Leitmotive im 20



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Leitmotive im 20. Jahrhundert:

Körper, Maschine und Tod


Zur symbolischen Artikulation in Kunst und Jugendkultur

Dissertation zum Erwerb


des Grades eines

Dr. Phil.

im Fachbereich 2

(Erziehungswissenschaft, Psychologie, Sport- und Bewegungswissenschaften)

an der Universität-Gesamthochschule Essen
vorgelegt von

Anja Seifert, Dipl.-Päd.

Geburtsort

Buchen/Odenwald

Datum der Disputation: 18.07.02


Erstgutachter: Prof. Dr. Wilfried Breyvogel


Zweitgutachter: Prof. Dr. Heinz Sühnker

Es giebt noch eine andere Welt zu entdecken -



und mehr als eine!

Auf die Schiffe ihr Philosophen!“
(Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft)
Gliederung
1. Einleitung 7

1.1 Zum Gegenstand der Untersuchung 7

1.2 Zur Fragestellung ...11

1.3 Zum Forschungsstand 17

1.4 Zum methodischen Vorgehen 18


Teil A: Das Subjekt im Kontext von Körper, Maschine und Tod


2. Körpervorstellungen 22

2.1 Zur Geschichte des Körpers 22

2.2 Zur symbolischen Funktion des Körpers 24

2.3 Zum Verhältnis Körper und Subjekt 29

2.3.1 Der Mensch als Subjekt 29

2.3.2 Das Verschwinden des Subjekts 33

2.4 Der zivilisierte Körper: Elias 38

2.4.1 Macht und Umformung der Körper 38

2.4.2 Tabuisierung von Körper und Sexualität 40

2.4.3 Vom Fremdzwang zum Selbstzwang 45

2.5 Die Illusion des einheitlichen Körpers 48

3. Körper und Tod 57

3.1 Mythos und Tod 57

3.2 Der menschliche und der göttliche Körper 62

3.3 Vom Lärm der Totengräber: Nietzsche 67

3.3.1 Die dionysische Kultur 67

3.3.2 Der ‚Tod Gottes‘ 71

3.3.3 Die Umwertung aller Werte 74

3.3.4 Der Wille zur Macht 76

3.3.5 Der Übermensch und die ewige Wiederkehr des Gleichen 79

3.4 Eros und Thanatos: Freud und Bataille 86

3.4.1 Das Lustprinzip 86

3.4.2 Der Todestrieb 89

3.4.3 Der orgiastische Tod 94

3.5 Tabuisierung des Todes: Baudrillard 97

3.5.1 Tod und Tauschprozeß 97

3.5.2 Natürlicher Tod und Opfertod 102



4. Mensch und Maschine 106

4.1 Die Körpermaschine 106

4.2 Von der Moderne zur Postmoderne 104

4.3 Theorie der Geschwindigkeit: Virilio 113


Teil B : Avantgardistische Künstlerbewegungen


5. Im Rausch der Geschwindigkeit: Die Futuristen 121

5.1 Das futuristische Zeitalter 121

5.2 Hymne an die Maschine 123

5.3 Die Ästhetik der Geschwindigkeit 125

5.4 Das Spiel mit Geschwindigkeit und Tod 129

5.5 Die futuristische Stadt 130

5.6 Futuristische Kriegsverherrlichung 132

5.7 Der neue Kentaure 134



6. Die Motive der Dadaisten 139

6.1 Dada ist das Nichts gegen den Krieg 139

6.2 Gegen eine entfremdete Welt 146

6.3 Dada und Nietzsche: Der neue Mensch 149

6.4 Gegenkunst im Maschinenzeitalter 152

7. Die Motive der Surrealisten 158

7.1 Von Dada zum Surrealismus 158

7.2 Die Entdeckung der Surrealität 160

7.3 Experimente mit dem Unbewußten 165

7.4 Das Motiv der Destruktion 170

7.4.1 Der Wahnsinn 170

7.4.2 Rausch und Droge 174

7.4.3 Die Faszination des Bösen 176

7.4.4 Selbstmord und Mord 183

7.5 Der surreale Körper 187

7.5.1 Der fragmentierte Körper 187

7.5.2 Der Körper im Film 190

7.6 Eros und Surrealismus: 194

7.6.1 Androgynität – Aufhebung der Geschlechterdifferenz 194

7.6.2 Mystifizierung der Frau 199

8. Die Alltagsrevolution der Lettristen und Situationisten 205

8.1 Zur Geschichte der Bewegung 205

8.2 Das entfremdete Ich in der Welt des Spektakels 208

8.3 Zur Nutzung der modernen Technik 216

8.3.1 Die Maschine als subversive Kraft 216

8.3.2 Die kreative Zweckentfremdung 218

8.3.3 ‚Détournement‘ im Medium Film 221

8.4 Gelebter Existentialismus 224

8.5 Wahnsinn und das Ideal des frühen Todes 230

8.6 Der lettristische und situationistische Körper 234

8.6.1 Körper und ‚Détournement‘ 234

8.6.2 Der ‚umherstreifende‘ Körper 235

8.6.3 Der situationistische Stadtkörper 239

Teil C: Jugendkultur
9. Von der Avantgarde zur Techno-Culture 244

10. Die Eroberung des Stadtkörpers 249

11. Techno als ästhetische Gemeinschaft 255

12. Der Körper im Tanz 259

12.1 Tanz und Jugendkultur 259

12.2 Die Inszenierung des erotischen Körpers 267

12.2.1 Körper und soziale Erfahrung 267

12.2.2 Techno-Ästhetik 270

12.2.3 Der tanzende Narziß 275

12.2.4 Body Image 278

12.2.5 Androgynität und Transsexualität 280

12.3 Der hypnotische Tanz 285

12.3.1 Tanz und Ritual 285

12.3.2 Das Glücksgefühl 290

13. Drogen, Musik und Stil 296

13.1 Techno als Drogenkultur 296

13.2 Das Prinzip der Übersteigerung 304

14. Techno als Maschinenkultur 308

14.1 Zur Geschichte der elektronischen Musik 308

14.2 DJ-Kunst 311

14.3 Die Avantgarde der DJ-Ingenieure 319

14.4 Techno Art 325

14.5 Subkultur und Massenkultur 320



15. Maschine, Tod und Wiederholung 337

Teil D: Fazit und Ausblick
16. Techno und Avantgardekunst 344

16.1 Kulturelle Provokation durch Ästhetik 344

16.2 Kultur und das Symbolische 347

17. Kultur, Maschine und Technologie 351

17.1 Massenkultur und kulturelle Avantgarde 351

17.2 Maschine und Kunst 360

17.3 Strukturen der Postmoderne: Die Technosphäre 365

17.3.1 Die Auflösung von Raum und Zeit 365

17.3.2 Von der Realität zur Hyperrealität 369

17.3.3 Die virtuelle Umwelt: Der Cyberspace 373

17.3.4 Der Raver als Prototyp des überreizten Menschen 375



18. Körper und Tod 377

18.1 Die ekstatische Subversion 377

18.2 Das Motiv der Auflösung 379

18.3 Die Auflösung des Körpers 383

18.3.1 Rausch, Tanz und Tod: Die dionysische Energie 383

18.3.2 Der entgrenzte Körper: Sehnsucht nach Unsterblichkeit 389

18.3.3 Der neue Mensch: Die Menschmaschine 393

18.3.4 Körperauflösung in der postmodernen Kunst 396



19. Zur Motivgleichheit in Avantgarde und Jugendkultur 400

20. Zur Aufgabe der Kulturpädagogik und Jugendforschung 404

Literaturverzeichnis 407


„Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“ (Francis Picabia)


1. Einleitung
1.1 Zum Gegenstand der Untersuchung
Kultur äußert sich stets in symbolischen Handlungen und schöpferischer Tätigkeit. Unsere Auffassung von Kunst und Kultur korrespondiert mit Vorstellungen von einem menschlichen Subjekt, das produziert und kulturell tätig ist. Es bedarf der Sichtweise des Symbolischen, um kulturelle Ausprägungen und Phänomene angemessen reflektieren zu können, eine Sichtweise, die weitgehend in der kulturpoltischen und kulturpädagogischen Praxis vernachlässigt wird. Kulturtheorie, Gesellschaftstheorie und Subjekttheorie stellen unterschiedliche Sichtweisen des gleichen Sujets – der Frage nach dem Menschsein im Kontext seiner kulturellen wie sozialen Determination – dar und müssen infolgedessen als sich ergänzende Theorien aufeinander bezogen werden.

Gegenstand dieser interdisziplinär ausgerichteten Untersuchung ist die künstlerische Avantgarde und die Jugendkultur im 20. Jahrhundert. Die gleichwertige Behandlung von avantgardistischen Künstlergruppen und Jugendkulturen resultiert aus einem Kunst- und Kulturverständnis, das an dieser Stelle skizziert werden soll. Jedes Kunstwerk ist Produkt menschlichen Handelns, jeder Künstler Teil einer Gesellschaft, deren Sozialisierungseinflüssen er ausgesetzt ist. Kunst ist damit eine Reaktion auf Gesellschaft und wird zum Ausdruck gesellschaftlicher Problemstellungen und Transformationsprozesse. Wenn Kunst symbolisches Handeln darstellt, erscheint es demnach sinnvoll, die Entstehungsgeschichte jedes Kunstwerks als Abfolge individuell gefällter wie gesellschaftlich mitgeprägter Entscheidungen zu betrachten, deren Ergebnis sowohl die Technik, als auch die Form und die inhaltliche Zielsetzung des Werks bestimmt (vgl. Thurn 1973, S.66). In den Institutionen der „offiziellen Kultur“ der modernen Gesellschaft – Galerien, Theater, Museen – wird primär der kulturelle Geschmack einer Minderheit als „freischwebende Ästhetik“, losgelöst vom lebendigen Kontext und dem alltäglichen Leben, tradiert. Von Interesse sind jedoch die Formen symbolischer Kreativität der „gewöhnlichen“ Alltagskultur, die Verwendung von Symbolen und Formen in gelebten Kulturen. Es muß darum gehen, den tatsächlichen Gebrauch von Symbolen in der gemeinsamen Kultur zu verstehen, ausgehend von der engen Verbindung zwischen symbolischer Kreativität und dem Alltäglichen. So weist der Kulturbegriff des Centers for Contemporary Cultural Studies (CCCS) in Birmingham die enge traditionelle Definition von Kultur, die sich ausschließlich auf Objekte bezieht, als unzureichend ab und wird stattdessen auf die Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt und damit auf die gesamte Lebensweise einer Gruppe angewandt. Kultur wird im Ansatz des CCCS – um eine Gleichsetzung von Kultur mit Sozialem zu vermeiden –, „nicht einfach als additiver Begriff, der Verhaltensweisen, Beziehungsmuster, Kommunikationsformen, Werte und Normen umfaßt“ interpretiert, sondern vielmehr „als analytisches Konzept, mit dessen Hilfe die Art und Weise entschlüsselt wird, wie gesellschaftliche Individuen, Gruppen und Klassen in einem spezifischen historischen Kontext das Rohmaterial ihrer sozialen und materiellen Existenz handhaben und umsetzen.“ (Clarke u.a. 1979, S.10) Eine Auseinandersetzung mit Kunst und Jugendkultur bedeutet stets eine Reflexion über Gesellschaft, da das Subjekt als kulturell Handelndes sich bewußt und unbewußt auf diese bezieht. Kunst und Jugendkultur artikulieren, wenngleich in unterschiedlicher Intention und Ausprägung, im symbolischen Ausdruck gesellschaftliche Problemstellungen und suchen kreativ nach Lösungsstrategien. In alternativen Lebensentwürfen, Brüchen aber auch in der Alltagsflucht geht es um eine gelebte Gesellschaftskritik und um die Teilhabe an gesellschaftlich relevanten Themen. Kunstbewegungen wie Jugendkulturen bewegen das starre Zeichensystem, in dem sie Normen und Werte hinterfragen und neue Wege sichtbar machen. Gleichsam auf „magische Weise“ wird der Versuch unternommen, die psychische und soziale menschliche Realität durch symbolische Eingriffe zu verändern. Um den Menschen in seiner kulturellen, sozialen und psychischen Determination begreifen zu können, bedarf es eines mehrperspektivischen Zuganges. Kulturtheorie, Gesellschaftstheorie und Subjekttheorie können hierbei einander als sich gegenseitig ergänzende Bezugsquellen der Interpretation dienen. Ähnlich kommt der Vertreter der britischen Cultural Studies Stuart Hall in seinem Essay Identität und Differenz1 zu dem Schluß:
„Wir können das Psychische nicht direkt in das Gesellschaftliche und Kulturelle hineinlesen. Dennoch können gesellschaftliches, kulturelles und politisches Leben allein in Beziehung zu den Strukturen des unbewußten Lebens verstanden werden.“ (Hall 1999, S.85, Hervorhebung im Original)
Eine Analyse aller vorfindbaren kulturellen Phänomene des 20. Jahrhunderts in einem historischen Abriß kann und soll hier nicht geleistet werden, vielmehr sollen in dieser Arbeit exemplarisch kulturelle Bewegungen aus den Bereichen Kunst und Jugendkultur untersucht werden, zwischen denen eine innere Kohärenz besteht. Als Deutungshorizont des angestrebten Kulturvergleiches dient hierbei die moderne und postmoderne Subjekt- und Gesellschaftstheorie.

Ein erster Bereich der vorliegenden Untersuchung bezieht sich auf die künstlerische Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts, hier ist im besonderen die sogenannte Avantgarde der Moderne sowie die spätere lettristische und situationistische Bewegung anzuführen. Der historischen Avantgarde des Futurismus, Dadaismus und Surrealismus kommt im Prozeß der beginnenden Moderne eine Schlüsselposition zu. Die europäische Avantgarde entstand als Ausdruck eines kulturellen Wandlungsprozesses, der das 20. Jahrhundert nachhaltig prägen sollte. Die entstehende Moderne forderte dem Subjekt eine große Anpassungsleistung ab, so artikulierten sich in der zeitgenössischen Kunst und Kultur deutlich die veränderten Wahrnehmungsvoraussetzungen. Die moderne Avantgarde wollte keine neue Kunsttradition begründen, vielmehr eine Verbindung zwischen Kunst- und Lebenspraxis herstellen. Die französischen Lettristen und Situationisten knüpften an die avantgardistische Tradition ihrer Vorgänger an. Es handelt sich bei der lettristischen bzw. situationistischen Bewegung – obschon zahlenmäßig klein – um eine Gruppierung mit bedeutender Folgewirkung. Anfang der 50er Jahre wurde die Lettristische Internationale von Künstlern, Intellektuellen und Jugendlichen gegründet, die sich 1957 in die Gruppe der Situationistischen Internationale transformierte und während der Mai-Revolte 1968 in Paris erneut in die Öffentlichkeit trat. Die Situationisten setzten sich ähnlich wie die Futuristen vor ihnen mit den Möglichkeiten einer künstlerischen Maschinen- und Technologienutzung auseinander. Deutlich artikulierten sie in ihrer Kritik – die jener der Frankfurter Schule ähnelt – ihren Überdruß an der kapitalistischen Gesellschaft und an der Massenunterhaltungsindustrie. Der Situationismus war die (Lebens-)Haltung, die sie dagegen stellen wollten. Die Provokation der Kulturavantgarde der Futuristen, Dadaisten, Surrealisten und Lettristen/Situationisten erfolgte zu weiten Teilen durch unmittelbare Aktionen, durch ästhetische Provokation wie durch provokative Manifeste und theoretische Abhandlungen. Der Avantgardebegriff korrespondiert hierbei mit der Kategorie des Neuen, die Avantgardisten stehen somit als Vorreiter, Vordenker, Pioniere, als Sozialrevolutionäre mit künstlerischen Ausdrucksformen, als Provokateure für das Neue. Der Begriff des „Neuen“ – wie er von Theodor W. Adorno, Walter Benjamin, Peter Bürger u.a. verstanden wird – bezeichnet einen Bruch mit der „alten“ Kunst und die Suche nach neuen Verfahren, neuen Techniken, neuen Materialien, und damit nach einer neuen (künstlerischen) Tradition. Avantgardistische Strömungen setzten sich stets als „Wegbereiter des Neuen“ mit den Anliegen der Zeit auseinander. Analog dem Ahnen Dadaismus lassen sie sich als „Gesamtreaktion“ als „Antwort der ganzen Persönlichkeit auf die undefinierbare Herausforderung unserer Zeit“ interpretieren und stellen damit mehr als „nur eine rationalistische und ästhetische Reaktion“ dar. (Huelsenbeck 1957, S.106)



Ein zweiter wichtiger Untersuchungsbereich dieser Arbeit stellt die Jugendkultur dar. Jugendkultur und Avantgarde des 20. Jahrhunderts nutzen beide in ihrer gesellschaftlichen Provokation ästhetische Mittel. Im Gegensatz zu einer bewußten gegenkulturellen, provokativen Artikulation, wie sie in den künstlerischen Avantgardebewegungen der Futuristen, Dadaisten, Surrealisten und Lettristen bzw. Situationisten anzutreffen ist, findet die der Jugendkulturen mehrheitlich unbewußt und symbolisch statt. Jugend entstand als neue Kategorie in der Nachkriegszeit und stellt somit eine Äußerung gesellschaftlicher Veränderung dar (vgl. Clarke u.a. 1979, S.40). Seitdem bildeten sich stets neue Jugendstile heraus. Natürlich gab es auch vor 1945 Jugendkulturen, beispielsweise die Wandervogelbewegung, Wilde Cliquen im Berlin der zwanziger Jahre, Jugendbanden oder auch die Hitler-Jugend, doch ist es sinnvoll, Jugendkultur, wie wir sie heute verstehen, mit den Halbstarken beginnen zu lassen. Waren es in den 50er Jahren der Rock’n’Roll, die Halbstarken, die Rocker, die Teds, die Beat Bewegung und die Existentialisten oder in den 60er Jahren die Beatkultur, die Hippies, die Mods und die Skins, kamen in den 70er Jahren die Stile Disco, Punk, Grafitti und ab den 80ern die Jugendkulturen HipHop und Techno bzw. House hinzu. Die führende Jugendkultur seit den 90er Jahren ist die Techno-Culture2. Techno bezeichnet sowohl eine musikalische Richtung, verkürzt ausgedrückt computer-erzeugte Musik, als auch die von ihr ausgehende Bewegung, der sich circa 2,5 Millionen Jugendliche nahe stehend fühlen und die somit keine unbedeutende Stilerscheinung mehr darstellt. Das signifikant Neue der Techno-Culture ist zum einen die enge Vernetzung von Kommerz und Jugendkultur, zum anderen – vor allem im symbolischen Ausdruck – die Textlosigkeit und die Dominanz des Rhythmus innerhalb der Musik. Den Nimbus einer „rebellierenden“ Jugend verfehlt die Techno-Culture, dennoch läßt sich die Techno-Culture als Jugend-Stil der Gegenwart in die Linie der Provokation der etablierten Gesellschaft integrieren, in der auch Futuristen, Dadaisten, Surrealisten, Lettristen, Situationisten, Beat Bewegung und Hippie-Culture stehen. Das gemeinsame Element der Kulturavantgarde des 20. Jahrhunderts – gleich ob Jugendkultur oder Kunstbewegung – ist der symbolische Widerstand durch Ästhetik, die Negation des bürgerlich-institutionellen Verständnisses von (Hoch-)Kultur und damit die Infragestellung gesellschaftlicher Werte. Ein dreiviertel Jahrhundert nach den Dadaisten trifft die Techno-Culture ähnliche Vorwürfe wie die avantgardistischen Vorfahren, denen Jahrzehnte zuvor Simplizität und Primitivität nachgesagt wurden:
„Der Dadaismus wurde im allgemeinen aus sehr verständlichen Motiven von allen abgelehnt, die in ihm einen Angriff auf die ‚heiligsten Güter der europäischen Zivilisation‘ sahen. Diese Art Menschen waren (und sind) Konventionalisten, die sich nicht vorstellen können, daß sich Werte ändern. Sie betrachten die Kultur als ein Absolutum. Es muß so sein, wie es ihnen von Eltern und Großeltern überliefert worden ist. Jede Änderung wird als Gotteslästerung angesehen.“ (Huelsenbeck 1957, S.95f.)
Von der Techno-Culture werden künstlerische Einflüsse der Avantgarde aufgenommen und in einer neuen Variation, unter kreativer Verwendung moderner Technologie, fortgeführt. Um sich dem Phänomen Techno annähern zu können, bedarf es einer mehrperspektivischen Sichtweise: Die Techno-Culture läßt sich im Spannungsfeld zwischen Massenkultur und Avantgarde verorten und verweist gleichzeitig als Körper-, Tanz- und Maschinenkultur auf Strukturen der gegenwärtigen Postmoderne.

1.2 Zur Fragestellung
Ausgehend von der Artikulationsfunktion von Kultur lassen sich in Avantgardebewegungen wie in Jugendkulturen gesellschaftlich relevante Themen wiederfinden, die hier symbolisch verhandelt werden. Damit finden wir dort auch jene Themen wieder, mit denen sich die moderne und postmoderne Philosophie im theoretischen Diskurs beschäftigt, soweit es sich um anthropologische Schlüsselthemen handelt. Die Frage danach, was der Mensch, der sich von Geburt an mit einer biologischen, materiellen und sozialen Umwelt auseinandersetzen muß, seinem Wesen nach sei, scheint in der Gegenwart schwieriger denn je beantwortbar. Eine erste Fragestellung dieser Arbeit konzentriert sich darauf, was die „großen Menschheitsthemen“ des 20. Jahrhunderts für unsere Gesellschaft sind und wie diese im theoretischen Diskurs abgehandelt werden. Welche Argumentationen sind zentral? Gesetzt den Fall, im Durchgang durch die moderne und postmoderne Subjekttheorie und Philosophie finden sich Motive, die sich als Leitmotive für das 20. Jahrhundert charakterisieren ließen, muß dann weiter gefragt werden, inwiefern sich diese auf der kulturellen Ebene deuten lassen. Anders formuliert, wie lautet die philosophische Fragestellung, auf die Kultur eine Antwort sucht? Welche Entwicklungen und Bedeutungsverschiebungen können in der Übersignifikanz der kulturellen Artikulation abgelesen werden?

Für die Bestimmung möglicher Leitmotive für das 20. Jahrhundert, die als Kristallisationspunkte der Kulturanalyse dienen können, ist es notwendig, uns noch einmal die Voraussetzungen, unter denen sich die moderne Gesellschaft bilden konnte, zu vergegenwärtigen. Mit der Industrialisierung begannen sich Stadt-, Bevölkerungs- und Arbeitsstrukturen sowie kulturelle Ausdrucksformen zu ändern. Der Weltbezug des Städter wurde zunehmend abstrakter, sinnliche und „echte“ Erfahrungen konnten in einer entfremdeten Umwelt nicht mehr gemacht werden. Der Mensch der Moderne wurde mit vielfachen Neuerungen konfrontiert, die das Alltagsleben von der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert an zunehmend veränderten und das Subjekt in eine tiefe Krise stürzten. Fortschritt in Technik und Wissenschaft und die Entstehung der Großstädte veränderten das bislang gültige Wirklichkeitsverständnis; das traditionelle Menschen-, Gesellschafts- und Weltbild brach in sich zusammen.

Als wichtige Theoretiker des 19. Jahrhunderts setzten sich, wenngleich verschiedenen Prämissen folgend, Karl Marx und Friedrich Nietzsche mit den Rückwirkungen des gesellschaftlichen Wandels auf das Subjekt auseinander. Schon früh analysierte Karl Marx für das beginnende Industriezeitalter das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine. Erkennend, daß mit der Einführung der Maschine der Industrialisierung der traditionelle Arbeitskörper in vielen Bereichen überflüssig wird, charakterisiert Marx die Maschine als Transformator menschlicher Arbeitskraft. Der Industrialisierungsprozeß mit seinen Maschinenparks dient nach Marx der Akkumulation des Reichtums einiger Industrieller, während das Gros der Arbeiter zur Maschine degradiert wird. Der leblose Gegenstand der Maschine steht für materiell gewordene, tote menschliche Arbeitskraft, die Maschine wird somit selbst zum toten Menschen. So schreibt Karl Marx Mitte der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts im Kapitel Die entfremdete Arbeit3:
„Die Arbeit produziert Wunderwerke für die Reichen, aber sie produziert Entblößung für den Arbeiter. Sie produziert Paläste, aber Höhlen für den Arbeiter. Sie produziert Schönheit, aber Verkrüppelung für den Arbeiter. Sie ersetzt die Arbeit durch Maschinen, aber sie wirft einen Teil der Arbeiter zu einer barbarischen Arbeit zurück und macht den andren Teil zur Maschine.“ (Marx in: Oelmüller/Dölle-Oelmüller/Geyer 1985, S.192)
Sieht Marx das Mensch-Maschine-Verhältnis zu Recht kritisch, herrscht doch im 19. Jahrhundert überwiegend ein Technik- und Fortschrittsoptimismus vor, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch steigern sollte. So hat für den Begründer der futuristischen Bewegung Filippo Tommaso Marinetti, der sich auf Nietzsches Ideal des Übermenschen bezieht, die futuristische Bewegung die Aufgabe „die unmittelbar bevorstehende Identifikation des Menschen mit der Maschine vorzubereiten.“ (Marinetti ohne Jahr, S.108) Euphorisch bezieht er 1909 in seinem Manifest des Futurismus4 technischen Fortschritt und Kunst aufeinander und verherrlicht den Krieg. Die futuristische Avantgarde äußert in zahlreichen Manifesten den Wunsch nach Verschmelzung mit der Maschine, die Trennung zwischen Mensch und Maschine müsse aufgehoben werden, um in der Synergie die ersehnte Unsterblichkeit als „mechanischer Mensch“ zu erlangen.

Die moderne Avantgarde, die wir zum Gegenstand unserer kulturvergleichenden Studie nehmen, ist sowohl vom Krisensyndrom der Jahrhundertwende als auch von Nietzsches Philosophie geprägt. Ausgangspunkt für dessen Bildung des Übermenschen ist der „Tod Gottes“, mit dem der Mensch selbst zum Gestalter, Schöpfer und Zerstörer seines Weltbildes wird. Die „Umwertung aller Werte“ stellt den Menschen vor neue Aufgaben, dem Übermenschen kommt hierbei die Funktion der kulturellen und moralischen Neuordnung des Lebens zu. Der Mensch soll sich, so Nietzsche, selbst überwinden, um eine höhere Stufe des Menschseins zu erlangen, um so zum Übermenschen zu werden. Der „Wille zur Macht“ ist neben der Idee des Übermenschen ein weiterer wichtiger Bestandteil von Nietzsches Philosophie, die sowohl die Geisteswissenschaft als auch die Kunst des 20. Jahrhunderts nachhaltig beeinflußte. Wie es Walter Kaufmann in seiner fundierten Nietzsche-Rezeption5 systematisiert darstellt, gibt es in Nietzsches Philosophie der Macht einen bestimmenden Grundtrieb des Menschen, den „Willen zur Macht“, der nicht nur den Menschen in seinem Sein bestimmt, sondern auch das gesamte Universum steuert. Nietzsches Überlegungen zum Grundtrieb des Menschen, zum Geschlechtstrieb und zur Triebsublimierung, weisen in weiten Zügen eine große Ähnlichkeit zu Sigmund Freud und der psychoanalytischen Psychologie auf. Auch benutzen beide die Terminologie des Sexualtriebes, wohl wissend daß die Begrifflichkeit eine aggressive Konnotation im Gegensatz zur gemäßigteren Formulierung des erotischen Triebes beinhaltet. Bei Freud ist der Dualismus von Lebens- und Todestrieb bestimmend, der Kampf der Giganten prägt den Menschen in seinem Subjektsein, in seinem Denken, Fühlen und Handeln. Im Dualismus zwischen Leben und Tod siegt hierbei stets der Tod. Anknüpfend an Freuds Todestriebthese, die er in Jenseits des Lustprinzips6 etablierte, beschäftigten sich nachfolgend neben anderen Jean Baudrillard, Georges Bataille und Gilles Deleuze mit der Setzung von Eros, Todestrieb und Wiederholung. Seit Freud steht die Wiederholung als Metapher für den Tod. Vergegenwärtigen wir uns an dieser Stelle, daß die Funktionsweise jeder Maschine auf dem Prinzip der Wiederholung basiert gleichwie die Wiederholung auch das Grundprinzip von Rhythmus und Tanz darstellt.

Zeitgenössische amerikanische, französische und deutsche Philosophen verkünden seit den Endsechzigern die Auflösung des Subjekts, das Verschwinden einer Denkform, die die Geistesgeschichte seit der Schwelle zur Neuzeit bestimmte. Abgeleitet von Nietzsches Setzung vom „Tod Gottes“ wird nun der „Tod des Subjekts“ und die Auflösung des menschlichen Körpers, der sich nun nicht mehr in Abgrenzung zum göttlichen Körper definieren kann, zum Schwerpunkt des postmodernen Diskurses um den Menschen. Neben Jean Baudrillard gehören die französischen (Post-)Strukturalisten Roland Barthes, Jacques Derrida, Jacques Lacan, Félix Guattari, Gilles Deleuze und Michel Foucault sowie Paul Virilio zu den bedeutenden französischen Theoretikern, die sich mit der Subjekttheorie auseinandersetzen, um auf unterschiedliche Weise Antworten auf die Frage nach Motiven des Bedeutungswandels und der Bedeutungsverschiebung zu geben. So diagnostiziert Paul Virilio die zunehmende Beschleunigung und Überreizung des Menschen, sein Interesse gilt hierbei den Rückwirkungen der technologischen Veränderungen auf das Subjekt, den Veränderungen in Sinneswahrnehmung und Bewußtsein, die mit der Technologieentwicklung einhergehen. Virilio stellt den Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und Tod her, für ihn ist die „Schnelligkeit einer Gattung“ stets ein „Hinweis auf einen frühzeitigen Tod“, sie stellt sowohl eine „Ursache für zahlreiche psychische Störungen“ als auch einen „wesentliche[n] Wirkungsfaktor beim Altern“ dar. (Virilio 1994, S.90f.)

Für Peter Bürger, der seit den siebziger Jahren zur historischen Avantgarde arbeitet und zu den führenden deutschen Subjekttheoretikern gehört, stellt die Sinnproduktion, gleich ob es sich hierbei um eine diesseitige oder jenseitige, transzendentale Sinngebung handelt, ein zentrales Merkmal des Subjekts dar. Das moderne Subjekt will Sinn produzieren, es kann nicht umhin, „seinem Leben Sinn zu geben. Der Diskurs des Subjekts ist eine Maschine der Sinnproduktion, die vor nichts Halt macht. Noch dem Tod vermag sie Sinn abzugewinnen, indem sie ihn als Tod für etwas auslegt.“ (Bürger 2000, S.59, Hervorhebung im Original)


Der Körper, die Maschine und der Tod werden zum Kristallisationspunkt des Subjekt-Diskurses der Kultur- und Subjektphilosophie des 20. Jahrhunderts, die sich thematisch mit den Bedingungen des Wandels von der Moderne zur Postmoderne und der Frage der Rückwirkung auf das Subjekt beschäftigt. Wenn wir nun die These aufstellen, daß Körper, Maschine und Tod die Leitmotive des 20. Jahrhunderts darstellen, muß im Hinblick auf unseren Untersuchungsbereich weiter gefragt werden, in welchen Formen und Ausprägungen eine kulturelle Auseinandersetzung mit dem Körper, der Maschine und dem Tod stattgefunden hat bzw. stattfindet. Ist eine Motivgleichheit künstlerischer Avantgarde und Jugendkultur im 20. Jahrhundert erkennbar? Inwiefern läßt sich der Diskurs um Körper- und Subjektauflösung, der die Theoriedebatte der letzten Jahrzehnte maßgeblich bestimmte, auf der Ebene der Kultur wiederfinden und inwieweit läßt sich ein eindeutiger Entwicklungsprozeß überhaupt konstatieren?

Als Arbeitsthese kann formuliert werden, daß die reale, kreative und symbolische Auseinandersetzung mit dem Tod – nichts anders impliziert der Terminus der Auflösung – ein zentrales Merkmal in der künstlerischen Avantgarde und in der Jugendkultur des 20. Jahrhunderts darstellt. Der symbolischen Artikulation der Leitmotive kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Betrachten wir den Begriff des Symbolischen genauer. Das Symbol verbindet die gegenständliche mit der nicht-gegenständlichen, der imaginären oder geistigen Welt. Als einer der wichtigsten Theoretiker setzte sich Ernst Cassirer mit der Bedeutung des Symbolischen auseinander. Cassirer zeigt auf, daß symbolische Formen Resultat und Reaktion des Individuums auf seine Umwelt darstellen. Mehr noch: Wirklichkeitserfahrung und Wirklichkeitsbewältigung korrespondieren mit symbolischer und kreativer Aneignung bzw. Auseinandersetzung. Folgen wir der Idee des Symbolischen, ist zu untersuchen, wie sich die symbolische Auseinandersetzung auf der Ebene des Körpers artikuliert. Welche Bedeutung hat das Symbolische als Ausdrucksfähigkeit des Körpers? Ist diese Ausdrucksfähigkeit im Sinne einer Befreiung oder negativ im Sinne einer Beherrschung zu deuten? Nietzsches spannungsgeladener Kulturbegriff gründet sich auf der Korrelation zweier polarer Grundtriebe, die er mit den Götternamen Apollon und Dionysos benennt. Dionysos steht für den Rausch, das Destruktive und das Unbewußte, während Apollon die Klarheit, Schönheit und das Bewußte repräsentiert. In den rauschhaften Festen zu Ehren des Gottes Dionysos wird, der Darstellung Nietzsches in Die Geburt der Tragödie7 folgend, der Mensch mit dem Menschen sowie mit der Natur ausgesöhnt und „das Subjektive verschwindet ganz vor der hervorbrechenden Gewalt des Generell-Menschlichen, ja des Allgemein-Natürlichen.“ (Nietzsche, KSA 1, S.555) In der außerhalb des Alltäglichen liegenden Erfahrung wird


„[j]eder mit seinem Nächsten nicht nur vereinigt, versöhnt, verschmolzen, sondern eins, als ob der Schleier der Maja zerrissen wäre und nur noch in Fetzen vor dem geheimnisvollen Ur-Einen herumflatterte. Singend und tanzend äussert sich der Mensch als Mitglied einer höheren Gemeinsamkeit: er hat das Gehen und das Sprechen verlernt und ist auf dem Wege, tanzend in die Lüfte emporzufliegen. Aus seinen Gebärden spricht die Verzauberung. Wie jetzt die Thiere reden, und die Erde Milch und Honig giebt, so tönt auch aus ihm etwas Uebernatürliches: als Gott fühlt er sich, er selbst wandelt jetzt so verzückt und erhoben, wie er die Götter im Traume wandeln sah. Der Mensch ist nicht mehr Künstler, er ist Kunstwerk geworden: die Kunstgewalt der ganzen Natur, zur höchsten Wonnebefriedigung des Ur-Einen, offenbart sich hier unter den Schauern des Rausches.“ (ebd. S.29f.)
Bezogen auf unseren Untersuchungsgegenstand ist danach zu fragen, inwiefern in der Avantgardekultur und in der Jugendkultur eine Beschäftigung mit dem Wilden, dem Triebhaften, dem Naturhaften, dem Ekstatischen, jenen Elementen die Nietzsches Kulturbegriff miteinschließt, erfolgt. Gibt es noch Reste des Dionysischen in einer Kultur, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend in Richtung Massenkultur und Medienkultur entwickelte bedingt durch Prozesse der Industrialisierung, die vor Kultur nicht halt machen? In den Ausdrucksformen der avantgardistischen Künstlergruppen der Futuristen, Dadaisten und Surrealisten, die im ersten Drittel des Jahrhunderts agierten und im expressiven Lebensstil der Lettristen und Situationisten der 50er und 60er Jahre wird die Auseinandersetzung mit dem Dionysischen deutlich. Auch die Raver der gegenwärtigen, stark konsumorientierten Techno-Culture beschreiben Gefühle des „Davonfliegens“ und des ekstatischen „Abhebens“. Es läßt sich die Linie der „mystischen Einheitsempfindung“ durch Musik, Tanzekstase und Rausch ziehen von den von Nietzsche beschriebenen Dionysos-Festen bis zum Rave der Gegenwart, Veranstaltungen der Techno-Culture, in denen im stundenlangen Tanzen auf elektronische Musik Zeit- und Raumgrenzen bedeutungslos werden, nicht zuletzt durch die unterstützende Wirkung synthetischer Drogen.

1.3 Zum Forschungsstand
Die historische Avantgarde der Futuristen, Dadaisten und Surrealisten wurde in der Forschungsliteratur in den letzen Jahrzehnten ausführlich untersucht, exemplarisch sollen hier die neueren Arbeiten von Sylvia Brandt (1995), Hansgeorg Schmidt-Bergmann (1993) Hermann Korte (1994) und Peter Bürger (1974; 1978; 1987; 1992; 1996) angeführt werden. Als Geschichtsschreiber der Situationisten ist der Kunsthistoriker Roberto Ohrt ausgewiesen, der mit Phantom Avantgarde. Eine Geschichte der Situationistischen Internationale und der modernen Kunst (1990) eine umfassende Studie veröffentlichte.

Birgit Richard befasst sich in ihrer Dissertation Todesbilder in Kunst und jugendlichen Subkulturen der Gegenwart (1995) mit den Jugendsubkulturen Grufties und der Industrial Culture, die ihren Stil durch eine direkt artikulierte Todesaffinität konstituieren. In der Darstellung des Todes in der Bildenden Kunst bezieht sie sich auf die Arbeiten moderner Künstler und Gegenwartskünstler (Joseph Beuys, Hermann Stamm, Robert Longo, Arnulf Rainer, Robert Morris, Rudolf Bowie, Heike Ruschmeyer, Gerhard Richter, Christain Boltansk).

In der Techno-Forschung legte neben diversen Arbeiten des Jugendforscherteams um den Dortmunder Soziologen Ronald Hitzler, Gabriele Klein mit ihrer Habilitationsschrift Electronic Vibration. Pop – Kultur – Theorie (1999) eine umfassende kulturtheoretische Abhandlung des Jugendphänomens Techno vor. Weder Hitzler u.a. noch Klein stellen die Techno-Culture in den generellen Kontext einer historischen oder kulturvergleichenden Sichtweise. Ulf Poschardt betrachtet in seiner DJ-Culture (1995) das Phänomen des DJ-ing sowohl in seiner historischen Dimension (von den Anfängen in den 50ern bis heute), als auch in Ansätzen in einer methodischen und kulturtheoretischen Grundlegung. Weitere signifikante Arbeiten zur Technoszene sind die von Anz/Walder (1995); Lau (1995); Maaz (1994); Pesch (1995); Richard (1995); Tiefenbach (1993). Der Amerikaner Greil Marcus zeigt in einer kulturvergleichenden Arbeit Lipstick Traces. Von Dada bis Punk – Eine geheime Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts (1989) Parallelen zwischen Dadaisten, Situationisten und Punk auf. Vergleichende Arbeiten zwischen avantgardistischen Künstlergruppen und Jugendkulturen des 20. Jahrhunderts, die sich motivisch mit subjekttheoretischen Prämissen des 20. Jahrhunderts beschäftigen, existieren bislang nicht. Wenngleich zahlreiche Publikationen zur historischen Avantgarde und zur modernen und postmodernen Jugendkultur vorhanden sind, fehlt es doch an vergleichenden interdisziplinären Betrachtungen unter der formulierten Fokussierung.

1.4 Zum methodischen Vorgehen
In der nachfolgenden Untersuchung soll die Präsumtion, daß Körper, Maschine und Tod die bestimmenden Motive im 20. Jahrhundert darstellen und ihnen in der Moderne und Postmoderne eine große kulturelle Bedeutung zukommen, geprüft werden. Als Verständnisgrundlage der komplexen Fragestellung dient uns die moderne und postmoderne Kultur- und Subjektphilosophie. Die interdisziplinär ausgerichtete Arbeit gliedert sich in vier Teile.

Im Teil A: Das Subjekt im Kontext von Körper, Maschine und Tod werden wir die philosophische, soziologische und psychoanalytische Auseinandersetzung um den Menschen in seiner Beziehung zu Körper, Maschine und Tod genauer in den Blick nehmen und uns dabei auf zentrale Aspekte konzentrieren. Es soll dargestellt werden, daß ähnlich wie Menschenbild und Weltbild Vorstellungen über Körper und Tod keine festen Größen darstellen, sondern vielmehr Wandlungsprozessen unterworfen sind. Mit einer Veränderung der Körpervorstellung korrespondiert gleichfalls die Veränderung der Todesvorstellung in den letzten Jahrhunderten. Der menschliche Körper ist stets kultureller Körper, ist historisch und sozial geprägt. Die Art und Weise, wie das Subjekt seinen individuellen Körper wahrnimmt, welche Vorstellungen über die eigene Körperlichkeit es hat, wie sich das Körper-Subjekt-Verhältnis ausgestaltet, ist weder statisch, noch für alle Kulturen identisch. Individuelle Körperlichkeit und Gesellschaftskörper stehen in einem reziproken Verhältnis, Tendenzen einer Körpernähe oder Körperdistanz des Subjekts sind Rückwirkung eines allgemeinen Sozialkörpers. Der Körper ist nie nur ein rein individueller, sondern stets auch gesellschaftlich produzierter, der Körper wird zum Ort sozialer Erfahrung (Pierre Bourdieu, Norbert Elias, Michel Foucault Georg Simmel). Mit dem von Nietzsche proklamierten „Tod Gottes“ wird sich, wie zu zeigen ist, das Körper- und Subjektverständnis maßgeblich ändern, die Rückwirkung des göttlichen Körpers auf den menschlichen Körper wird an Aussagekraft verlieren.

In einem zweiten und dritten Abschnitt der Arbeit werden ausgehend von den Futuristen bis zur Techno-Culture die Motive künstlerischer Avantgarde und Jugendkultur im 20. Jahrhundert untersucht. Im Teil B: Avantgardistische Künstlerbewegungen erfolgt eine fokussierte Stilanalyse der futuristischen, dadaistischen, surrealistischen und der lettristischen bzw. situationistischen Bewegungen. Die motivische Auseinandersetzung mit dem Körper, der Maschine und dem Tod wird zum Kristallisationspunkt unseres Kulturvergleiches. Gehen wir davon aus, daß Körper, Maschine und Tod sich als Leitmotive für das 20. Jahrhundert bestimmen lassen, so kann in der sich anschließenden kulturvergleichenden Studie die kulturelle und jugendkulturelle Auseinandersetzung mit diesen Topoi untersucht werden, um diese Beziehung eingehend zu prüfen und unsere Annahme zu erhärten oder gegebenenfalls fallenzulassen. Als Hauptquellen der Kulturanalyse dienen uns neben der Auswertung signifikanter Primär- und Sekundärquellen die theoretischen Interpretationsstränge aus dem ersten Teil der Arbeit. Der Teil C: Jugendkultur umfaßt die differenzierte Stil-Analyse der Techno-Culture unter Rückbezug auf die Geschichte der Jugendkultur nach dem Zweiten Weltkrieg und einer Analogienbildung zur historischen Kulturavantgarde des 20. Jahrhunderts. In der dichten Beschreibung der Techno-Culture werde ich gleichfalls empirische Daten aus narrativen und teil-standardisierten Interviews, die ich 1997 mit Techno-DJs bzw. Techno-Musikern aus dem Ruhrgebiet durchführte, verwenden. In den Interviews wurde eine Selbstdarstellung der Szene durch Szenemitglieder intendiert. Es wurden im neutralen bis weichen Interviewstil ausschließlich offene Fragen gestellt. Der geringe Grad der Standardisierung wurde gewählt, um „eine natürliche und realitätsnahe Kommunikation“ zu erreichen, da das Interpretieren der Zusammenhänge zwischen individueller Einstellung und sozialer Umwelt im Forschungsmittelpunkt stehen sollte. (Lamnek 1993, Bd.2, S.20) Da ich mir im Vorfeld einen Interview-Leitfaden erstellt hatte, waren mir alle Themenkomplexe (jugendkulturelle Biographie, Innenansicht der Szene, Selbstverständnis als DJ, Funktion der Szene im Alltag, Zukunftsvorstellungen u.a.) präsent, so daß ich mich als Interviewerin in der Fragestellung ohne fixierte statische Reihenfolge in einer notwendig situativen Anpassung auf den einzelnen Interviewee und dessen Wirklichkeitsdefinition einlassen konnte. Es soll der Versuch einer kontrastiven Darstellung unternommen werden, vorhandene Erklärungs- und Beschreibungsansätze der Theorie sollen einem empirischen Zugang gegenübergestellt werden, um Übereinstimmungen, aber auch Unterschiede aufzuzeigen und somit der vorgefundenen Komplexität innerhalb der Techno-Culture in einer differenzierten und auf unsere Themenstellung fokussierten Darstellung zu entsprechen.

Im Teil D: Fazit und Ausblick werden die Analysestränge zusammengeführt und bewertet. Sollte sich die These bestätigen, daß Körper, Maschine und Tod als Leitmotive für das 20. Jahrhundert stehen und daß diese sich in symbolischer und kreativer Weise auf dem Feld der Kultur artikulieren, ist weiter zu fragen, was daraus abgeleitet werden kann und welche Tendenzen für die Zukunft zu erwarten sind. Durch die Übersignifikanz in der Artikulation und durch die Stellvertreterfunktion der (jugend-)kulturellen Bewegungen können hier Entwicklungslinien abgelesen werden, die eine größere Interpretationsweite aufweisen als nur auf den Mikrokosmos der eigenen Teilkultur zu verweisen. Die vorliegende Arbeit versteht sich als eine Art Kompendium der (jugend-)kulturellen Geschichte des 20. Jahrhunderts unter einer übergreifenden Fragestellung, die sich aus den vermuteten Leitmotiven moderner und postmoderner Kultur- und Subjektphilosophie ergibt. Ziel der Untersuchung ist es nicht, die historische Entwicklung der Kunst und Künstlerbewegungen oder die der Jugendkultur im 20. Jahrhundert nachzuzeichnen, es geht vielmehr um eine subjekttheoretisch fundierte Neuaktzentuierung der (jugend-)kulturellen Geschichte, die notwendig erscheint und in der Forschung bislang fehlt. Eine Übertragung der Erkenntnisse auf eine konkrete Praxis der Jugend- und Kulturarbeit kann in dieser Untersuchung nicht geleistet werden. Die Aufgabe dieser Arbeit besteht vielmehr darin, die theoretische Basis für ein tieferes Verständnis und einen erweiterten Deutungshorizont zu schaffen.




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