5
dass Elisabeth mit ihr verwandt, Frau und Königin ist;
13
in letzterem Punkt spielt auch das
vergangene Verfahren vor Männern, die nicht ihres Ranges waren, eine Rolle.
Zusammenfassend kann man also feststellen, dass Maria ihre Hoffnung, durch Elisabeths
freien Willen begnadigt zu werden, aus folgenden Punkten ableitet: 1. aus den groben
Verfahrensfehlern und einem unzutreffenden Anklagepunkt; 2. aus der einer Königin
unwürdigen Behandlung in Gefangenschaft und 3. aus Gleichheit auf geschlechtlicher,
verwandtschaftlicher und politischer Ebene.
Maria erkennt aber auch, dass sie Elisabeths Willen in Gefangenschaft auf Gedeih und
Verderb ausgeliefert ist, daher verlässt sie sich nicht allein auf eine potentielle Begnadigung:
Ich bin die Schwache, sie die Mächt’ge – Wohl!
Sie brauche die Gewalt, sie töte mich,
Sie bringe ihrer Sicherheit das Opfer.
Doch sie gestehe dann, dass sie die Macht
Allein, nicht die Gerechtigkeit geübt. (I/7, V. 961-965)
Maria hält Elisabeth für die Urheberin der Rechtsverstöße – des „Gaukelspiel[s]“ (V.970) –
gegen sie. Daher erklärt sie Folgendes: „Ermorden lassen kann sie mich, nicht richten!“
(V.971). Die böse Vorahnung ermordet zu werden, wird von Maria ganze viermal geäußert;
14
eine Befürchtung, die berechtigt erscheint, weil Elisabeth – über Burleigh bzw. Paulet und
Mortimer
15
- solche Anstrengungen unternommen hat. Maria sinnt daher auf verschiedene
Rettungsmöglichkeiten, um dieser Gefahr zu entgehen. Dazu gehören das ausgeübte
„Zwangsrecht“ (V.946), „alle Staaten dieses Weltteils / Zu […ihrem] Schutz auf[zu]rühre[n]“
(V.948f.) und zum anderen ihr heimlicher Versuch, den Gärtner mit dem herab geworfenen
Schmuck zu bestechen (V.3-5).
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Marias Hoffnungen, der Gefangenschaft und der latenten
Ermordungsgefahr zu entkommen, gründen sich aber auch auf Mortimer und Leicester,
die für
zwei unterschiedliche Befreiungsmethoden stehen.
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Jedoch deutet Marias prophetische
Aussage „Mich rettet nicht Gewalt, nicht List“ (V.661) bereits das Scheitern sämtlicher
Fluchtpläne und Marias tragisches Ende voraus. Im Bewusstsein der eklatanten Rechtsverstöße
muss Maria sich fragen, warum sie sich solch einem Urteil unterwerfen solle, das für sie
„Gewalt“ darstellt: „Denn nicht vom Rechte, von Gewalt allein / Ist zwischen mir und
Engelland die Rede. (V.956-958)
13
Vgl. V.174-176.
14
V.197f.; 238f.; 622-630; 971.
15
Siehe II/5.
16
Siehe auch Marias Hoffnung in Szene III/1, von einem Fischer gerettet zu werden (V.2107-2114).
17
Siehe auch Marias Befreiungshoffnungen in III/1.
6
2.1.2 Elisabeth
Elisabeths Dilemma
Elisabeth muss nun, nach der Verurteilung durch das Gericht, das Urteil entweder vollstrecken
lassen oder Maria begnadigen. Beides ist für sie mit Vor- und Nachteilen behaftet. Es muss
geklärt werden, was aus Elisabeths Perspektive für und wider eine Hinrichtung von Maria
spricht.
Elisabeths dynastischer Herrschaftsanspruch ist durch Marias bloße Existenz in Frage
gestellt, denn Elisabeths Tod würde Maria sofort zur Königin von England erheben, da
Elisabeth keine eigenen Nachkommen hat.
18
In IV/10 spricht Elisabeth selber vom „Flecken
meiner fürstlichen Geburt, / Wodurch der eigne Vater mich geschändet“ (V.3223). Dieser
„Flecken“ besteht darin, dass Heinrichs erste Ehe nicht vom Papst geschieden wurde; dies
machte Elisabeth in der katholischen Welt zur „Bastardtochter“. Erst durch „Heinrichs letzten
Willen“ (V.1422) wurde sie wieder als Thronerbin eingesetzt, nachdem ihr Vater sie zeitweilig
durch das Parlament als illegitim erklären und von der Thronfolge ausschließen ließ (V.777-
783).
19
Marias Hinrichtung würde also Elisabeths Thronanspruch absichern. Elisabeth
konstatiert treffend: „Doch ewig wankt die Kron’ auf meinem Haupt, / Solang sie lebt“
(V.1586 f.). Zudem würde die Hinrichtung Marias eine Stärkung Englands gegenüber
katholischen Machtinteressen bedeuten, die Elisabeth innerhalb und außerhalb Englands
bedrohen.
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Auch muss Elisabeth davon ausgehen, dass Marias Tod sie vor weiteren Mordanschlägen
schützt, denn sie hält Maria für die Anstifterin der Mordkomplotte.
21
Burleigh legt Elisabeth
die Situation so dar: „Du musst den Streich erleiden oder führen. / Ihr Leben ist dein Tod! Ihr
Tod dein Leben!“ (V.1293 f.).
Nachteilig erscheint eine Hinrichtung aus Elisabeths Sicht, da diese auch für Elisabeth als
Rechtsbeugung aus Gründen der Staatsräson erscheinen muss;
22
denn Maria ist nicht
18
Siehe V.1109-1112. Maria besteht trotz Gefangenschaft auf ihren Anspruch auf den englischen Thron, denn
als ihr während der Gefangenschaft angetragen wird, „den Edinburger/ Vertrag zu unterschreiben [… und
damit] ihren Anspruch auf England aufzugeben“ (V.105-111), lehnt sie dieses Angebot vehement ab.
19
V. 522-524; Elisabeth wurde wieder durchs Parlament eingesetzt und durch Heinrichs letzten Willen bestätigt
781-783; V.1422.
20
Vgl. V.3214-19; V.1261-63.
21
Vgl. V. 2286 f.
22
Das Recht wurde bisher aus Gründen der Staatsräson (Vorteil des Staates als entscheidendes Kriterium des
Handelns) bewusst zu Marias Nachteil gebeugt. Die Staatsräson wird offen von Elisabeths Staatsdiener
Burleigh vertreten (V.1525-27; 985-996) und auch Leicester befürwortet den Vorrang der Staatsräson
(V.1440f.) allerdings als taktisches Argument, um eine Hinrichtung Marias zu verhindern.