der Betrachtung und Aneignung des Fremden, einen eigenen Weg zu finden, hätte ihn wahrscheinlich noch lange zurückgehalten, mit seinen schriftstellerischen Versuchen vor die Öffentlichkeit zu treten, wenn ihn nicht die bitterste Armut zu dem Entschlüsse getrieben hätte: «Bücher zu schreiben, um Bücher kaufen zu können.» Jean Paul hatte nicht Zeit zu warten, bis sich die Bitterkeit, die er als Leipziger Student über die Mißstände des Lebens und der Kultur empfand, zum heiteren, überlegenen Humor abgeklärt

hatte. Frühreife Erzeugnisse entstanden, Satiren, in denen der grollende, kritisierende Mensch und nicht der Dichter und Philosoph aus Jean Paul spricht. Durch des Erasmus «Encomium moriae» angeregt, schrieb er 1782 sein «Lob der Dummheit», für das er keinen Verleger fand, und in demselben Jahre die «Grönländischen Prozesse», mit denen er zum erstenmal 1783 an die Öffentlichkeit trat. Man hat, wenn man diese Schriften liest, das Gefühl: hier spricht ein Mensch, der nicht bloß an dem, was ihm Verkehrtes begegnet, seinen Groll ausläßt, sondern der alle Schwächen und Schattenseiten, alle Dummheiten und Narrheiten, alle Verlogenheiten und Feigheiten des Lebens mühsam zusammensucht, um sie mit seinem Witz verfolgen zu können. Die Wurzeln, durch die Jean Paul mit der Wirklichkeit zusammenhing, waren kurz und dünn. Hatte er irgendwo einen Halt gefaßt, so konnte er ihn leicht wieder lösen und seine Wurzeln in andres Erdreich verpflanzen. Sein Leben ging in die Breite, aber nicht in die Tiefe. Am deutlichsten wird das aus seinem Verhältnisse zu den Frauen. Er liebte nicht mit der ganzen elementaren Wucht des Herzens. Seine Liebe war ein Spiel mit den Empfindungen der Liebe. Er liebte nicht das Weib. Er liebte die Liebe. Im Jahre 1783 hatte er ein Liebesverhältnis zu einem schönen Landmädchen, Sophie Ellrodt in Helmbrechts. Er schreibt ihr eines Tages, daß ihn ihre Liebe glücklich mache; er versichert ihr, daß ihre Küsse bei ihm die Sehnsucht befriedigt haben, die die Augen bei ihm hervorgerufen haben. Aber er schreibt auch bald darauf, daß er in Hof nur deshalb etwas länger geblieben sei, weil er an diesem Orte noch einige Zeit glücklich sein wollte, bevor er es in Leipzig werde (vgl. Paul Nerrlich, Jean Paul, S. 138 f.). Kaum ist er in Leipzig, so ist der ganze Liebes-

träum verblaßt. Ebenso spielend mit den Empfindungen der Liebe waren seine späteren Verhältnisse zu den Frauen; auch das zu seiner Gattin. Seine Liebe hatte etwas Geisterhaftes; der Zusatz von Sinnlichkeit und Leidenschaft hatte zu wenig Wahlverwandtschaft zu dem idealen Elemente seines Liebens.

Die Unsicherheit des Geistes, der geringe Zusammenhang seines Wesens mit den wirklichen Verhältnissen des Lebens machte Jean Paul zuzeiten zum Selbstquäler. Er huschte über die Wirklichkeit nur so hin; deswegen mußte er oft an sich selbst irre werden und Einkehr in die eigene Persönlichkeit halten. Eine bis zur Askese gehende Selbstquälerei lesen wir aus Jean Pauls Andachtsbüchlein, das er 1784 niederschrieb. Aber auch diese Askese hat etwas Spielendes. Sie bleibt in idealer Träumerei stecken. Wie tief auch die einzelnen Bemerkungen sind, die er sich aufschreibt, über Schmerz, Tugend, Ruhmsucht, Zorn: man hat immer die Empfindung, Jean Paul wolle sich bloß an der Schönheit seiner Lebensregeln berauschen. Es war ihm ein Labsal, Gedanken wie den folgenden niederzuschreiben: «Der Haß richtet sich nicht nach der moralischen Häßlichkeit, sondern nach deiner Laune, Empfindlichkeit, Gesundheit; kann aber der andre dafür, daß du krank bist. ... Der verletzende Mensch, nicht der verletzende Stein ärgert dich; denke dir also jedes Übel als die Wirkung einer physikalischen Ursache oder als käme es vom Schöpfer, der diese Verkettung auch zuließ.» Wer kann dem glauben, daß es ihm mit solchen Gedanken ernst ist, der fast zu gleicher Zeit die «Grönländischen Prozesse» schrieb, in denen er seine Geißel gegen die Schriftstellerei, gegen das PfafTentum, gegen den Ahnenstolz schwang in einer Weise, die durchaus nicht verrät, daß

er die Verkehrtheiten des Lebens wie die Wirkung einer physikalischen Ursache ansieht.

Die bitterste Not veranlaßte Jean Paul am ij. Oktober 1784, Leipzig wie ein Flüchtling zu verlassen. Er mußte sich seinen Gläubigern heimlich entziehen. Am 16. November trifft er in Hof bei der ebenfalls völlig verarmten Mutter ein.



Erziehertätigkeit und Wanderjahre

Zwei Jahre verlebte Jean Paul in Hof in der Umgebung einer hausbackenen Mutter und inmitten der drückendsten Familienverhältnisse. Neben dem geräuschvollen Treiben der Mutter, dem Waschen und Scheuern, dem Kochen und Plätten, dem Schnurren des Spinnrades träumte er von seinen Idealen. Erst das Neujahr 1787 brachte teilweise Erlösung. Er wurde Hauslehrer bei dem jüngeren Bruder seines Freundes Oerthel in Töpen bei Hof. Hier im Hause des Kammerrats Oerthel gab es wenigstens ein Wesen, das dem idealistischen Träumer, der leicht zur Empfindsamkeit neigte, mit Verständnis entgegenkam. Es war die Frau des Hauses. Sein ganzes Leben hindurch erinnerte Jean Paul sich ihrer in Dankbarkeit. Ihre liebevolle Art machte manches gut, was die Starrheit und Rauheit ihres Gatten bei Jean Paul verdorben. Und wenn der Knabe, den er zu erziehen hatte, durch seinen mißtrauischen Charakter dem Lehrer auch manche Sorge machte, so scheint dieser doch mit einer gewissen Liebe an seinem Zögling gehangen zu haben, denn er sagt später von dem früh Dahingegangenen, daß er das schönste Herz gehabt habe und daß in seinem Kopfe und Herzen die besten Keime von Tugenden und Kenntnissen

gelegen haben. Nach zwei Jahren schied Jean Paul aus dem Oerthelschen Hause. "Wir sind über die Ursachen dieses Ausscheidens nicht unterrichtet. Bald zwang ihn die Not, das alte Schulmeisteramt mit einem neuen zu vertauschen. Er zog nach Schwarzenbach, um den Kindern seiner alten Freunde, des Pfarrers Völkel, des Amtsverwalters Clöter und des Kommissionsrats Vogel, Elementarunterricht zu geben.

In der Hofer und Töpener Zeit trieb das Freundschaftsbedürfnis Jean Pauls die schönsten Früchte. Fehlte Jean Paul zur hingebenden Liebe die Ausdauer in der Leidenschaft, zu der mehr im geistigen Elemente lebenden Freundschaft war er geschaffen. Mit Oerthel und Hermann wurde in dieser Zeit der Freundschaftsbund vertieft. Und als ihm die beiden kurz nacheinander, 1789 und 1790, durch den Tod entrissen wurden, da errichtete er ihnen Denkmäler in seiner Seele, deren Anblick ihn das ganze Leben hindurch zu immer neuem Schaffen anspornte. Die tiefen Blicke, die Jean Paul in Freundesseelen gegönnt waren, bilden starke Miterreger seines dichterischen Schaffens. Jean Paul bedurfte der Anlehnung an Menschen, die mit ganzer Seele an ihm hingen. Der Drang, seine Empfindungen, seine Ideen unmittelbar in eine andere Menschenseele überzuleiten, war groß. Als Glück konnte er es bezeichnen, daß kurz, nachdem ihm Oerthel und Hermann dahingestorben waren, ein anderer Freund sich ihm in treuer Liebe ergab. Es war Christian Otto, der vom Jahre 1790 an in selbstloser Anteilnahme bis zum Tode Jean Pauls dessen geistiges Leben mitlebte.

Wie er die Zeit von 1783 bis 1790 verbrachte, schildert Jean Paul selbst. «Ich genoß täglich während der ganzen Zeit die schönsten Gegenstände des Lebens, den Herbst, den

Sommer, den Frühling mit ihren Landschaften auf der Erde und im Himmel, aber ich hatte nichts zu essen und anzuziehen, sondern blieb in Hof im Voigtlande blutarm und wenig geachtet.» In dieser Zeit entstand seine «Auswahl aus des Teufels Papieren nebst einem nötigen Aviso vom Juden Mendel». In diesem Buche tritt neben dem polemischen der gestaltende Satiriker auf. Die Kritik hat sich zum Teil in Erzählung verwandelt. Personen treten auf statt der früheren abstrakten Vorstellungen. Was aber hier noch mühsam nach Verkörperung ringt, das ersteht in vollendeterer Form in den drei Erzählungen, die 1790 entstanden sind: «Des Amtsvogts Freudel Klaglibell gegen seinen verfluchten Dämon»; «Des Rektors Falbel und seiner Primaner Reise nach dem Fichtelberg» und in dem «Leben des vergnügten Schulmeisterleins Maria Wuz in Auenthal». In diesen drei Dichtungen gelingt es Jean Paul Charaktere zu zeichnen, in denen die Menschlichkeit zur Karikatur wird. Freudel, Falbel und Wuz erscheinen so, wie wenn Jean Paul sein Idealbild des Menschen in Spiegeln ansähe, die alle Züge verkleinert und noch dazu verzerrt erscheinen lassen. Aber er schafft dabei doch Nachbilder der Wirklichkeit. In Freudel ist der Typus des Menschen dargestellt, der in Augenblicken, wo ihm der größte Ernst und feierliche Würde nötig ist, durch die Tücke seiner Zerstreutheit oder des Zufalls lächerlich wird. Eine andere Art Menschenkarikatur, welche die ganze Welt aus dem engsten Gesichtswinkel des eigenen Berufes beurteilt, ist in Falbel charakterisiert. Ein Schulmeister, der glaubt, die große französische Gesellschaftsumwälzung wäre unmöglich gewesen, wenn die Revolutionshelden, statt die bösen Philosophen zu lesen, die alten Klassiker kommentiert hätten. Ein herrliches Bild verkümmerten Men-

schentums ist der Auenthaler Schulmeister Maria Wuz. Er lebt in seiner Dorfidylle das menschliche Leben in mikroskopischer Kleinheit, aber er ist so vergnügt und zufrieden dabei, wie es keiner der größten Weisen sein kann.

Ob Jean Paul ein guter Schulmeister war, ist schwer zu entscheiden. "Wenn er die Grundsätze, die er sich in seine Tagebücher geschrieben hat, auch zu befolgen imstande war, dann hat er jedenfalls aus seinen Zöglingen das gemacht, was sie ihren Anlagen nach werden konnten. Fruchtbarer aber als für seine Schüler ist die Schulmeisterei gewiß für ihn selbst gewesen. Denn er hat tiefe Einsichten in die junge Menschennatur gewonnen, die ihn zu den großen pädagogischen Ideen führte, die er später in seiner «Levana» ausgeführt hat. Die Enge des Amtes hätte er aber kaum drei Jahre lang ertragen, wenn er in seinen Besuchen in Hof nicht einen Abieiter gefunden hätte, der ganz seiner Natur entsprach. Er war ein Feinschmecker in den geistigen Genüssen, die sich aus den Verhältnissen zu begabten und erregbaren Menschen ergeben. Er ist in Hof stets umringt von einer Schar von jungen Mädchen, die ihn anschwärmen und die seine Phantasie beleben. Er betrachtete sie als seine «erotische Akademie». Er verliebte sich, soweit er lieben konnte, in eine jede der Akademikerinnen, und stets war der Rausch des einen Liebesverhältnisses noch nicht verflogen, als wieder ein neuer begann.

Aus dieser Stimmung heraus erwuchsen die beiden Romane: die «Unsichtbare Loge» und der «Hesperus». Gustav, die Hauptfigur der «Unsichtbaren Loge», ist eine Natur wie Wuz, die nur über das Wuz-Dasein hinauswächst und genötigt ist, ihr zartes Herz, das im engumgrenzten Kreise zufrieden sein könnte, von der rauhen Wirklichkeit foltern

zu lassen. Der Gegensatz von idealer Sinnesweise und dem, was im Leben wirklich Geltung hat, bildet das Grundmotiv des Romans. Und dieses Motiv wird Jean Pauls großes Lebensproblem. In immer neuen Gestaltungen tritt es in seinen Schöpfungen auf. In der «Unsichtbaren Loge» hat die ideale Sinnesweise den Charakter tiefer Gemütsinnigkeit, die zur Gefühlsduselei neigt; im «Hesperus» nimmt sie eine vernunftgemäßere Form an. Die Hauptperson, Viktor, schwärmt nicht mehr bloß mit dem Herzen wie Gustav, sondern auch mit dem Verstände und der Vernunft. Viktor greift aktiv in die Lebensverhältnisse ein, während Gustav sie passiv auf sich wirken läßt. Die Empfindung, die sich durch die beiden Romane durchzieht, ist diese: die Welt ist nicht gemacht für die guten und großen Menschen. Diese müssen sich auf eine ideale Insel ihres Innern zurückziehen und ein Dasein noch außer und über der Welt führen, um mit deren Jämmerlichkeit auszukommen. Der große Mensch mit edlem Wesen, genialem Geist und energischem Wollen, der über die Welt weint oder lacht, niemals aber das Wohlgefühl der Zufriedenheit aus ihr saugt, ist das eine der Extreme, zwischen die alle Jean Paulschen Charaktere zu stellen sind. Das andere ist der kleine, beschränkte Mensch mit subalterner Gesinnung, der mit der Welt zufrieden ist, weil ihm sein leerer Geist keine Träume von einer größeren vorzaubert. Dem letzteren Extrem nähert sich die Gestalt des Quintus Fixlein in der 1794 entstandenen Erzählung «Leben des Quintus Fixlein aus fünfzehn Zettelkästen gezogen»; dem ersteren die folgende in demselben Jahr geschriebene Dichtung «Jean Pauls biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin». Fixlein ist glücklich bei bescheidenen Zukunftsplänen und kleinlichster Gelehr-

tenarbeit; Lismore, die Hauptperson der «Belustigungen», leidet an der Disharmonie seines energischen Wollens und schwächeren Könnens und an der anderen zwischen seinen idealistisch-hohen Vorstellungen von der Menschennatur und denen seiner Mitmenschen. Der Kampf, der entsteht, wenn starkes, die Grenzen des Wirklichen überfliegendes Wollen und aus den beschränkten Bedingungen eines kleinlichen Daseins herauswachsende menschliche Gesinnung aufeinander stoßen, ist von Jean Paul in dem Ostern 1795 erschienenen Buche «Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel» dargestellt worden. Zwei Menschen sind es hier, die sich wegen ihrer höheren Natur nicht mit der Welt abzufinden wissen. Der eine, Siebenkäs, glaubt an ein höheres Dasein und leidet darunter, daß dieses in der Welt nicht zu treffen ist; der andere, Leibgeber, durchschaut zwar die Nichtigkeit des Weltwesens, glaubt aber nicht an die Möglichkeit eines irgendwie gearteten Besseren. Er ist Humorist, der von dem Leben nichts hält und über die Wirklichkeit lacht; aber er ist zugleich Zyniker, den nicht Höheres kümmert und der alle idealistischen Träume für Schaumblasen hält, die der Menschheit zum Hohne aus dem Schmutze der Gemeinheit als Dunst emporsteigen. Siebenkäs leidet durch seine Gattin Lenette, in der die philiströse, bornierte Wirklichkeit verkörpert ist; und Leibgeber leidet an seiner Glaubens- und Hoffnungslosigkeit. Aber er erhebt sich stets mit Humor über dieselbe. Er fordert von dem Leben nichts Außerordentliches; deshalb sind seine Enttäuschungen nicht groß und deshalb hält er es auch nicht für notwendig, an sich selbst höhere Forderungen zu stellen.

Noch vor Beendigung des «Hesperus» hatte Jean Paul die Lehr- und Erziehertätigkeit in Schwarzenbach mit einer solchen in Hof vertauscht. Im Sommer 1796 unternahm er eine Reise nach Weimar. So wie die Helden seiner Romane inmitten einer sie nicht befriedigenden Wirklichkeit, fühlt sich Jean Paul in der Musenstadt. In diesem kleinen Orte hätte nach seiner Meinung alles zusammengedrängt sein müssen, was die Wirklichkeit an Größe und Erhabenheit enthalten kann. Riesen und Titanen an Geist und Phantasie hatte er zu begegnen gehofft, wie er sich solche in seinen Träumen bis zur Übermenschlichkeit vorgegaukelt hatte. Und er fand zwar Genies, aber doch nur Menschen. Weder zu Goethe noch zu Schiller fand er sich hingezogen. Beide hatten damals schon ihren Frieden mit der Welt gemacht; beiden hatte sich die Erkenntnis der großen Weltharmonie eröffnet, die nach langem Kampfe den Menschen Frieden mit der Wirklichkeit schließen läßt. Jean Paul durfte diesen Frieden nicht finden. Seine Seele war für die Wollust des Kampfes zwischen Ideal und Wirklichkeit geschaffen. Goethe erschien ihm steif, kalt, stolz, zugefroren gegen alle Menschen; Schiller felsicht und hart, so daß fremde Begeisterung an ihm abprallt. Nur mit Herder entwickelte sich ein schöner Freundschaftsbund. Der Theologe, der das Heil jenseits der wirklichen Welt suchte, konnte Jean Paul ein Genosse sein, nicht aber die Weltmenschen Goethe und Schiller, die Vergötterer des Wirklichen. Ein gleiches Gefühl wie zu Herder zog Jean Paul zu Jacobi, dem philosophischen Fischer im Trüben. Der Verstand und die Vernunft durchdringen die Wirklichkeit und erhellen sie mit dem Lichte der Idee; das Gefühl hält sich an das Dunkle, Unerkennbare, an die Welt des Glaubens. Und in der Welt des Glaubens schwelgte

Jacobi und schwelgte auch Jean Paul. Dieser Zug seines Geistes eroberte ihm die Herzen der Frauen. Karoline Herder schwärmte für den Dichter der Gefühlsinnigkeit, und Charlotte von Kalb verehrte in ihm das Ideal eines Menschen. Ganz in die Unbestimmtheit der Gefühlsschwelgerei und in eine weltfremde Denkweise und Gesinnung verlor sich Jean Pauls Dichtung nach seiner Rückkehr aus Weimar in dem «Jubelsenior» und in dem «Kampanerthal oder über die Unsterblichkeit der Seele» (1797). Hatte ihm die Reise nach Weimar die Augen für eine unbefangene Betrachtung des Lebens nicht gekräftigt, so konnte es noch weniger die wechselreiche Wanderung, die von 1797 bis 1804 dauerte. Nacheinander lebte er jetzt in Leipzig, Weimar, Berlin, Meiningen und Koburg. Überall knüpfte er Beziehungen zu Menschen, namentlich zu Frauen an; überall wurde er mit offenen Armen empfangen. Die Menschen berauschten sich an seinen aus den Tiefen der Gefühlswelt strömenden Ideen. Aber die Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübten, stumpfte sich zumeist bald ab. Mit dicken Fangarmen umspann er die Personen, die er kennen lernte; aber bald zog er diese Arme wieder ein. In Weimar verlebte Jean Paul glückliche Tage im Umgang mit Frau von Kalb, der Herzogin Amalia, Knebel, Böttiger u. a.; in Hildburghausen trieb er sein Liebesspiel so weit, daß er sich mit Caroline von Feuchtersieben verlobte, um sich bald darauf wieder von ihr zu trennen. Aus Berlin holte er sich das weiblidie Wesen, das wirklich seine Frau wurde, Karoline, die zweite Tochter des Obertribunalrats Maier. Mit ihr ging er eine Ehe ein, die ihn anfänglich auf die höchsten Höhen des Glücksgefühles hob, die ein Mensch erklimmen kann, und aus der dann so sehr alles Glück entschwand, daß Jean Paul nur aus Pflicht an

ihr festhielt und Karoline mit Ergebung und Selbstentäußerung sie ertrug. Bei der Verbindung mit Jean Paul schrieb diese Frau an ihren Vater: «So glücklich als ich bin, glaubte ich nie zu werden. Sonderbar wird es Ihnen klingen, wenn ich Ihnen sage, daß der hohe Enthusiasmus, der mich bei Richters Bekanntschaft hinriß, der aber hernach durch das Hinabsteigen in das reellere Leben verging, jeden Tag von neuem auflebt.» Und im Juli 1820 gesteht sie, daß sie kein Recht mehr auf sein Herz habe, daß sie armselig und elend sich gegen ihn vorkomme.

In Meiningen und Koburg konnte Jean Paul die Gipfel kennen lernen, von denen aus die Welt regiert wird. Die Herzoge an beiden Orten standen in dem freundschaftlichsten Verhältnisse zu ihm. Er durfte bei keinem Hoffeste fehlen. Wer geistvolle Unterhaltung und Anregung suchte, schloß sich ihm an.

Die beiden bedeutendsten Dichtungen Jean Pauls, der «Titan» und die «Flegeljahre», entstanden in den Jahren der Wanderschaft. Gesteigert erscheint seine dichterische Kraft, in schärferen Umrissen arbeitet seine Phantasie in diesen Werken. Die Personen derselben sind denen verwandt, die uns in seinen früheren Schöpfungen begegnen; aber der Künstler hat größere Sicherheit in der Zeichnung und lebensvollere Farbengebung gewonnen. Er ist auch von der Schilderung der Außenseite des Menschen in die Tiefen der Seelen hinabgestiegen. Erscheinen Siebenkäs, Wuz, Falbel wie Silhouetten, so zeigen sich der Albano und Schoppe des «Titan», die Walt und Vult der «Flegeljahre» als vollendet gemalte Figuren. Albano ist der Mensch des starken Willens. Er will Großes, ohne zu fragen, woher ihm die Kräfte der Ausführung kommen sollen. Er hat eine Sucht,

alle Fesseln des Menschlichen zu sprengen. Leider ist gerade dieses Menschliche bei ihm in enge Grenzen eingeschlossen. Ein weiches Herz, eine überzarte Empfindsamkeit stumpfen die Kraft seiner Phantasie ab. Weder die schwärmerische Liana mit den feinen Nerven und der grenzenlosen Selbstlosigkeit vermag er wirklich zu lieben, noch die übergeniale, freigeistige Linda. Er kann überhaupt nicht lieben, weil seine Ideale ihn mehr von der Liebe verlangen lassen, als diese bieten kann. Linda will Hingebung und nichts als Hingebung von Albano; er aber findet, daß er ihre Liebe durch große Taten, durch Teilnahme an dem großen Freiheitskrieg erst erringen müsse. Er will erst erwerben, was er mühelos haben könnte. Die Wirklichkeit an sich ist ihm nichts; erst wenn er ein Ideal mit ihr verbinden kann, wird sie ihm etwas. Angesichts der großen Kunstwerke in Rom gehen ihm nicht die Geheimnisse der Kunst auf, sondern sein Tatendrang erwacht. «Wie in Rom ein Mensch nur genießen und an dem Feuer der Kunst weich zerschmelzen kann, anstatt sich schamrot aufzumachen und nach Kräften und Taten zu ringen», das begreift er nicht. Aber dieser Tatendrang findet zuletzt doch nur dadurch Nahrung, daß sich herausstellt, Albano ist ein Fürstensohn und daß ihm der Thron erblich zufällt. Und sein Liebesbedürfnis wird gestillt durch die bornierte, jedes höheren Schwunges bare Idoine. Dem Albano steht Schoppe gegenüber, der ein Leibgeber in gesteigerter Form ist. Er macht sich keine Gedanken über die Nichtigkeit der Welt, denn er weiß, daß sie nicht anders sein kann. Wertlos erscheint ihm das Leben; nichts hat für ihn Wert als die persönliche Freiheit und grenzenlose Unabhängigkeit. Nur ein Kampf könnte für ihn Wert erhalten, der um die unbedingte Freiheit des Individuums. Alles son-


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