Das Christentum als mystische Tatsache


VI. Die ägyptische Mysterienweisheit



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VI. Die ägyptische Mysterienweisheit

„Wenn du, vom Leibe befreit, zum freien Äther emporsteigst,



wirst ein unsterblicher Gott du sein, dem Tode entronnen.”

[97] In diesem Ausspruch des Empedokles erscheint wie kurz zusammengefaßt, was die alten Ägypter über das Ewige im Menschen und seinen Zusammenhang mit dem Göttlichen gedacht haben. Dafür ist ein Beweis das so genannte «Totenbuch», das der Fleiß der Forscher im neunzehnten Jahrhundert entziffert hat. (Vergleiche Lepsius, das Totenbuch der alten Ägypter. Berlin 1842.) Es ist «das größte zusammenhängende Literaturwerk, das uns von den Ägyptern erhalten ist». Man findet darin allerlei Lehren und Gebete, die jedem Verstorbenen mit ins Grab gegeben wurden, damit er in ihnen einen Wegweiser habe, wenn er der vergänglichen Hülle entledigt ist. Die intimsten Anschauungen der Ägypter über das Ewige und die Weltentstehung sind in diesem Literaturwerke enthalten. Diese Anschauungen deuten durchaus auf Göttervorstellungen, die denen der griechischen Mystik ähnlich sind. Osiris ist unter den verschiedenen Göttern, die in den Landesteilen Ägyptens anerkannt wurden, allmählich der vorzüglichste und allgemeinste geworden. In ihm wurden die Vorstellungen über die anderen Gottheiten zusammengefaßt. Mag nun das ägyptische Volk in seiner großen Masse was immer für Gedanken über den Osiris gehabt haben, das «Totenbuch» deutet auf eine Vorstellung der Priesterweisheit, die in Osiris eine Wesenheit sah, wie sie in der Menschenseele selbst gefunden werden konnte. - Alles, was man über den Tod und die Toten dachte, sagt das deutlich genug. Wird der Leib dem Irdischen gegeben, [98] innerhalb des Irdischen aufbewahrt, so tritt das Ewige den Weg zum Ur-Ewigen an. Es erscheint zum Gericht vor Osiris, den zweiundvierzig Totenrichter umgeben. Das Schicksal des Ewigen im Menschen hängt davon ab, wie diese Totenrichter befinden. Hat die Seele ihr Sündenbekenntnis abgelegt, ist sie versöhnt befunden mit der ewigen Gerechtigkeit, so treten unsichtbare Mächte ihr entgegen, die zu ihr sprechen: «Der Osiris N ward geläutert in dem Teiche, der da ist südlich vom Felde Hotep und nördlich von dem Felde der Heuschrecken, wo die Götter des Grünens sich waschen in der vierten Stunde der Nacht und in der achten des Tages mit dem Bilde des Herzens der Götter, übergehend von der Nacht zum Tage.» Also der ewige Teil des Menschen wird innerhalb der ewigen Weltordnung selbst als ein Osiris angesprochen. Nach der Bezeichnung Osiris wird der persönliche Name des Betreffenden genannt. Und auch der sich mit der ewigen Weltordnung Vereinigende bezeichnet sich selbst als «Osiris». «Ich bin der Osiris N. Wachsend unter den Blüten des Feigenbaums ist der Name des Osiris N.» Der Mensch wird also ein Osiris. Das Osiris-Sein ist nur eine vollkommene Entwicklungsstufe des Mensch-Seins. Es erscheint da selbstverständlich, daß auch der innerhalb der ewigen Weltordnung richtende Osiris nichts ist als ein vollkommener Mensch. Zwischen Mensch-Sein und Gott-Sein ist ein Gradunterschied und ein Unterschied in der Zahl. Es liegt hier die Mysterienanschauung vom Geheimnis der «Zahl» zugrunde. Der Osiris als Weltwesen ist Einer; in jeder Menschenseele ist er deshalb doch ungeteilt vorhanden. Jeder Mensch ist ein Osiris; und doch muß auch der Eine Osiris als eine besondere Wesenheit vorgestellt werden. Der Mensch ist in Entwicklung [99] begriffen; und am Ende seiner Entwicklungslaufbahn liegt sein Gott-Sein. Man muß vielmehr von einer Göttlichkeit, nicht von einem fertigen, abgeschlossenen Gotteswesen innerhalb dieser Anschauung sprechen.

Es ist nicht zu bezweifeln, daß für eine solche Anschauung nur der wirklich in das Osiris-Dasein eintreten kann, der schon als Osiris am Tor der ewigen Weltordnung anlangt. Das höchste Leben, das der Mensch führen kann, wird also darin bestehen müssen, daß er sich zum Osiris wandelt. Im echten Menschen muß schon innerhalb des vergänglichen Lebens ein möglichst vollkommener Osiris leben. Der Mensch wird vollkommen, wenn er wie ein Osiris lebt. Wenn er durchmacht, was Osiris durchgemacht hat. Der Osiris-Mythos erhält damit seine tiefere Bedeutung. Er wird zum Vorbilde dessen, der das Ewige in sich erwecken will. Osiris ist von Typhon zerstückelt, getötet worden. Die Teile des Leichnams sind von seiner Gemahlin Isis gehegt und gepflegt worden. Er hat nach dem Tode seinen Lichtstrahl auf sie fallen lassen. Sie hat ihm den Horus geboren. Dieser Horus übernimmt die irdischen Aufgaben des Osiris. Er ist der zweite, noch unvollkommene, aber zum wahren Osiris fortschreitende Osiris.



Der wahre Osiris ist in der Menschenseele. Diese ist zunächst die vergängliche. Aber ihr Vergängliches ist bestimmt, das Ewige zu gebären. Der Mensch mag sich daher als das Grab des Osiris betrachten. Die niedere Natur (Typhon) hat die höhere in ihm getötet. Die Liebe in seiner Seele (Isis) muß die Leichenteile hegen und pflegen, dann wird die höhere Natur, die ewige Seele (Horus), geboren werden, die zum Osiris-Dasein fortschreiten kann. Den makrokosmischen Osiris-Weltprozess muß der zum höchsten [100] Dasein strebende Mensch in sich mikrokosmisch wiederholen. Das ist der Sinn der ägyptischen «Einweihung», der Initiation. Was Plato (vergleiche Seite 64 f) beschreibt als kosmischen Prozeß, daß der Schöpfer die Weltseele in Kreuzesform auf den Weltleib gespannt hat, und daß der Weltprozeß eine Erlösung dieser ans Kreuz geschlagenen Weltenseele ist, das mußte mit dem Menschen im kleinen vorgehen, wenn er sich zum Osiris-Dasein befähigen sollte der Einzuweihende mußte sich so entwickeln, daß sein Seelenerlebnis, sein Osiris-Werden, mit dem kosmischen Osiris-Prozeß in Eins zusammenschmolz. Wenn wir in die Initiationstempel blicken könnten, in denen die Menschen der Osiris-Verwandlung unterzogen wurden, so würden wir sehen, daß die Vorgänge ein Welt-Werden mikrokosmisch darstellen. Der vom «Vater» stammende Mensch sollte in sich den Sohn gebären. Was er in Wirklichkeit in sich trägt, den verzauberten Gott, das sollte in ihm offenbar werden. Durch die Gewalt der irdischen Natur wird dieser Gott in ihm niedergehalten. Diese niedere Natur muß erst zu Grabe getragen werden, damit die höhere Natur auferstehen könne. Was von den Initiationsvorgängen erzählt wird, kann daraus verstanden werden. Der Mensch wurde geheimnisvollen Prozeduren unterworfen. Sein Irdisches wurde dadurch getötet, sein Höheres erweckt. Es ist nicht nötig, diese Prozeduren im einzelnen zu studieren. Man muß nur ihren Sinn verstehen. Und dieser Sinn liegt in dem Bekenntnis, das jeder ablegen konnte, der durch die Initiation gegangen ist. Er konnte sagen: Mir schwebte vor die unendliche Perspektive, an deren Ende die Vollkommenheit des Göttlichen liegt. Ich habe gefühlt, daß die Kraft dieses Göttlichen in mir liegt. Ich habe zu Grabe [101] getragen, was in mir diese Kraft niederhält. Ich bin abgestorben dem Irdischen. Ich war tot. Als niederer Mensch war ich gestorben; ich war in der Unterwelt. Ich habe mit den Toten verkehrt, das heißt mit denen, die schon eingefügt sind in den Ring der ewigen Weltordnung. Ich bin nach meinem Verweilen in der Unterwelt auferstanden von den Toten. Ich habe den Tod überwunden, aber nun bin ich ein anderer geworden. Ich habe nichts mehr zu tun mit der vergänglichen Natur. Diese ist bei mir durchtränkt von dem Logos. Ich gehöre nun zu denen, die ewig leben und die sitzen werden zur Rechten des Osiris. Ich werde selbst ein wahrer Osiris sein, vereinigt mit der ewigen Weltordnung, und das Urteil über Tod und Leben wird in meine Hand gegeben sein. - dem Erlebnis mußte sich der Einzuweihende unterziehen, das ihn zu solchem Bekenntnis führen konnte. Es ist ein Erlebnis höchster Art, was so an den Menschen herantrat.

Man denke sich nun, ein Uneingeweihter hört davon, daß jemand solchen Erlebnissen unterzogen wird. Er kann nicht wissen, was in der Seele des Eingeweihten wirklich vorgegangen ist. Dieser ist für ihn physisch gestorben, er hat im Grabe gelegen und ist auferstanden. Was auf höherer Daseinsstufe geistige Wirklichkeit hat, das erscheint in den Formen der sinnlichen Wirklichkeit ausgedrückt als ein Vorgang, der die Naturordnung durchbricht. Das ist ein «Wunder». Ein solches «Wunder» war die Initiation. Wer sie wirklich verstehen wollte, der mußte in sich die Kräfte erweckt haben, um auf höheren Daseinsstufen zu stehen. Er mußte mit einem dazu schon vorbereiteten Lebenslaufe an diese höheren Erlebnisse herantreten. Mögen sich nun diese vorbereitenden Erlebnisse im Einzelleben so oder so [102] abspielen: sie werden sich immer in eine ganz bestimmte typische Form bringen lassen. Der Lebenslauf eines Initiierten ist also ein typischer. Man kann ihn unabhängig von der Einzelpersönlichkeit beschreiben. Vielmehr wird man eine Einzelpersönlichkeit nur dann als eine solche bezeichnen können, die auf dem Wege zum Göttlichen ist, wenn sie die bestimmten typischen Erlebnisse durchgemacht hat. Als eine solche Persönlichkeit lebte Buddha bei seinen Anhängern; als eine solche erschien zunächst Jesus seiner Gemeinde. Man weiß heute, welcher Parallelismus zwischen der Buddha- und Jesus-Biografie besteht. Rudolf Seydel hat in seinem Buche «Buddha und Christus» diesen Parallelismus schlagend nachgewiesen. Man braucht die Einzelheiten nur zu verfolgen, um zu sehen, daß alle Einwände gegen diesen Parallelismus nichtig sind.



Buddhas Geburt wird durch einen weißen Elefanten angekündigt, der auf die Königin Maja niederschwebt. Er zeigt an, daß Maja einen göttlichen Menschen hervorbringen werde, der «alle Wesen zur Liebe und Freundschaft stimmt, sie miteinander vereint zu innigem Bunde.» Im Lukas-Evangelium heißt es: ... . zu einer Jungfrau, die vertrauet war einem Manne mit Namen Joseph vom Hause David, und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Gegrüßet seist du, Holdselige.... Siehe du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, des Name soll Jesus heißen. Der wird groß und ein Sohn des Höchsten genannt werden.» Die Brahmanen, die indischen Priester, die wissen, was es heißt, ein Buddha wird geboren, legen den Traum der Maja aus. Sie haben eine bestimmte typische Vorstellung von einem Buddha. Das Leben der Einzelpersönlichkeit wird dieser Vorstellung [103] entsprechen müssen. Dementsprechend liest man bei Matthäus 2, 1 ff: Herodes «ließ versammeln alle Hohepriester und Schriftgelehrten unter dem Volk und erforschete von ihnen, wo Christus sollte geboren werden». - der Brahmane Asita sagt über den Buddha: «Dieses ist das Kind, das Buddha werden wird, der Erlöser, der Führer zu Unsterblichkeit, Freiheit und Licht.» Dazu vergleiche man Lukas 2, 25: «Und siehe, ein Mensch war zu Jerusalem mit Namen Simeon, und derselbe Mensch war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der heilige Geist war in ihm.... Und da die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, daß sie für ihn täten, wie man pfleget nach dem Gesetz; da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach: Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn seine Augen haben deinen Heiland gesehen, welchen du bereitet hast vor allen Völkern. Ein Licht, zu erleuchten die Heiden, und zum Preis deines Volkes Israel.» Von Buddha wird berichtet, daß er als zwölfjähriger Knabe verloren gegangen sei, und daß er wieder gefunden wurde unter einem Baume, umgeben von Sängern und Weisen der Vorzeit, die er lehrte. Dem entspricht Lukas 2, 41 ff: «Und seine Eltern gingen alle Jahre gen Jerusalem auf das Osterfest. Und da er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf gen Jerusalem nach Gewohnheit des Festes. Und da die Tage vollendet waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb das Kind Jesus in Jerusalem und seine Eltern wußtens nicht. Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter Freunden und Bekannten. Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wiederum gen Jerusalem und suchten ihn. Und es begab [104] sich, nach Dreien Tagen fanden sie ihn im Tempel sitzen mitten unter den Lehrern, daß er ihnen zuhörete und sie fragte; und alle waren verwundert, die ihm zuhörten, über seinen Verstand und seine Antworten.» - nachdem Buddha in einer Einsamkeit gelebt hat und zurückkehrt, wird er empfangen von dem Segensruf einer Jungfrau: «Selig die Mutter, selig der Vater, selig die Gattin, denen du angehörst.» Er aber erwidert: «Selig sind nur die, die im Nirwana sind», das heißt, die in die ewige Weltordnung eingegangen sind. Bei Lukas 11, 27: «Und es begab sich, da er solches redete, erhub ein Weib im Volke die Stimme und sprach zu ihm: Selig ist der Leib, der dich getragen hat, und die Brüste, die du gesogen hast. Er aber sprach: Ja, selig sind die, die das Wort Gottes hören und bewahren.» Im Laufe seines Lebens tritt der Versucher an Buddha heran und verspricht ihm alle Königreiche der Erde. Buddha weist alles von sich mit den Worten: «Wohl weiß ich, daß mir ein Reich beschieden ist, aber nicht ein weltliches Königreich begehre ich; ich werde Buddha werden und alle Welt jauchzen machen vor Freude.» Der Versucher muß bekennen: «Meine Herrschaft ist dahin.» Jesus antwortet auf die gleiche Versuchung: «Heb dich weg von mir, Satan! Denn es stehet geschrieben: Du sollst anbeten Gott, deinen Herrn, und ihm allein dienen.» «Da verließ ihn der Teufel» (Matthäus 4, 10 f). - man könnte diese Beschreibung des Parallelismus noch über viele Punkte ausdehnen: es würde sich das gleiche ergeben. - Buddha endete in erhabener Weise. Auf einer Wanderung fühlte er sich krank. Er kam zum Flusse Hiranja, in der Nähe von Kuschinagara. Hier legte er sich auf einen von seinem Lieblingsjünger Ananda ausgebreiteten Teppich. Sein Leib fing von [105] innen an zu leuchten. Er endete verklärt, als Lichtkörper, mit dem Ausspruche: «Nichts ist langwährend.» Dieser Tod Buddhas entspricht der Verklärung Jesu: «Und es begab sich nach diesen Reden bei acht Tagen, daß er zu sich nahm Petrus, Johannes und Jakobus, und ging auf einen Berg, zu beten. Und da er betete, ward die Gestalt seines Angesichts anders, und sein Kleid ward weiß und glänzte. In diesem Punkte endet Buddhas Lebenslauf; der wichtigste Teil im Leben Jesu aber beginnt damit: Leiden, Sterben, Auferstehung. Und es liegt das Unterscheidende des Buddha von dem Christus in dem, was nötigte, das Leben des Christus Jesus über das Buddha-Leben hinauszuführen. Buddha und Christus werden nicht verstanden, wenn man sie bloß zusammenwirft. (Das wird sich in dem Folgenden dieses Buches zeigen.) Andere Darstellungen des Todes Buddhas kommen hier nicht in Betracht, wenn sie auch manche tiefen Seiten der Sache enthüllen.

Die Übereinstimmung in den beiden Heilandsleben zwingt einen eindeutigen Schluß auf. Wie dieser Schluß ausfallen muß, darüber geben die Erzählungen selbst Auskunft. Als die Priesterweisen von der Art der Geburt hören, wissen sie, um was es sich handelt. Sie wissen, daß sie es mit einem Gottmenschen zu tun haben. Sie wissen vorher, was es mit der Persönlichkeit für eine Bewandtnis haben wird, die da auftritt. Und deshalb kann deren Lebenslauf nur dem entsprechen, was sie als Lebenslauf eines Gottmenschen kennen. In ihrer Mysterienweisheit erscheint für die Ewigkeit ein solcher Lebenslauf vorgezeichnet. Er kann nur sein, wie er sein muß. Wie ein ewiges Naturgesetz erscheint solch ein Lebenslauf. Wie ein chemischer Stoff sich nur in einer ganz bestimmten Weise verhalten kann, so kann ein [106] Buddha, ein Christus nur in einer ganz bestimmten Weise leben. Man erzählt seinen Lebenslauf nicht, indem man seine zufällige Biographie schreibt; man erzählt ihn vielmehr, indem man die typischen Züge erzählt, die in der Mysterienweisheit darüber für alle Zeiten enthalten sind. Die Buddha-Legende ist ebenso wenig eine Biographie im gewöhnlichen Sinne, wie die Evangelien eine solche des Christus Jesus sein wollen. Beide erzählen nicht ein Zufälliges; beide erzählen einen für einen Weltheiland vorgezeichneten Lebenslauf. In den Mysterientraditionen haben wir für beide die Vorlagen zu suchen, nicht in der äußerlichen, physischen Geschichte. Buddha und Jesus sind im vornehmsten Sinne Eingeweihte für die, die ihre göttliche Natur erkannt haben. (Jesus ist der durch die Innewohnung der Christenwesenheit Eingeweihte.) Damit ist ihr Leben allem Vergänglichen entrückt. Damit hat auf sie Anwendung, was man von Eingeweihten weiß. Man erzählt nicht mehr die zufälligen Ereignisse ihres Lebens. Man sagt von ihnen: «Im Urbeginn war das Wort, und das Wort war bei Gott, und ein Gott war das Wort. ... Und das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns.» (Johannes 1, 1 und 14.)



Aber das Jesus-Leben enthält mehr als das Buddha-Leben. Buddha schließt mit der Verklärung. Das Bedeutungsvolle im Jesus-Leben beginnt nach der Verklärung. Man übersetze das in die Sprache der Eingeweihten: Buddha ist bis zu dem Punkte gelangt, wo in dem Menschen das göttliche Licht anfängt zu glänzen. Er steht vor dem Tode des Irdischen. Er wird das Weltlicht. Jesus geht weiter. Er stirbt nicht physisch in dem Augenblicke, in dem ihn das Weltlicht durchklärt. Er ist in diesem Augenblicke ein [107] Buddha. Aber er betritt auch in diesem Augenblicke eine Stufe, die in einem höheren Grade der Initiation ihren Ausdruck findet. Er leidet und stirbt. Das Irdische verschwindet. Aber das Geistige, das Weltlicht verschwindet nicht. Seine Auferstehung erfolgt. Er enthüllt sich als Christus für seine Gemeinde. Buddha zerfließt im Augenblicke seiner Verklärung in das selige Leben des Allgeistes. Christus Jesus erweckt diesen Allgeist noch einmal in menschlicher Gestalt in das gegenwärtige Dasein. Solches ward mit dem Initiierten bei den höheren Weihen in einem Sinne vollzogen, der bildhaft ist. Die im Sinne des Osiris-Mythos Initiierten waren zu solcher Auferstehung in ihrem Bewußtsein als in einem Bild-Erlebnis gelangt. Diese «große» Initiation, aber nicht als Bild-Erlebnis, sondern als Wirklichkeit, wurde also im Jesus-Leben zu der Buddha-Initiation hinzugefügt. Buddha hat mit seinem Leben das erwiesen, daß der Mensch der Logos ist, und daß er in diesen Logos, in das Licht zurückkehrt, wenn sein Irdisches stirbt. In Jesus ist der Logos selbst persönlich geworden. In ihm ist das Wort fleischgeworden.

Was sich also für die alten Mysterienkulte im Innern der Mysterientempel abgespielt hat, das ist durch das Christentum als eine weltgeschichtliche Tatsache aufgefaßt worden. Zu dem Christus Jesus, dem Initiierten, dem in einziggroßer Weise Initiierten, hat sich die Gemeinde bekannt. Ihr hat er bewiesen, daß die Welt eine göttliche ist. Die Mysterienweisheit wurde für die christliche Gemeinde unlösbar verknüpft mit der Persönlichkeit des Christus Jesus. Daß er gelebt hat, und daß seine Bekenner zu ihm gehörten: dieser Glaube trat an die Stelle dessen, was man vorher mit den Mysterien hatte erreichen wollen. - fortan [108] konnte ein Teil dessen, was vorher nur durch die mystischen Methoden zu erreichen war, für diejenigen, die zur Christengemeinde gehörten, durch die Überzeugung ersetzt werden, daß in dem gegenwärtig gewesenen Worte das Göttliche gegeben sei. Nicht das, wozu der Geist eines jeden Einzelnen lange vorbereitet werden muß, war nunmehr allein maßgebend; sondern was die gehört und gesehen haben, die um Jesus waren, und was durch sie überliefert ist. «Was von Anfang her geschehen ist, was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen, was selbst geschauet, was unsere Hände berührt haben von dem Worte des Lebens..., was wir sahen und hörten, melden wir euch, damit ihr Gemeinschaft mit uns habet.» So heißt es in der ersten Epistel des Johannes. Und dieses unmittelbar Wirkliche soll als ein lebendiges Band alle Generationen umfassen; es soll als Kirche mystisch von Geschlecht zu Geschlecht sich weiterschlingen. So sind die Worte Augustinus zu verstehen: «Ich würde dem Evangelium nicht glauben, wenn mich die Autorität der katholischen Kirche nicht dazu bewegte.» Nicht in sich also haben die Evangelien ein Erkennungszeichen für ihre Wahrheit; sondern man soll sie glauben, weil sie sich auf Jesu Persönlichkeit gründen; und weil die Kirche von dieser Persönlichkeit her auf geheimnisvolle Weise die Macht ableitet, sie als Wahrheit erscheinen zu lassen. - die Mysterien haben durch Tradition die Mittel überliefert, zur Wahrheit zu kommen; die Christengemeinschaft pflanzt diese Wahrheit selbst fort. Zu dem Vertrauen zu den im Innern des Menschen aufleuchtenden mystischen Kräften bei der Einweihung sollte hinzukommen das Vertrauen zu dem Einen, dem Ur-Initiator. Vergottung haben die Mysten gesucht; sie wollten sie erleben. [109] Jesus war vergottet; man muß sich zu ihm halten; dann ist man innerhalb der von ihm gestifteten Gemeinschaft selbst Teilhaber an der Vergottung: das wurde christliche Überzeugung. Was in Jesus vergottet war, ist für seine ganze Gemeinschaft vergottet. «Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt» (Matthäus 28, 20). Der da in Bethlehem geboren ist, hat einen ewigen Charakter. Das Weihnachtsantiphon darf von der Geburt Jesu sprechen, als wenn sie an jedem Weihnachtsfeste geschehe: «Heute ist Christus geboren worden; heute ist der Erlöser erschienen, heute singen die Engel auf Erden.» - In dem Christus-Erlebnis hat man zu sehen eine ganz bestimmte Stufe der Initiation. Wenn der Myste der vorchristlichen Zeit dieses Christus-Erlebnis durchmachte, dann war er durch seine Einweihung in einem Zustande, der ihn befähigte, etwas geistig - in höheren Welten - wahrzunehmen, wofür es keine entsprechende Tatsache in der sinnlichen Welt gab. Er erlebte das, was das Mysterium von Golgatha umschließt, in der höheren Welt. Wenn nun der christliche Myste dieses Erlebnis durch Initiation durchmacht, dann schaut er zugleich das geschichtliche Ereignis auf Golgatha und weiß, daß in diesem Ereignis, das sich innerhalb der Sinnenwelt abgespielt hat, der gleiche Inhalt ist wie vorher nur in den übersinnlichen Tatsachen der Mysterien. Es hat sich also mit dem «Mysterium von Golgatha» auf die christliche Gemeinde das ausgegossen, was sich früher innerhalb des Mysterientempels über die Mysten ausgegossen hat. Und die Initiation gibt den christlichen Mysten die Möglichkeit, sich dieses Inhaltes des «Mysteriums von Golgatha» bewußt zu werden, während der Glaube den Menschen unbewußt teilhaftig werden läßt der mystischen Strömung, [110] die von den im Neuen Testamente geschilderten Ereignissen ausgegangen ist und seitdem das Geistesleben der Menschheit durchzieht.


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