__________________________________________________
© Mag. Karl Wimmer
•
Konflikt & Kooperation
•
www.wimmer-partner.at
16
abheben von den Konflikten der ersten
Ordnung, die daraus resultieren, dass die
Leute von der Prämisse ausgehen, es
gäbe die eine richtige Beschreibung der
Realität. Denn wenn man von dieser
Vorannahme ausgeht, kommt man leicht in
Konflikt darüber, wer die Realität verwaltet
und wer den Zugang zu ihr hat. Wenn man
sagt, es gibt keinen privilegierten Zugang
zur Realität, sondern
wir müssen
versuchen, sie zu modellieren, dann kriegt
der Konflikt eine andere Bedeutung, er
wird nämlich Mittel zum Zweck.
Wenn Du den Begriff des Konfliktes eigentlich nicht verwenden willst,
sondern auf diese Ressourcenseite abstellt, wie beschreibst Du ihn dann?
Man
kann ihn als
ein
Spiel
beschreiben, das nach einer bestimmten
Abfolge miteinander gespielt wird. Wenn
man den Konflikt beispielsweise als
Sieger-Besiegten-Modell
sieht,
dann
passt das Spiel
als
Beschreibung
natürlich sehr gut. Ein Spiel, in dem
Eskalationen möglich sind, wo beide
Beteiligten von der Prämisse ausgehen,
dass sie gewinnen können. Wenn das
nicht der Fall ist, wird ein anderes Spiel
daraus. Wenn man beispielsweise davon
ausgeht, dass „Siege“ nie endgültig
sondern nur vorübergehend sind, so
werden
sich
andere
Lösungsideen
entwickeln.
Was sind - von Dir aus gesehen - förderliche Momente, um eine produktive
Nutzung dieser Ressource „Konflikt im Unternehmen“ zu gestalten?
Nicht nur im Unternehmen, sondern
generell, denke ich. Sobald die Idee, es
gäbe eine einzige, unteilbare Wahrheit,
weg ist, eröffnen sich ganz andere
Sichtweisen oder Optionen. Dann ist
dieses Entweder-Oder, diese Unter-
scheidung: ich oder du, weg. Wenn man
an dieser Stelle die Idee einführt, alle
Beteiligten haben recht und sind guten
Willens, dann hat man die Suche, wer das
Schwein ist und wer der Prinz, weg.
Sobald diese Idee aus dem Raum ist,
ändert sich alles. Man sucht dann nicht
nach der „richtigen“ Sicht oder Be-
schreibung der Realität, sondern nach
der „nützlichen“, die unter Berücksichti-
gung der widerstreitenden Interessen
die größten Chancen auf Durchsetzung
hat. Dann kann man die Konflikte wieder
auf der Sachebene behandeln.
Die
Beziehungsebene,
auf der
jemand disqualifiziert wird in seiner
Sichtweise, tritt nicht in den Vorder-
grund.
Ich würde gerne noch einmal zu dieser Ebene der Inszenierung von Konflikten
kommen. Hast Du da Ideen, Beispiele für diese Inszenierung von Konflikten in
Unternehmen, die Dir in den Sinn kommen. Verläufe, Abläufe.
Ich denke zum Beispiel, was wir ja in
erster Linie in der Beratung machen,
dass zirkuläre Interviews auch eine
Inszenierung von Konflikten sind. Wie
man
es
im
einzelnen macht, ist
wahrscheinlich relativ egal. Workshop-
Designs kann man ja gut so inszenieren.
Wichtig scheint mir generell zu sein, die
Idee einzuführen, dass es mehrere
legitime Sichtweisen gibt, das ist - glaube
ich - eher eine Frage der eigenen
Kreativität, wie man das erreichen kann.
Fällt Dir abschließend noch ein besonders wichtiger Punkt im Zusammen-
hang mit Konflikt ein?
Ich denke, wenn Du den Begriff nimmst,
entmystifizierst und sagst, welche Phäno-
mene eigentlich mit diesem Begriff be-
schrieben sind, dann kommst Du auf eine
Ebene, auf der es nicht so sensationell ist.
Ich denke, der Konflikt ist der Normal-
__________________________________________________
© Mag. Karl Wimmer
•
Konflikt & Kooperation
•
www.wimmer-partner.at
17
zustand, und die Frage ist eher, wie es
kommt, dass Leute keinen Konflikt haben
oder phantastisch übereinstimmen. Bei
äußerer Bedrohung kann so etwas sein, der
„Israel-Effekt“ etwa, oder alle schreien Hurra
wegen der Franzosen: Dann hast du wo-
möglich ganz wenig Konflikt, ganz viel Ko-
ordinierung von Mitteln. Alle meinen, sie
müssten einig sein, und das ist ein voll-
kommen pathologisches Maß an Konflikt-
losigkeit. Konflikt ist - denke ich - der Nor-
malzustand. Insofern brauchen wir keinen
Namen dafür.
Gäbe es keine Konflikte mehr, müssten wir uns ganz schnell zusammensetzen, um
sie zu schaffen. Nach dem jüngsten Gericht, habe ich gerüchteweise gehört, wird es
keine mehr geben. Zurzeit allerdings wären wir armselige, wenn überhaupt selige
Menschen, würden uns die Konflikte gestrichen werden. Nicht einmal auf der Stufe
ausrangierter Computer oder Maschinen würden wir uns bewegen, weil Konfliktlosig-
keit gleichzeitig trieblos, gefühllos, bewegungslos, unmenschlich, freudlos, wunschlos
und arglos bedeutet.
Das Arge des Konfliktes ist unvergleichbar mit der Arglist einer Welt ohne Konflikte.
Ohne Konflikte sind wir wahllos, verantwortungslos, und unser Leben wäre deter-
minisierend programmiert. An sich ist es genug, wenn unser Tod feststeht - die
Augenblicke mehr, die wir bewusst leben dürfen, sind nur mit Konflikten denkbar.
Leben und bewusste Entwicklung als einzigartige Menschen hängen von dem
wandelnden Gelingen, den Krisen und Konflikten mit uns, mit anderen und unserer
Umwelt ab.
Fassen wir die beinhalteten Aussagen über den Konflikt zusammen, dann heißt dies:
• Wir haben Konflikte und brauchen Konflikte.
• Konflikte tragen dominant und bestimmend zu unserer eigenständigen, persönlich-
en Entwicklung bei.
• Unsere Konfliktbewusstheit erlaubt uns freiheitlich, selbstverantwortlich und auto-
nom eigene Entscheidungen und Handlungen als einzigartige Wesen zu treffen.