Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!



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Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Dieses Editorial beruht auf der Lektorierung des Fortbildungsartikels

in dieser Ausgabe. Der Lektor, Herr Apotheker Werner Klein, fragte

nach Durchsicht des Manuskriptes an, warum in dem Artikel der

„rezeptfreie NO-Donator“ 

L-Arginin

nicht besprochen würde. Nun ist

L-Arginin zwar ein Aktivator des vaskulären NO-Systems, aber 

kein

Arzneimittel

sondern ein diätetisches Lebensmittel. Die Aminosäure

passt daher nicht in eine Übersicht zu Arzneimitteln mit nachgewie-

sen günstiger Nutzen-Risiko-Relation. Da jedoch diätetische Lebens-

mittel bzw. Nahrungsergänzungsmittel regelmäßig wiederkehrend im

Fokus des Interesses in Apotheken stehen, halte ich diesen Hinweis

für wertvoll und wichtig. Solche Produkte unterliegen nicht den stren-

gen Anforderungen des Arzneimittelgesetzes nach Qualität, Wirksam-

keit und Unbedenklichkeit. Dies macht die Markteinführung sehr viel

einfacher und wesentlich kostengünstiger. Außerdem darf für diese

Produkte, anders als für Arzneimittel, auch direkt beim Konsumenten

geworben werden. Obwohl in der Vergangenheit gut eingeführte und

nur über Apotheken vertriebene Produkte ihren Weg in Drogerie-

märkte gefunden haben, bleibt der exklusive Vertriebsweg Apotheke

für viele Hersteller sehr interessant, verspricht der „gute Rat aus der

Apotheke“ doch eine Seriosität, die Drogerien oder Lebensmittel-

märkte kaum vermitteln können. 

Sie alle kennen die periodisch stark ansteigende Nachfrage nach sol-

chen Produkten, die sich aus breit gestreuten Werbemaßnahmen der

Hersteller ergibt. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob es sich um Haut-

alterung („Anti-Aging“), Sehfähigkeit (Stichwort Maculadegeneration),

Gelenkbeschwerden (z.B. Vitamin E), Skelettmuskelbeschwerden

(Magnesium, Coenzym Q) oder Prophylaxe kardiovaskulärer Erkran-

kungen handelt (Knoblauch, Fischöle etc.). Die Strategie bei der Ver-

marktung von diätetischen Lebensmitteln stützt sich in den meisten

Fällen auf wissenschaftliche Untersuchungen, z.B. 

zur physiologischen Bedeutung der Bestandteile der 



diätetischen Lebensmittel oder 

zum Zusammenhang zwischen Mangelerscheinungen an



Bestandteilen der diätetischen Lebensmittel und Erkrankungen. 

Dabei wird davon ausgegangen, dass die Gabe des jeweiligen diäte-

tischen Lebensmittels günstig in physiologische oder hemmend in

pathophysiologische Prozesse eingreift und auf diese Weise die Ent-

stehung von Erkrankungen verhindert bzw. deren Progression verzö-

gert. Das funktioniert immer dann ganz besonders gut, wenn eine pro-

phylaktische Wirkung versprochen wird, denn spürt der Patient/Kon-

sument eine versprochene symptomatische Wirkung nicht, wird er

auch das Präparat nicht mehr kaufen und auch nicht weiterempfeh-

len. Eine prophylaktische Wirkung ist dagegen viel schwieriger einzu-

schätzen. Selbst hochwirksame lebensverlängernde Arzneimittel wie

Statine sind erst allgemein akzeptiert und empfohlen worden, nach-

dem ihr Nutzen in langwierigen und teuren kontrollierten klinischen

Studien nachgewiesen worden war. 

Die Vernünftigkeit der Annahme der Wirksamkeit wird oft als „biolo-

gische Ratio“ bezeichnet und im Rahmen von Werbemaßnahmen

durch Übersichtsartikel in pharmazeutischen und medizinischen Fach-

zeitschriften leicht verständlich verdeutlicht. Dabei steht die eigentli-

che Kardinalfrage nach der Nutzen-Risiko-Relation stark im Hinter-

grund oder wird erst gar nicht gestellt. Dies erscheint gerade ange-

sichts neuerer Erkenntnisse jedoch kaum noch vertretbar, denn unab-

hängig davon, ob ein diätetisches Lebensmittel wirksam ist oder

nicht, darf es keinen Schaden anrichten. Genau hier mehren sich aber

Hinweise aus unabhängigen, d.h. nicht industriell gesponsorten

Untersuchungen, nach welchen diätetische Lebensmittel, z.B. Dosen

von Vitamin E >400 IE/Tag (1) oder eine Substitution mit Folsäure (2),

den Anwendern möglicherweise eher schaden als nutzen könnten. 

Seit einiger Zeit sind in Deutschland neue diätetische Lebensmittel im

Handel, die die Aminosäure L-Arginin allein (Pascovasan

®

) oder in



Kombination mit Folsäure enthalten (Telcor

®

). Die Präparate werden



zur Prophylaxe kardiovaskulärer Erkrankungen angeboten und auch

in der Laienpresse ausführlich besprochen (3). Die Werbeaussagen

betonen, dass L-Arginin „Schutz vor Herzinfarkt und Atherosklerose“

bietet (Telcor

®

), oder versprechen ein längeres Leben: „Damit Sie wei-



ter gehen können“ (Pascovasan

®

). 



Die biologische Ratio

Im Gegensatz zu vielen anderen diätetischen Lebensmitteln ist L-Argi-

nin experimentell gut untersucht. Ich selbst habe darüber nicht nur in

internationalen Zeitschriften (4), sondern auch in der Med.

Monatsschr. Pharm. berichtet (5). Ohne die Ihnen sicher bekannte und

kürzlich in der DAZ erschienene Übersichtsarbeit des wissenschaft-

lichen Kollegen Herrn Prof. Dr. H. Robenek wiederholen zu wollen (6),

Abstrakt: Diätetische Lebensmittel, die L-Arginin oder L-Arginin/Folsäure enthalten, werden seit einiger Zeit auf dem deutschen Markt

angeboten. Werbeaussagen zufolge sollen diese Präparate die Atherosklerose verlangsamen und auf diese Weise lebensverlängernd

wirken. Auch wenn L-Arginin als Vorstufe der vaskulären endothelialen Stickoxidbildung in tierexperimentellen und kleinen klinischen

Studien umfangreich untersucht wurde, existiert bislang kein Nachweis aus kontrollierten klinischen Studien für eine prognostisch güns-

tige Wirkung solcher Präparate. Nun weisen die Ergebnisse einer doppelblinden placebokontollierten randomisierten Studie an Postin-

farktpatienten (VINTAGE MI) auf ernsthafte Risiken einer L-Arginin-Substitution hin (möglicherweise erhöhte Sterblichkeit). Darüber 

hinaus lassen die Ergebnisse einer Studie mit Postinfarktpatienten, die für 3,5 Jahre Folsäure erhielten (NORVIT), ähnlich ernsthafte

Risiken vermuten. Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich eine kritische Nutzen-Risiko-Abwägung von L-Arginin- und insbesondere von

L-Arginin/Folsäure-Präparaten bei der Selbstmedikationsberatung in Apotheken (Apothekenmagazin 2006; 24(03):36-37). 

Abstract:

Dietary supplement preparations containing either L-arginine or L-arginine/folic acid have recently been introduced in the

german market. These preparations are advertized as having beneficial effects in cardiovascular patients by slowing atherosclerosis

and thereby increasing life expectancy. Although the role of L-arginine as a precursor of vascular endothelial nitric oxide production

has been extensively studied in animal models and small clinical trials, there is no evidence from controlled clinical trials showing

prognostic efficacy of such preparations. Furthermore, the results of a recently published randomized, double-blind, placebo-con-

trolled clinical trial in postinfarction patients (VINTAGE MI) raised serious concerns about the safety of L-Arginin preparations (incre-

ased mortality possible) and similar concerns have been expressed as a result of the outcome of postinfarction patients receiving

supplementation with folic acid for 3.5 years (NORVIT). Therefore, L-arginine preparations, in particular combinations with folic acid,

should not be recommended for postinfarction patients and require a critical benefit/risk consideration in over the counter consul-

tations in pharmacies (Apothekenmagazin 2006;24(03):36-37). 

WISSENSCHAFTLICHES EDITORIAL



Mehr Gesundheit durch diätetische Lebensmittel? 

Das Beispiel L-Arginin


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Prof. Dr. Georg Kojda

Diesen und weitere Artikel finden Sie auch im Internet unter 

www.kojda.de

lässt sich kurz zusammengefasst Folgendes festhalten: 

L-Arginin 

ist das Substrat der endothelialen NO-Synthase,



vermindert die Atherosklerosegenese im Tierexperiment, 

verbessert die Funktion des vaskulären Endothels im 



Tierexperiment,

verbessert die Funktion des vaskulären Endothels in kleinen



klinischen Studien.

Die dünne klinische Beweislage

Auch wenn die o.g. Erkenntnisse grundsätzlich für positive Eigen-

schaften von L-Arginin bei der Erhaltung der Gefäßgesundheit spre-

chen, gibt die Übersichtsarbeit (6) aus verschiedenen Gründen eine

sehr einseitig positive Sicht der Sachlage zu L-Arginin wieder. Es wun-

dert daher nicht, dass eine wenig geänderte Version vom Telcor

®

Her-


steller Quiris u.a. auch über die Deutsche Apothekerzeitung (DAZ) als

Werbematerial verteilt wird. Da L-Arginin-Präparate (bislang) aus-

schließlich über Apotheken vertrieben werden, erscheint es mir wich-

tig, einige euphorische Empfehlungen des Übersichtsartikels (6) zu

relativieren:

Die iatrogene Verbesserung der Endothelfunktion ist ein 



Surrogatparameter mit wenig Aussagekraft im Hinblick auf

Schwere und Verlauf kardiovaskulärer Erkrankungen.

Es gibt im Gegensatz zu Arzneimitteln wie β-Blockern, Statinen,



ACE-Hemmern oder Sartanen keinen klinischen Beleg dafür, dass

L-Arginin die Progression kardiovaskulärer Erkrankungen

verzögert oder die kardiovaskuläre Sterblichkeit verringert.

Es gibt nur wenig Informationen zum Sicherheitsprofil von 



L-Arginin bei längerfristiger Gabe.

Wenn uns also ein Kunde/Patient fragt, ob ihm ein L-Arginin-Präparat

etwas nützen würde, so müssten wir wahrheitsgemäß antworten,

dass zwar gute Hinweise dafür vorliegen, wir es aber nicht wirklich

wissen. Insofern muss „Das Wichtigste in Kürze“ des Übersichtsarti-

kels wie „Die diätetische Behandlung mit 2,4 g L-Arginin und 600 µg

Folsäure täglich empfiehlt sich bei Arteriosklerose, Hyperhomocys-

teinämie, Bluthochdruck und Gefäßschäden bei Diabetes mellitus“ (6)

als das betrachtet werden, was es ist: Produktwerbung für Telcor

®

.



Nun sind Diskussionen zur Wirksamkeit von Selbstmedikationsarz-

neimitteln und/oder diätetischen Lebensmitteln mit unzureichender

klinischer Datenlage im Hinblick auf die beanspruchten Wirkungen ja

nicht neu und lassen sich ohne entsprechende neue Untersuchungen

auch kaum sinnvoll fortführen. Dabei liegt es immer in der besonde-

ren persönlichen und auch ethischen 



Verantwortung der Apotheker-

Innen

zu entscheiden, ob ein solches Präparat aktiv empfohlen wird,

was z.B. auch HV- und Schaufensterwerbung einschließt. Zeigt sich

jedoch, dass ein entsprechendes Präparat den Anwendern möglicher-

weise Schaden zufügt, erscheint eine aktive Empfehlung bei Licht

betrachtet kaum noch vertretbar. Eben diese Situation ergibt sich

heute nicht nur für L-Arginin, sondern auch für Folsäure und damit vor

allem für die Kombination beider Stoffe. 



Risiken von L-Arginin bei Postinfarktpatienten

Eine kürzlich publizierte randomisierte, doppelblinde, placebo-

kontrollierte klinische Studie an 153 Patienten im mittleren Alter von

60 Jahren untersuchte, ob die 6-monatige Gabe von L-Arginin zur

Standardtherapie bei 

Patienten nach Myokardinfarkt

klinisch wichtige

kardiovaskuläre Funktionen wie Ejektionsfraktion und vaskuläre Stei-

figkeit verbessern kann (7). Dabei ergab sich: 

L-Arginin zeigte keine Wirkung auf Ejektionsfraktion und 



vaskuläre Steifigkeit, 

L-Arginin-Therapie erhöhte nicht die Plasmakonzentration von L-Arginin,



L-Arginin zeigte keine erhöhte Rate an nicht schwer wiegenden

Nebenwirkungen (z.B. Blähungen, Durchfall, Übelkeit, Flush,

Schwindel),

6 Sterbefälle in der L-Arginingruppe, kein Sterbefall in der 



Placebogruppe.

Bei Postinfarktpatienten scheint also L-Arginin im Hinblick auf die

überprüften kardiovaskulären Funktionen nicht nur wirkungslos, son-

dern möglicherweise auch 



gefährlich

zu sein. Selbstverständlich lässt

sich nicht mit Sicherheit ausschließen, dass es sich bei den Todesfäl-

len in der L-Arginingruppe trotz aller Kontrollen in dieser Studie um

einen Zufallsbefund handeln könnte. Dennoch müssen nun die Ergeb-

nisse weiterer ähnlich solide gemachter klinischer Studien abgewar-

tet werden, bevor Postinfarktpatienten die Einnahme von L-Arginin

empfohlen werden kann. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund

fehlender prognostischer Daten aus kontrollierten klinischen Studien

(s.o.), die die beanspruchten Wirkungen nachweisen könnten. 



Risiken von Folsäure bei Postinfarktpatienten

Auch bei dieser Frage geben neue Daten aus der NORVIT-Studie mit

Anlass zu ernsthaften Bedenken. Die bislang nicht vollständig publi-

zierte Studie schloss 3749 Postinfarktpatienten ein, die im Mittel über

3,5 Jahre behandelt und beobachtet wurden (2). Die Analyse der

Daten hat ergeben, dass Folsäure bei Postinfarktpatienten keinen Ein-

fluss auf das Risiko eines weiteren kardiovaskulären Ereignisses hat,

jedoch das Risiko für 



Krebserkrankungen

erhöht. Wurde Folsäure mit

Vitamin B6 kombiniert, stieg das relative Risiko für 

Myokardinfarkt

und 


Schlaganfall

, Myokardinfarkt allein und für 



Todesfälle

jeglicher

Ursache um immerhin 20 % signifikant an. Somit sprechen die vor-

liegenden klinischen Daten zur Zeit eher gegen die Gabe von Folsäu-

re bei Postinfarktpatienten. 

Was können ApothekerInnen in öffentlichen Apotheken tun?

Bislang gibt es zwar eine gut untersuchte biologische Ratio für die

Einnahme von L-Arginin, jedoch keine ausreichenden klinischen Daten

zur kardiovaskulären Prognose, die als Nachweis für die prophylakti-

sche Wirksamkeit von L-Arginin herangezogen werden könnten. Dies

gilt sowohl für gesunde Menschen als auch für Patienten mit kardio-

vaskulären Erkrankungen. Postinfarktpatienten sollten L-Arginin

wegen des möglichen Risikos einer erhöhten Sterblichkeit nicht erhal-

ten. Besonders ungünstig erscheint die Kombination von L-Arginin mit

Folsäure bei Postinfarktpatienten, da auch Folsäure bei dieser Patien-

tengruppe signifikante Risiken aufweist. Vor diesem Hintergrund emp-

fiehlt sich eine kritische Nutzen-Risiko-Abwägung von L-Arginin- und

insbesondere von L-Arginin/Folsäure-Präparaten bei der Selbstmedi-

kationsberatung in Apotheken. 

Herzlichst 

Ihr


Literatur 

1. Miller ER, III, Pastor-Barriuso R, Dalal D, Riemersma RA, Appel LJ, Guallar E. Meta-

analysis: high-dosage vitamin E supplementation may increase all-cause mortality.

Ann Intern Med 2005;142:37-46.

2. Bonaa KH. NORVIT: A randomized trial of homocysteine-lowering with B-vitamins

for secondary prevention of cardiovascular disease after acute myocardial infarction,

In: Program and Abstracts from the European Society of Cardiology Congress 2005;

September 3-7, Stockholm, Sweden. 2005.

3. Felix G  Stickoxide. Jungbrunnen für die Blutgefäße? My Life 2005;6-2005:30-31.

4. Gewaltig MT, Kojda G. Vasoprotection by nitric oxide: mechanisms and therapeu-

tic potential. Cardiovasc Res 2002;55:250-260.

5. Muller S, Gewaltig MT, Kojda G. [Vasoprotection with vascular nitric oxide. The

effect of physical training and drugs]. Med Monatsschr Pharm 2002;25:91-96.

6. Robenek H  Diätetische Behandlung der Arteriosklerose. Nutzen einer Anwendung

von L-Arginin gemeinsam mit Folsäure. Deutsche Apothekerzeitung 2005;145:6562-

6571.


7. Schulman SP, Becker LC, Kass DA, et al. L-arginine therapy in acute myocardial

infarction: the Vascular Interaction With Age in Myocardial Infarction (VINTAGE MI)



randomized clinical trial. JAMA 2006;295:58-64.

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