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Der verantwortliche Konsument

 

 

Wie Verbraucher mehr Verantwortung für ihren Alltagskonsum übernehmen können 

 

 



Björn Ahaus 

Ludger Heidbrink 

Imke Schmidt 

 

 

Working Papers des CRR  

 

 

 



 

 

Nr. 10/2011  



ISSN 2190-5398 

 

www.responsibility-research.de  




 

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Der verantwortliche Konsument 

 

Wie Verbraucher mehr Verantwortung für ihren Alltagskonsum übernehmen können  

 

 

 

 

 

 

Björn Ahaus 

Ludger Heidbrink 

Imke Schmidt 

 

 

 



 

 

 



 

 

 



 

Nr. 10/2011 

ISSN 2190-5398 



 

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Der verantwortliche Konsument 

Wie Verbraucher mehr Verantwortung für ihren Alltagskonsum übernehmen können  

 

Björn Ahaus 

Prof. Dr. Ludger Heidbrink 

Imke Schmidt 

CRR (Center for Responsibility Research) 

Kulturwissenschaftliches Institut, Essen 

 

Diese Publikation geht auf das Forschungsprojekt „Konsumentenverantwortung - Neue Macht 



und Moral des Verbrauchers“ des Center for Responsibility Research (CRR) am Kulturwissen-

schaftlichen Institut Essen (KWI) zurück. 

Sie beschäftigt sich mit der Frage, welche Rolle Konsumenten angesichts der Risiken des Klima-

wandels, des ansteigenden Ressourcenverbrauchs und wachsender sozialer Ungleichheiten für eine 

nachhaltige  Entwicklung  spielen  können.  Obwohl  die  Einsicht  der  Verbraucher  in  die  negativen 

Auswirkungen  ihrer  Konsumgewohnheiten  zunimmt,  besteht  zwischen  dieser  Einsicht  und  ihrer 

tatsächlichen Umsetzung im Alltagshandeln weiterhin eine Kluft. Die Autoren dieses Papiers ana-

lysieren am Beispiel des Wechselverhaltens von Stromkunden die Ursachen für diese Diskrepanz 

und zeigen Strategien zur Förderung verantwortlichen Konsumentenverhaltens auf. Die These ist, 

dass  Verbraucher  mehr  Verantwortung  für  ihren  Konsum  übernehmen  können,  indem  sie  Strate-

gien  der  rationalen  Selbstbindung  entwickeln  und  stärkeren  Einfluss  auf  Handlungsoptionen  und 

Marktangebote ausüben. 

Das  Center  for  Responsibility  Research  (CRR)  befasst  sich  aus  interdisziplinärer  Sicht  mit 

Fragen  der  Verantwortung  in  der  gegenwärtigen  Gesellschaft. Aktuelle  Themen  wie  die  Zukunft 

der  Marktwirtschaft,  das  Verhältnis  von  Moral  und  Ökonomie,  die  Auswirkungen  des  Klima-

wandels  und  der  Wandel  liberaler  Gesellschaften  werden  mit  Blick  auf  notwendige  Verantwor-

tungsressourcen untersucht.  

 

Die Verantwortung der Konsumenten 

Der Klimawandel mit seinen riskanten Auswirkungen auf die Umwelt, sozial prekäre Verhältnisse 

in  Herstellungsländern  und  sich  verselbstständigende  Finanzmärkte  haben  zu  einer  Situation 

geführt,  in  der  marktwirtschaftliches  Handeln  zunehmend  moralisch  hinterfragt  wird.  Immer 

stärker  wird  ein  Umdenken  von  ökonomischen  Kalkülen  hin  zu  einem  sozial  verantwortlichen 

Wirtschaftsprozess gefordert. Vor diesem Hintergrund spielt die Frage nach der Verantwortung der 

Konsumenten  eine  immer  wichtigere  Rolle.  Das  Prinzip  der  Verantwortung  steht  in  den  wirt-

schaftsethischen Debatten der letzten Jahre im Vordergrund, weil es nicht nur darum geht, an das 

moralische Gewissen von Marktakteuren zu appellieren, sondern auch das Bewusstsein für komp-

lexe ökonomische Handlungszusammenhänge zu erzeugen. Verantwortung bedeutet nicht nur, die 

Ursachen von Fehlentwicklungen zu erkennen. Es bedeutet auch, dass Akteure die Verantwortung 



 

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für Konsequenzen ihres Handelns übernehmen und sich aktiv um die Beseitigung von Missständen 

kümmern. Angesichts der globalen Verflechtungen wirtschaftlicher Prozesse sind deshalb nicht nur 

Unternehmen  und  Politik,  sondern  auch  die  Verbraucher  stärker  aufgefordert,  sich  mit  ihren 

Verantwortungsaufgaben auseinanderzusetzen.  

 

 

 



 

 

  



Nicht  zuletzt  das  Wachstum  al-

ternativer  Märkte  zeigt,  dass  hier  in 

den  letzten  Jahren  einiges  passiert 

ist.  So  hat  der Absatz  fair  gehandel-

ter  Produkte  in  2009  trotz  der  Wirt-

schaftskrise  um  21  Prozent  zuge-

nommen  (Tagesspiegel  14.9.  2011).                  

 

 



 

 

 



 

 

 



 

 

 



 

 

    



     

Quelle: www.transfair.org 

 

 

 



 

           

Der  Zuwachs  von  Bio-Waren,  deren 

Marktanteil  bei  etwa  3,5  Prozent  liegt, 

stagnierte zwar in 2009 (BÖLW 2010).  

Dafür  hat  sich  das  Volumen  ethischer 

Fonds und Geldanlagen zwischen 2003 

und 2008 von 4 auf über 30 Milliarden 

Euro fast verachtfacht (FAZ 21.8.2008)

 

 



 

 

 



 

 

 



 

     


 

 

 



 

 

       



Quelle:http://www.oekolandbau.de 

 

 



 

 

          



Das  Marktpotential  der  so  genannten 

„LOHAS“,  womit  die  Konsumenten-

gruppe 

gemeint 


ist, 

die 


einen 

„Lifestyle  of  Health  and  Sustaina-

bility“ verfolgen, wird in Deutschland 

inzwischen  auf  fast  200  Milliarden 

Euro geschätzt. (Schulz 2008)

 

 



 

 

 



                          

 

 



 

 

  



 

 

 



 

 

 



 

 

 



          

Quelle: Nachhaltiges Investment (Socially Responsible Investment, SRI), www.imug.de 




 

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Was aber ist genau damit gemeint, wenn von der Verantwortung der Konsumenten die Rede 

ist?Legt man das eingangs genannte Verständnis von Verantwortung zugrunde, bedeutet dies, dass 

die Verbraucher ein Bewusstsein für die gesellschaftliche Relevanz ihrer Konsumhandlungen 

entwickeln und sich mit deren externen Wirkungen auseinandersetzen. 

 

Der verantwortliche Konsument hat, anders gesagt, nicht nur seine eigene Bedürfnisbefriedigung 



oder  sein  persönliches  Gewissen  im  Auge,  sondern  berücksichtigt  darüber  hinaus  die 

Konsequenzen  für  das  gesellschaftliche  Gemeinwohl  durch  sozial  und  ökologisch  verträgliche 

Konsumpraktiken, die dem Prinzip der Nachhaltigkeit folgen.  

 

Nachhaltiger Konsum  

Das Thema nachhaltiger und sozialverantwortlicher Konsum steht schon seit längerem im Zentrum 

politischer  und  zivilgesellschaftlicher Aktivitäten.  Wichtige Anstöße  hierzu  gaben  1992  die  UN-

Konferenz  von  Rio  des  Janeiro  mit  der  Agenda  21,  der  Roundtable  von  Oslo  1994  über 

„Sustainable  Consumption“  und  der  Weltgipfel  für  nachhaltige  Entwicklung  in  Johannesburg 

2002.   

Gegenwärtig  wird  das  Thema  auf  nationaler  und  internationaler  Ebene  vor  allem  von  drei 

Prozessen vorangetrieben: dem Marrakesch-Prozess der Vereinten Nationen, dem Aktionsplan zu 

nachhaltigem  Konsumieren  und  Produzieren  der  EU  und  dem  Dialogprozess  Konsum  in 

Deutschland.  Während  es  bei  dem  Marrakesch-Prozess  vor  allem  darum  geht,  die  Produktions- 

und Konsumgewohnheiten in den verschiedenen Erdregionen zu analysieren und durch UN-„Task 

Forces“ voran zu bringen, verfolgt die EU mit ihrem Aktionsplan das Ziel, mit Hilfe von marktba-

sierten Instrumenten wie Steuern, Öko-Labels oder Verbraucherinformation die Bürger zum nach-

haltigen  Konsum  zu  motivieren.  In  Deutschland  soll  der  vom  Bundesministerium  für  Umwelt 

(BMU)  und  dem  Umweltbundesamt  (UBA)  getragene  Dialogprozess  dafür  sorgen,  dass  die 

Öffentlichkeit durch Konferenzen, Fachdialoge und Initiativen besser über die Nachhaltigkeit von 

Produkten und Dienstleistungen aufgeklärt wird.  

 

Trotz dieser Entwicklungen stellt sich die Frage, ob die Übernahme moralischer und ökologischer 



Verantwortung  tatsächlich  der  treibende  Faktor  für  die  neuen  Formen  nachhaltigen  Konsums  ist. 

Handelt es sich wirklich um eine Änderung moralischer Einstellungen, oder dient der meist teurere 

nachhaltige  Konsumstil  in  gut  situierten  Kreisen  wie  denen  der  LOHAS  nicht  eher  als  soziales 

Distinktionsmerkmal,  so  wie  der  Soziologe  Thorstein  Veblen  schon  Ende  des  19.  Jahrhunderts 

vom „demonstrativen Konsum“ sprach?  

Ist der moralische Konsum womöglich nur ein  Modetrend, der selbst keine nachhaltige Wirkung 

besitzt? Sind die Verbraucher tatsächlich so verantwortungsbewusst, wie die genannten Marktver-

änderungen es nahelegen? 




 

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Kluft zwischen Wissen und Handeln 

Versteht  man  unter  verantwortlichem  Konsum  nicht  nur,  dass  man  sich  zu  einem  nachhaltigen 

Lebensstil  bekennt,  sondern  diesen  Lebensstil  auch  konsequent  umsetzt,  sieht  die  Diagnose  von 

der „Moralisierung der  Märkte“  (Nico Stehr), wie sie seit einiger  Zeit in der Soziologie und den 

Wirtschaftswissenschaften  diskutiert  wird,  etwas  anders  aus.  So  setzen  nach  einer  Studie  des 

Umweltbundesamtes von 2009 lediglich 10% der Konsumenten ihre ökologische Einstellung auch 

konsequent  in  die  Praxis  um.  Zwar  geben  über  40  Prozent  der  Konsumenten  beispielsweise  an, 

umweltverträgliche Waschmittel und Haushaltsreiniger zu kaufen, der Marktanteil dieser Produkte 

liegt aber nur bei etwa 5 Prozent; bei Bioprodukten liegt das Verhältnis bei etwa 20 zu 3 Prozent 

(FAZ 10.10.2009).  

Besonders  interessant  ist  hierbei  die  Kluft  zwischen  der  Selbsteinschätzung  und  dem  realen 

Konsumverhalten.  So  sind  nach  dem  jüngsten  Eurobarometer  von  2010  über  40  Prozent  der 

Deutschen  der  Ansicht,  besonders  viel  für  den  Klimaschutz  zu  tun  und  gehören  damit  zur 

europäischen  Spitzengruppe.  Beim  konkreten  Handeln  zählen  die  Deutschen  aber  nur  zum 

Mittelfeld. 41 Prozent sind der Ansicht, der Bürger tue schon genug gegen den Klimawandel. Auch 

beim letzten globalen Öko-Ranking der Zeitschrift National Geographic (2010) sind die Deutschen 

weit hinter Indien, Brasilien und China nur auf dem zwölften von siebzehn Plätzen gelandet, da sie 

im Alltagskonsum (z.B. durch den Verbrauch auswärtigen Mineralwassers) an alten Gewohnheiten 

festhalten  und  trotz  gegenteiliger  Bekundungen  nur  eine  geringe  ökologische  Lernwilligkeit 

zeigen.  



Greendex 2010 

Der Greendex 2010 zeigt die Ergebnisse einer weltweit vergleichenden Studie zur Nachhaltigkeit 

von Konsummustern. Je höher der Wert auf der Skala zwischen 1 und 100, desto 

umweltverträglicher ist im Durchschnitt das Konsumverhalten eines Bürgers. 

 

 

 



 

 

 



 

 

 



 

Quelle: Greendex 2010 (National Geographic und GlobeScan), 

http://images.nationalgeographic.com/wpf/media-live/file/GS_NGS_Full_Report_June10-

cb1275498709.pdf. 




 

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Die  Situation  ist  also  alles  andere  als  eindeutig.  Dem  Trend  zum  Konsum  von  nachhaltigen 

Produkten  und  der  Berücksichtigung  sozialer  Standards  steht  eine  zwar  kontinuierlich,  aber  nur 

langsam  wachsende  Bereitschaft  der  Verbraucher  gegenüber,  ihren  Lebensstil  tatsächlich  an 

Kriterien  der  Nachhaltigkeit  und  Fairness  auszurichten.  Obwohl  die  meisten  Verbraucher  grund-

sätzlich wissen, dass ihr Konsumverhalten Auswirkungen auf Umwelt, Ressourcennutzung und so-

ziale Herstellungsbedingungen hat, klafft in der Alltagspraxis weiterhin eine Lücke zwischen Wis-

sen und Handeln.  

Grenzen verantwortlichen Konsums. Worin bestehen die Hinderungsgründe?  

Worin  liegen  die  Gründe  für  dieses  widersprüchliche  Verhalten  der  Konsumenten?  Neben  den 

bekannten  Ursachen,  dass  es  beim  Einkaufen  häufig  an  Zeit  fehlt  oder  Verbraucher  sich  aus 

schlichter  Bequemlichkeit und Gewohnheit  für das nächstbeste Angebot  entscheiden, sind  es vor 

allem sechs Faktoren, die in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle spielen: unklare Informa-

tionen,  kontraproduktive  Verhaltenseffekte,  hohe  Preise,  mangelnde  Transparenz,  Wachstums-

orientierung und fehlende Handlungsalternativen.  

Unklare Informationen  

Viele  Verbraucher  fühlen  sich  durch  die  Flut  an  Kennzeichnungen  und  Labels  für  nachhaltige 

Produkte  überlastet  und  finden  sich  im  Dschungel  von  gegenwärtig  über  zwanzig  Siegeln  für 

umweltfreundliche  und  biologische  Waren  nicht  zurecht:  Je  größer  die  Auswahl  an  bestimmten 

Konsumangeboten ist, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass am Ende keine oder eine rein 

willkürliche  Entscheidung  getroffen  wird.  Zu  viele  und  zu  unklare  Informationen  verwirren  den 

Verbraucher, anstatt ihm hilfreiche Kaufkriterien an die Hand zu geben. 

Auch  Unklarheiten,  die  paradoxerweise  aus  der  wachsenden  Informiertheit  der  Verbraucher 

resultieren,  bilden  wesentliche  Hinderungsgründe.  So  herrschen  gerade  unter  kritischen 

Konsumenten große Unsicherheiten, welcher Anteil an Erlösen aus Fairtrade-Produkten tatsächlich 

den  Erzeugern  zukommt,  ob  es  etwa  besser  ist,  über  den  Winter  eingelagerte  Äpfel  aus  dem  ei-

genen Umland oder frische Äpfel aus entfernten Regionen zu kaufen, und welche wirtschaftlichen 

Folgen es für Entwicklungsländer hat, wenn die Touristen aus Umweltgründen zu Hause bleiben. 

Diese „Trade-Offs“ sorgen für eine Zurückhaltung bei Kaufentscheidungen, die mit der Einsicht in 

die globalen Verkettungen von Herstellung, Verteilung und Verkauf nachhaltiger Güter zunimmt. 

Kontraproduktive Verhaltenseffekte 

Darüber hinaus lässt sich im Alltagskonsum immer wieder das Phänomen beobachten, dass nach-

haltige Konsumentscheidungen durch gegenläufige Folgehandlungen konterkariert werden. Es gibt 

in  der  Praxis  zahlreiche  Beispiele  für  diese  so  genannten  „Rebound-Effekte“:  Der  ökobewusste 

Käufer legt sich einen verbrauchsarmen Kleinwagen zu, um dann weitaus häufiger als früher mit 

ihm  zu  fahren.  Beim  Fliegen  sorgen  CO

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-Abgaben  für  ein  gutes  Gewissen  –  mit  dem  Resultat, 



dass die Passagiere beim nächsten Mal umso unbeschwerter in ihr Flugzeug steigen. Untersuchun-

gen  haben  gezeigt,  dass  nach  dem Austausch  von  Nachtspeicherheizungen  der  Energieverbrauch 

sehr häufig ansteigt, da die Bewohner im Vertrauen auf die sparsamere Technik umso mehr heizen. 



 

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Hohe Preise  

Nachhaltige  Güter  sind  immer  noch  überdurchschnittlich  teuer.  Für  zahlreiche  Verbraucher 

bedeuten die relativ hohen Preise ökologischer und fair hergestellter Produkte eine Belastung, da 

sie  notgedrungen  auf  andere  Waren  und  Güter  verzichten  müssen.  Die  Ursache  dafür,  dass 

nachhaltige  Produkte  teurer  als  konventionelle  sind,  liegt  vor  allem  darin,  dass  sich  ökologische 

und  soziale  Kosten  konventioneller  Produkte  nicht  im  Preis  niederschlagen,  also  externalisiert 

werden.  Billigflieger  sind  unter  anderem  deshalb  so  günstig,  weil  die  Emissionen  von 

klimaschädlichen  Treibhausgasen  nicht  eingerechnet  werden  und  Kerosin  einem  günstigen 

Steuersatz  unterliegt.  Auch  Fleisch  aus  Massentierhaltung  wird  zu  niedrigen  Preisen  gehandelt, 

weil  die  externen  Kosten  nicht  artgerechter Tierhaltung,  gesundheitliche  Risiken  und  Umweltbe-

lastungen  nicht  berücksichtigt  werden.  Besonders  im  landwirtschaftlichen  Bereich  werden  die 

Preise zusätzlich durch die Subventionierung industrieller Methoden verzerrt. Dadurch erscheinen 

nachhaltige Produkte für den Verbraucher als unverhältnismäßig teuer.  

Mangelnde Transparenz 

Ein  weiterer  Hinderungsgrund  liegt  in  dem  Fehlen  von  Transparenz  und  Vertrauen  zwischen 

Produzenten und Konsumenten. Marketing und Werbung von Unternehmen sind häufig durch eine 

Irreführung der Konsumenten gekennzeichnet. Die Beispiele reichen von praxisfernen Verbrauchs-

angaben bei Autos bis hin zu Naturkosmetik, deren einziger natürlicher Bestandteil eine Duftnote 

ist. Solche und ähnliche Vorgänge, die in der Regel erst durch die Untersuchungen von Experten 

oder  Nichtregierungsorganisationen  bekannt  werden,  zeigen,  dass  die  nachhaltige  Qualität  von 

Produkten eine Vertrauenseigenschaft ist, die vom Käufer selber selten überprüft werden kann. Bei 

Verbrauchern  hat  sich  durch  Skandale  und  Irreführungen  eine  erhebliche  Skepsis  gegenüber  den 

Aussagen von Unternehmen entwickelt. 



Wachstumsorientierung  

Ein  weiterer  wichtiger  Verhinderungsfaktor  resultiert  aus  dem  Umstand,  dass  verantwortlicher 

Konsum  bislang  vorrangig  mit  negativen  Attributen  behaftet  ist.  In  einer  Kultur,  die  auf  dem 

Wachstumsprinzip beruht, bedeutet die Einschränkung der gewohnten Konsumweisen den Verzicht 

auf das gewohnte Streben nach „mehr“: ein größeres Haus, Kirschen essen im Winter und Ski fah-

ren im Sommer. Nach wie vor gilt v.a. das Vorhandensein von (möglichst vielen) Konsumoptionen 

als Anzeige  für Wohlstand  und  Fortschritt. Verbraucher  sind  in  dieser  Kultur  nur  begrenzt  in  der 

Lage, ihre Konsumansprüche zurückzuschrauben. Die Abkehr vom erreichten Anspruchsniveau – 

etwa  durch  weniger  Luxusgüter,  Urlaub  im  eigenen  Land  oder  ein  leistungsschwächeres Auto  – 

wird  als  Einbuße  an  Lebensqualität  wahrgenommen.  So  lange  die  Erfahrung  des  Verzichts  im 

Vordergrund  steht,  wird  sich  eine  nachhaltige  Veränderung  des  Konsumentenverhaltens  nur 

zögerlich durchsetzen.  




 

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Fehlende Handlungsalternativen 

Schließlich  kommt  der  verantwortliche  Konsum  aber  auch  darum  nicht  zustande,  weil  zu  wenig 

(nachhaltigen) Handlungsalternativen existieren. Exemplarisch hierfür ist der Bereich der Mobili-

tät,  bei  dem  erhebliche  Defizite  im  Nahverkehr  bestehen.  So  entsprechen  Liniennetze  und  Fahr-

pläne  nicht  den  Mobilitätsbedürfnissen  vieler  Verkehrsteilnehmer,  einige  ländliche  Gebiete  sind 

erst gar nicht an das Verkehrsnetz angebunden. Zahlreiche Menschen sind weiterhin auf das Auto 

angewiesen und können nur ausweichen, wenn sie bereit sind, erheblich verlängerte Fahrzeiten auf 

sich zu nehmen. Noch schwieriger gestaltet sich die Wahl emissionsarmer Fahrzeuge. Die Technik 

und  Nutzung  von  Elektroautos  ist  längst  noch  nicht  so  weit  ausgereift,  dass  sie  eine  echte 

Alternative  bieten,  zudem  ist  die  Umweltbilanz  nicht  unbedingt  besser  als  bei  konventionellen 

Fahrzeugen, solange der eingespeiste Strom aus herkömmlichen Kraftwerken stammt.  

 

Zentrale Hinderungsgründe für verantwortliches Konsumentenverhalten:  

•  Unklare Informationen über Qualität und Eigenschaften von Produkten. 

•  Kontraproduktive Verhaltenseffekte bei der Nutzung nachhaltiger Produkte. 

•  Ein Preissystem, das die „wahren“ Kosten von Produkten nicht widerspiegelt. 

•  Mangelnde Transparenz hinsichtlich der Herstellungsbedingungen von Produkten. 

•  Wachstumsorientierung  und  steigendes  Anspruchsniveau  hinsichtlich  des  materiellen 

Lebensstandards. 

•  Fehlende Handlungsalternativen für nachhaltige Konsumpraktiken.  

 

Wie lassen sich Hürden im Alltagskonsum überwinden? Das Beispiel des Wechselverhaltens 



am regenerativen Strommarkt 

Am Beispiel des regenerativen Strommarkts lässt sich deutlich machen, worin die Hürden für die 

Änderung  von  Konsumgewohnheiten  liegen  und  worin  Ansatzpunkte  für  eine  Stärkung  der 

Rahmenbedingungen für mehr Konsumentenverantwortung liegen.  

Seitdem  die  Verbraucher  1998  mit  der  Liberalisierung  des  Strommarktes  in  die  Lage  versetzt 

wurden, den Stromanbieter zu wechseln, haben etwa 20 Prozent der Verbraucher von dieser Mög-

lichkeit  Gebrauch  gemacht.  Der  Marktanteil  der  Ökostromanbieter  lag  laut  einer  Untersuchung 

von  TNS  Infratest  Mitte  2009  bei  ca.  4  Prozent.  Insgesamt  ist  der Anteil  der  Wechsler  zu  Öko-

stromprodukten  an  den  Gesamt-Wechslern  zwischen  2007  und  2009  von  2  auf  13  Prozent 

gestiegen,  damit  ist  Ökostrom  trotz  geringen  Marktanteils  relativ  gesehen  das  Stromsegment  mit 

den höchsten Zuwachsraten, bleibt aber bislang ein Nischenprodukt. 



 

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Bei  der  Befragung  von  TNS  Infratest  gaben  63  Prozent  der  Verbraucher  an,  aus  finanziellen 

Motiven gewechselt zu haben; bei 13 Prozent der Befragten war das Motiv der Wunsch, Ökostrom 

zu beziehen; 11 Prozent gaben an, aufgrund eines Umzuges gewechselt zu haben. Bei der Befra-

gung gab ein Großteil der Befragten (92 Prozent) an, grundsätzlich Strom beziehen zu wollen, der 

die  Umwelt  schont.  Es  zeigt  sich  also  auch  hier  ein  Widerspruch  zwischen  grundsätzlichen 

Umwelteinstellungen  und  konkretem  Konsumentenverhalten.  Preise  scheinen  zudem  wirk-

mächtiger als Umwelteinstellungen zu sein. 

Wenn Verbraucher zu Ökostrom wechseln möchten, können sie aus über 900 Produkten auswählen 

und stehen damit vor der Qual der Wahl. Dabei sehen sie sich auch mit der Tatsache konfrontiert, 

dass es keine klaren  Kriterien dafür  gibt, was  echten Ökostrom ausmacht, und kein  einheitliches 

Siegel existiert, welches echten Ökostrom kennzeichnet. Dies erleichtert die Verbrauchertäuschung 

seitens  der Anbieter,  was  ein  wichtiges  Hemmnis  für  eine  stärkere  Wechselbereitschaft  darstellt. 

Denn Verbraucher können nicht ausschließen, im Falle eines Wechsels mehr Geld für ein Strom-

produkt mit fragwürdigem Umweltnutzen zu zahlen. Echter Ökostrom zeichnet sich insbesondere 

dadurch  aus,  dass  der  Anbieter  kontinuierlich  in  den  Ausbau  erneuerbarer  Stromerzeugungs-

kapazitäten  investiert  und  keinen  Strom  aus  schon  länger  bestehenden Anlagen  vermarktet.  Erst 

durch  Investitionen  in  neue  Anlagen  ergeben  sich  langfristige  Umwelteffekte,  die  Ökostrom  zu 

einem positiven Kollektivgut machen.  

Strom besitzt einige besondere Eigenschaften. Zunächst ist er nur begrenzt sinnlich wahrnehmbar: 

man  kann  ihn  weder  sehen  noch  fühlen,  was  zu  seiner  Abstraktheit  beiträgt.  Durch  die  physika-

lischen  Eigenheiten  des  Stromes  lässt  sich  ein  Endverbraucher  zudem  nicht  einem  bestimmten 

Stromerzeuger  zuordnen,  was  auch  als  Nicht-Identität  bezeichnet  wird.  Der  Kunde  kann  nicht 

direkt  erkennen,  ob  der  Stromanbieter  tatsächlich  echten  Ökostrom  ins  Netz  eingespeist  hat  –  er 

muss es dem Anbieter glauben. Aus diesem Grund handelt es sich bei Ökostrom um ein typisches 



Vertrauensgut. Dies bedeutet, dass der Verbraucher auf glaubwürdige Angaben des Anbieters und 

Produkttransparenz angewiesen ist.  

Zudem bringt Ökostrom keinen zusätzlichen Qualitätsunterschied wie etwa geringere Schadstoff-

belastung  bei  Biolebensmitteln  im  Vergleich  zu  konventionellen  Erzeugnissen  mit  sich.  Er-

schwerend kommt hinzu, dass Strom zwar allgegenwärtig ist, wir uns dessen im Alltag aber nicht 

bewusst sind. Der Fernseher wird eingeschaltet, egal, welche Stromkosten er verursacht. Zwischen 

Nutzung und Bezahlung liegt in der Regel eine große Zeitspanne, was den Stromkonsum zu einem 

Gewohnheitskauf macht.  

Diese  Gründe  tragen  dazu  bei,  dass  Strom  kaum  distinktionsfähig  ist  und  auch  als  Low 



Involvement-Produkt  bezeichnet  wird.  In  der  Umfrage  von  TNS  Infratest  äußerte  fast  die  Hälfte 

der  Befragten, ihr sei  es egal, bei welchem Stromanbieter sie Kunde sei. Gleichzeitig  empfinden 

viele  Verbraucher  eine  Abhängigkeit  vom  Strom,  woraus  das  Bedürfnis  nach  Versorgungs-

sicherheit  resultiert  und  der  Wechsel  zu  einem  anderen Anbieter  als  potentielles  Risiko  wahrge-

nommen wird.  

 



 

11

 



Überwindung von Hürden 

Wie lassen sich solche Hürden im Alltagskonsum abbauen? Zunächst lässt sich relativ einfach eine 

Verbesserung  der  individuellen  Aufmerksamkeit  für  den  Stromverbrauch  durch  häufigere  Ver-

brauchsrückmeldungen  erreichen.  Ein  Mittel  hierfür  ist  die  Umstellung  auf  eine  monatliche Ab-

rechnung  des  Stromverbrauchs,  wie  man  es  von  der  Telefonrechnung  kennt,  statt  der  bisherigen 

Praxis, bei der nur einmal im Jahr abgerechnet wird und dann Pauschalen festgelegt werden. Die 

Stromrechnung  ist  bei  vielen  Menschen  der  einzige  Moment  bewusster Auseinandersetzung  mit 

dem  eigenen  Verbrauch.  Häufigere Abrechnungen  bedeuten  ein  häufigeres  Feedback  und  sorgen 

damit für eine potenziell höhere Bereitschaft, sich mit dem Wechsel zu einem Ökostrom-Anbieter 

zu befassen. Zudem bieten technische  Innovationen wie intelligente Stromzähler – die sogenann-

ten Smart Meter – oder internetbasierte Anwendungen die Möglichkeit, mehr Rückmeldungen be-

züglich  des  Stromverbrauchs  zu  geben.  Außerdem  haben  Konsumenten  schon  heute  die  Mög-

lichkeit, sich mit Internetanwendungen wie dem Energiesparkonto einen genauen Überblick über 

ihr Energienutzungsverhalten zu verschaffen.  

Umfragen  haben  gezeigt,  dass  Ökostromkunden  ein  höheres  Involvement  aufweisen  –  sich  also 

stärker  mit  dem  Stromprodukt  identifizieren  und  sich  bewusster  mit  dem  eigenen  Energie-

verbrauch auseinandersetzen. Der persönliche Beitrag des Ökostromkunden zum Klimaschutz und 

zum  Ausbau  der  erneuerbaren  Energien  kann  vor  diesem  Hintergrund  durch  zielgruppen-

orientiertes Marketing kommuniziert und unterstützt werden. Zudem können Stromkunden selber 

zu Stromproduzenten werden, indem sie z.B. eine Photovoltaikanlage installieren. Durch die akti-

ve Teilhabe  an  der    Energieerzeugung  wird  der  Glaube  an  die  eigene  Selbstwirksamkeit  bei  den 

Konsumenten gestärkt.  

Darüber hinaus sind insbesondere Maßnahmen hilfreich, die eine transparentere Produktgestaltung 

fördern.  Hierzu  zählen  vergleichbare  Serviceinformationen  und  einfache,  aber  aussagekräftige 

Kennzeichnungen,  die  es  den  Verbrauchern  erleichtern,  Qualitätsdifferenzen  zwischen Anbietern 

auszumachen und seriöse Angebote von Greenwashing-Produkten zu unterscheiden  



Greenwashing 

Das  Oxford  Dictionary  definiert  Greenwashing  als  „Desinformation,  verbreitet  von  einer 

Organisation  um  ein  Image  ökologischer  Verantwortung  zu  erzeugen“.  Greenwashing  kann  der 

Verschleierung  einer  umstrittenen  Geschäftspraktik  bzw.  der  Schaffung  von Akzeptanz  für  diese 

dienen. Dasd Ziel kann auch darin bestehen, eigenverantwortliches Handeln des Unternehmens zu 

suggerieren um Politik von gesetzlicher Regulierung abzuhalten. Bezogen auf den Endverbraucher 

dient Greenwashing insbesondere dem Ziel, den wachsenden Zweifeln von Verbrauchern entgegen 

zu treten und den Eindruck verantwortlichen Unternehmenshandlens zu vermitteln. In nicht (nur) 

auf ökologische Auswirkungen des Handelns einer Organisation bezogenen Kontexten wird auch 

von Bluewashing oder Schönfärberei gesprochen. So z.B. wenn versucht wird, menschenunwürdi-

ge Bedingungen in der Textilproduktion in Billiglohnländern zu verschleiern. 

Hier  könnte  z.B.  ein  Ökostromlabel  des  Blauen  Engel  hilfreich sein, wie es zurzeit im Gespräch 

ist. Wichtig ist in diesem Zusammenhang eine detaillierte Bilanz des Versorgers über die Umwelt-



 

12

 



qualität der Stromerzeugung und den ökologischen Fördereffekt des Produktes. Letztlich stellt die 

Nichteinpreisung  externer  Kosten  der  konventionellen  Stromproduktion  -  wie  Klimaschäden  bei 

der  Kohleverstromung  und  Atommüllentsorgung  bei  der  Atomkraftnutzung  -  eine  indirekte 

Subventionierung nicht-nachhaltiger Energieerzeugung dar. Wird dieses Problem vom Gesetzgeber 

angegangen, wird die Konkurrenzfähigkeit von Ökostrom deutlich gestärkt. Schon heute existieren 

aber viele Ökostrom-Angebote am Markt, die günstiger sind als die Angebote der konventionellen 

Anbieter.  

Unterstützung der Konsumentenverantwortung am Strommarkt

- Förderung der bewussten Auseinandersetzung mit dem individuellen Stromverbrauch 

-  Häufigere  Rückmeldungen  durch  Energieverbrauchskontrollen  als  Anreiz  zur  Senkung  des 

Stromverbrauches und zum Wechsel des Anbieters  

- Stärkung der Identifikation mit dem Stromprodukt durch zielgruppenorientiertes Marketing 

- Bewusstsein der Selbstwirksamkeit durch Teilhabe an der Energieerzeugung 

- Verbesserung der Transparenz und Vergleichbarkeit von Stromprodukten 

Wie Konsumenten mehr Verantwortung für ihren Alltagskonsum übernehmen können 

Der  vorangegangene  Abschnitt  hat  deutlich  gemacht,  dass  Stromkunden  vor  allem  dann  eine 

höhere  Wechselbereitschaft  zu  einem  Anbieter  von  Ökostrom  entwickeln,  wenn  sie  mit  den 

Konsequenzen  ihres  Stromverbrauchs  konfrontiert  werden  und  aktiv  auf  ihre  Energieversorgung 

Einfluss nehmen können. Um die Verantwortung für den Alltagskonsum zu fördern, kommt es da-

rauf an, das Bewusstsein der Verbraucher für ihre Handlungswirksamkeit zu stärken und ihre vor-

handene Bereitschaft zu nachhaltigen Verhaltensänderungen zu unterstützen. Dies kann insbeson-

dere auf vier Wegen geschehen: Durch die Nutzung vorhandener Potentiale beim Alltagskonsum

durch Strategien der rationalen Selbstbindung, durch die organisierte Einflussnahme auf politische 

Rahmenregeln und durch die aktive Mitgestaltung der Angebotsstruktur. 



Nutzung vorhandener Potentiale beim Alltagskonsum 

In  einer  kürzlich  erschienenen  Studie  wurde  nachgewiesen,  dass  im  Bereich  des  Klimaschutzes 

durch  das  Ausschöpfen  bestehender  Verhaltenspotentiale  ca.  acht  Prozent  der  gesamtdeutschen 

Treibhausgasemissionen  bis 2020 eingespart werden können (Meyer 2010). Angesichts des deut-

schen Reduktionszieles von 40 Prozent bis 2020 (gegenüber 1990) ist das bereits ein erheblicher 

Beitrag.  

Bereits  vorhandene  Handlungspotentiale  sollten  gerade  dort  besser  genutzt  werden,  wo  bisher 

nachhaltige  Alternativen  nicht  ausreichend  vorhanden  sind.  So  ist  es  zwar  richtig,  dass 

Elektromotoren  die  herkömmlichen  Verbrennungsmotoren  noch  nicht  ersetzen  können  und  dass 

die Malediven sich nur mit dem Flieger erreichen lassen. Auch Bio-Produkte werden nicht in je-

dem Supermarkt angeboten. Es bestehen jedoch etliche weitere Möglichkeiten, seine Konsumge-

wohnheiten  umzustellen,  ohne  dass  darunter  die  Lebensqualität  leiden  muss:  Kürzere  Fahrten 




 

13

 



lassen  sich  gerade  in  Ballungsräumen  besser  mit  dem  Fahrrad  oder  zu  Fuß  zurücklegen  als  mit 

dem Auto.  Es  ist  nicht  notwendig,  nach  Paris  zu  fliegen,  da  diese  Strecke  bequem  mit  dem  Zug 

bewältigt  werden  kann.  Der  Kauf  von  regionalem  oder  saisonalem  Gemüse  und  Obst  ist  unab-

hängig vom jeweiligen Bio-Angebot des Supermarktes möglich. Das Argument, nicht zu handeln, 

da Handlungsalternativen fehlen, steht hier im krassen Kontrast zu der Fülle nicht genutzter, aber 

vorhandener Optionen.  



Strategien der rationalen Selbstbindung 

In  ihrem  2007  erschienenen  Buch  „Nudge“  stellen  Richard  H.  Thaler  und  Cass  R.  Sunstein 

Möglichkeiten  der  rationalen  Selbstbindung  vor,  durch  die  Menschen  aus  eigener  Initiative 

Strukturen  schaffen,  die  für  die Verfolgung  ihrer  langfristigen  Ziele  förderlich  sind.  Bankkunden 

legen zum Beispiel vertraglich geregelte Bausparkonten an, um nicht der Versuchung zu erliegen, 

das  Geld  direkt  auszugeben.  Ähnliches  wäre  auch  im  Bereich  des  Konsums  denkbar.  Zeit-

schaltuhren an Elektrogeräten können etwa helfen, das Ausschalten des Stand-by-Modus nicht zu 

vergessen.  Hierzu  gehört  auch  die  im  vorigen  Kapitel  vorgeschlagene  monatliche  Stromab-

rechnung. Sie kann aktiv eingefordert werden, um den eigenen Stromverbrauch im Auge zu haben 

und so Feedback-Schleifen zu erzeugen, die zu Verhaltensänderungen führen. Der Grundgedanke 

dieser Vorschläge ist es, die Wahrscheinlichkeit von Fehlern und Schwächen in spezifischen Ent-

scheidungssituationen bewusst einzuplanen und sich durch selbst erzeugte Signale und Anreize zu 

erwünschten  Handlungskorrekturen  zu  motivieren.  Da  Menschen  nicht  fehlerfrei  sind  und  nicht 

immer  rational  handeln,  bieten  sich  langfristig  Vorteile,  wenn  Ziele  durch  selbstbindende 

Strategien verfolgt werden.  

Organisierte Einflussnahme auf politische Rahmenregelungen 

Erwünschte  Handlungsziele  lassen  sich  nicht  nur  durch  die  Änderung  alltäglicher  Konsum-

praktiken  erreichen,  sondern  auch  durch  die  aktive  Einflussnahme  auf  politische  Rahmenregeln 

und  die  Partizipation  an  öffentlichen  Entscheidungsprozessen.  So  können  Konsumenten  über  die 

Teilnahme an Wahlen ihre politischen Präferenzen zum Ausdruck bringen und über ihre Kaufkraft 

die  Geschäftsstrategie  von  Unternehmen  beeinflussen.  Der  nachhaltige  Umbau  der  Industriege-

sellschaft  macht  es  erforderlich,  dass  Verbraucher  sich  besser  organisieren  -  eine  Praxis,  die  in 

Deutschland anders als in Ländern wie den USA bisher nur in Ansätzen verfolgt wird. Der Bürger-

protest  gegen  das  Verkehrsprojekt  „Stuttgart  21“  hat  gezeigt,  dass  sich  quer  durch  die  sozialen 

Schichten  öffentliche  Willensbekundungen  mobilisieren  lassen.  Durch  bürgergesellschaftliche 

Formen der Selbstorganisation können Hinweise auf mangelnde Handlungsalternativen öffentlich 

wirksam  vorgebracht  und  Lösungen  besser  durchgesetzt  werden,  die  den  eigenen  Vorstellungen 

entsprechen  oder  Strategien  der  rationalen  Selbstbindung  unterstützen.  So  könnten  Verbraucher-

gruppen  sich  etwa  politisch  dafür  einsetzen,  ein  individuelles,  jährliches  CO

2

-Limit  festzulegen 



und das Budget wie bei Emissionszertifikaten öffentlich zu handeln. Der Grundgedanke ist hierbei, 

dass  diejenigen,  die  weniger  Emissionen  verursachen,  ihren  Überschuss  an  diejenigen  verkaufen 

können, deren Lebensstil emissionsintensiver ist. Durch einen Zuwachs an politischer Partizipation 

und  marktlicher  Teilhabe  lassen  sich  das  Bewusstsein  der  Selbstwirksamkeit  und  damit  die 

Bereitschaft zur Übernahme von mehr Eigenverantwortung für den Alltagskonsum stärken.  



 

14

 



Aktive Mitgestaltung der Angebotsstruktur 

Und nicht zuletzt können sich Konsumenten auch direkt an der Schaffung neuer Markt- und An-

gebotsstrukturen  beteiligen.  Ein  erfolgreiches  Beispiel  hierfür  sind  die  Schönauer  Stromrebellen, 

die in Folge der Tschernobyl-Katastrophe keinen Atomstrom mehr beziehen wollten. Da sich der 

lokale Stromversorger nicht bereit zeigte, auf regenerative Stromquellen umzusteigen, kauften die 

Bürger  1997  das  Stromnetz  der  Stadt  auf  und  gründeten  die  Elektrizitätswerke  Schönau  (EWS). 

Die Schönauer  Bürger haben damit aus  eigener  Motivation heraus ihre  Konsumentenrolle in den 

Bereich der Produktion – als sogenannte „Prosumenten“ – ausgedehnt und ein außerordentlich er-

folgreiches  Geschäftsmodell  geschaffen:  Die  EWS  sind  mittlerweile  einer  der  führenden 

Ökostrom-Anbieter in Deutschland. Dieser Fall steht exemplarisch dafür, dass die Rolle von Kon-

sumenten  nicht  auf  die  passive Abnahme  eines  bestehenden  Produkts  festgeschrieben  sein  muss, 

sondern dass es für die Verbraucher zahlreiche Möglichkeiten gibt, Marktangebote aktiv zu beein-

flussen. 

 

Schluss 

Die vorangegangenen Beispiele sollten deutlich machen, dass ungeachtet bestehender Hürden die 

Konsumenten  sehr  wohl  in  der  Lage  sind,  ihre  Verbrauchsgewohnheiten  zu  ändern  und  mehr 

Eigenverantwortung  für  ihren Alltagskonsum  zu  übernehmen.  Dazu  sind  vor  allem  Maßnahmen 

erforderlich,  die  bestehende  Handlungspotentiale  verstärken  und  Verhaltensänderungen  er-

leichtern.  Durch  intelligente  Anreize  und  Mechanismen  der  Selbstbindung  können  sich  Konsu-

menten  selbst  in  die  Lage  versetzen,  umwelt-  und  sozialverträgliche  Konsumpraktiken  zu  reali-

sieren.  Darüber  hinaus  bilden  politische  Partizipation  und  die  aktive  Mitgestaltung  von  Markt-

prozessen wichtige Wege, um das Bewusstsein der Selbstwirksamkeit zu stärken und damit die Be-

reitschaft zum nachhaltigen Konsum zu erhöhen.  

 

Fazit 

Verbraucher können mehr Verantwortung übernehmen, indem sie.... 

vorhandene Nachhaltigkeitspotentiale besser nutzen 



Strategien  der  Selbstbindung  entwickeln,  mit  denen  nachhaltige  Konsumpraktiken 

erleichtert werden 

ihre Interessen öffentlich vertreten und politischen Einfluss nehmen 



nachhaltige Marktangebote mitgestalten. 




 

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BÖLW 2010. 




 

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IMPRESSUM 

 

 



Erscheinungsort: 

Essen  


 

 

Herausgeber:   



Prof. Dr. Ludger Heidbrink   

 

  



 

Prof. Dr. Dr. Peter F. Seele  

 

 

Postanschrift:   



CRR (Center for Responsibility Research)  

Kulturwissenschaftliches Institut, Essen  

Goethestrasse 31 

45128 Essen 

Telefon: + 49 (0)201/72 04-216 

Fax: + 49 (0)201/72 04-111 

 

Homepage:    



www.responsibility-research.de 

 

ISSN:   



 

2190-5398 



 

 

 



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