eine Einheit aller Ideen, die die Vielheit der Ideen, die wiederum alle jeweiligen
Einzelerscheinungen ermöglicht, ermöglicht.
Zu 3. Von diesen beiden Formen des Einheits-Vielheits-Verhältnis muss aber noch ein
drittes Einheits-Vielheits-Verhältnis unterschieden werden. So ist zwar jede Idee im
Verhältnis zu den Einzelerscheinungen eine, aber nicht absolut-eine. Was ist damit
gemeint? Es gibt viele Menschen und nur eine Idee des Menschen. Diese Idee des
Menschen hat aber, obwohl eine, doch eine gewisse Vielheit in sich. Mensch ist z.B.
Vernunft, Leib und Gemeinschaft. Diese Momente vereint die Idee. Dasselbe gilt für das
zweite Verhältnis der Einheit aller Ideen in einer Gesamtheits-Idee. Die Idee des Ganzen,
die Idee aller Ideen insgesamt, muss logischer Weise den Sinn aller Ideen als Momente in
sich enthalten. Sowohl die erste, als auch die zweite Einheit-Vielheit setzt eine absolut
vielheitslose Einheit voraus, das absolute einende Eine in seiner absoluten
Unabhängigkeit, in seiner absoluten Transzendenz.
Der Aufstieg zu diesem absolut vielheitslosen Einen, zu dieser absoluten Transzendenz
leuchtet ein. Wir beginnen bei der Vielheit der jeweiligen Einzelerscheinung, die sich in der
Idee versammelt, wir versammeln alle Ideen in der einen einenden Gesamt-Idee und diese
beiden wiederum sind bezogen auf ein absolut jenseitiges, vielheitsloses Eine. Aber - und
das ist nicht ganz einfach zu verstehen - was hier aussieht wie eine Entleerung des Sinns,
eine sukzessive Auflösung von Vielheit, ist ganz im Gegenteil der Aufstieg zu einer immer
größeren Fülle. Das ist nicht ganz einfach zu verstehen.
Wie kann die Wegnahme von äußerer Vielheit in Einheit zu einer größeren Fülle in dieser
Einheit führen? Offenbar bereits deshalb, weil es hier um die Entfaltung von Vielheit geht,
die aber nicht in einer gleichen Vielheit aufgefangen wird, sondern in etwas, das man
Intensität nennen könnte. Intensität ist eine konzentrierte, vereinte und damit noch
gesteigerte Vielheit. Nehmen sie ein intensives Gefühl. Ein intensives Gefühl ist nicht eine
Vielheit von Gefühlen, sondern eben ein Gefühl, das sich in sich selber steigert. Das gilt
nach Plotin auch für die Einheit in der Aufstiegsbewegung des Ganzen. Die Einheit wird
immer intensiver Einheit, nicht obwohl, sondern indem sie selber immer weniger
zurückführbar wird, bis nur noch das letzte einende Eine erscheint. Dieses Eine ist die
höchste Fülle, weil es alles Andere gleichsam eingefaltet, ein-fach, in sich enthält.
An diesem Punkt stellt sich dann aber ein Widerspruch ein, den man mindestens als
paradox bezeichnen kann. Denn das intensivste Eine, die höchste Fülle des Seins
sozusagen, ist das, was am wenigsten gedacht werden kann. Das Eine Eine ist ja noch
nicht einmal, weil es ja dann schon eben zwei wäre. D.h. das Höchste Eine Eine ist
gleichsam Nichts.
Es geht hier um etwas, was man schon seit dem fünften Jahrhundert nach Christus,
negative Theologie genannt hat. Verantwortlich für diese Formulierung zeichnet der schon
von mir genannte Schüler des Proklos Dionysius Areopagita, der auch Pseudo-Dionysius
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genannt wird, eben weil der Name ein Pseudoname ist. Theologie ist aber dabei noch
nicht sogleich die christliche Theologie. Vielmehr heißt seit Aristoteles die Theorie von den
ersten Ursachen, den ersten Gründen Theologie, und zwar deshalb, weil die höchste,
erste Ursache auch von Aristoteles als göttlich bezeichnet wird. Bei Plotin aber ist das
Höchste Eine eben kein Gott, sondern, wie es bei ihm heißt, „mehr als Gott“ (VI 9, 6). Die
Idee von Gott wird selber noch einmal transzendiert hin zu diesem letzten, erfülltesten
Einen.
Ich hatte vorhin gesagt, dass für uns Gott die bekannteste Transzendenz ausmacht. Sie
sehen, wie radikal aber hier Plotin ist. Er übertrifft diese Transzendenz, indem er sagt, wir
müssen auch das Göttliche noch auf etwas zurückführen, das über Gott hinausführt. Es
gibt eine höhere Fülle als die in Gott. Das ist deshalb auch interessant, weil Plotin ja den
christlichen Gott - der ein anderer ist als der griechische oder die griechischen - ja schon
kannte. Freilich - in der negativen Theologie, die auf Pseudo-Dionysius Areopagita folgte,
wird dann dieses Eine mit Gott identifiziert, wobei dann aber die Idee Gottes wesentlich
verändert wird.
Hören wir einmal, was Plotin schreibt: „Das absolut Erste nämlich muss ein schlechthin
Einfaches sein, das vor und über allem ist, verschieden von allem, was nach Ihm ist, das
rein für sich selbst ist, nicht vermischt mit dem, was von Ihm stammt, und dabei doch in
anderer Weise wieder fähig, allem anderen beizuwohnen, das wahrhaft und absolut Eines
ist und nicht zunächst etwas anderes und dann erst Eines, von dem schon die Aussage
falsch ist, dass es Eines ist, von dem es keine Aussage und keine Erkenntnis gibt, und von
dem deshalb auch gesagt wird, dass Es ‚jenseits des Seins‘ ist. Denn wenn Es nicht
absolut einfach wäre, jenseits aller Bestimmtheit und aller Zusammengesetztheit, und
wahrhaft und absolut Eines, wäre es nicht der Urgrund (arché); erst dadurch, dass Es
absolut einfach ist, ist Es das von Allem absolut Unabhängige und so das absolut
Erste.“ (V 4)
Dieser Gedanke ist erstaunlich. Wir haben es hier ja immerhin mit der höchsten im Einen
zusammengefalteten Seinsidentität zu tun. Das absolut Einfache, das absolut Erste,
befindet sich außerhalb jeder Aussagemöglichkeit, weil jede Aussage es ja notwendig, und
wenn auch nur mit dem Sein, prädizieren würde. Das bedeutet dann aber, dass dieses
absolut Erste und Eine weder zu etwas anderem, noch zu sich selbst ein Verhältnis haben
kann. Denn jedes Verhältnis würde seine Absolutheit zerstören. Absolutsein heißt ja
gerade: jenseits aller Beziehungen, jenseits aller Relationen sein. Was absolut
bestimmungslos ist, muss jenseits aller Relationen sich befinden. In diesem Sinne ist das
absolut Eine und Erste jenseits aller Relationen im Sinne dessen, dass es sich jenseits
aller Bestimmungen befindet.
Das Absolut Eine und Erste ist demnach nur durch die Negation aller Bestimmungen
irgendwie zu erreichen. Durch die Negation aller Bestimmungen ist es, wie Plotin sagt,
„jenseits von Allem, „vor Allem“, „über Allem“ und „verschieden von Allem“. Dazu aber
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