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Daniela Molzbichler
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ne – zuerst die eigenen kulturellen Wertvorstellungen, welche die Basis der eigenen In-
terpretationen bilden und die eigene Lebenseinstellung prägen, zu reflektieren und zu
hinterfragen. Erst dann kann man überhaupt damit beginnen, die Person oder die
Gruppe mit anderen kulturellen Wertvorstellungen, mit anderen Lebenseinstellungen
und Interpretationen zu verstehen (Carroll
, ). Besonders diese Selbstreflexion ist
jedoch sehr schwierig, da etwa auch die eigens konstruierten stereotypen Bilder hinter-
fragt werden müssen.
3.2.3 Vorurteile und Stereotype
Jeder Mensch hat Vorurteile und bildet Stereotype, da niemand in der Lage ist, die ge-
samte Palette von Reizen und Informationen zu verarbeiten. Dabei wird jede Begeg-
nung aus der jeweiligen ethnozentristischen Perspektive bewertet und in das erlernte
und selbst konstruierte Weltbild eingeordnet, das heißt, andere Kulturen werden nach
den Maßstäben der eigenen Kultur beurteilt und bewertet (Adorno et al.
, Stagl ,
Emmerich
). Zusätzlich steuern diese erlernten Kategorisierungen unsere Wahr-
nehmung und unsere Beobachtung. Bei diesen Bewertungen spielen selbstverständlich
auch die Persönlichkeit, die jeweilige Situation, aber auch die Medien wichtige Rollen.
Sehr häufig werden Vorurteile als Urteile oder Wertungen definiert, die nicht auf
der eigenen Erfahrung beruhen. Gleichzeitig bieten Vorurteile auch eine Filterfunktion
für Erfahrungen, sie können auch als Abgrenzungsmittel dienen, vor allem wenn wir
unsere eigene Kultur absichern möchten. Vorurteile treten verstärkt bei Unsicherheit
oder Angstgefühlen auf: Wir neigen rascher dazu, auf starre Kategorisierungen und
Verallgemeinerungen zurückzugreifen, da wir etwa ein starkes Bedürfnis nach Sicher-
heit oder große Angst haben, der bzw. die Schwächere zu sein. Hier entsteht sehr häufig
das Bild von Sündenböcken. Zudem sei nochmals explizit darauf hingewiesen, dass das
Fremdbild zwangsläufig vom Eigenbild hergeleitet wird, wobei dieses viel differenzier-
ter wahrgenommen wird als das Fremdbild. Dabei wird das Eigene oft mit dem Frem-
den verglichen. Dieser Vergleich fällt meist für das Fremde schlechter aus, das heißt,
indem das Fremde abgewertet wird, kommt es zu einer gleichzeitigen Aufwertung des
Eigenen – der Selbstwert wird gesteigert (Bausinger
, –).
Vorurteile und Stereotype sind miteinander verbunden. Stereotype Sichtweisen
werden häufig unterschiedslos auf alle Mitglieder einer gegebenen Gruppe angewendet
und diese werden oft der Realität nicht gerecht. Quasthoff beschreibt ein Stereotyp wie
folgt:
»Ein Stereotyp ist der verbale Ausdruck einer auf soziale Gruppen oder einzelne Personen als
deren Mitglieder gerichteten Überzeugung. Es hat die logische Form eines Urteils, das in
ungerechtfertigt vereinfachender und generalisierender Weise, mit emotional wertender Ten-
denz, einer Klasse von Personen bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen zu- oder
abspricht« (Quasthoff
, ).
Insgesamt umfasst die Wahrnehmung des Fremden mehrere Mechanismen, die beispiels-
weise Lipiansky (
) folgendermaßen beschreibt:
1. Kontrasteffekt:
Betonung der Unterschiede zwischen »Eigenem« und »Fremdem«.
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Kulturen in Konflikt? Vom Umgang mit Konflikten in interkulturellen Beziehungen
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2. Stereotypieeffekt:
Aufgrund vorgeformter sozialer Vorstellungen wird der »Fremde« wahrgenommen
und gilt beispielsweise als Prototyp der fremden Gruppe X.
. Assimilationseffekt:
Betonung der eigenen Ähnlichkeit mit Fremden aus der Gruppe X.
Stereotype können auch aufgrund von Begegnungen und Erfahrungen entstehen. So
können schon wenige Begegnungen von Person A mit anderen Menschen aus Gruppe
X zu Generalisierungen über Gruppe X führen. Die Personen aus Gruppe X werden
immer im Rahmen eines bestimmten ethnozentristischen Bewusstseins der Person A
interpretiert – und umgekehrt.
Festzuhalten ist, dass es eher eine Tendenz gibt, die Angehörigen einer Nationalität
als ähnlicher und als »stereotyper« wahrzunehmen, als sie es in Wirklichkeit sind, wie
etwa Aussagen über »die Deutschen«, »die Franzosen«, »die Chinesen« nicht nur in der
Alltagssprache, sondern auch in der Wissenschaft zeigen. Diese Tendenz kann vor allem
in den ersten Phasen eines Kulturschocks erkannt werden.
3.2.4 Kulturschock
Der Begriff »Kulturschock« und dessen U-förmige Phaseneinteilung geht auf den US-
amerikanischen Anthropologen Oberg (Oberg
, –) zurück. In den meisten
darauf folgenden Phasenmodellen wurde diese U-Form beibehalten. Bei der folgenden
Einteilung ist zu beachten, dass nicht jeder Kulturschock alle Phasen umfasst und auch
der zeitliche Rahmen unterschiedlich ist. Zudem kann ein Kulturschock etwa in Pha-
se
verharren und zu einem Konflikt eskalieren, wobei hier hinzugefügt werden muss,
dass nicht jeder interkulturelle Konflikt auf einem Kulturschock beruht (wie zuvor dar-
gestellt wurde, gibt es viele verschiedene Formen interkultureller Konflikte).
Abbildung 1: Phasenmodell des Kulturschocks nach Oberg
1. Phase: Euphorie
Die eigene Kultur wird nicht in Frage gestellt, man ist ZuschauerIn und begegnet
der fremden Kultur zunächst mit Neugier bzw. Euphorie.
2. Phase: Entfremdung
Erste Kontaktschwierigkeiten, man gibt sich selbst die Schuld.
3. Phase: Eskalation
Schuldzuweisungen an die fremde Kultur und Verherrlichung der eigenen Kultur.
Euphorie
Eskalation
Entfremdung
Verständigung
Missverständnisse