Die verkannte Tamar (Genesis 38) Eine Bibelarbeit zu Ehren des Mit-Entdeckers der Evolutionstheorie



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Relikt  des  Evolutionsprozesses  sein  müsse.  Atheistische  Fundamentalisten  wie 

Richard  Dawkins  vertreten  diese  Auffassung  heute  noch,  ja  behaupten  sogar,  sich 

dabei auf Darwin berufen zu können.  

 

Alfred Russel Wallace war wiederum anderer Meinung. Er war fest davon überzeugt, 



dass  Religion  nicht  nur  von  förderlicher  Bedeutung  für  den  Evolutionsprozess  war, 

sondern  immer  noch  ist.  Allerdings  versuchte  er  den  Vorteilen  in  metaphysischen 

Spekulationen  und  spiritistischen  Experimenten  auf  die  Spur  zu  kommen;  was  es 

seinen Gegnern bis heute erleichtert, ihn lächerlich zu machen. 

 

Der  Bibelvers  stößt  uns  genau  in  diese  Debatte.  Wir  erfahren  nicht,  warum  Judas 



Erstgeborener stirbt. Sein Tod wird als göttliches Wirken geschildert und wir erhalten 

keine  Rechtfertigung  dafür.  Ist  Religion  nur  das  hilf-  und  sinnlose  Interpretieren 

willkürlicher Zufälle? Oder verkörpert sich darin eine größere Weisheit, die manchmal 

einfach unser rationales Verstehen übersteigt? Wir werden sehen, dass wir zu einer 

klaren  Antwort  kommen,  wenn  wir  die  Fragen  der  Demografie,  der  sexuellen 

Selektion  und  der  Evolution  der  Religion(en)  verknüpfen  -  wie  es  die  Bibel  in  den 

kommenden Versen vorzeichnet. 

 

Genesis 38,8 



Da  sprach  Juda  zu  Onan:  „Wohne  der  Frau  deines  Bruders  bei  und  nimm  sie  zur 

Bruderehe, damit du deinem Bruder Nachkommen verschaffst.“ 

  

Es  gehört  zu  den  weltweit  gepflegten  Illusionen  der  Menschheit,  dass  die  jeweilige 

Familienform  die  „natürliche“  sei.  Diesem  Genesisvers  ist  zu  danken,  dass  er  mit 

diesem  Vorurteil  gründlich  aufräumt.  Beim  Menschen  gibt  es  keine  feste,  fixierte 

Idealform,  sondern  stets  nur  eine  Vielfalt  an  Modellen,  die  sich  in  ihrer  jeweiligen 

Umwelt behaupten müssen. 

 

Die Leviratsehe ist ein wunderbares Beispiel. Sie war  zu bestimmten Zeiten, und ist 



es  an  wenigen  Orten  immer  noch,  eine  wichtige  Absicherung  vor  allem  der  Frauen 

und  Kinder.  Denn  wenn  eine  Frau  geheiratet  hatte  und  ihren  Gatten  verlor  (bei  der 

damaligen Sterblichkeit eher Regel als Ausnahme!) musste die Familie des Mannes 

für  den  Ehevertrag  eintreten  und  sowohl  die  Versorgung  der  Frau  wie  auch  bereits 

geborener Kinder sichern. Und wenn noch keine Kinder geboren waren und also der 

Witwe  sowohl  das  biologische,  soziale  wie  wirtschaftliche  Fiasko  drohte,  war  der 

Gattenbruder  darüber  hinaus  verpflichtet,  mindestens  ein  Kind  „für  den  Bruder“  zu 

zeugen. Deuteronomium (5. Moses) 25,5 führt  dabei  überdeutlich  aus, dass es sich 

um  ein  Recht  der  Frau  handelt:  wurde  es  ihr  vorenthalten,  so  durfte  sie  den 

vertragsbrüchigen  Bruder  vor  versammelter  Gemeinschaft  verhöhnen,  mit  einem 

Schuh schlagen und bespucken. 

 

Es wäre ein eigener Vortrag für sich, aufzuzeigen, wie das Judentum die Leviratsehe 



schließlich  gegen  den  biblischen  Wortlaut  abschaffte,  als  sich  die  Umstände 

änderten  und  die  Leviratsehe  ihren  Nutzen  verlor.  Dass  in  der  Paradiesgeschichte 

bereits  die  uxorilokale  Ehe  (der  Mann  zieht  zur  Gattin)  und  in  späteren  Büchern 

sowohl polygame wie monogame Eheformen auftreten, sei der Vollständigkeit halber 

noch einmal erwähnt. Gerade die älteste der monotheistischen Religionen leugnet in 

der  Bibel  nicht,  dass  Ehe-  und  Familienmodellen  ständigen Wechseln  unterliegen  - 

und  sich  damit  auf  je  unterschiedliche  Lebensumstände  einstellen  können.  So 

diskutieren  wir  heute  unter  großen  Mühen  Alternativen  zur  (von  ihren  Verfechtern 




 

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fälschlich sowohl als „einzig natürlich“ und gerne auch „einzig biblisch“ gezeichneten) 

Alleinverdienerfamilie,  die  sich  wiederum  erst  im  Protestantismus  des  17. 

Jahrhunderts  gegen  Haushaltsformen  durchsetzte,  in  denen  alle  (einschließlich  der 

Kinder, jungen Mütter und Alten) durch Arbeit zum Einkommen beizutragen hatten.   

 

Wer sich in Deutschland also ernsthaft für die Bibel und bzw. oder die Geschichte der 



(auch christlichen) Familie interessiert, wird dem Engagement von Familienministerin 

von  der  Leyen  für  mehr  echte  Wahlfreiheit  für  Väter,  Mütter  und  Kinder  einiges 

abgewinnen  können!  Nicht  die  Festlegung,  sondern  die  flexible  Vielfalt  möglicher 

Ehe-  und  Familienformen  gehört  zur  evolutionsbiologischen  Erfolgsgeschichte  der 

Menschheit ebenso wie zum Wissensschatz der Bibel!  

 

Genesis 38,9 



Nun wusste Onan, dass die Nachkommen  nicht ihm  gehören  würden. Wenn er also 

seines  Bruders  Frauen  beiwohnte,  ließ  er  den  Samen  zur  Erde  fallen,  um  seinem 

Bruder keine Nachkommen zu geben. 

 

Nun sind wir im Schlüsselbereich des Kapitels angekommen - jener Stelle, für deren 



besondere  Wahrnahme  gerade  auch  unter  Biologen  ich  werbe.  Denn  in  nur  drei 

Sätzen wird hier in einer Jahrtausende alten Überlieferung der Unterschied zwischen 

der  menschlichen und der tierischen Fortpflanzung  auf den Punkt gebracht, der das 

Aufkommen, ja die Notwendigkeit von Religion erklärt. 

 

1.  Vorausplanung.  Onan  hat  noch  kein  Kind  von  Tamar,  aber  er  weiß,  dass  es  mit 



Kosten und Mühen verbunden sein wird. Er ist der paradigmatische, rationale Homo 

Oeconomicus  der  Bibel,  der  es  versteht,  seinen  individuellen  Nutzen  (hier:  Sex)  zu 

maximieren,  dabei  aber  Kosten  zu  vermeiden.  Der  Mensch,  und  nur  der  Mensch, 

entscheidet  bewusst  vorab  über  die  Zeugung  und  Geburt  von  Kindern  und  muss 

diese  Entscheidung  gegenüber  Eigeninteressen  abwägen.  In  wohlhabenden,  freien, 

kapitalistischen  Gesellschaften,  in  denen  Kinder  sowohl  als  Arbeitskräfte  wie  als 

Altersvorsorge  an  Bedeutung  verlieren,  sinken  daher  die  Geburtenzahlen,  denn  es 

entfallen ökonomische Argumente für (mehr) Kinder. 

 

2.  Kulturelle  statt  genetische  Reproduktionsstrategien.  Das  Reproduktionsverhalten 



von  Tieren  ist  weitgehend  biologisch  determiniert:  es  haben  sich  jene  Verhaltens-

strategien  genetisch  fixiert,  die  sich  in  der  Vergangenheit  als  erfolgreich  erwiesen 

haben. Der Nachteil dieser Fixierung ist jedoch, dass es sehr lange dauert und häufig 

auch  (bei  Strafe  des  Erlöschens  der  Population)  scheitern  wird,  das  reproduktive 

Verhalten auf veränderte Umweltbedingungen anzupassen. 

 

Onan  aber  betrachtet  die  Reproduktion  nicht  biologisch,  sondern  kulturell.  Ein 



Darwinist  müsste  erwarten,  dass  er  begeistert  die  Chance  nutzt,  seine  (angeblich 

„egoistischen“) Gene weiterzugeben. Aber er weiß nichts von Genen, sondern glaubt 

(im  kulturell-religiösen  Rahmen  seiner  Zeit),  dass  das  Kind  „nur  seinem  Bruder“ 

zugute komme.  

 

3.  Verhütung.  Das  fehlende  „genetische“  Wissen  Onans  kontrastiert  dabei  umso 



stärker  mit  seinem  konzisen Wissen  über  Verhütung. Denn  dem  Sex  als  biologisch 

fixierten  Teil  des  Reproduktionsvorgangs,  den  wir  in  oder  nach  der  Pubertät 

halbinstinktiv erlernen, entzieht sich Onan ja gerade nicht. Aber er lässt den Samen 



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