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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
dass sie keinem weiteren, äußeren Zweck wie etwa
Werbung, Reportage oder Illustration unterworfen
ist, sondern für sich selbst steht. Dies impliziert zu-
gleich eine mehr oder minder selbstreflexive Hal-
tung, das heißt über die Abbildung eines Gegen-
stands hinaus eine Auseinandersetzung mit der
Frage, wie ein Bild wirkt und aufgebaut ist. Einige
bemerkenswerte Beispiele wie die fotografischen
Arbeiten von Broomberg und Chanarin, Ya-
coub/Lasserre, Judith Quax, Nabil Boutros, Noh
Suntag oder Artur Zmijewski wurden bereits ge-
nannt, ebenso einleitend die Fotografie-Workshops
von Andreas Rost in Afghanistan und anderen Län-
dern. An dieser Stelle kann es nicht darum gehen,
einen Überblick über weitere fotokünstlerische Ar-
beiten aus Konfliktgebieten zu geben, sondern nur,
anhand einiger Beispiele anzudeuten, was Fotokunst
von Fotojournalismus unterscheidet und in welche
Richtungen sich Fotokunst in Konfliktsituationen
bewegen kann.
Kriegsfotografie
Im Konfliktfall spielt Fotografie eine trügerische
Rolle. Anscheinend objektiv lichtet sie die wahren
Ereignisse eins zu eins ab, doch bedeutet jedes ein-
zelne Bild, erst recht aber die Zusammenstellung der
für eine Reportage verwendeten Bilder immer, eine
Auswahl zu treffen. Spätestens seit Robert Capa
haben einzelne spektakuläre Bilder immer wieder
für sehr viel Aufsehen gesorgt, so etwa das Bild des
Fotografen Eddie Adams von der Erschießung eines
Vietkong-Soldaten, das den Protest gegen den Viet-
namkrieg befeuerte. Die Grausamkeit solcher Bilder
macht jedoch den Betrachter zum Komplizen, führt
auf Dauer zur Abstumpfung gegenüber Gewaltdar-
stellungen und beruht zudem bereits auf einer be-
stimmten Informationspolitik, die, während sie an-
scheinend Gewalt anprangert, zugleich Sieger und
Besiegte in bestimmter Weise inszeniert.
212
So genau
fotografische Bilder die sichtbare Welt abbilden, so
wenig können sie hinter die Realität dieser Oberflä-
che gelangen und Gefühle, Ursachen, komplexe
Zusammenhänge erhellen. Auch das „Wie‚ der Dar-
212
Bilderpolitik in Zeiten von Krieg und Terror. Medien, Macht und
Geschlechterverhältnisse, hrsg. von Linda Hentschel, Berlin 2008.
stellung ist niemals wirklich neutral, sondern beruht
auf einer bestimmten Ästhetik, die bestimmte Wir-
kungen hervorruft. So arbeitet zum Beispiel Kai
Wiedenhöfer in seinen Fotografien der Palästinen-
sergebiete mit starken Schwarzweiß-Kontrasten,
eine „künstlerische‚ Entscheidung, mit einem mora-
lischen, anklagenden Unterton, während Taysir
Batniji den Alltag im Gazastreifen zurückhaltend
farbig darstellt und damit bewusst den stereotypen
Gewaltbildern widerspricht, in gewisser Weise aber
auch die prekären Lebensverhältnisse ästhetisiert.
213
Andere Bilder
Fotografien aus Kriegs- und Krisengebieten folgen
für gewöhnlich einer Logik der Überbietung: Je
spektakulärer, gewaltsamer die Aufnahmen sind,
umso größer sind ihre Chancen, Verbreitung zu
finden. So entsteht ein Zerrbild der Realität, wo
selbst in Krisengebieten auch viele unspektakuläre
Dinge geschehen. Die Gewaltdarstellungen haben
sogar die Tendenz, die Emotionen anzuheizen und
damit die Spirale der Gewalt weiter zu drehen, wäh-
rend die oft mühsamen und langwierigen Prozesse,
die nötig sind, um zum Frieden zurückzufinden,
selten für Aufsehen sorgen. Ein Ziel der fotografi-
schen Reportage aus Konfliktgebieten kann sein,
diese Logik umzukehren und andere Bilder zu zei-
gen. Beispiele dafür sind das Projekt „Peace
Counts‚, in dem Journalisten aus Konfliktregionen
berichten, indem sie nicht Szenen der Gewalt, son-
dern die Aktivitäten von „Friedensmachern‚ in den
Mittelpunkt stellen, das Projekt „Unsichtbare Opfer‚
von Hauke Lorenz, die Migranten/-innen auf ihrem
gefährlichen Weg in Richtung Nordamerika beglei-
tet und diese Dokumentation Amnesty International
für eine Ausstellung und Postkartenaktion zur Ver-
fügung stellt, oder die preisgekrönte Reportage
213
Keine Ausfahrt Ramallah, ifa-Galerie
Stuttgart, 14.11.2003-
11.01.2004; Kai Wiedenhöfer:
Perfect Peace: The Palestinians from
Intifada to Intifada, Göttingen 2003; vgl. ders.:
The Book of
Destruction, Göttingen 2010; http://universes-in-
universe.org/eng/intartdata/artists/asia/pse/batniji; vgl.
http://www.artpalestine.org/taysir-batniji; http://taysir.b.free.fr;
http://taysirbatniji.com.
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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
gern den Krieg‚ von Timo Vogt.
214
Eigene Archive
Unzählige einzelne Bilder prägen „das Bild‚, das
sich „die Welt‚ von einer Region macht. Nach der
fundamentalen Kritik Edward Saids ist das Bild, das
sich „der Westen‚ von der Region macht, die als
„Orient‚ bezeichnet wird, aber immer eine umge-
kehrte Projektion dessen, wie er sich selbst sehen
will. Nimmt man die postkoloniale Kritik Saids und
vieler anderer ernst, muss die Frage auftauchen, wie
sich ein zutreffenderes Bild dieser nun nicht mehr
als Orient bezeichneten Länder zeichnen ließe oder
besser noch, wie diese sich selbst sehen. Die zwei
bemerkenswertesten Institutionen, die dieser Frage
nachgehen, stammen beide aus dem Libanon und
tragen fast denselben Namen. Die
Arab Images Foun-
dation existiert als eingetragene Stiftung seit 2004,
hat aber ihre Aktivitäten bereits viel früher aufge-
nommen, nämlich 1993 mit einer Ausstellung und
Publikation von ihrem Mitbegründer Samer Moh-
dad über „Les enfants de la guerre, Liban 1985 -
1992‚. Die Stiftung, die neun Fotografen vertritt,
sammelt, restauriert, präsentiert und vertreibt an-
spruchsvolle Fotografien aus der arabischen Welt.
Sammlungsschwerpunkte wie „After War. Iraq‚,
„Exiled Life in Syria‚, „Living in Gaza‚, „Inside
Palestine‚, „Iraqi Refugees in Jordan‚, „The New
Slavery‛ oder „Women at War‛ illustrieren die Re-
levanz für das Thema Kunst und Konflikt. Die 1997
gegründete
Arab Image Foundation (Fondation arabe
pour l’image - FAI) vertritt dagegen nicht lebende
Fotografen/-innen, sondern sammelt historische
Fotografien, die sie weltweit ausstellt. Mitglieder
sind Wissenschaftler/-innen und Künstler/-innen
wie Lara Baladi, Yto Barrada, Fouad El Khoury,
Walid Raad sowie als Gründungsmitglied und Ku-
ratoriumsvorsitzender Akram Zaatari. Mit mehr als
300 000 Aufnahmen besitzt die Stiftung die größte
Sammlung von Fotografien aus der arabischen Welt.
214
http://www.aja-online.org/de/peace-counts;
http://unsichtbareopfer.wordpress.com;
http://www.fluter.de/de/96/aktuell/9008; http://randbild.de.
Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang auch an
die Bedeutung des Austauschs und der Vernetzung
etwa innerhalb von Fareed Armalys erster Version
der Installation „From/To‚ 1999 in Rotterdam, die
erstmals palästinensischen Fotografen ein Forum
der Begegnung bot, oder heute im Falle der „Photo
Cairo‚ oder der großen Ausstellung „Images of the
Middle East‚ 2007 in Kopenhagen. In eine ähnliche
Richtung wie die beiden libanesischen Stiftungen
gehen die Bemühungen des von der Zeitschrift
Afri-
cultures initiierten Projekts „Afriphoto‚ oder der
nigerianischen Gruppen „Depth of Field‚
215
und
„Invisible Borders‚. Als wichtigstes Forum afrikani-
scher Fotografie haben sich die von November 2011
bis Januar 2012 zum neunten Mal stattfindenden
Rencontres de Bamako etabliert.
http://arabimages.com
http://www.fai.org.lb
http://www.ciccairo.com/-photocairo-v
http://www.dccd.dk/images/iome.nsf/doc/start?Open
Document&lang=uk
http://www.afriphoto.com
http://invisible-borders.com
http://rencontres-bamako.com
Wie sich die Anderen selbst sehen
Wo es nicht wie im Libanon eine entwickelte Kunst-
szene und eine aktive Diskussion über die Rolle des
Bildes bereits gibt, besteht immerhin noch die Mög-
lichkeit, Laien-Fotografen einzuladen, ihre eigenen
Bilder von ihrer Umgebung anzufertigen. Es besteht
allerdings die Gefahr darin, dass sich diese nur so
selbst darstellen, wie sie es zuvor in einem Work-
shop gelernt haben. So präsentierte die Ausstellung
„Stagings made in Namibia (
Künstlerhaus Bethanien,
Berlin, 28.03. - 19.04.2009), im Untertitel angekün-
digt als „Postkoloniale Fotografie‚, „Aufnahmen
von 124 Fotografinnen und Fotografen aus Namibi-
a‚: wohlgemerkt keine professionellen Fotografen,
von denen es eine so große Zahl wohl in Namibia
nicht gibt, sondern Laien. Ihre Bilder zeigten zwar
nicht die üblichen Safari-Klischees, boten aber auch
215
http://www.bpb.de/themen/C08N5W,4,0,
Gleichzeitig_in_Afrika__.html; vgl.
Lagos. Stadtansichten, ifa-
Galerien Berlin, Stuttgart, 2004/ 2005.