Die infizierte oder kritisch kolonisierte Wunde muss als
Voraussetzung zur Heilung saniert werden. Dabei muss
abgewogen werden, ob Antiseptika ausreichend sind oder
aufgrund systemischer Metastasierung darüber hinaus eine
Chemotherapie erforderlich ist. Die Schwierigkeit für die
Auswahl des Antiseptikums ist darin begründet, dass nur we-
nige vergleichende klinische Untersuchungen vorliegen. Des-
halb müssen alle Befunde, von der In-vitro-Testung bis zur
randomisierten, kontrollierten Studie einschliesslich Meta-
und Cochrane-Analysen, zu einer plausiblen Synopse zusam-
mengeführt werden (1).
Wundantiseptika sind als Arzneimittel oder als Medizinpro-
dukt zugelassen. Der Unterschied besteht in der hauptsächli-
chen Wirkungsweise. Arzneimittel wirken pharmakologisch,
metabolisch und/oder immunologisch. Wird die Hauptwir-
kung von Wundspüllösungen und Wundauflagen überwie-
gend auf physikalischem Weg (Ausspülen, Aufsaugen) er-
reicht, handelt es sich um Medizinprodukte. Nicht selten
werden allerdings dieselben Wirkstoffe als Arzneimittel und
als Medizinprodukt eingesetzt. In praxi sind die Übergänge
häufig fliessend, weil die physikalische Wirkung unter Um-
ständen schwierig von der pharmakologischen Wirkung zu
trennen ist. Die richtige Einordnung als Arzneimittel oder
Medizinprodukt hat jedoch Auswirkungen auf den Umfang
der pharmakologisch-toxikologischen Prüfung und erfüllt
damit einen Schutzzweck für den Anwender (2).
Indikationen
Antiseptika werden prophylaktisch oder therapeutisch ein-
gesetzt zur:
O
Verhinderung der Infektion akuter verschmutzter Wunden
O
Verhinderung von «Surgical Site Infections» (SSI)
O
Dekolonisation von mit multiresistenten Erregern (speziell
MRSA) kolonisierten Wunden
O
Infektionsprävention bei Verbrennungswunden > 15 Pro-
zent der Körperoberfläche
O
Therapie klinisch manifester Wundinfektionen einschliess-
lich sogenannter kritischer Kolonisation chronischer
Wunden.
Nicht alle kontaminierten Wunden entwickeln eine Infek-
tion. Da die physiologische Kolonisation der Wunde für den
Wundheilungsverlauf vermutlich sogar vorteilhaft ist, wurde
zur Abschätzung des Infektionsrisikos der «Wounds at Risk
Score» eingeführt. Erreicht der Score drei Punkte, ist eine an-
tiseptische Behandlung gerechtfertigt (Tabelle 1).
Biss- und Stichverletzungen
Bei frischer offener Verletzung gegebenenfalls chirurgisches
Débridement beziehungsweise umfangreiche Nekrosektomie
mit Entfernung von zerrissenem, zerquetschtem und devitali-
siertem Gewebe, danach antiseptische Spülung mit Povi-
don(PVP)-Iod/Alkohol oder bei Kontraindikation für Iod mit
Octenidin/Phenoxyethanol (Oct/Phen), keine Antibiotika-
prophylaxe, Primärverschluss. Bei nahezu geschlossener
frischer Verletzung (z.B. Katzenbiss) gegebenenfalls chirur -
gisches Débridement, Auflage von PVP-Iod/Alkohol-, Oct/
Phen-getränkten Kompressen oder Eintauchen der Wunde in
die Lösung (z.B. an der Endphalanx) für etwa 15 Minuten,
keine Antibiotikaprophylaxe.
Bei älterer Verletzung (etwa nach > 4 h) gegebenenfalls
chirur gische Wundversorgung, parallel zur Antiseptik ein-
malig i.v. oder dosisadaptiert orale Gabe von Antibiotika
(empirisch Start mit Amoxicillin/Clavulansäure).
Bei älterer Verletzung nach zirka 24 Stunden gegebenenfalls
chirurgische Wundversorgung, danach Antiseptik, nur bei
klinisch ersichtlicher Infektion/Entzündung chirurgische
Revision mit Eröffnung und Antiseptik sowie antibiotische
Therapie. Bei der Applikation ist darauf zu achten, dass die
Präparate nicht unter Druck angewendet werden und jeder-
zeit freier Abfluss gewährleistet ist (4, 5).
FORTBILDUNG
Wundantiseptik
Evidenz, Indikationen, Wirkstoffauswahl und Perspektiven
ARS MEDICI 9
I
2016
419
Von Axel Kramer
O
Ohne Entfernung von Verunreinigungen und gegebenen-
falls chirurgischem Débridement versagt das beste
Wundantiseptikum.
O
Chlorhexidin und zum Teil auch Povidon-Iod werden zu -
nehmend durch Octenidin und Polihexanid ersetzt.
O
Als neue Option ist die Kombination Natriumhypochlorit/
hypochlorige Säure (OCl) verfügbar.
O
In ihrer Effektivität umstritten sind silberfreisetzende
Verbindungen.
O
Entbehrlich sind Chlorhexidin, Chinolinole und Nitrofural.
O
Obsolet sind Farbstoffe, quecksilberorganische Verbin -
dungen, Wasserstoffperoxid und die lokale Applikation von
Antibiotika.
MERKSÄTZE
Verbrennung
Nach systemischer Stabilisierung breitbandig ungezielter
antibiotischer Abschirmung sowie Abtragung nekrotischer
Gewebeanteile werden die Wundflächen inklusive aufge-
brachter frischer Transplantate antiseptisch behandelt. Klei-
nere Verbrennungen IIa können konservativ mittels antisep-
tischer Verbände zur Abheilung gebracht werden (6).
Verschmutzte akute Weichteilverletzung
Durch antiseptische Spülung mit PHMB (0,04%) wurde die
SSI-Rate im Vergleich zu PVP-Iod (PVP-I) (1%), Wasser-
stoffperoxid (WPO) (4%) und Ringerlösung signifikant
reduziert (7).
SSI-Prävention
Durch intraoperative Spülung vor Wundverschluss (8) und
Wundauflage nach Wundnaht wurde eine signifikante Re-
duktion der SSI-Rate erreicht (9).
Dekolonisierung von mit MRSA besiedelten Wunden
Die Indikation ist gegeben, wenn eine nosokomiale Verbrei-
tung verhindert werden soll oder sich schutzbedürftige Per-
sonen im Lebensumfeld des Betroffenen befinden. Während
die Dekolonisierung im Vestibulum nasi im Allgemeinen
nach 7 Tagen erfolgreich ist, werden auf Wunden zum Bei-
spiel für Mupirocin 2 Wochen empfohlen (10).
Grundsätze zur Anwendung von Antiseptika
Vor jeder Anwendung sind folgende Grundsätze zu beachten:
O
Ohne chirurgische Wundversorgung, das heisst ohne Ent-
fernung von Verunreinigungen, gegebenfalls in Verbindung
mit chirurgischem Débridement beziehungsweise Nekros-
ektomie von abgestorbenem beziehungsweise zerstörtem
Gewebe, und bei chronischen Wunden ohne Behandlung
der zugrunde liegenden Begleitkrankheit versagt das beste
Wundantiseptikum. Deshalb ist als Erstes die Ätiopathoge-
nese der Wunde abzuklären, um gegebenenfalls die Wund-
heilung beeinträchtigende lokale und systemische Faktoren
zu eliminieren.
O
Die Wundbehandlung ist der Wundheilungsphase anzu-
passen, insbesondere in Hinblick auf die Auswahl der
Wundauflage.
O
Jeder Wechsel der Wundauflage erfordert aseptische Sorgfalt.
Kriterien für die Wirkstoffauswahl
Bei akuten Wunden steht die rasch einsetzende Wirksamkeit
des Antiseptikums im Vordergrund, unter Umständen mit
erforderlicher Tiefenwirkung (Biss-, Schussverletzung), ver-
bunden mit lokaler Verträglichkeit. Für chronische Wunden
kann die Einwirkungszeit für das Erreichen der antisepti-
schen Wirkung aufgrund wiederholter Applikation und
Verbleib auf der Wunde länger sein; im Idealfall sollte die
Wundheilung gefördert werden.
FORTBILDUNG
420
ARS MEDICI 9
I
2016
Tabelle 1:
Infektionsrisiko bei Wunden (3)
Risikoklasse
Risiko
Scorepunkte
1
erworbene immunsuppressive Erkrankung (z.B. Diabetes mellitus)
je Risiko
erworbener Immundefekt durch medikamentöse Therapie
1 Punkt
Erkrankung durch solide Tumoren
hämatologische Systemerkrankung
SSI mit ungeplanter Sekundärheilung
durch Lokalisation mikrobiell besonders gefährdete Wunden (z.B. Perineum, Genitale)
problematische hygienische Bedingungen durch soziales oder berufliches Umfeld
(z.B. Landwirt, Lkw-Fahrer)
Lebensalter > 80 Jahre bzw. geringes Lebensalter (Frühgeborenes, Säugling, Kleinkind)
Bestandsdauer der Wunde > 1 Jahr
Wundgrösse > 10 cm
2
chronische Wunden aller Kausalitäten mit > 1,5 cm Tiefe
stationärer Langzeitaufenthalt des Patienten > 3 Wochen
2
schwerer erworbener Immundefekt (z.B. HIV-Infektion im fortgeschrittenen Stadium)
je Risiko
stark verschmutzte Akutwunde
2 Punkte
Biss-, Stich- und Schusswunde mit einer Tiefe von 1,5 bis 3,5 cm
3
traumatische verschmutzte Wunde nach Débridement
je Risiko
Verbrennungswunde > 15% Körperoberfläche
3 Punkte
Wunde mit direkter Verbindung zu Organen, Funktionsstrukturen (z.B. Gelenke)
bzw. mit körperfremdem Material
schwerste angeborene Immundefekte
Biss-, Stich- und Schusswunde > 3,5 cm Tiefe
Wirksamkeit
Für akute Wunden ist eine mikrobiozide Wirkung mit
breitem Wirkungsspektrum (nur in speziellen Situationen
auch viruzid und sporozid) erwünscht. Für chronische
Wunden kann sich das Wirkungsspektrum auf grampositive
und gramnegative Bakterien beschränken, sofern keine
davon abweichende Ätiologie diagnostiziert wurde. Für die
Antiseptik sind Wirkstoffe ohne Risiko für eine Resistenz-
entwicklung, insbesondere ohne Kreuzresistenz zu Antibio-
tika, auszuwählen.
Die Wirksamkeit von Antiseptika soll bei wundtypischer orga -
nischer Belastung innerhalb der deklarierten Einwirkungszeit
eine Abtötung des Testorganismus ≥ 3 log
10
erreichen (11).
Verträglichkeit
Die Wundverträglichkeit soll jener von Ringer oder Koch-
salzlösung oder eines wirkstofffreien Hydrogels entsprechen;
im Idealfall soll die Wundheilung gefördert werden. Es trifft
der chirurgische Aphorismus zu: Gib nichts in die chronische
Wunde, was du nicht ins Auge geben kannst. Sofern zur
Wunde benachbarte empfindliche Gewebe exponiert werden
könnten (z.B. Knorpel, ZNS-Strukturen, Peritoneum), muss
die Verträglichkeit hierfür abgeklärt sein. Ferner sollen keine
Sensibilisierungspotenz und kein Anaphylaxierisiko gegeben
sein. Schliesslich ist das Risiko von Langzeitnebenwirkungen
(Mutagenität, Karzinogenität, Teratogenität) auszuschliessen.
Ist der Quotient aus bakteriozider Wirksamkeit und Verträg-
lichkeit gegenüber humanen Primärzellen, beides für die glei-
che Einwirkungszeit ermittelt, > 1, wird das Antiseptikum in
wünschenswerter Weise besser von Zellen als von Bakterien
toleriert. Das trifft zu für Oct, Polihexanid (PHMB) und
PVP-Iod (Tabelle 2).
Eine noch sensitivere Aussage für eine selektive antiseptische
Wirkung ergibt sich, wenn in Kokultur humaner Zellen und
Bakterien Letztere abgetötet werden, während die Zellen
überleben. Das wurde für Natriumhypochlorit (NaOCl) (13)
und PHMB (14) nachgewiesen; dagegen wurde durch Was-
serstoffperoxid (WPO) die Proliferation von Fibroblasten
unterbunden, während die Bakterien überlebten (15).
FORTBILDUNG
422
ARS MEDICI 9
I
2016
Tabelle 2:
Quotient aus IC
50
für L929-Zellen und Reduktions -
faktor ≥ lg 3 für mikrobiozide Wirkung (12)
Wirkstoff
E. coli
S. aureus
Octenidin (Oct)
1,7
2,1
Polihexanid (PHMB)
1,5
1,4
Polividon-Iod (PVP-I; bezogen auf I
2
)
0,9
1,0
Chlorhexidindigluconat (Chx)
0,7
0,7
Triclosan
0,2
0,5
Silber (Ag-Protein; bezogen auf Ag)
0,2
0,1
Silbersulfdiazin (Ag
+
-Sulfadiazin) und
nicht kalkulierbar
Silbernitrat
unter Null
Tabelle 3:
Für die Anwendung auf Wunden relevante Merkmale antiseptischer Wirkstoffe
Wirkstoff
Wirkungs-
Tiefen-
Resistenz-
Wundheilung
Knorpelver-
Sensibilisie-
Systemische
eintritt
wirkung
1
entwicklung
träglichkeit
rung
Risiken
Polihexanid
S: langsam
1
Förderung
< 0,005% (17)
nein (18)
nein (18)
P: 0,5–3 h
Octenidin
S: rasch
2
2
wie Hydrogel
nein (17)
nein (19)
nein (19)
P: 5 min–10 h
bzw. Ringer (16)
Povidon-Iod
S: langsam
3
z.T. Hemmung
ja (17)
ja
ja (Schilddrüse)
P: 5–30 min
OCl
S: rasch
2
Förderung
?
nein
nein
P: 30 s–5 min
3
Essigsäure
?
2
0,15%
?
nein
nein
Förderung (20)
Silberionen
S, P: sehr
3
Hemmung
?
nein
ja
langsam
Chlorhexidin
S: langsam
1
keine
nein
ja (selten)
?
Hemmung
S = Suspensionstest ohne Belastung (21)
P = Prüfkörpertest mit Belastung mit S. aureus bzw. P. aeruginosa (22)
OCI: Natriumhypochlorit/hypochlorige Säure
1
Da hierzu keine Untersuchungen vorliegen, können derzeit nur aufgrund physikochemischer Eigenschaften hypothetische Aussagen gemacht
1ž
werden; 1 = oberflächliche Wirkung aufgrund hoher Eiweissbindung; 2 = gewisse Eindringtiefe; 3 = über 2 hinausgehende Eindringtiefe.
2
in Kombination mit Phenoxyethanol 2 oder 3.
3
ohne Belastung.
ja
nein
FORTBILDUNG
ARS MEDICI 9
I
2016
423
Aktuelle Trends
Aufgrund der unterschiedlichen Eigenschaften antiseptischer
Wirkstoffe (Tabelle 3) zeichnen sich folgende Entwicklungs-
tendenzen ab. Chlorhexidin und zum Teil auch Povidon-Iod
werden zunehmend durch Octenidin und Polihexanid
ersetzt. Durch Lösung des Stabilitätsproblems ist als neue
Option die Kombination Natriumhypochlorit/hypochlorige
Säure (NaOCl/HOCl = OCl) verfügbar. Essigsäure gewinnt
aufgrund neuer Untersuchungen an Interesse. In ihrer Effek-
tivität umstritten sind silberfreisetzende Verbindungen. Ent-
behrlich sind Chlorhexidin, Chinolinole und Nitrofural. Ob-
solet sind Farbstoffe, quecksilberorganische Verbindungen,
Wasserstoffperoxid und die lokale Applikation von Anti -
biotika (1). Das Fragezeichen bei Chlorhexidin in Tabelle 3
zu systemischen Risiken bezieht sich auf die Möglichkeit der
Abspaltung des karzinogen wirkenden 4-Chloranilins aus
dem Chlorhexidinmolekül.
Octenidin
In-vitro- und tierexperimentelle Befunde: Octenidin über-
trifft im quantitativen Suspensionstest ohne Belastung Povi-
don-Iod (PVP-Iod), Polihexanid und Chlorhexidin deutlich
an Wirksamkeit (Tabelle 4) und besitzt eine ausgeprägte
remanente Wirkung (23). Auch in der Relation Wirksam-
keit/Zytotoxizität ist es PVP-Iod überlegen. Bei Prüfung auf
Metallprüfkörpern nach einer Stunde Antrocknung der Test-
bakterien unter Belastung war allerdings PVP-Iod-Lösung
am wirksamsten, vor Polihexanid- und Octenidin-Gel
(Tabelle 5). Auch in einem In-vitro-Wundmodell war wie-
derum PVP-Iod am wirksamsten, vor Octenidin und Poli -
hexanid (24). Allerdings übertraf Octenidin in einem Bio-
filmmodell mit P. aeruginosa PVP-Iod an Wirksamkeit (25). Ein
S.-aureus-Biofilm wurde innerhalb von fünf Minuten nahezu
komplett eliminiert (26). Auch an der experimentellen Ver-
brennungswunde (Ratte) wurden Polihexanid und PVP-Iod
gegenüber P. aeruginosa von Octenidin an Wirksamkeit
übertroffen (27).
In vitro werden Phagozytose und PDGF durch Octenidin sti-
muliert (19), was von Vorteil für die Wundheilung sein kann.
Bei > 2% mit Octenidin/Phenoxyethanol behandelten Patien -
ten entwickelte sich eine Kontaktdermatitis, wobei sich die
Abgrenzung zwischen allergischer und irritativer Reaktion
allerdings als problematisch erwies (28).
Aufgrund der geringen Resorption ist keine systemische Ge-
fährdung bei der Anwendung auf Wunden zu befürchten (29).
Klinische Studien: Octenidin ist bei guter Verträglichkeit
antiseptisch effektiv und unterstützt bei der Wundspülung
die Biofilmentfernung (19). Vor allem als Gel ist es für Ver-
brennungswunden geeignet. Bei mit multi resistenden Erregern
kolonisierten traumatischen Amputa tions- und Splitter -
verletzungen konnte nach Ausschluss einer floriden syste -
mischen Infektion durch konsequente antiseptische Wund-
versorgung mit Octenidin/Phenoxyethanol in Verbindung
mit Vakuumversiegelung auf eine Behandlung mit Antibio-
tika verzichtet werden (30).
Warnhinweis: Kein Einbringen unter Druck in Haut oder in
Stichkanäle ohne Abflussmöglichkeit, weil ein Verbleib im
Gewebe zu Schädigungen führt (31); dagegen wurden durch
Spülung bei lokal begrenzten Haut-Weichteil-Infektionen im
Bereich der Hand bei gewährleistetem Abfluss keine Irrita-
tionen beobachtet (32).
Kontraindikationen: Peritonealspülung, In-vitro-Applika-
tion, Allergie, Anwendung auf hyalinem Knorpel und auf
ZNS-Strukturen (Letzteres ist nicht untersucht, aber für
Chlor hexidin bekannt und daher bis zum negativen Aus-
schluss für Octenidin angebracht) (19).
Polihexanid
In-vitro- und tierexperimentelle Befunde: Die Wirksamkeit
unterscheidet sich nicht wesentlich von Octenidin. Bemer-
kenswert ist, dass Polihexanid intrazellulär multiresistente
Staphylokokken (MRSA) durch direkte Interaktion mit den
Bakterien innerhalb von Keratinozyten abzutöten vermag (33).
Gegen P. aeruginosa ist die Wirksamkeit auch in Gegenwart
von 4%-Albumin (34), 4,5%-Blut + 4,5%-Albumin (35)
und von Wundflüssigkeit gegeben, wobei zugleich die
Expression von Elastase gehemmt wird (36). In der Zellkul-
tur und beim Schwein wird die Wundheilung gefördert (37).
Tabelle 4:
Konzentration (mg/l) zur Erreichung des Reduk -
tionsfaktors > 3,8 (C. albicans) bzw. > 4,8 für die
Testbakterien bei 1 Minute Einwirkungszeit (21)
Wirkstoff
S. aureus
P. aeruginosa
C. albicans
Octenidin
10
250
500
PVP-Iod
250
500
5000
Polihexanid
250
500
5000
Chlorhexidin
2000
5000
5000
Tabelle 5:
Einwirkungszeit für Reduktion > 3 log
10
im Prüfkörpertest (22)
Prüfpräparat
Belastung
S. aureus
P. aeruginosa
PVP-Iod Lösung
Zellkulturmedium*
5 min
5 min
(10%)
30% Blut
30 min
30 min
Oct-Gel 0,1%
Zellkulturmedium*
5 min
30 min
30% Blut
3 h
10 h
Oct-Gel 0,05%
Zellkulturmedium*
5 min
30 min
30% Blut
3 h
10 h
PHMB-Gel 0,04%
Zellkulturmedium*
3 h
30 min
30% Blut
3 h
3 h
PHMB-Gel 0,02%
Zellkulturmedium*
3 h
3 h
30% Blut
3 h
3 h
*Zellkulturmedium: Minimal Essential Medium (MEM) + 10% fötales
Kälberserum (FBS).
Oct: Ocetenidin; PHMB: Polihexanid; PVP-Iod: Povidon-Iod
Die Kapillardichte wurde beim M. cremaster (Ratte) sowohl
bei Ein wirkung von Polihexanid als auch von Octenidin
erhöht, während der Arteriolendurchmesser nur bei Poli -
hexanid einwirkung vergrössert wurde (38).
Die Einstufung durch die Europäische Chemikalienagentur
(ECHA) in Kategorie 2 «kann vermutlich Krebs erzeugen» ent-
behrt der wissenschaftlichen Grundlage (Begründung in [39]).
Bei bestimmungsgemässer antiseptischer Anwendung kann
eine Gesundheitsgefährdung ausgeschlossen werden.
Klinische Studien: Polihexanid ist bei guter Verträglichkeit an-
tiseptisch effektiv, auch gegen multiresistente Sta phy lokokken
(MRSA) und Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) (37),
kann als Lösung zur Wundreinigung eingesetzt werden und ist
zur Antiseptik bei kritisch kolo nisierten beziehungsweise infi-
zierten chronischen Wunden einschliesslich Verbrennungs-
wunden geeignet (37, 40–44). Durch mit 0,2%-Polihexanid
imprägnierte Wundauflagen wurden auf die Haut aufge-
brachte S. epidermidis innerhalb von 24 Stunden komplett eli-
miniert (45), was tierexperimentell für P. aeruginosa bestätigt
wurde (46). Wundauflagen unterscheiden sich in der Zytoto-
xizität nicht von der Polihexanid-freien Auflage (47).
Warnhinweise und Kontraindikationen: Vom Grundsatz
gelten die gleichen Einschränkungen wie für Octendin; da
mit Polihexanid keine Anwendung bei Stichverletzungen
vorgenommen wurde, wird diese Kontraindikation aus dem
ähnlichen Molekülverhalten abgeleitet.
Natriumhypochlorit/hypochlorige Säure (OCl)
Nachdem es gelungen ist, die Kombination von NaOCl/
HOCl zu stabilisieren, liegt eine kostengünstige ökologische
Neuentwicklung vor, weil zur Gewinnung wässrige NaCl-
Lösung elektrochemisch um gesetzt wird. Der derzeit übliche
Wirkstoffgehalt beträgt je 0,004% NaOCl und HOCl.
OCl
−
entsteht als Wirkprinzip bei der Phagozytose enzym-
vermittelt durch Myeloperoxidase, Eosinophilenperoxidase
und Superoxiddismutase und repräsentiert damit im Unter-
schied zu oberflächenaktiven Wirkstoffen einen physiologi-
schen Wirkungsmechanismus (48).
In-vitro- und tierexperimentelle Befunde: Ohne Belastung ist
OCl hoch effektiv gegen vegetative Bakterien, Bakterienspo-
ren, Aspergillen, Oozysten von Cryptosporidien und behüllte
Viren. In der Wirksamkeit gegen Biofilme war die Kombina-
tion Polihexanid/Betain etwas geringer wirksam als OCl (79).
Im Wirkungseintritt übertrifft es Povidon-Iod, Octenidin und
Polihexanid (50, 51). Es ist davon auszugehen, dass die Wirk-
samkeit durch Belastung reduziert wird; dem kann durch aus-
giebige beziehungsweise wiederholte Spülung begegnet werden.
Bei experimenteller Peritonitis der Ratte wurde die Überlebens-
rate im Vergleich zu NaCl ohne Nebenwirkungen erhöht (52).
Die Hemmung der Zytokinfreisetzung von Mastzellen kann
zur antiinflammatorischen Wirkung beitragen (53).
Verträglichkeit: An der Chorioallantoismembran erwies sich
OCl als nicht oder kaum reizend und wurde noch besser als
Polihexanid toleriert (Kramer, unveröff.). Auch im 3-D-Haut-
modell ergab sich kein Anhalt für Zytotoxizität (54). Die
Spülung infizierter chronischer Wunden wurde ohne Unver-
träglichkeit toleriert (55).
Es gibt keinen Hinweis auf toxische Risiken, geprüft nach
FDA-Standards (56). Für NaOCl besteht kein Anhalt für eine
karzinogene Gefährdung (57, 58).
Klinische Studien: Kasuistiken berichten über die Eradika-
tion von MRSA-Infektionen der Haut und der Schädelbasis,
die Eradikation von MRSA, P. aeruginosa und E. coli bei
chronischen diabetischen Ulzera sowie über die erfolgreiche
adjuvante Anwendung bei nekrotisierender Weichteilinfek-
tion, Osteitis und Osteomyelitis (59–62). Bei Peritonitis, zum
Teil mit Peritonealabszess, war nach täglich zweimaliger Irri-
gation für 9 bis 12 Tage nach 3 bis 7 Tagen kein Bakterien-
nachweis mehr möglich (63). Bei Peritonitis wurden post-
operative Komplikationen einschliesslich SSI ohne Unver-
träglichkeiten reduziert (64).
Povidon-Iod
Je nach Testmodell ist die Wirksamkeit in vitro vergleichbar mit
Octenidin und Polihexanid oder geringer (Tabellen 4 und 5).
Da PVP-Iod bezüglich Biokompatibilität Octenidin und Poli-
hexanid unterlegen ist, eine hohe Sensibilisierungspotenz
besitzt und resorptive Nebenwirkungen für die Schilddrüse
beachtet werden müssen, ist es in den letzten Jahren zu redu-
zierter Anwendungsbreite gekommen.
Empfehlungen zur Wundantiseptik
O
Die Kombination Octenidin/Phenoxyethanol (Lösung) ist
für akute kontaminierte traumatische (einschliesslich mit
MRSA kolonisierter) Wunden insbesondere bei erforderli-
cher Tiefenwirkung geeignet. Zur Behandlung chronischer
Wunden sind Zubereitungen mit 0,05%-Octenidin zu
bevorzugen, die als Gel oder Lösung mit Zusatz des ober-
flächenaktiven Ethylhexylglycerols verfügbar sind.
O
Aufgrund der Wundheilungsförderung ist Polihexanid
als Wirkstoff der ersten Wahl für infizierte chronische
Wunden und für Verbrennungswunden anzusehen. Eine
Senkung der SSI-Rate war erreichbar durch Wundspülung
traumatischer kontaminierter Wunden nach primärem
Wunddébridement (65), durch Antiseptik im Eintritts -
bereich des Fixateur externe (66) und mit Polihexanid -
getränkten Wundauflagen postoperativ auf die OP-Wunde
in der Herzchirurgie (67). Aufgrund der Studiendesigns
(retrospektiv bzw. Kohortenstudie) beziehungsweise des
geringen Stichprobenumfangs bedürfen diese Anwendun-
gen der weiteren Absicherung.
O
OCl ist Mittel der Wahl zur intensiven antiseptischen
Reinigung verschmutzter traumatischer Wunden und zur
wiederholten antiseptischen Reinigung chronischer Wun-
den bis zum Abschluss der Reinigungsphase. Dabei wird
auch MRSA eradiziert. Sofern das Risiko der Exposition
mit ZNS-Strukturen gegeben ist, kann OCl eingesetzt wer-
den. Bei septischer Peritonitis ist OCl zur Peritoneal spü -
lung einsetzbar.
O
PVP-Iod ist entbehrlich für chronische Wunden (68), aber
in Kombination mit Alkoholen aufgrund der Penetration
in die Wunde nach wie vor als Mittel der Wahl für Stich-,
Schnitt- und Schussverletzungen anzusehen (4).
Perspektiven
Negative Pressure Wound Therapy (NPWT)
mit Instillation von Antiseptika (NPWTi)
Da die NPWT keine direkte antimikrobielle Wirksamkeit be-
sitzt, ist es bei hoher Besiedelungslast in der Wunde vielver-
sprechend, alternierend Antiseptika zu instillieren. NPWT
FORTBILDUNG
424
ARS MEDICI 9
I
2016
fördert aufgrund des feucht-warmen Milieus in Verbindung
mit Unterdruck die Wundheilung bei nahezu unbegrenzter
Drainagekapazität. Günstige Ergebnisse mehrerer kleiner
Studien mit Polihexanid, Octenidin, OCl und Essigsäure be-
dürfen der Bestätigung.
Essigsäure
Die Auslotung der Effektivität essigsäurebasierter Antisep-
tika (0,25–1%) ist insbesondere wegen der Wirksamkeit
gegen P. aeruginosa, der fehlenden Wundheilungshemmung,
der Azidität und des physiologischen Charakters des Wirk-
stoffs aussichtsreich (69, 70).
Physikalische körperwarme Atmosphärenplasmen (KAP)
Physikalisches Plasma wird zwischen zwei elektrisch gelade-
nen Hochfrequenzelektroden als flammenartiger Strahl aus
einer Düse herausgetrieben (Plasma-Jet), oder es entsteht
in einem elektrischen Spannungsfeld zwischen Gerät und zu
behandelnder Hautoberfläche (Dielectric-Barrier-Discharge-
[DBD-]Plasma). Die Kombination von DBD und Jet führte
zur Entwicklung der Entfernung von Biofilmen mittels Ober-
flächenentladung (Surface Micro Discharge, SMD). Mit der
Entwicklung transportabler Geräte eröffnen sich vielfältige
Möglichkeiten zur Anwendung in der Medizin. Diese fokus-
sieren sich zurzeit auf die Therapie chronischer Wunden (71)
und von Tumoren (72) sowie auf die Entfernung von Bio -
filmen auf Implantaten (73).
KAP besteht aus geladenen Teilchen (Elektronen, Ionen),
reaktiven Sauerstoff- und Stickstoffmolekülen einschliesslich
Wasserstoffperoxid, angeregten Atomen und Molekülen
(z.B. Singulett-Sauerstoff), freien Radikalen, Photonen und
elektromagnetischen Feldern. Der Hypothese zur systemati-
schen Untersuchung von KAP zur Wundbehandlung liegen
folgende Sachverhalte zugrunde (74):
O
Jeder Heilungsprozess verbraucht Energie.
O
Das Zentrum chronischer Wunden ist hypoxisch und hy-
potherm, defizitäre Energiebereitstellung im Gewebe be-
hindert die Wundheilung.
O
Erhöhte Gewebetemperatur (> 38 °C), erhöhter Sauer-
stoffpartialdruck und erhöhte Durchblutung fördern die
Wundheilung.
O
In der Wunde befindliche geschädigte Zellen hemmen die
Wundheilung.
O
Kritische Kolonisation/Biofilmbildung beziehungsweise
Infektion blockiert die Wundheilung.
O
Endotoxinabsorption oder -bindung ist ein Adjuvans für
die Wundheilung.
O
Durch im KAP enthaltene Radikale wird der Heilungspro-
zess der chronischen Wunde über das Zwischenstadium
der akuten Entzündung in Gang gesetzt.
O
Die Existenz induzierter Ströme sowie die den elektrischen
Signalen zugrunde liegende Ionenverteilung sind von ent-
scheidender Bedeutung für die Steuerung der Zellmigra-
tion und Zellteilung am Wundrand.
Bei chronischen Wunden verschiedener Haustierarten wurde
ausnahmslos komplette Heilung erzielt (75). Beim humanen
Ulkus stimulierte KAP den Heilungsprozess stärker als
Oct/Phen, obwohl Letzteres antiseptisch wirksamer ist und
KAP keine remanente Wirkung besitzt (76). In keinem Fall
wurden unerwünschte Nebenwirkungen beobachtet. Da der
Säugetierorganismus über vielfältige Entgiftungsmöglich -
keiten für Sauerstoff- und Stickstoffradikale verfügt und die
Lebensdauer der KAP-Bestandteile sowie die Eindringtiefe
mit 60 µm unkritisch sind (77), ist nicht zu erwarten, dass die
superfizielle Behandlung von Wunden mit Langzeitrisiken
verbunden ist. Übereinstimmend dazu ergab sich für die von
uns verwendete Quelle kein Anhalt für Mutagenität (76).
Bevor jedoch das Risiko der karzinogenen Potenz nicht
abgeklärt ist, ist der Einsatz der Plasmaquelle zur Wund -
behandlung beim Menschen ethisch nicht vertretbar (78).
O
Prof. Dr. med. Axel Kramer
Geschäftsführender Direktor
Institut für Hygiene und Umweltmedizin
Universitätsmedizin Greifswald
Walter-Rathenau-Strasse 49 A
D-17475 Greifswald
E-Mail: kramer@uni-greifswald.de
Interessenkonflikte: keine
Literatur unter www.arsmedici.ch
FORTBILDUNG
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ARS MEDICI 9
I
2016
Tabelle 6:
Fazit bisheriger klinischer Studien
Merkmal
NaOCl/ HOCl
Octenidin
Polihexanid
antiseptisch
ja
ja
ja
effektiv
verträglich
ja
ja
ja
Wundheilungs-
ja*
keine
ja
förderung
Hemmung
Peritonealspülung
möglich
kontra-
kontra-
bei sept. Peritonitis
indiziert
indiziert
Exposition
verträglich
kontra
kontra-
ZNS-Strukturen
indiziert
indiziert
Überlegen im Vergleich zu
Silberionen
tendenziell
signifikant
signifikant
PVP-Iod
signifikant
tendenziell
histologisch
eindeutig
überlegen
Chlorhexidin
keine Studie
keine Studie
signifikant
*Aus dem klinischen Vergleich mit NaCl abgeleitet.
Wegen mehr als 100 ausgewerteter Quellen wird auf die Zitation
verzichtet.
Literatur:
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