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Denn dann würden, so Wallace, „die Frauen der Zukunft“ wieder von ihrem Recht auf
Familienplanung und Partnerwahl Gebrauch machen und von ganz alleine jene
Männer auswählen, die ihnen körperlich und geistig-charakterlich zusagten. Nicht
dem Staat und Wissenschaftlern, sondern dem freien Werben, Binden, Verhandeln,
Lieben und Familiengründen der jungen Leute sollte die gegenseitige
„Qualitätskontrolle“ (wieder) überlassen werden! Dafür wurde Wallace heftig verlacht,
obwohl seine Position demografisch und evolutionslogisch viel „natürlicher“ und
besser begründet war als die der „darwinistischen“ Kollegen. Eugenik erkannte
Wallace damit nicht nur als unnötig, sondern als zutiefst gefährliche Anmaßung, ja
als Verbrechen - wiederum gegen die Mehrheit der wissenschaftlichen Zunft und
säkularen Ideologen seiner Zeit, die seine dringenden Warnungen schlicht
ignorierte.
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Gretchenfrage'>Kooperationsspiel
Sexuelle Selektion / Gretchenfrage
Ohne die Daten schon zu verraten (noch etwas Geduld, bitte (-; ), sei auch hier der
Hinweis gestattet, dass der heutige Befund Wallace stärkt – gerade auch in
Verbindung mit der Religion. Die deutsche Literatur hat in Goethes Faust sogar einen
ganz starken Hinweis auf den Zusammenhang von Religiosität und „Damenwahl“
unsterblich eingefangen. Als Faust mit Gretchen das Bett teilen will, stellt sie ihm die
zum Sprichwort gewordene Gretchenfrage: „Sag, wie hältst Du’s mit der Religion?“.
Dass sich Gretchen dann mit einer undeutlichen Antwort abspeisen lässt, wird ihr,
ihrer Familie und ihrem Kind zum Verhängnis.
Die starke Tamar hat (nach der Gretchenfrage?) gegen die Familie des Juda kein
Veto eingelegt, sondern klar und mehrfach ihre Wahl bestätigt. Und auch sie wird
darüber hinaus die Männer und sogar den Patriarchen selbst erziehen müssen,
bevor aus der Familie ein Stamm, ein Volk, eine Weltreligion werden konnte. So wird
verständlicher, warum sowohl das davidische Königshaus wie auch die Kompilatoren
der Bibel und auch noch der Verfasser des Matthäusevangeliums ehrfürchtig
wussten oder ahnten, was sie ihr zu verdanken hatten.
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Als eine biblische Erinnerung an die (glücklicheren?) Zeiten sexueller Selektion auch
durch die Frauen mag übrigens auch die Paradiesgeschichte gewesen sein, in der
ausdrücklich festgehalten wird, dass direkt nach der Menschwerdung der Mann zu
seiner Frau zu ziehen hatte. (Gen 2,24) Diese Matri- oder (genauer) Uxorilokalität tritt
bis heute in wenigen Kulturen auf, meist solchen, deren Wirtschaftsordnung sie vor
Territorialkonflikten bewahrte. Erst nach der Vertreibung aus dem Paradies kehrt sich
laut Bibel dieses Verhältnis im Rahmen des menschlichen Verfalls um, erst jetzt
erhält der Mann eine stärkere Dominanz. (Gen 3,16) Heute bilden die Abkehr auch
von patri- bzw. virilokalen Familienmodellen und der Wechsel zur Neolokalität (das
Paar gründet einen gemeinsamen Haushalt) einen nahezu globalen Trend.
Genesis 38, 7
Aber Er war böse vor dem HERRN, darum ließ ihn der HERR sterben.
Wir kommen hier zur dritten und letzten der genannten Fragen, in denen Wallace
gegenüber den späteren Darwinisten die stärkeren Argumente hat: der Bedeutung
von Religion. Religiosität gehört zu den Universalien menschlichen, und, soweit wir
wissen, nur menschlichen Daseins. Es wurden Einzelpersonen, nie aber auch nur
eine menschliche Gesellschaft ohne überweltlich legitimiertes Verhalten entdeckt.
Bereits Darwin wusste, was dies evolutionslogisch bedeutete: Religion musste mit
biologischen Vorteilen verbunden gewesen sein, sonst hätte sie sich nicht entfalten
und ausbreiten können. Veranlagungen, die mit so hohen Kosten verbunden sind,
und dann nur schaden würden, hätte der Evolutionsprozess auf jeden Fall
aussortieren müssen. Stattdessen war (und wie wir sehen werden, ist) das Gegenteil
der Fall: der biologische Erfolg gehörte (und gehört!) den religiösen Homo sapiens.
Wir wissen von Bestattungen als ersten, gesicherten Spuren menschlicher
Religiosität seit etwa 120.000 Jahren. Wir wissen sogar, dass sie sich zuvor bei zwei
Jahrhunderttausende getrennten Menschenzweigen konvergent entwickelte: bei
Neandertalern und Homo sapiens. Und wir wissen, dass sie sich dynamisch
ausbreitete - Bestattungen wurden immer komplexer, den Toten werden rituelle
Grabbeigaben mitgegeben, später treten Schmuck und Symbolfiguren hinzu. Das
Aussterben der Neandertaler korrespondiert mit einer weniger ausgeprägten
Bestattungs- und Religionskultur. Statt Survival of the Fittest gilt in den letzten
Jahrzehntausenden der menschlichen Evolution, bis heute: Survival of the
Faithfullest.
Obwohl er diese detaillierten Daten noch nicht haben konnte, war Darwin selbst
daher völlig klar, dass es sich bei Religion nicht um einen Unfall der Evolution
handeln konnte. Er vermutete ihren biologischen Vorteil darin, dass sie biologisch
und über Erziehung Moral und Gruppenzusammenhalt „nach innen“ fördere: ein
religiöser Stamm werde also besser kooperieren und zusammenhalten als ein
säkularer Stamm, und so habe sich die Religion in dem von ihm vermuteten
Evolutionskrieg der Menschen durchgesetzt. Die Religion wurde damit faktisch der
Gewalt untergeordnet. Zumal sich aber viele Vertreter des Christentums und anderer
Weltreligionen keinesfalls nur als „Stammesreligionen“ verstanden und die besten
von ihnen daran festhielten, auch in Menschen anderer Herkunft, Hautfarbe und
Sprache keine Feinde, sondern potentielle Brüder und Schwestern zu sehen, fand
diese These weder in der Religion, noch in der Wissenschaft breite Anerkennung.
Unter den weniger begabten Nachfolgern Darwins setzte sich daher sogar die
Auffassung durch, dass die ganze Religion ein Irrtum oder wenigstens ein überholtes