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9.
Vom Konflikt zur Kooperation
9.1.
Merkmale einer positiven Konfliktkultur sind
• Es gibt nicht starre, unveränderliche Auffassungen, vielmehr ist jeder bereit, das
bessere Argument anzunehmen sowie unterschiedliche Ideen und Meinungen in
die Diskussion einbringen und einzuholen.
• Neue Ideen und unterschiedliche Gedanken werden klar vorgestellt und
ausgedrückt, und die Menschen fühlen sich frei, ihre Meinungen und Ansichten
offen, ehrlich und entschieden zu vertreten und zu verändern.
• Da Konflikte aufgegriffen werden, können unterschiedliche Meinungen bewusst
gegeneinander abgewogen und gemeinsame Lösungen wie auch tragfähige
Kompromisse gefunden werden.
9.2.
Systemische Interventionen in der
Konfliktbehandlung
9.2.1.
Neutralität - eine systemische Grundhaltung in
der Konfliktbearbeitung
• Konstruktneutralität: (Wirklichkeitsneutralität)
Bevorzugung bestimmter Wirklichkeitskonstruktionen (Unterscheidungen)
gegenüber anderen.
• Beziehungsneutralität: (Soziale Neutralität)
Bevorzugung der Beziehung zu bestimmten Personen gegenüber anderen.
• Veränderungsneutralität: (Problem-/Lösungsneutralität)
Bevorzugung von Veränderung oder Nichtveränderung; Erzeugung von
Stabilitäts- oder Veränderungsbeschreibungen
Kommentar:
„Neutralität“ beschreibt ein Konstrukt, welches in Co-Kreation zwischen Klien-
tInnen und TherapeutInnen/BeraterInnen (im Therapiesystem) erzeugt wird. Kon-
strukt-, Beziehungs- und Veränderungsneutralität beschreiben drei sich überlappen-
de Phänomenbereiche, die zumeist nicht eindeutig voneinander trennbar zu sein
scheinen. Das KlientInnensystem definiert einen möglichen „Neutralitätsverlust“
des/der TherapeutIn/BeraterIn und die Kriterien des Neutralitätsverlustes. Der/die
TherapeutIn hat die Möglichkeit, sich zu erkundigen, wie „seine/ihre Neutralität“ in
Bezug zur Person, dem Thema und den Konstrukten des Klientensystems verloren
gehen kann oder gegangen ist.
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„Neutralität“ wird immer neu im Kontext (z.B. „therapeutischer Kontext“) erfunden. Der
Verlust von „Neutralität“ wirkt sich direkt auf das therapeutische System aus und
kann zur Auflösung des „therapeutischen Systems“ führen.
Beispiele von Fragen zur Kontextklärung von „Neutralität“:
• Wer von Ihnen wird am ehesten merken, wenn ich mich auf die eine oder andere
Seite stelle und an welchem Verhalten meinerseits?
• Woran würde X erkennen, daß ich mich auf die Seite von Y gestellt habe, oder
dessen Anliegen mehr vertrete bzw. unterstütze?
(Konstruktneutralität/Beziehungsneutralität)
• Angenommen, ich werde mehr Fragen nach Zusammenhängen in der Vergan-
genheit stellen, was glauben Sie, wie wird sich dies auf die Erreichung Ihrer
Ziele auswirken?
• Gesetzt den Fall, ich werde mehr Fragen nach möglichen Veränderungen stellen
und vielleicht weniger auf mögliche ursächliche Verbindungen Ihrer Schwierig-
keiten eingehen, wie denken sie, wird sich dies möglicherweise auf die
Beziehungen in Ihrer Familie und zu mir auswirken? (Veränderungsneutra-
lität/Konstruktneutralität/Beziehungsneutralität)
• Woran werden Sie merken, dass Sie der Erreichung Ihrer Ziele näherkommen
und woran, dass Sie sich eher davon entfernen und wie müsste ich mich
verhalten, daß Sie sich eher von Ihrem Ziel entfernen oder diesem näher
kommen? (Konstruktneutralität/Veränderungsneutralität)
9.2.2.
Zirkuläres und reflexives Fragen -
eine Form systemischer Intervention
SystemberaterInnen verwenden für Aufklärung und Lösung von Konflikten u.a. häufig
das Verfahren des zirkulären und reflektiven Fragens als systemische Interventions-
form.
Zirkuläres Fragen ist eine Methode (Fragestrategie), die von VertreterInnen der
Mailänder Schule (Selvini Palazzoli u.a.) zur Exploration und zur Einleitung von
Veränderungen entwickelt wurde.
Es handelt sich dabei um Fragen, die Beziehungen, Bezüge und damit die
spezifischen Verknüpfungen von Verhaltensweisen, Interaktionen, Deutungen und
Reaktionen der Beteiligten sichtbar werden lassen. Mit ihrer Hilfe werden Symptome
oder Probleme nicht länger auf Eigenschaften einzelner Personen zurückgeführt,
sondern in Beziehungsbeschreibungen übertragen.
Damit wird dem Gruppenanliegen systemischen Beratens Rechnung getragen,
Probleme oder Symptome zirkulär und kontextbezogen zu beschreiben.
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Zirkuläres Befragen kann zur Aufklärung von Problem- und Konfliktursachen in
Systemen angewandt werden. Zirkuläres Befragen sucht Information über die von
den Systemmitgliedern erlebten Beziehungsunterschiede von und nach dem Aus-
bruch eines Problemes. Damit wird gleichzeitig ein Bogen vom „jetzt“ nach „damals“
(oder umgekehrt) geschlagen, der Verhalten und seine Auswirkungen deutlich
erkennbar werden lässt.
Zirkuläres Fragen dient somit primär analytischen, explorativen Zwecken.
Der Begriff „reflexive Fragen“ umschreibt dabei die Gruppe von Fragen, die auf
die Zukunft ausgerichtet sind. Diese implizieren die Möglichkeit von Wandel und
versuchen vorhandene Realitätskonstruktionen zu verflüssigen und neue Perspek-
tiven zu schaffen.
Reflexive Fragen sollen die beteiligten Systemmitglieder auf indirekte oder ganz
allgemeine Art und Weise beeinflussen. Sie beruhen auf zirkulären Annahmen über
die Art des Prozesses, der sich innerhalb des Systems vollzieht. Diese Fragen ha-
ben eine eher produktive (koevolutionäre) Wirkung auf das System. Reflexive Fra-
gen sind hypothetische Fragen zur Zukunft, die den Respekt vor der Autonomie der
Interviewten beinhalten. Diese Fragen sind darauf gerichtet, den Systemmitgliedern
Raum zu eröffnen, damit sie neue Wahrnehmungen, neue Perspektiven, neue Rich-
tungen und neue Möglichkeiten in Erwägung ziehen können.
In der weiteren Erläuterung fassen wir reflexive als auch zirkuläre Fragen unter dem
Begriff „Systemische Fragen“ zusammen.
Möglichkeiten, Hilfen durch Systemisches Fragen:
• Systemisches Fragen versucht die Zirkularität natürlicher Prozesse zu erfassen
und die Sprache, die von ihren Gesetzmäßigkeiten her zunächst linear operiert,
zu ergänzen.
• In der zirkulären Betrachtung eines Problems werden die aufeinander bezoge-
nen Verhaltensweisen der Beteiligten und damit ihre Mitverantwortung sichtbar.
• Systemisches Fragen lässt die Interpunktion sichtbar werden, die wir willkürlich
vorgenommen haben und unterstützt damit die Wahrnehmung verschiedener
Sichtweisen oder Landkarten, die dann nicht länger als die einzig richtige oder
wirkliche beschrieben werden können.
• Systemisches Fragen hat eine informationserzeugende Wirkung. Im Modell
selbstorganisierender Systeme ist Information überlebensnotwendig, um die
laufende Neugestaltung und Anpassung der Beziehungen zu ermöglichen. Alle
Mitglieder und der/die TherapeutIn sind an diesem Prozess beteiligt, der als
Koevolution beschrieben werden kann.
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