Die verkannte Tamar (Genesis 38) Eine Bibelarbeit zu Ehren des Mit-Entdeckers der Evolutionstheorie



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denen  beispielsweise  auch  Mütter  Familie  und  Beruf  verbinden  dürfen,  zu  den 

Spitzenrängen der Religionsgemeinschaften, deren Mitglieder bereits mehrheitlich in 

der Schweiz geboren wurden. 

 

In  einer  Vielzahl  deutscher  und  nationaler  Studien,  aber  auch  international  ist  der 



Religion-Demografie-Zusammenhang  längst  nachweisbar.  Im  Folgenden  seien 

beispielsweise Ergebnisse von Dominik  Enste vom Institut der deutschen Wirtschaft 

Köln  dargestellt, die dieser aufgrund  deutscher  und internationaler Daten des World 

Value Survey gewonnen hat. 

 

World Value Survey 1984 - 2001

Auswertung Dominik Enste, iwd 13/2007

 

 



Der  Vorteil  von  Religiosität  in  Hinblick  auf  die  Reproduktion  und  also  natürliche 

Selektion  ist  statistisch  nicht  mehr  von  der  Hand  zu  weisen.  Für  einige 

Religionsgemeinschaften  (wie  die  Amish,  orthodoxen  Juden  etc.)  existieren  im 

Übrigen auch gar keine Alternativthesen, die deren hohe Fruchtbarkeit ohne religiöse 

Aspekte  erklären  könnten.  Neben  der  Kinderzahl  als  dem  wichtigsten  Faktor  wären 

darüber  hinaus  gesundheitliche  Aspekte  (Speise-,  Alkohol-,  Sexual-  und  Zeitregeln, 

medizinisches  Rollenwissen,  Zuversicht  etc.)  und  der  bereits  von  Darwin  vermutete 

Gruppenzusammenhalt (Vertrauen, Solidarität und Regeltreue, Speisung für „Witwen 

und Waisen“ etc.) zu nennen.  

 

Religionen  wurden  und  werden  leider  nach  wie  vor  häufig  missbraucht,  vor  allem 



wenn  Religionsfreiheit  und  religiöser  Wettbewerb  eingeschränkt  bleiben  und  also 

keine  Kontrolle  der  religiösen  Institutionen  durch  Konkurrenten  erfolgen  kann.  Aber 

die  Emergenz  von  verbindlicher  Religiosität  war  kein  „Unfall“  oder  gar  „Irrtum“  der 

Evolution, sondern die Entfaltung einer lebensförderlichen Fähigkeit. Damit  wir nicht 

zu weit vom Text abkommen, sei hier für weitere Daten oder besonders interessante 

Modelle wie das Zölibat auf weiterführende Lektüre verwiesen.

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Genesis 38,11 

Juda  sprach  zu  seiner  Schwiegertochter  Tamar:  „Bleibe als  Witwe  in  deines  Vaters 

Haus,  bis mein  Sohn  Schela  erwachsen  sein wird.“  Denn  er  dachte  sich,  er  könnte 

auch sterben, wie seine Brüder. Tamar ging und blieb in ihres Vaters Haus. 

 

Nachdem der  vorhergehende  Vers  die Frage nach  der  natürlichen  Selektion geklärt 

hat (der biblische Gott vertritt Regeln, die die Geburt von Kindern begünstigen), wird 

nun  die  Frage  nach  der  sexuellen  Selektion  aufgeworfen.  Denn  Juda  handelt  hier 

„gut  darwinistisch“:  im  Zweifelsfall  geht  ihm  die  Sicherheit  der  eigenen 

Blutsverwandten  über  den  Vertrag  mit  einer  nichtverwandten  Frau.  Man  beachte 

dabei,  dass  auch  hier  Juda  Tamar  direkt  anspricht  und  nicht  etwa  ihren  Vater 

auffordert,  sie  heim  zu  holen.  Und  es  ist  auch  Tamar,  die  -  wie  wir  sehen  werden: 

nicht naiv - Judas Zusage glaubt und (statt z.B. den Vertrag zu lösen und anderswo 

nach einem Mann zu suchen, womit Juda doch einverstanden wäre!) mehrere Jahre 

auf dessen Vertragseinlösung vertraut. 

 

Genesis 38,12-14 



Es  verflossen  viele  Tage,  da  starb  die  Tochter  des  Schua,  Judas  Frau.  Als  Juda 

getrauert hatte, gingen er und sein Freund Hira  zur  Schafschur  nach Timna. Dieses 

wurde  Tamar  berichtet.  Man  sagte  ihr:  „Dein  Schwiegervater  reist  zur  Schafschur 

nach  Timna.“  Da legte  sie  ihre  Witwenkleider  ab, bedeckte  sich  mit einem  Schleier, 

verhüllte sich und setzte sich an den Eingang von Enaim auf dem Weg nach Timna. 

Denn sie sah, dass Schela erwachsen war und sie ihm nicht zur Frau gegeben war. 

 

Nicht  wenige  moderne  Bibelkommentare  verweisen  darauf,  dass  es  sich  bei  der 

Tamar-Geschichte  um  eine  „spätere  Einfügung“  handeln  müsse  -  ihr  Unwohlsein 

angesichts  des  „skandalösen“  Kapitels  kaum  verbergend.  Persönlich  sehe  ich  den 

Sachverhalt  gerade  anders  herum:  ich  bewundere,  dass  (vorwiegend  männliche!) 

Überlieferer  diese  so  klar  für  die  Kanaaniterin  Tamar  sympathisierende  Geschichte 

über  Jahrtausende  mündlich  und  schriftlich  beibehalten  und  nicht  einfach 

„vergessen“ und damit getilgt haben. 

 

Tamar & Juda

Bild: Horace Vernet, 1840

 



 

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Wir können heute wahrscheinlich nur  erahnen, welche atemlose Stille in Zelten und 

an  Feuern  geherrscht  haben  mag  und  wie  viele  Ohren  (gerade  auch  stolzer 

Patriarchen  und  Nachkommen  Judas)  geglüht  haben  mögen,  wann  immer  dieses 

Kapitel  erzählt  oder  verlesen  wurde.  Es  seien  nur  wenige  Aspekte  genannt,  die 

damaligen Zuhörern in den Ohren geklungen haben müssen: 

 

- Wieder wird die Frau des Juda nur als Tochter ihres Vaters, ohne eigenen Namen, 



vorgestellt. Die Heldin der Geschichte ist die junge und fremde Schwiegertochter, die 

stark und selbständig ebenso kreative wie „skandalöse“ Entscheidungen trifft, um ihr 

Recht einzufordern - und damit zum Werkzeug des biblischen Gottes wird! 

 

-  Die  „Schafschur“  hatte  für  Nomaden  eine  ähnliche  Funktion  wie  der 



Freigängerhafen für Seefahrer: oft nach Monaten relativer oder absoluter Isolation in 

Kleingruppen kam man hier zusammen und erhielt den Lohn für die lange Arbeit (die 

Heuer  bzw.  den  Verkaufserlös  der  Wolle).  Entsprechend  traf  lange  aufgestaute 

Nachfrage nach allerhand Gütern auf frisch erworbene Tausch- oder gar Geldmittel. 

Zumal  Juda  eine  Trauerzeit  hinter  sich  hat,  weiß  Tamar  lebensklug,  auf  welche 

männliche  Nachfrage  sie  kalkulieren  kann.  Dabei  merkt  der  Text  geradezu 

selbstverständlich an, dass sie selbst all die Jahre hindurch sexuelle Treue gehalten 

und ihren Witwenstatus durch Kleidung signalisiert hat. Korreliert diese Konstellation 

und  auch  das  Bild  nicht  trefflich  mit  der  darwinschen  Schlüsselbeobachtung  zur 

sexuellen Selektion: „Das Ausüben einer gewissen Wahl von Seiten des Weibchens 

scheint ein fast so allgemeines Gesetz wie die Begierde des Männchens zu sein.“

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-  Die  Verse  erlauben  sich  sogar  noch  ein  tiefsinniges  Wortspiel,  das  hebräische 

Zuhörer  über  Jahrhunderte  zum  Schmunzeln  (oder  Erröten)  gebracht  haben  dürfte. 

„Eingang  von  Enajim“  entspricht  hebräisch  wörtlich  der  „Öffnung  der  Augen“.  Juda 

werden hier die Augen geöffnet. Und mehr noch: der Ausdruck korrespondiert direkt 

mit  hebräisch  „kesut  enajim“  -  „Augen  verhüllend“,  aus  Genesis  20,16.  Denn  in 

diesem  Vers  musste  ebenfalls  ein  Mann,  König  Abimelech,  die  Rechte  einer  Frau 

teuer  wiederherstellen,  nachdem  er  Saras  (auch  sexuelle)  Selbstbestimmung 

ignoriert  hatte  -  sein  Geschenk  von  tausend  Silberstücken  soll  „allen  Leuten  die 

Augen verhüllen“, die Ehre wiederherstellen.

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Es ist also nicht zu überhören, dass die Sympathien des biblischen Gottes an dieser 

Stelle nicht den Patriarchen gehören…  

 

Genesis 38,16-19 

Er ging vom Wege ab zu ihr und sprach: „Erlaube, dass ich mit dir schlafe.“ Denn er 

wusste  nicht,  dass  es  seine  Schwiegertochter  war.  Sie  sprach:  „Was  willst  du  mir 

geben, wenn du mir beiwohnst?“ Er sprach: „Ich will einen Ziegenbock von der Herde 

senden.“  Sie  antwortete:  „Einverstanden,  wenn du  ein Pfand  gibst.“  Er  fragte:  „Was 

für  ein Pfand soll ich dir geben?“ Sie antwortete:  „Deinen  Siegelring, dein Tuch  und 

den Stab, den du in der Hand hast.“ Er gab es ihr, wohnte ihr bei, und sie ward von 

ihm  schwanger.  Sie  machte  sich  auf,  ging  davon,  legte  ihren  Schleier  ab,  und  zog 

wieder ihre Witwenkleider an. 

 

Hier  erreicht  das  Kapitel  in  mehr  als  einer  Hinsicht  einen  dramatischen  Höhepunkt. 



Juda  kommt  vom  Wege  ab,  indem  er  versucht,  Sexualität  und  die  aus  ihr 

resultierende  Verantwortung  voneinander  zu  entkoppeln.  Sein  Angebot  eines 

Ziegenbockes ist dabei -jedem damaligen Zuhörer völlig präsent!- eine freudianische 



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