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Daniela Molzbichler
SWS-Rundschau (
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Kulturelle Unterschiede werden immer häufiger für Krisen, Konflikte und Kriege verantwort-
lich gemacht. Die dazugehörigen Erklärungsschemata weisen stets darauf hin, dass kulturelle
und religiöse Differenzen die Hauptursache für Auseinandersetzungen sind. Dies schürt welt-
weit das Misstrauen gegenüber allem Fremden, produziert Angst, Wut und Ohnmacht. Um
einerseits verschiedene Kulturen als Chance und nicht als Risiko zu begreifen und andererseits
Misstrauen und Ohnmachtsgefühlen entgegenzuwirken, werden in diesem Artikel verschiede-
ne Definitionen von und Theorien über Kultur vorgestellt. Dadurch soll die Substanz kultu-
reller Konfliktpotenziale sichtbar gemacht werden, damit kulturelle Differenzen nicht mehr
als gegeben und unveränderbar gelten. In diesem Zusammenhang wird argumentiert, dass die
Beteiligten selbst aktiv Mitverantwortung bei einer interkulturellen Konfliktbehandlung oder
bei der Gestaltung gemeinsamer Werte im Begegnungsraum der Kulturen übernehmen.
1. Einleitende Worte und Begriffsklärungen
Um interkulturelle Konflikte zu bearbeiten, sie zu lösen, müssen wir sie zuerst begrei-
fen. Gerade dieses Begreifen fällt schwer, da wir selbst kulturell »mental programmiert«
sind (siehe dazu Kap.
.) und uns gleichzeitig in unterschiedlichen Kulturen bewegen.
Somit erfordert bereits das Durchschauen eines interkulturellen Konflikts ein hohes
Maß an Selbstreflexion aller Konfliktbeteiligten. Diese Selbstreflexion kann vertieft und
erlernt werden und ist integraler Bestandteil der inter- bzw. transkulturellen Kompe-
tenz. Was dies aber konkret bedeutet, und wo vor allem die Schwierigkeiten liegen, wird
in diesem Beitrag kurz erläutert.
Die begriffliche Unterscheidung zwischen Multi-, Inter- und Transkultur erfolgt in
Anlehnung an Wolfgang Welsch (
). Er beschreibt das Kulturverständnis bei Multi-
kultur-Konzepten als ethnisch fundiert und nach außen abgegrenzt: Hier kann man
sich Kulturen als Inseln oder Kugeln vorstellen, die voneinander getrennt sind. Dieses
Konzept ist oft mit einer Hierarchisierung der Kulturen verbunden. Konflikte zwischen
Kulturen können nach dieser Anschauung lediglich entschärft, nicht aber aufgehoben
werden.
Konfliktbearbeitung soll Akzeptanz und Toleranz fördern helfen. Aufgrund dieser
Überlegungen wird in Fachkreisen nicht mehr von Multikulturalität, sondern von In-
terkulturalität gesprochen. Prinzipiell wird auch bei Interkultur-Konzepten von in sich
geschlossenen und abgegrenzten Kulturen ausgegangen, die jedoch beispielsweise auf-
grund eines kulturellen Austausches Überschneidungen aufweisen und sich dadurch
auch verändern können. Hier werden Einflüsse von anderen Kulturen als Bereicherung
Kulturen in Konflikt?
Vom Umgang mit Konflikten in interkulturellen Beziehungen
Daniela Molzbichler (Salzburg)
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Kulturen in Konflikt? Vom Umgang mit Konflikten in interkulturellen Beziehungen
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für die eigene Kultur angesehen. Der Ethnozentrismus ist nicht ganz so stark ausge-
prägt wie bei Multikultur-Konzepten und auch die Überlegenheit der eigenen Kultur
steht weniger im Vordergrund.
Wenn beispielsweise davon ausgegangen wird, dass die eigene Kultur wertvoller,
höher entwickelt oder besser ist, und man keine anderen kulturellen Wertvorstellungen
anerkennt, dann ist der Ethnozentrismus stark entwickelt. Hier wird jegliche Form von
Interkulturalität verachtet. Zu finden sind diese Anschauungen vor allem bei funda-
mentalistischen Gruppierungen, die es in jeder Kultur gibt. Meist gehen diese Hand in
Hand mit Unsicherheit, Ohnmacht und Angst. Indem man etwa »das Fremde« verach-
tet und bekämpfen möchte, verstärkt man gleichzeitig das Konfliktpotenzial und die
negative Abgrenzung, da ein gemeinsamer Austausch oder eine gemeinsame Ebene
nicht zugelassen werden. Konflikte auf diesem Niveau sind langwierig zu behandeln, da
man zuerst mit den Konfliktparteien getrennt arbeiten muss, um zu erkennen, was ei-
gentlich hinter dieser Antipathie steckt.
Begreift man, dass es in einer anderen Kultur auch wertvolle Aspekte gibt oder
Menschen, mit denen man beispielsweise gut zusammenarbeitet, oder sich versteht,
dann relativiert sich dieses Bild der anderen Kultur. Dennoch kann hier die eigene Kul-
tur nach wie vor als wertvoller betrachtet werden, die Akzeptanz und Toleranz gegen-
über der anderen Kultur hat sich jedoch verändert. Die Grenzen zwischen Multi- und
Interkulturalität sind dabei fließend. So tritt das »Bessere« der eigenen Kultur immer
mehr in den Hintergrund, wenn festgestellt wird, dass die andere Kultur vieles zu bie-
ten hat, das die eigene Kultur bereichert oder ergänzt. Konflikte auf diesen Ebenen sind
einfacher zu bearbeiten, da die ersten Schritte der Empathie bereits gesetzt sind – inter-
kulturell bedingte Missverständnisse etwa können mit einfachen Reparationsstrategi-
en (siehe dazu Kap.
.) behandelt werden.
Im Vergleich zu Multi- und Interkultur-Konzepten basieren Transkultur-Konzep-
te auf einem völlig anderen Verständnis von Kultur(en):
»Das Konzept der Transkulturalität entwirft ein anderes Bild vom Verhältnis der Kulturen.
Nicht eines der Isolierung und des Konflikts, sondern eines der Verflechtung, Durchmischung
und Gemeinsamkeit. Es befördert nicht Separierung, sondern Verstehen und Interaktion.
Gewiss enthält dieses Konzept Zumutungen gegenüber liebgewonnenen Gewohnheiten – wie
die heutige Wirklichkeit überhaupt. Im Vergleich zu anderen Konzepten skizziert es aber den
am ehesten gangbaren Weg« (Welsch
, ).
Im Rahmen der Transkulturalität sind Kulturen nicht klar zu trennen, sie sind charak-
terisiert durch Vernetzungen, vielfältige Verbindungen und Vermischungen. Hier sind
Abgrenzungen und somit auch ethnozentristische Denkweisen obsolet geworden. Für
Welsch ist Transkulturalität der einzig gangbare Weg, um etwa mit den gegenwärtigen
Konflikten zwischen verschiedenen Kulturen oder Religionen umgehen zu können, da
in der Konfliktbearbeitung aller Betroffenen das gegenseitige Verstehen und Anerken-
nen im Mittelpunkt stehen. In der Realität zeigt sich jedoch, dass wir von einer »geleb-
ten Transkulturalität« noch weit entfernt sind.
Im Folgenden soll kurz erläutert werden, was unter Kultur verstanden werden
kann, wie die historische Entwicklung dieses Begriffs aussieht, welche verschiedenen