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Es ist dies eine hervorragende Gelegenheit, eine zunächst unrechtmäßig
erscheinende biologische Tatsache und die zweite, große Dynamik der biologischen
Evolution zu diskutieren: die sexuelle Selektion.
Denn die Unterscheidung zwischen Mann und Frau geht auf nicht mehr als eine
frühe Arbeitsteilung zurück, in der, von einfachsten Lebensformen an, ein Partner
einen vergleichsweise geringen Aufwand an (Samen-)Investition für die Zeugung, die
Partnerin aber das regelmäßig sehr viel teurere Investment von Geburt und später,
vor allem bei Säugetieren, dann auch noch Aufzug der Kleinen zu leisten hat.
Unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten scheint hier ein Ungleichgewicht zu herrschen
und gerade auch religiöse und wissenschaftliche Autoritäten haben sehr oft das
Frausein an sich als minderwertig und als Strafe dargestellt - zum Teil bis heute.
Ein zweiter Blick in das Evolutionsgeschehen differenziert das Bild jedoch enorm:
denn gerade
weil Weibchen mit höherem Aufwand quer durch das Tierreich weniger
Nachkommen gebären können, als Männchen zu zeugen fähig sind, ergibt sich die
Gelegenheit der sexuellen Selektion – auch „female choice“, „Damenwahl“ genannt.
Nur sehr selten hat es das Weibchen dabei nötig, aktiv auf Männerjagd zu gehen. Im
Regelfall strebt es durch den Erweis eigener Attraktivität möglichst viel Auswahl an
potentiellen Partnern zu erlangen und dann unter diesem Angebot auf Zeit, bei
wenigen Spezies auch lebenslang, den Vater der zukünftigen Kinder auszuwählen.
Darwin beobachtete und beschrieb diese Konstellation unzählige Male und merkte
unter anderem an: „Das Ausüben einer gewissen Wahl von Seiten des Weibchens
scheint ein fast so allgemeines Gesetz wie die Begierde des Männchens zu sein.“
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Sexuelle Selektion
Das bekannteste Beispiel für sexuelle Selektion ist und bleibt der männliche Pfau,
der mit einem prachtvollen Gefieder seine genetische Fitness und seine
Überlebenskünste trotz Handicap demonstriert. Aber auch väterliches Engagement,
Gesangskünste oder prachtvolle Geweihe wurden von Weibchen selektiert, die sich
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so auch biologisch als wichtige Qualitätskontrolleure und „Er-Zieher“ des
Evolutionsprozesses erweisen. Es sind überwiegend die Frauen, die ihre jeweilige
Spezies durch ihre Wahl über den bloßen Überlebenskampf hinausführen!
Wissenschaftlich war diese zweite, große Evolutionsdynamik schon bei Darwin völlig
unumstritten und er räumte auch ein, dass die Entwicklung etwa der menschlichen
Hautfarben auch auf (kluge) weibliche, sexuelle Selektion zurückzuführen sei. Aber
er und die meisten ihm folgenden (fast ausschließlich männlichen) Darwinisten
entschieden gegen jede wissenschaftlich-empirische Logik, dass diese besondere
Rolle der Frau beim modernen Menschen keinesfalls bestehen bleiben könne. Die
Frau war und ist im darwinistischen Weltbild als Beute, bestenfalls als Helferin des
dominanten Mannes vorgesehen und daher wischt Darwin auch alle Erkenntnisse zur
sexuellen Selektion durch das weibliche Geschlecht gegen Ende seines Buches zur
Evolution des Menschen einfach beiseite:
„Der Mann ist an Körper und Geist kraftvoller als die Frau, und im wilden Zustande
hält er dieselbe in einem viel unterwürfigeren Stande der Knechtschaft, als es das
Männchen irgend eines anderen Thieres thut; es ist daher nicht überraschend, dass
er das Vermögen der Wahl erlangt hat.“
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Diese Position ist nicht nur evolutionslogisch sehr schwach, weil gerade höhere
Fähigkeiten und Geistesgaben aus der sexuellen Wahl resultieren und ethnologische
Arbeiten auch schon zu Darwins Zeiten ein so pauschales Urteil über Jäger-und-
Sammler-Kulturen nicht belegten - heute sogar widerlegen. Wildbeuterkulturen
weisen durchaus Arbeitsteilung und oft auch politisch untergeordnete Frauenrollen
auf, keinesfalls aber werden Frauen pauschal versklavt. Aber leider bis heute bleiben
diese
pseudo-biologischen
„Argumente“
für
Frauenfeindlichkeit
und
Frauenvergessenheit präsent und wirksam. Und Nachfolger Darwins schlussfolgerten
aus ihrem Irrtum sogar noch, dass es also dem Verstand und Wissen (natürlich
männlicher) Wissenschaftler übertragen werden müsse, vermeintlich minderwertigen
Menschen das Recht auf Fortpflanzung oder sogar Leben abzuerkennen. Bereits ein
Jahr nach seinem Tod 1882 prägte Darwins Vetter Francis Galton den Begriff der
„Eugenik“. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts breiteten sich in Nord- und
Südamerika sowie Europa eugenische Ansichten, Gesetze und Programme aus, die
von Eheverboten über Zwangssterilisationen bis hin schließlich zu den
Massenmorden der Nazis reichten. Säkulare Politiker sowohl rechter wie linker
Parteien überschlugen sich mit Forderungen der „wissenschaftlichen Verbesserung
des Menschen“ und an Universitäten wurden eigene, eugenische Lehrstühle und
„Forschungsprojekte“ eingerichtet. Und auch aktuell haben Vertreter des „Ultra-
Darwinismus“ wie Richard Dawkins wieder eine neue Diskussion über die „Zucht der
Menschen“ angestoßen…
Wieder war es Alfred Russel Wallace, der sich –leider kaum gehört- dem
eugenischen Wahnsinn entgegenstellte. Wallace leugnete gerade nicht, dass
Menschenfrauen oft ihre Rechte der Partnerwahl, also mindestens des Vetos gegen
ungewollte Partner, vorenthalten wurden. Aber statt dies auch noch nachträglich zu
rechtfertigen, plädierte er dafür, es (wieder) zu ändern. Zur Verblüffung und
Belustigung der meisten männlichen Wissenschaftler seiner Zeit stellte sich Wallace
an die Seite der erwachenden Frauenbewegung und vertrat so „revolutionäre“
Forderungen wie jener nach rechtlicher und politischer Gleichstellung sowie Bildung
und wirtschaftlicher Unabhängigkeit für Frauen.