Landtag Plenarprotokoll Nordrhein-Westfalen 16/121 16. Wahlperiode 15. 09. 2016 121. Sitzung



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Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Alda. – Der nächste Redner ist der fraktionslose Abgeordnete Schwerd.

Daniel Schwerd (fraktionslos): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In der Sozialpolitik klaffen Worte und Taten immer besonders weit auseinander. Mich erinnert das an das Buch „1984“. Orwell beschreibt, wie man mit „Zwiesprech“ und „Zwiedenk“, also mit Sprache, die Realität nach seinen Wünschen formt. Die tatsächlichen Gegebenheiten nimmt man einfach gar nicht zur Kenntnis.

So ist das auch bei uns. Seit 2010 zieht die Ministerpräsidentin durch das Land und lässt keine Gelegenheit aus, zu verkünden, dass „wir in NRW“ solidarisch leben und hier „kein Kind zurückgelassen“ wird, so zuletzt am 2. Juni, als Frau Kraft in der Staatskanzlei mit Brigitte Mohn von der Bertelsmann Stiftung den Abschlussbericht des Modellprojektes „Kein Kind zurücklassen! – Kommunen in NRW beugen vor“ vorstellte. Ich glaube, wir haben einen Kubikmeter Hochglanzpapier dazu bekommen.

Und jetzt meldet dieselbe Stiftung, dass die Kinderarmut weiter gewachsen ist – und zwar auf Rekordhöhe vor allem in NRW. So leben beispielsweise in Gelsenkirchen nahezu 40 % der Kinder von Sozialhilfe. Wir machen sie zu Menschen dritter Klasse – ohne Zukunftschancen, ohne Perspektiven.

Hartz IV bedeutet für ein Schulkind 270 € im Monat. Ich frage Sie: Wie soll das gehen? Überlegen Sie doch mal, was allein ein Paar Schuhe oder eine Jeans kostet, wie schnell die Kinder da herausgewachsen sind oder wie schnell sie eine Kühlschrankfüllung verputzen. Wollen Sie diese Realität nicht langsam zur Kenntnis nehmen?

Arme Kinder werden zu armen Erwachsenen, die dann wiederum arme Kinder bekommen.

In unserem Land ist das besonders ausweglos.

Wir sehen seit Jahren eine offenkundige Spirale der Armut. Die Landesregierung wie auch die Bundesregierung wissen das sehr wohl. Sie versucht uns, und ich fürchte auch sich selbst, mit Realitätsverweigerung und orwellschem Zwiesprech darüber hinweg zu täuschen.

Und was fällt jetzt der GroKo zu dieser unstrittigen Diagnose ein? – Vom gleichen Gift immer noch mehr. Jetzt sollen es mal wieder Sanktionsverschärfungen richten. Glauben Sie, dass dadurch ein einziger Mensch in Lohn und Brot gebracht werden wird? – Ich bitte Sie! Wovon träumen Sie nachts? – Was machen denn Sanktionen bis unter das Existenzminimum mit den Menschen? Wie sieht es da mit der Menschenwürde aus?

Und zum Kindergeld: Niedrigverdiener sollen also jetzt ganze zwei Euro mehr Kindergeld erhalten, während Gutverdiener mehr als hundert Euro Steuerfreibeträge dazu bekommen. Für Hartz-IV-Bezieher werden selbst diese zwei Euro natürlich sofort wieder verrechnet. Für die bleibt nichts. Wie wirkt denn das auf die Betroffenen? – Das ist doch an Verachtung kaum noch zu überbieten.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Nehmen Sie sich bitte einmal ein Beispiel an Frau Landtagspräsidentin Gödecke. Sie hat Courage bewiesen. Sie hat in einem Interview die Fehler der Schulpolitik mit dem G8 angeprangert. Sie hat endlich einmal die Dinge bei ihrem wahren Namen genannt. Sie sagte: „Wir Erwachsene versündigen uns an euch.“



Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Daniel Schwerd (fraktionslos): Und recht hat sie.

(Heiterkeit)

Wir versündigen uns an den Schulkindern. Wir lassen sie in Schulgebäuden sitzen, in die es reinregnet und bei denen die Fenster herausfallen.

Wenn das Bankensystem in Schieflage gerät, nehmen wir Millionen und Milliarden in die Hand. Wenn aber das Bildungssystem in Schieflage gerät, stehen wir an der Seitenlinie und schauen zu.



Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Daniel Schwerd (fraktionslos): Und genauso versündigen wir uns auch an den 500.000 Kindern und ihren Eltern, die in NRW in Armut leben – ohne reelle Chance. Ich verstehe, dass das alles unangenehm zu hören ist, …

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Schwerd.

Daniel Schwerd (fraktionslos): …aber vielleicht müssen wir das jetzt mal zu Ende hören.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)



Präsidentin Carina Gödecke: Nein, nein, nein. Auf keinen Fall. Herr Kollege Schwerd, ihre Redezeit ist bereits erheblich überschritten.

Daniel Schwerd (fraktionslos): Hartz IV muss weg. Wir brauchen menschenwürdige Lebens- und Arbeitsverhältnisse.

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd.

Daniel Schwerd (fraktionslos): Wir brauchen ein sanktionsfreies Teilhabe- und Existenzminimum …

(Die Präsidentin schaltet das Mikrofon des Redners aus. – Beifall von den PIRATEN)



Präsidentin Carina Gödecke: Ich mache das ja nicht oft, aber man muss schon die Regeln einhalten. Das ist ja auch häufig genug gesagt worden.

Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Schmeltzer.

Rainer Schmeltzer, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich die Argumentation, die ich gerade von den Kolleginnen und Kollegen von SPD, Grüne, CDU und FDP gehört habe, die sich mit den Inhalten dieses Antrages der Piraten auseinandergesetzt haben, bin ich dabei, zu 99 % zuzustimmen. Die Erwiderungen auf diesen Antrag waren alle durch die Bank richtig.

Bereits in der Debatte zum 9. Änderungsgesetzes des SGB II Anfang Juli wurde auch das Thema „Sanktionen“ angesprochen. Damals habe ich bedauert, dass es zu keinen Änderungen bei den Sanktionsvorschriften gekommen ist.

Dabei hatte ich betont, dass die Landesregierung im Gesetzgebungsverfahren stets eine Reform der Sanktionen im SGB II über den Bund angemahnt hat und – das darf ich Ihnen versichern – auch in Zukunft anmahnen wird.

Ziel der Landesregierung ist und bleibt, das grundgesetzlich geschützte Existenzminimum auch im Sanktionsfall zu gewährleisten. Insbesondere vor dem Hintergrund dieser Debatte kann man nicht, wie in diesem Antrag, von Sanktionsverschärfungen sprechen. Denn die Sanktionen wurden gerade nicht durch das 9. Änderungsgesetz zum SGB II geändert, sodass es weder zu Lockerungen noch zu Verschärfungen kommen kann.

Die kürzlich veröffentlichten sogenannten fachlichen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit, auf die Sie sich beziehen, Herr Sommer, sind nicht neu. Sie sind eine gesetzliche Klarstellung. Sie wurden aktualisiert, und es wurden Regelungsbeispiele ergänzt, Herr Kollege Kerkhoff hat bereits darauf hingewiesen.

Auf eines dieser Regelungsbeispiele beziehen Sie sich: Ersatzansprüche gegenüber Müttern, die den Vater des Kindes nicht nennen. Die Beispiele sollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jobcenter bei ihrer Arbeit unterstützen, das Verwaltungshandeln vereinfachen und beispielhaft deutlich machen, was der Gesetzgeber mit abstrakten Rechtsbegriffen meint.

Der § 34 SGB II, um den es in diesem Zusammenhang geht, wurde inhaltlich nicht geändert, sondern es gab nur eine Klarstellung. Die BSG-Recht-sprechung – darauf wurde hier schon hingewiesen – hatte den Wortlaut der Norm sehr eng ausgelegt.

Eine derartig enge Auslegung war aber seitens des Gesetzgebers nie vorgesehen, zumal auch im § 34 SGB II weiterhin der Satz zu finden ist, dass von einem Ersatzanspruch abzusehen ist, wenn er eine besondere Härte bedeuten würde.

Meine Damen und Herren, in den fachlichen Hinweisen heißt es konkret zu dem Beispiel, Herr Sommer, was Sie in Ihrem Antrag angesprochen haben, ich zitiere:

Die Weigerung einer Mutter eines nichtehelichen Kindes, den Vater zu benennen, kann im Einzelfall sozialwidrig sein. Hierbei ist eine Abwägung der Interessen der Mutter und des Kindes einerseits und der der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler andererseits vorzunehmen. Es ist nicht sozialwidrig, den Vater nicht zu nennen, wenn mit Gefahr für das Leben der Mutter oder des Kindes zu rechnen ist.

Es geht also immer um den konkreten Einzelfall und ein Abwägen der Interessen. Eine Namensnennung des Vaters durch die Mutter ist unzumutbar, wenn dadurch Gefahren für das Leben des Kindes, aber auch der Mutter ausgehen könnten.

Es geht außerdem darum, dass Väter ihren Unterhaltsverpflichtungen nachkommen sollen, und nicht der Steuerzahler für sie einspringen muss. Das Geld, das hier ausgegeben wird, wird in unserem Sozialsystem an anderen Stellen dringend gebraucht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will auch noch einen weiteren, aus meiner Sicht, sehr ernsten Punkt ansprechen, insbesondere was die Wortwahl des Antrags angeht. Sie sprechen von Sanktionen, die für – ich zitiere – „Druck- und Konfliktsituationen teilweise für körperliche Auseinandersetzungen im Jobcenter sorgen.“

Sie steigern sich noch, auch hier zitiere ich:

„Diese Situation noch weiter anzuheizen, ist nicht nur fahrlässig, sondern ein vorsätzliches In-Kauf-Nehmen von weiteren Auseinandersetzungen, die bis zu Amokläufen führen können.“

Ich halte diese Wortwahl, Herr Kollege Sommer, für wenig gelungen und kontraproduktiv. Ich hoffe, dass diese Worte den falschen Leuten nicht genau dafür eine Rechtfertigung bieten, was Sie eigentlich verhindern wollen.

Als Politiker haben wir sowohl eine Verantwortung für Leistungsberechtigte, die durch eigene Kraft ihr Existenzminimum nicht sicherstellen können, aber wir haben auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern eine Verantwortung, die jeden Tag schwierige Aufgaben bewältigen müssen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)



Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Schmeltzer. – Für die Piraten hat Herr Kollege Sommer noch einmal das Wort, und zwar für 34 Sekunden.

Torsten Sommer (PIRATEN): Geht ganz schnell. Ich möchte nur auf eine kleine Sache eingehen. Kollege Kerkhoff, Sie haben an einem Punkt völlig recht. Wir wissen gar nicht, wie es aussieht, wenn wir einmal einen Landkreis hätten, wo es keine Sanktionen gäbe. Ich freue mich, dass Sie extra darauf hingewiesen haben.

Wir erarbeiten jetzt einen Antrag, dass wir so etwas einmal als Probezeit machen und schauen, wie hinterher die entsprechenden Ergebnisse aussehen, ob es in einem Landkreis oder in einem Kreis ohne Sanktionen nach ein paar Jahren vielleicht besser aussieht oder anders aussieht. Ich freue mich darauf, dass Sie dann zustimmen werden. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. Es ging in der Tat innerhalb der 34 Sekunden. – Jetzt liegen aber keine weiteren Redewünsche vor. Deshalb schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 8.

Wir kommen zur Abstimmung. Sie wissen, dass die antragstellende Fraktion der Piraten direkte Abstimmung beantragt hat. Wer also dem Inhalt des Antrags Drucksache 16/12838 zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Piraten und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP und der fraktionslose Abgeordnete Stüttgen. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Antrag Drucksache 16/12838 abgelehnt.

Ich rufe auf:

9 Menschenleben retten – Notrufmöglichkeiten für Menschen mit Hörschädigung in Nordrhein-Westfalen sicherstellen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/12433

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, eine Aussprache heute nicht durchzuführen. Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/12433 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Aussprache und Abstimmung soll dann nach Vorlage der Beschlussempfehlung erfolgen, demzufolge hier im Plenarsaal und im Plenum. Ist jemand gegen die Überweisung? – Gegenstimmen? Enthaltungen? – Nicht. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf:

10 Für die Patientensicherheit Anforderungen für die Berufsausübung von Heilpraktikern erhöhen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/12846

Ich eröffne die Aussprache, und als erste Rednerin hat für die antragstellende Fraktion Frau Kollegin Schneider das Wort.

Susanne Schneider (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Um es gleich eingangs zu sagen: Es gibt in Nordrhein-Westfalen, es gibt in Deutschland Heilpraktiker, die tagtäglich eine gute Arbeit leisten, die tagtäglich Patienten helfen und die auch evidenzbasierte Therapien anbieten, sich regelmäßig fortbilden und einen guten Job machen.

Aber seit einigen Wochen, seit den tragischen Todesfällen in einem alternativen Krebszentrum in Brüggen, diskutieren wir über die Ausbildung von Heilpraktikern. Erst durch diesen dramatischen Auslöser wurde überhaupt der Öffentlichkeit bewusst, dass wir hier in Deutschland einen unhaltbaren Zustand und eine massive Rechtslücke haben. Denn nichts anderes ist es, wenn Heilpraktiker ohne geregelte Ausbildung und ohne Überprüfung von Qualitätsstandards eigenverantwortlich Patienten behandeln dürfen.

Die Erlaubnis für die Ausbildung dieser Heilkunde wird aufgrund eines 77 Jahre alten Gesetzes erteilt, und zwar eines Gesetzes, das nur der Gefahrenabwehr dienen soll. Von Qualifikationen ist da explizit nicht die Rede. Ein Mindestalter von 25 Jahren, ein vorliegender Hauptschulabschluss und fehlende Vorstrafen sowie das Bestehen einer einmaligen Prüfung medizinischer Grundkenntnisse reichen aus, um praktizieren zu dürfen.

Ein Arzt benötigt vergleichsweise ein Top-Abi, ein sechsjähriges Medizinstudium sowie eine Facharztweiterbildung, die in der Regel auch noch um die fünf Jahre dauert, bevor er sich in einer eigenen kassenärztlichen Praxis niederlassen darf.

Es gibt auch keine verbindlichen Qualitätskontrollen oder Weiterbildungspflichten für die über 40.000 Heilpraktiker. Wie sie ihr medizinisches Wissen vertiefen und welche Behandlungsmethoden sie einsetzen, das bleibt ihnen selbst überlassen. Letztlich dürfen sie alles, was ihre Patienten nicht nachweislich schädigt und was nicht durch Einzelgesetze wie zum Beispiel das Arzneimittelgesetz, das Infektionsschutzgesetz oder das Embryonenschutzgesetz unter Arztvorbehalt steht.

Somit können Heilpraktiker Injektionen setzen, offene Wunden behandeln, Aderlass- oder Eigenbluttherapien durchführen. Neben Globuli, also neben der Homöopathie, wenden sie Therapieformen an wie die Magnetfeldtherapie oder Pyramidenenergiebestrahlung. Diese Therapien sind wissenschaftlich weder fundiert noch anerkannt.

(Ulrich Alda [FDP]: Richtig!)

So behandeln Therapeuten auch mit zweifelhaften Qualifikationen schwerwiegende Erkrankungen wie beispielsweise Krebsleiden. Dabei verzichten Patienten im Vertrauen auf den Heilpraktiker und eine mögliche Wunderheilung oft auf die eigentliche angezeigte schulmedizinische Therapie.

Dann schreibt unsere Gesundheitsministerin in der Antwort auf meine Kleine Anfrage von der Komplementärmedizin als sinnvolle Ergänzung zur Schulmedizin und begründet dies mit der Aufnahme in das Leistungsangebot einiger Krankenkassen. Das ist hanebüchen. Wir wissen doch alle, dass diese privaten Kassen die Kosten nur zur Kundenbindung übernehmen.

(Ministerin Barbara Steffens: Quatsch!)

Wenn es sich wirklich um evidenzbasierte Therapien handeln würde, dann hätte doch schon längst der gemeinsame Bundesausschuss eine Aufnahme in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen angeregt.

(Beifall von der FDP – Ministerin Barbara Steffens: Ist ja!)

Nun hat sich Ministerin Steffens auch für eine Neufassung des Heilpraktiker-Gesetzes ausgesprochen.

(Ministerin Barbara Steffens: Schon lange!)

Doch das, was Sie wollen, ist eigentlich etwas anderes. Sie wollen die Heilpraktiker über berufsgesetzlich geregelte Ausbildungs- oder Studiengänge zu einem neuen Heilberuf aufwerten. Ich möchte dazu einmal – das kommt sicher nicht häufig vor – einen Sozialdemokraten zitieren, mit dem ich sonst nicht einer Meinung bin, nämlich Herrn Prof. Karl Lauterbach, den SPD-Gesundheitsexperten, der sagte:

„Warum sollte man ein Fach mit einem universitären Abschluss belohnen, das sich nicht an die Regeln der Wissenschaft hält? Ich bin ja auch gegen einen Master in Astrologie oder Alchemie.“

(Beifall von der FDP)

Das bringt es auf den Punkt. Wissenschaftlich nicht überprüfbare Methoden und Therapieformen können keine Grundlage für eine akademische oder schulische Ausbildung von Heilpraktikern sein. Wir müssen vielmehr in die entgegengesetzte Richtung steuern.

Mit unserem Antrag wollen wir, dass die Anforderungen an die Erlaubniserteilung erhöht werden und ihnen unter anderem invasive Eingriffe untersagt werden. Daneben brauchen wir einen Nachweis über fundierte medizinische Kenntnisse wie über den Abschluss eines Studiums oder einer Ausbildung in einem Gesundheitsberuf.

Angesichts der Vorfälle in Brüggen war ich aber auch von der Reaktion der Gesundheitsministerin sehr enttäuscht. Es scheint in dieser Landesregierung üblich zu sein: Immer, wenn es eng wird, hört man nichts:

(Beifall von der FDP)

erst in der Silvesternacht, dann bei den Todesfällen in Brüggen. Es gab einen Todesfall, zwei Todesfälle, drei Todesfälle. Auf einmal waren 70 Todesfälle in den Medien diskutiert. Was macht unsere Gesundheitsministerin? Sie schreibt statt einer öffentlichen Stellungnahme, wo man sagt: Liebe Angehörige, wir kümmern uns, oder – was Sie so gern sagen – wir prüfen das. Schicken Sie eine Verwaltungsinformation an die Gesundheitsämter.

So haben Sie die betroffenen Angehörigen alleine gelassen. Wahrscheinlich werden wir gleich wieder hören, die FDP hätte das mit ihren beiden Bundesgesundheitsministern längst ändern können: Wenn Sie uns immer wieder zutrauen, dass wir in diesen 77 Jahren innerhalb von vier Jahren alles hätten richten können, dann kann unsere Politik nicht so schlecht sein. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)



Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Warden.

Marion Warden (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegin Schneider, ich denke nicht, dass die FDP alles richten muss, und schon gar nicht in vier Jahren. Aber ich denke schon, dass es im Jahr 2016 eigentlich überfällig ist, ein Gesetz aus dem Jahre 1939 anzufassen und zu modernisieren.

Wie die meisten hier hat mich die Berichterstattung über die Todesfälle in Brüggen aufmerksam gemacht und mit Sorge erfüllt. Ich war auch verwundert, weil ich gar nicht wusste, dass das Heilpraktikergesetz aus dem Jahr 1939 datiert. Ich war schon etwas erschüttert, denn 1939 liegt ziemlich lange zurück. In den Jahren, die dazwischen liegen, haben sich ja doch die Standards und die Anforderungen gerade im medizinischen Bereich deutlich verändert.

Wir stimmen überein, dass dieses Gesetz den heutigen Standards nicht entspricht, denn es beinhaltet nicht, wie man annehmen sollte, Regelungen bzw. Anforderungen zur Kompetenz oder zur Qualifikation, sondern es regelt lediglich im Rahmen von Gefahrenabwehr, dass es zur Ausübung dieses Berufes eine Erlaubnis bedarf.

Die Umsetzung des Heilpraktikergesetzes erfolgt auf Länderebene, in Nordrhein-Westfalen als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe der Kreise und der kreisfreien Städte. Dazu gibt es immerhin aus dem Jahr 1999 einen Grunderlass – den haben Sie in Ihrem Antrag auch erwähnt – des damaligen Ministeriums für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit. Der legt aber lediglich Handlungsempfehlungen zur Vereinheitlichung des Verwaltungshandelns fest. Danach wird die sogenannte Kenntnisprüfung, die die Heilpraktiker ablegen müssen, durch die unteren Gesundheitsbehörden, durch die Gesundheitsämter vorgenommen.

Problematisch aus Sicht der SPD-Fraktion sind in diesem Gesetz fehlende Ausbildungs- und Prüfungsordnungen, fehlende Kenntnisprüfungen oder auch die fehlende staatliche Anerkennung eines solchen Berufes. Wir werden diesen Antrag dann noch inhaltlich im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales beraten. Deshalb werde ich jetzt nicht Ihre Forderungen alle einzeln abarbeiten und Ihnen unsere Haltung dazu mitteilen. Wir sehen aber ganz eindeutig Handlungsbedarf in der Modifizierung bzw. Anpassung eines Heilpraktikergesetzes.

Hier ist aus unserer Sicht der Bundesgesetzgeber gefordert, denn es müssen bundeseinheitliche Regelungen getroffen werden, die sowohl im Norden als auch im Süden, im Westen und im Osten unseres Landes gelten. Ich kann dazu nur sagen, dass unsere Gesundheitsministerin in dieser Hinsicht schon seit vielen Jahren sehr aktiv unterwegs ist, leider bis jetzt nicht erfolgreich. Aber auch die Gesundheitsministerkonferenz hat sich ja gerade vor der Sommerpause noch mal mit dieser Forderung befasst.

(Ministerin Barbara Steffens: Auf unsere Initiative!)

Der Überweisung werden wir zustimmen. Über die inhaltlichen Dinge werden wir sicherlich im Ausschuss noch etwas intensiver beraten. – Vielen Dank.

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Warden. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Preuß.

Peter Preuß (CDU): Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Da das Thema „Klinik Brüggen“ hier mehrfach angesprochen worden ist, möchte ich vorab sagen: Es ist tragisch, wenn austherapierte Krebspatienten sterben, nachdem sie ihre letzte Hoffnung auf Leben in eine Behandlungsmethode mit einem bestimmten Medikament gesetzt haben. Ich möchte an dieser Stelle aber auch festhalten, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Therapie und Tod bisher nicht bewiesen ist.

(Ministerin Barbara Steffens: Genau, nicht bewiesen!)

Die Gesundheitsministerin Frau Steffens hat dennoch sofort nach dem Bekanntwerden der tragischen Todesfälle eine Novellierung des Heilpraktikergesetzes auf Bundesebene gefordert. Wir finden das jetzt auch in dem FDP-Antrag wieder.

Bevor man einer Änderung des Heilpraktikergesetzes das Wort redet, sollte geklärt werden, ob es tatsächlich Regelungsbedarf gibt, welche Regelungen sinnvoll sind, welche Maßstäbe man setzen will und, was viel grundsätzlicher zu diskutieren wäre, wie man es mit dem Beruf des Heilpraktikers hält. Will man die Tätigkeit des Heilpraktikers aufwerten oder will man sie einschränken? In Österreich ist die nichtärztliche Behandlung von Krankheiten sogar strafbewehrt verboten. In Deutschland ist die Erteilung der Heilpraktikererlaubnis an bestimmte Eignungsvoraussetzungen geknüpft. Die Tätigkeit steht unter Erlaubnisvorbehalt der zuständigen Behörde.

Es ist ein Irrglaube, mehr Patientensicherheit dadurch erreichen zu können, dass Heilpraktiker speziell ausgebildet werden. Sie sollen sogar studieren können. Ich kann mir schon vorstellen, wie dann der Begriff des Schmalspurarztes oder des Miniarztes geprägt werden wird.

Der Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat in der vergangenen Woche im Bundestag richtigerweise erklärt, dass es nicht der Patientensicherheit diene, wenn man Behandlungsmethoden ohne jede wissenschaftliche Evidenz vorschnell gleichsam mit dem Gütesiegel eines staatlich anerkannten Gesundheitsberufes versieht und – ich füge mit meinen Worten hinzu – damit eine Wirksamkeit von Behandlungsmethoden vortäuscht, die diese Methoden gar nicht haben.

Die eigentliche Frage ist: Wie kann es sein, dass ein nicht zugelassenes Medikament, das aber gleichzeitig verboten ist, zu Therapiezwecken eingesetzt werden darf?

(Ministerin Barbara Steffens: Das ist ja nicht verboten!)

Zu hinterfragen ist also nicht in erster Linie die berufliche Qualifikation des Behandlers, sondern die Behandlungsmethode. Dazu ist festzustellen, dass der Heilpraktiker bei der Anwendung einer invasiven Behandlungsmethode genauso wie ein Arzt für den geltenden Sorgfaltsmaßstab einzustehen hat. Die Frage, ob der Sorgfaltsmaßstab bei den genannten Todesfällen missachtet wurde, können wir nicht klären. Das ist dem Ermittlungsverfahren vorbehalten.

Klar muss aber sein: Wenn die Behandlung mit einem nicht klinisch getesteten Medikament im Raume steht, hat man die Finger davon zu lassen.

(Beifall von der CDU)

Das gilt selbstverständlich sowohl für den Heilpraktiker als auch für den Arzt.

Eine spezielle Berufsausbildung in Deutschland würde zu einer Aufwertung des Heilpraktikerberufs führen. Die Abgrenzung zum Arztberuf wäre viel schwieriger zu treffen, als dies nach der heutigen Rechtslage der Fall ist. Was genau ist dem Heilpraktiker erlaubt und was nicht? Schon jetzt dürfen bestimmte Tätigkeiten nur von einem Arzt ausgeübt werden. Es gilt, neben der erforderlichen persönlichen Eignung des Behandlers, des Heilpraktikers der sogenannte Arzt- bzw. Facharztvorbehalt. Demnach dürfen beispielsweise Heilpraktiker verschreibungspflichtige Medikamente nicht verordnen.

Soll dieser Vorbehalt wegen der besseren Ausbildung des Heilpraktikers dann entfallen? Die Frage ist zu stellen: Wenn man ihn besser ausbildet, könnte er unter Umständen solche Methoden anwenden bzw. solche Medikamente verordnen.

Aber genau dieser Vorbehalt dient doch der Patientensicherheit. Vor diesem Hintergrund ist nicht die Frage nach der Ausbildung in den Vordergrund zu stellen, sondern die Frage, ob es der Patientensicherheit nicht besser dient, den Katalog des Arztvorbehalts zu erweitern. So könnte man wie in der Schweiz weitere invasive Tätigkeiten ausschließen.

Meine Damen und Herren, selbstverständlich muss genau geprüft werden, ob und wenn ja, welche Lücken beim Patientenschutz vorliegen. Diese müssen dann selbstverständlich beseitigt werden.

Bitte keine politischen Schnellschüsse! Eine mögliche Reform des Heilpraktikergesetzes darf nicht dazu führen, dass bei Patienten der Eindruck entsteht, dass es sich bei Heilpraktikern um alternative Ärzte handelt.



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