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Levirat / Leviratsehe
David Volgger
erstellt: Januar 2008
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Die „Leviratsehe“ (lat.
levir
„Schwager“) bezeichnet eine → Ehe, in der die
kinderlose Witwe dem Bruder des verstorbenen Mannes, also ihrem Schwager,
anvertraut wird. Der Begri „Levirat“ greift dabei den Rechtsfall von Dtn 25,5-10
auf, in dem allein von der Schwagerehe die Rede ist.
1. Altorientalische Gesetze
1. Altorientalische Gesetze
Nach dem mittelassyrischen Gesetz § 33 (TUAT 1, 86) kann eine Witwe ihrem
Schwiegervater zur Ehe gegeben werden, nach § 43 (TUAT 1, 88f) einem
Schwager und auch einem (zumindest zehnjährigen) Stiefsohn der Witwe. Nach
dem hethitischen Gesetz §193 (TUAT 1, 122) kann sie – je nach Textgrundlage
und Interpretation – von einem Cousin ersten Grades, einem Ne en oder
einem Onkel des Verstorbenen als Frau genommen werden. Die
altorientalischen Gesetze zeigen damit, dass eine Witwe ohne weiteres mit
einem Mann der Familie des verstorbenen Gatten verheiratet werden konnte.
2. Altes Testament
2. Altes Testament
Wenn die alttestamentliche Wissenschaft von Levirat oder Leviratsehe spricht,
verweist sie vor allem auf folgende drei Texte: Gen 38, Dtn 25,5-10 und Rut 1-4.
2.1. Die Tamarerzählung (Gen 38)
2.1. Die Tamarerzählung (Gen 38)
In der unverwechselbaren und lehrreichen Familiengeschichte Gen 38 verfügt →
Juda über alle ehelichen Verbindungen seiner Söhne. Der älteste Sohn namens
Er muss die Kanaanäerin → Tamar zur Frau nehmen. Nach seinem Tod muss der
zweitälteste namens → Onan zu ihr eingehen und so die Schwagerehe vollziehen
(hebr. י
ב
ם
). Als auch Onan stirbt, verfügt Juda, dass Tamar als Witwe in das Haus
ihres Vaters zurückkehrt, bis der jüngste Sohn Schela das heiratsfähige Alter
erreicht hat. Im Grunde will Juda aber eine weitere Leviratsehe zwischen Tamar
und seinem letzten noch lebenden Sohn unterbinden. Unter diesen Umständen
Levirat / Leviratsehe
David Volgger
Pontificia Università Antonianum, Rom
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sieht sich Tamar dazu berechtigt, den inzwischen verwitweten Juda zu
verführen. Aus dieser Verbindung gehen die → Zwillinge → Perez und Serach
hervor, die es Tamar erlauben, in das Haus bzw. in die Genealogie Judas
zurückzukehren. Am Schluss sieht Juda auch ein, dass er kein Recht hatte, ihr
seinen Sohn Schela vorzuenthalten.
2.2. Das Gesetz Dtn 25,5-10
2.2. Das Gesetz Dtn 25,5-10
Der Rechtssatz Dtn 25,5-10, der für alle Israeliten Gültigkeit beansprucht,
gliedert sich in einen Normsatz (25,5f), der im Untersatz (25,7-10)
problematisiert wird. In beiden Abschnitten sind folgende drei Sachverhalte
relevant: 1) Zwei Brüder wohnen zusammen. 2) Einer von ihnen, der verheiratet
ist, stirbt. 3) Der Verstorbene hat keinen Sohn bzw. kein Kind (hebr. ב
ן
). Tri t all
dies zu, muss der noch lebende Bruder die Schwagerehe vollziehen (hebr. י
ב
ם
).
Diese Verbindung zielt nach 25,6 auf die Geburt eines Sohnes, der den Namen
(hebr. שׁ
ם
) des verstorbenen Bruders weiterführen soll, so dass dieser in Israel
nicht erlöscht. Das Konzept „Name“ meint dabei wohl die Rechtsnachfolge des
verstorbenen Israeliten. Der Normsatz verdeutlicht dabei, wie sich die
patrilineare Autoritätsstruktur einer israelitischen Familie auf die Ehefähigkeit
von Mann und Frau auswirkt.
Der Untersatz Dtn 25,7-10 problematisiert den Normsatz dadurch, dass der
Schwager sich weigert, die Leviratsp icht zu erfüllen. Die Witwe, die vor der
Versammlung der Ältesten am Tor auf ihrem Recht beharrt, wird ihren
Anspruch auf eine Leviratsehe allerdings nicht gegen den Willen des Schwagers
durchsetzen können, sondern ihm eine Sandale vom Fuß ziehen (hebr. ח
ל
ץ
; vgl.
Chaliza als Bezeichnung der jüdischen Sitte, einem Schwager, der die Witwe
seines Bruders nicht heiraten will, zum Ausdruck der Verachtung einen Schuh
auszuziehen) und ins Gesicht spucken. Diese Beschämung ist drastisch und
wirkt sich auf den Namen des Schwagers und seines Hauses unauslöschlich aus
(25,10) „Und sein Name wird in Israel genannt werden ‚Haus desjenigen, dem
die Sandale ausgezogen wurde’.“ Der Untersatz Dtn 25,7-10 hält somit fest, dass
kein Schwager in patrilinearen Verhältnissen zur Ehe bzw. Leviratsehe
gezwungen werden kann. Wird aber sein Haus, zu dem auch der verstorbene
Bruder gehört, noch Zukunft in Israel haben?
2.3. Die Ruterzählung
2.3. Die Ruterzählung
Im Buch → Rut sterben alle männlichen Mitglieder der Familie Elimelechs aus →
Bethlehem in → Moab, während Noomi und ihre beiden moabitischen
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Schwiegertöchter am Leben bleiben. Dennoch wird dieses Haus in Juda bzw.
Israel Bestand haben, weil der Mutter Noomi der Enkel Obed geboren wird, der
den Namen des verstorbenen Elimelech auf seinem Erbe in Bethlehem
aufrichten wird. Die moabitische Schwiegertochter Rut vollzieht dabei keine
Leviratsehe (anders → Rut 3.4.), sondern heiratet Boas, einen Verwandten der
Familie Elimelechs und Noomis, der aus freien Stücken diese Verbindung
eingeht. Zuvor muss aber noch der Verkauf des Grundstücks Elimelechs
geregelt werden. Es gibt nämlich eine bestimmte Reihenfolge der Käufer oder →
Löser (hebr. ג
א
ל
). Boas macht den erstberechtigten Löser in einer ö entlichen
Gerichtsverhandlung auf folgende Kaufhypothek aufmerksam (Rut 4,5): „An dem
Tag, an dem du das Feld aus der Hand Noomis erworben hast, habe ich (
Ketiv
;
die Lutherbibel geht von einem anderen Text aus) aber von Rut, der Moabiterin,
der Frau des Toten, erworben, um den Namen des Toten auf seinem Erbe
erstehen zu lassen.“ Die bevorstehende Heirat von Boas und Rut wirkt sich also
auf das Kaufgeschäft aus, denn ihr erster Sohn wird die juristische Autorität des
verstorbenen Elimelech fortführen, so dass dessen Erbe an Grund und Boden
der Familie von Boas und Rut zukommt. Der erste Löser nimmt diese Hypothek,
die auf dem Grundstück lastet, natürlich nicht in Kauf.
Dass diese Verhandlung nichts mit der Leviratsehe oder der Chaliza von Dtn
25,5-10 zu tun hat, wird auch daraus deutlich, dass die Lösung des Schuhs und
dessen Übergabe an den neuen Löser oder Käufer lediglich als Abschluss eines
Löse- bzw. Tauschgeschäfts gelten (vgl. Rut 4,7). Zudem fehlt im Buch Rut das
Anspucken des ersten Lösers und das Verunglimpfen seines Hauses.
3. Spätere Texte
3. Spätere Texte
Philo
Philo und die Texte von Qumran
Texte von Qumran schweigen zur Leviratsehe.
Josephus
Josephus begründet die Leviratsehe in seiner Darstellung der mosaischen
Gesetze auf folgende Weise (Antiquitates 4,254-56; Text gr. und lat. Autoren):
„So wird es gehalten zum Nutzen des Staates, da so die Familien nicht
aussterben, das Vermögen in der Verwandtschaft bleibt, und die Lage der Frau
durch Heirat mit dem nächsten Verwandten des verstorbenen Gatten
erleichtert wird.“ Dabei verbindet er die Leviratsehe mit der griechischen
Institution der „Epiklerate“, die festlegt, dass die Frau und das Eigentum eines
verstorbenen Mannes an dessen nächsten männlichen Verwandten übergehen.
I m Neuen Testament
Neuen Testament argumentieren die Sadduzäer in Mk 12,18-27 (vgl. Mt
22,23-33;
Lk
20,27-40)
mit
der
Leviratsehe,
um
damit
die
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3
Auferstehungsho nung ad absurdum zu führen, weil sie der Tora widerspreche.
Denn welchem Bruder soll eine Frau nach der Auferstehung angehören, die im
Rahmen der Leviratsehe mit mehreren verheiratet war?
Im → Testament der Zwölf Patriarchen führt das Testament Sebulons
Testament Sebulons 3,1-8 den
Brauch der Chaliza und des Anspuckens auf die Josefserzählung zurück: Simeon,
Gad und sechs andere Brüder verkauften Josef und erwarben sich für den
Kaufpreis Sandalen, um die letzte Erinnerung an den Hochmut Josefs zu
zertreten. In Ägypten wurden ihnen diese Sandalen aber von den Füßen gelöst.
Anschließend elen sie vor Josef nieder und wurden zu ihrer Schande auch
noch angespuckt.
I m rabbinischen Gesetz
rabbinischen Gesetz bietet der Babylonische Talmud im Traktat Yevamot
(Text Talmud) eine ausführliche systematische Re exion zur Leviratsehe. Die
Mischna deutet das hebr. „
ben
“ ( ב
ן
) in Dtn 25,5 zusammen mit LXX und Josephus
(Antiquitates 4, 254) nicht als „Sohn“, sondern als „Kind“ ohne
Geschlechtsunterschied, so dass die Leviratsehe nur dann obligatorisch ist,
wenn der verstorbene Mann weder männlichen noch weiblichen Nachwuchs
hinterlassen hat bzw. in einer Geburt nach seinem Tod hinterlassen wird (vgl.
Traktat Yevamot 2,5).
Die Phrase „wenn die Brüder zusammenleben“ in Dtn 25,5 wird allein auf die
Brüder bezogen, die tatsächlich zusammengelebt haben. Ein Bruder, der erst
nach dem Tod seines verheirateten Bruders geboren wird, ist von der P icht der
Leviratsehe ausgenommen (vgl. Traktat Yevamot 2,1.2). Dies gilt auch, wenn die
ehemaligen Frauen des verstorbenen Bruders in irgendeiner Beziehung
zueinander oder zum Levir stehen.
Die Witwe muss zudem fruchtbar, darf zumindest nicht o ensichtlich
unfruchtbar, aber auch nicht schwanger sein (vgl. Traktat Yevamot 4,2). Eine
rege Diskussion nimmt auch die Frage ein, ob die Inzestgesetze (vgl. Lev 18 und
Lev 20) einen Vorrang der Chaliza gegenüber der Leviratsehe begründen
können (vgl. Traktat Yevamot 1).
Ein Teil des Traktats widmet sich dem prozessrechtlichen Verfahren vor Gericht
(„
bet din
“; vgl. Traktat Yevamot 12). Dabei fällt gegenüber Dtn 25,7-10 auf, dass
die Witwe nicht in das Gesicht ihres Schwagers, sondern vor ihm auf den Boden
spucken muss (vgl. Traktat Yevamot 12,6).
In Folge der Entwicklung der Frauenrechte sowie des Ehe- und
Scheidungsrechts hat die rabbinische Rechtsprechung in Israel – nach dem
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Verbot der Leviratsehe im Jahr 1950 – die Chaliza für obligatorisch erklärt.
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Literaturverzeichnis
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WiBiLex | Levirat / Leviratsehe
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Impressum
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Herausgeber:
Alttestamentlicher Teil
Prof. Dr. Michaela Bauks
Prof. Dr. Klaus Koenen
Neutestamentlicher Teil
Prof. Dr. Stefan Alkier
„WiBiLex“ ist ein Projekt der Deutschen Bibelgesellschaft
Deutsche Bibelgesellschaft
Balinger Straße 31 A
70567 Stuttgart
Deutschland
www.bibelwissenschaft.de
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Document Outline - 1. Altorientalische Gesetze
- 2. Altes Testament
- 2.1. Die Tamarerzählung (Gen 38)
- 2.2. Das Gesetz Dtn 25,5-10
- 2.3. Die Ruterzählung
- 3. Spätere Texte
- Literaturverzeichnis
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