Mitteleuropa zwischen Ost und West Kosmische und menschliche Geschichte Sechster Band



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soren, die nach ihrer Aussage voraussetzungslose Wissenschaft treiben. Sie kennen die Voraussetzungen aber nicht, nämlich die Beschlüsse des Konzils von 869. Daß sie gar nicht ahnen, wovon sie eigentlich abhängig sind, ist der Grund, warum sie sich voraussetzungslos nennen. So liegen die Dinge schon einmal, und sie müssen gehört und energisch ins Auge gefaßt werden, es hilft nichts, gegenüber diesen Dingen die Augen zuzumachen. Denn soll anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft den Menschen das werden, was sie eigentlich werden muß nach den Entwickelungsgesetzen der Menschheit, dann müssen solche Dinge vor allem ins Auge gefaßt werden und es muß wiederum der Menschheit zurückgegeben werden das Verständnis für die Gliederung der menschlichen Wesenheit nach Leib, Seele und Geist. So wie auf der einen Seite der Leib dasteht, der zwischen Geburt und Tod oder Empfängnis und Tod, der physische Vermittler des Bewußtseins ist, so muß der Geist erkannt werden als der geistige Vermittler jenes höheren Bewußtseins, das der Mensch zu entwickeln hat zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Dies hängt aber zusammen mit tiefen innerlichen, mit bedeutsamen Lebensverhältnissen der modernen Menschheit.

Nehmen wir einmal Charakteristisches aus unserer Zeit. Es fußt ja vielfach das Denken, von dem wir sagen müssen, daß es ein abstraktes geworden ist, im öffentlichen Leben doch - wenn auch da oder dort die Leute davon abgekommen sind - auf drei abstrakten Ideen. Und insbesondere in unserer Zeit sehen wir diese drei abstrakten Ideen von der ganzen Welt ins Feld geführt werden gegen die Mitte von Europa. Diese Mitte von Europa wird aber geistig ihre Aufgabe nur begreifen, wenn sie sich dazu bequemt, die drei abstrakten Ideen zu konkreten, von Wirklichkeit durchtränkten Ideen zu machen. Diese drei Ideen sind mit großer Vehemenz ins Bewußtsein der Menschen hineingerufen worden am Ende des 18. Jahrhunderts in den Worten: Brüderlichkeit, Freiheit, Gleichheit. Sie erinnern uns fast an drei recht konkrete Ideen, die nur jetzt auch recht abstrakt verstanden werden, aber in ihrer Zeit, als sie dem Menschheitsbewußtsein einverleibt wurden, sehr wirklichkeitsgemäß gemeint waren. Sie erinnern uns an Glaube, Hoffnung und Liebe. Aber bleiben wir bei den drei Ideen der Brüderlichkeit, Freiheit und Gleichheit. Schattenhaftes Denken ist es, daß man über die ganze

moderne Welt hin diese drei Ideen sich denkerisch zu vergegenwärtigen sucht. All das, was in dieser Richtung die Menschenseele an Anstrengungen macht, beruht eben darauf, daß die Menschen nicht die Neigung haben, in die Wirklichkeit hineinzugehen. Sie machen es mit diesen drei großen, mit diesen drei Kardinalideen auch nicht anders als mit der Idee der Neuorientierung: daß jeder Mensch an dem Platz, der ihm am besten gebühre, stehen soll. Sie deklamieren schöne Ideen, machen sich von diesen Ideen abstrakte Begriffe, haben aber nicht die Neigung, auf die Wirklichkeit einzugehen. Und diese Wirklichkeit, sie liegt beim Verstehen der Geisteswissenschaft.

Wie man durcheinandermuddelt Geist und Seele, so muddelt man auch durcheinander Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die Idee der Brüderlichkeit wird erst dann von der Menschheit in der richtigen Weise erfaßt werden können, wenn man sich einmal klar werden wird, daß der Mensch nur mit einem Glied seiner Wesenheit voll hier auf dem physischen Plan steht, mit dem Glied, das wir als die Leiblichkeit bezeichnen. Mit der Leiblichkeit steht der Mensch hier auf dem physischen Plan; aber diese Leiblichkeit verbindet den Menschen mit dem ganzen Menschengeschlecht durch Bluts- und andere Bande. Denken wir gerade mit Bezug auf die Art, wie der physische Mensch zum physischen Menschen hier in der Welt steht, an ältere Zeiten zurück. Der Mensch hat ja nicht bloß das in sich, was er von den Eltern ererbt hat, er trägt das Unsterblichkeitsteil in sich, das durch Geburten und Tode geht. Das aber gliedert sich aus Verkörperungen in der Leiblichkeit. In alten Zeiten war der Mensch, wie ich gestern auseinandergesetzt habe, fähig, indem er Essen, Verdauen, Atmen durchmachte, das Geistige in der Umwelt doch mit wahrzunehmen, mit gewahr zu werden; dazu war er imstande. Dadurch war gewissermaßen instinktiv etwas in ihm, was wir eine Summe von Gefühlen, Empfindungen, Vorstellungen und Begriffen nennen können, die ihn regelten in seinem Verhalten zu seinen Mitmenschen. Instinktiv war dieses in ihm. Dieses Instinktive sehen wir abnehmen in der neueren Zeit, und die furchtbaren Explosionen des Hasses, die uns jetzt begegnen, sie können nur verstanden werden, wenn wir sie ihrer realen Grundlage nach verstehen, wenn wir verstehen, wie die alten Instinkte abnehmen. Diese

Instinkte des Hasses sind viel ernster, als heute noch gesehen wird. Man wird Furchtbares erleben als Ergebnis dieses Zustandes. Und wenn dasjenige, was im Sinn der Entwickelungsgeschichte der Menschheit erobert werden muß, nicht erobert werden könnte, so würden die Instinkte des Hasses immer größer und größer werden. Denn wenn auch einzelne Menschen gerade heute in der Zeit der Autoritätsfreiheit, in der Zeit der Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft, ganz besonders danach streben, immer wieder und wiederum am Gängelband geführt zu werden, so lassen das die Empfindungen, die aus dem Unbewußten herauf strömen, nicht zu. Es suchen sich solche Menschen heute allerlei Führer: je unnatürlicher sie danach streben, diesen Führern bedingungslos anzuhängen, desto stärker sind sie der Gefahr ausgesetzt, daß ihre sogenannte Liebe in Haß umschlägt. Das ist nicht etwas, dem man mit bloßer Kritik beikommt, weil es in den ganzen Entwicke-lungsgesetzen der Menschheit tief begründet ist, und je mehr die Menschenliebe bloß gepredigt wird als abstrakte Idee, je mehr bloß im Abstrakten die Brüderlichkeit gepredigt würde, desto mehr würde sich die gegenseitige Antipathie der Menschen entfalten. Das ist auch eine Wahrheit, die man ganz ernst und tief ins Auge fassen muß, wenn man die Gegenwart verstehen will. Was eintreten muß, das ist, daß sich in Empfindung umsetzt dasjenige, was wir die Anschauung von den wiederholten Erdenleben nennen. Daß man bloß der Theorie von den wiederholten Erdenleben anhängt, das allein macht es nicht aus!

Aber nehmen wir alles das zusammen, was versucht wird zusammenzutragen, um aus den Entwickelungsgesetzen der Menschheit im Laufe der Zeit dasjenige herauszuholen, was nicht wie eine abstrakte Idee, sondern wie eine konkrete Tatsache uns vor Augen führt, daß in jedem Menschen etwas lebt, was durch Geburten und Tode geht, dann verwandelt sich die abstrakte Idee in Empfindung, nicht in Instinkte wie die, welche früher vorhanden waren, sondern in bewußte Instinkte, in eine gewisse Art, sich den Menschen gegenüberzustellen. Heute ist ja noch allzusehr der Trieb vorhanden, dasjenige, was man aufnimmt als Idee der wiederholten Erdenleben, in egoistischem Sinne auszudeuten. Und wieviel haben gerade wir davon erlebt, daß der oder jener vor allen Dingen bestrebt ist, irgendeine frühere Inkarnation

von sich ja recht genau zu kennen! Das kann zunächst nicht die praktische Konsequenz der Idee der wiederholten Verkörperungen, der Idee von den wiederholten Erdenleben sein, sondern die echte Konsequenz muß die sein, daß wir immer mehr und mehr lernen, jeden Menschen so anzuschauen, als ob eigentlich viel mehr in ihm wäre, als er ausleben kann in dem einen Erdenleben, in dem er gerade jetzt uns gegenübersteht. Da bildet sich vor allen Dingen das heraus, was oft auch schon genannt worden ist das Distanzgefühl, in richtigem Maße das Gefühl dafür, das rechte Verhältnis zum anderen Menschen zu finden: ohne ihn zu vergöttlichen, doch immer Tieferes und Tieferes, das der Unendlichkeit angehört, in ihm zu suchen.

Es ist eine falsche Mystik, wenn man immer in sich hineinbrütet. Die Mystik, die wir brauchen, ist die, welche uns anleitet zu praktischer, aber empfindungsmäßiger Menschenerkenntnis, so daß wir dem Menschen nicht entgegentreten, indem wir ihn von vornherein als einen sympathischen oder unsympathischen finden, sondern mit dem Bewußtsein: eine jede Menschenseele ist eigentlich ein unendliches Rätsel. Es strömt, wenn die Idee ernst genommen wird, etwas aus von den wiederholten Erdenleben, und von diesem Ausgeströmten ergießt sich in unsere Seele das, was im rechten Sinn für die neuere Menschheit als Brüderlichkeit, als Bruderliebe erlebt werden sollte. Solche Bruderliebe wird nicht in typischer Weise immer wieder und wiederum den Menschen nur nach der Idee helfen wollen, die uns selbst gefällt, sie wird auf den Menschen eingehen wollen, damit wir ihm so helfen, wie es ihm gemäß ist, daß ihm geholfen werde, wie es sein tieferes Selbst erfordert. Solche Idee wird uns aber auch von der leichtfertigen Kritik zurückhalten, die oftmals zwischen uns und dem anderen Menschen gerade heute nur zu sehr eine Schranke aufrichtet, die uns nicht unbefangen hinschauen läßt auf das, was in einem anderen Menschen lebt. Nur wenn in unserer Seele lebendig und praktisch die Idee der wiederholten Erdenleben wirkt, dann wird die Idee der Brüderlichkeit für das, was die Menschen in ihrer Leiblichkeit füreinander sind, die richtige Form gewinnen können.

Ein Zweites, das Platz zu greifen hat im Sinne der Entwickelung der Menschheit, ist, daß wir nicht bloß anerkennen die Leiblichkeit

des Menschen, die der Materialismus heute ja allein anerkennen will, sondern daß wir die Seele des Menschen anerkennen, daß wir jedem Menschen bewußt Seele zuschreiben. Aber wir schreiben ihm nicht Seele zu, wenn wir diese Seele auch nur in unserer Gesinnung zu vergewaltigen trachten, das heißt, wenn wir der Meinung sind, daß wir die Seele wirklich achten, indem wir dieser Seele unsere Gedanken, gerade die Form unserer Gedanken zumuten. Freiheit müssen wir der Seele zubilligen, wir können sie nicht dem Leibe zubilligen. Freiheit ist nur im Verkehr zwischen Seele und Seele das Tragende, das, worauf es ankommt. Und der Grundnerv der Freiheit ist nämlich die Gedankenfreiheit. Wird man dieses zweite Glied der Menschheit, das seelische neben dem leiblichen, recht verstehen, dann wird man nicht mehr durcheinandermuddeln Freiheit und Brüderlichkeit, sondern wird sagen: Brüderlichkeit ist notwendig, weil die Menschen eine soziale Ordnung im Sinne der Brüderlichkeit sich begründen müssen. Eine soziale Struktur im Sinne der Brüderlichkeit muß heraufkommen, und ehe nicht die Menschen ergriffen werden von richtigen praktischen Ideen der Brüderlichkeit, werden sie keine Staatsstrukturen finden können, in welchen die Menschen vernünftig zusammenleben können. Aber wenn die Menschen nicht anerkennen werden, daß innerhalb des staatlichen Gefüges der Mensch nicht nur als Leiblichkeit lebt, sondern auch als Seele, werden sie die Idee der Freiheit niemals in der entsprechenden Weise begreifen können. Denn die Freiheit liegt im Verhalten von Seele zu Seele, nicht von Leib zu Leib. Die Freiheit, welche die Leiber brauchen, die kommt von selbst als notwendige Konsequenz, wenn Seele zu Seele im Sinne der Gedankenfreiheit sich ausbreitet. Dies aber bedingt vor allen Dingen, daß wir endlich lernen, nicht mehr den Menschen die eigenen Gedanken aufoktroyieren zu wollen, sondern daß wir lernen, in jeder Seele die eigene Richtung des Denkens gebührend zu achten. Da müssen wir uns aber insbesondere den Sinn für die Wirklichkeit aneignen, denn auf keinem Gebiet kann man mehr sündigen als auf dem Gebiet der Wissenschaft und der Religion.

Ich kann immer nur auf das Beispiel hinweisen, das mir einmal begegnet ist in einer süddeutschen Stadt. Ich hielt einen Vortrag über Weisheit und Christentum. Es war eine südwestdeutsche Stadt, so daß

auch zwei katholische Geistliche bei meinem Vortrag waren. Die sagten nach dem Vortrag: Ja, nach dem, was Sie heute gesagt haben, kann man inhaltlich gegen Ihre Behauptungen nicht viel einwenden, aber man kann doch nicht einverstanden sein. - Ich sagte: Ja, warum? - Ja, die Hauptsache ist, sagten die beiden Herrn, Sie reden so von all diesen Dingen in bezug auf das Christentum, wie es nur verständlich sein kann für gewisse Leute mit einem gewissen Bildungsgrad, mit bestimmten Bedürfnissen und so weiter. Wir aber suchen eine Art, zu reden, die für alle Menschen ist; wir formen unsere Gedanken so, daß alle zustimmen können. - Ich antwortete: Herr Pfarrer, wie ich oder Sie darüber denken, was allen Menschen frommt, das kommt auf Sie oder mich an, darüber können wir uns, Sie und ich, schon Vorstellungen machen; und wir werden selbstverständlich, wenn wir uns solche Vorstellungen machen, voll überzeugt sein, daß das richtig ist. Wir wären sonderbare Käuze, wenn wir uns Ideen bildeten, von denen wir nicht glaubten, daß sie für alle Menschen geeignet sind. Aber darauf kommt es nicht an, was Sie oder ich denken nach unserer besonderen Entwicke-lung, daß etwas für alle Menschen geeignet ist. Das ist zuletzt ganz gleichgültig, darüber müssen wir gerade hinwegkommen durch eine ordentliche, tätige, praktische Selbsterkenntnis. Worauf es ankommt, das ist, die Wirklichkeit zu studieren und zu fragen: Was diktiert denn die Wirklichkeit, was lehrt uns die Zeit und ihr Inhalt als notwendig für die Menschen, was lehren uns die Sehnsuchten der Menschen? Dann aber ergibt sich eine Frage, die anders ist als diejenige, die Sie stellen, die Frage: Gehen alle Menschen heute zu Ihnen in die Kirche? Wenn Sie für alle Menschen reden würden, würden alle zu Ihnen gehen. -Da konnten sie nicht umhin zu sagen: Es gehen allerdings nicht alle Menschen mehr in die Kirche. - So, sagte ich^ sehen Sie, und unter denen, die hier gesessen haben, sind zumeist solche, die nicht in die Kirche gehen, die aber auch das Recht haben, den Weg zu Christus zu finden, und für die rede ich.

Man darf nicht nach seinen eigensinnigen Meinungen sich eine Idee darüber bilden, was die Menschen brauchen, sondern nach dem, was die Wirklichkeit sagt. Aber es ist unbequemer, die Wirklichkeit zu studieren. Da muß man immer und immer wiederum den Beobachtungs-

sinn entsprechend anwenden, immer wieder und wiederum den Willen haben zu fragen: Welches sind denn eigentlich die Bedürfnisse der Zeit? Wie stellt sich das, was gerade in unserer Zeit notwendig ist? -Und ehe dieser Sinn, dieser praktische Sinn, welcher der Gedankenfreiheit zugrunde liegen muß, nicht in.die Seelen der Menschen einzieht, kommen wir nicht zu einem entsprechenden Verhältnis von Seele zu Seele. Wie die soziale Struktur, welche die Menschheit anstreben muß, davon abhängt, daß man im Sinne der Geisteswissenschaft zu einem richtigen Verständnis der Leiblichkeit kommt und die Idee der Bruderliebe verstehen kann, so muß man lernen, für die Seelen Verständnis zu gewinnen und die Idee der Gedankenfreiheit zu verwirklichen helfen auf dem Gebiet der Wissenschaft und der Bildung, auf dem Gebiet der religiösen Gesinnung.

Und ein Drittes ist der Geist. Wenn es nun wirklich gelingt, den Geist wiederum einzusetzen in seine Rechte, rückgängig zu machen dasjenige, was konzilmäßig das Konzil zu Konstantinopel 869 anerkannte, dann wird auch für den Geist das kommen, was im praktischen Sinne das Leben der Menschen der Zukunft entgegenführt. Wir haben schon einmal heute zwei Tendenzen: Die eine geht dahin, in derselben Richtung sich zu bewegen wie das Konzil von Konstantinopel, das heißt, den Geist abzuschaffen. Eine monistische Weltanschauung strebt dahin, auch noch die Seele abzuschaffen, und wer da meint, der naturwissenschaftliche Monismus habe soviel Toleranz - wie man das Wort heute nimmt -, daß er es nicht dazu bringen würde, ein Konzil abzuhalten und die Seele zu verbieten, der denkt falsch. Die Tendenz geht schon dahin, zu dem Geist auch noch die Seele abzuschaffen. Und diejenigen, die heute die kleinen Monistlein sind, werden sich zu ganz großen Monisten auswachsen wollen, und wenn sie es auch verschmähen, Konzilien abzuhalten, denn sie sind ja freie Geister, weil sie sich frei gemacht haben meistens von allem Geiste, wenn sie es auch verschmähen, Konzilien abzuhalten, so werden sie eben einbürgern lassen einen gewissen Usus. Und es wird kommen - lassen Sie das nicht einen Witz sein! -, daß die Seele abgeschafft wird. Zu den verschiedenen Heilmitteln, zu den leiblichen Heilmitteln, die es heute gibt, wird eine Reihe von anderen treten, die dazu bestimmt sein werden, die-

jenigen damit zu behandeln, die von so etwas Phantastischem, wie Geist und Seele, reden; die wird man kurieren, denen wird man Medizinen eingeben, damit sie nicht mehr vom Geist und von der Seele reden. Den Geist brauchte man bloß abzuschaffen; die Seele wird man nur dadurch den Menschen austreiben können, daß man den Leib medizinisch richtig behandelt. So grotesk das heute erscheint, die Tendenz einer gewissen Richtung geht dahin, Mittel zu erfinden, durch die man dem Kinde allerlei Zeug einimpft, wodurch seine leibliche Organisation so herabgelähmt wird, daß materialistische Gesinnung ganz gut in ihm lebt, und es gar nicht darauf kommt, die alte Idee von Seele und Geist als etwas anderes zu behandeln denn als etwas, an das die alten Zeiten geglaubt haben und in das hineinzusehen es ein großes Ergötzen ist.

Solche Dinge zu sagen, gilt natürlich für sehr viele Menschen heute als Verrücktheit; aber wenn man nicht den Mut hat, diese Dinge sich zu gestehen, so wird man niemals die Energie finden, die geisteswissenschaftliche Spiritualität in den Seelen zur Entfaltung, zur Entfachung zu bringen. Daher muß zu dieser Tendenz, die ich eben charakterisiert habe, die auch noch die Seele hinwegkuriert, weil sie als eine Krankheit gelten wird, die andere hinzutreten: die Tendenz, nun wieder energisch geltend zu machen, daß der Mensch zum Leib und zur Seele hinzu auch den Geist in sich trägt. Dazu wäre allerdings notwendig, daß Erkenntnis vom Geiste Platz greift, daß Geisteswissenschaft sich wirklich einlebt, daß erkannt wird von dem Menschen, was zu seinem Wesen gehört, wenn er durch die Pforte des Todes gegangen ist. Und eines von den alten Volkssprichwörtern, die so oft alte gute Anschauungen in die neue Zeit herauftragen, ist dieses: Im Tode sind alle gleich -, weil da alle Geist werden, und weil die Idee der Gleichheit diejenige ist, die dem Geist entspricht. Gleichheit den Geistern! Nicht durcheinandermuddeln kann man die drei Ideen — Freiheit, Brüderlichkeit, Gleichheit -, sondern man muß wissen im Konkreten, der Wirklichkeit nach, was der Mensch ist, und daß er frei sein soll nach der Seele, brüderlich nach dem Leibe, daß die Menschen gleich sein

müssen nach dem Geiste. Denn die Ungleichheit, die unter den Menschen existiert, das ist jene Spezialisierung, die durch Leib und Seele

herbeigeführt wird, indem der Geist sich in Leib und Seele spezialisiert. Pneumatologie, Geistlehre, Geistanschauung ist die Grundlage für die Gleichheitsidee. Und so haben wir die merkwürdige Tatsache vor uns, daß am Ende des 18. Jahrhunderts in alle Welt chaotisch hinausgeschrien wurde die Idee von Brüderlichkeit, Freiheit, Gleichheit, daß aber allmählich verstanden werden muß, wie die Ideen von Brüderlichkeit, Freiheit und Gleichheit nur verwirklicht werden können, wenn man auch imstande ist, die Erkenntnis des dreifachen Wesens des Menschen nach Leib, Seele und Geist in die Wirklichkeit hineinzutragen.

Das lag zugrunde, als in so energischer Weise in meiner «Theosophie» versucht wurde, diese Gliederung nach Leib, Seele und Geist durchzuführen: Diese Gliederung ist eine Forderung unserer £eit und der nächsten Zukunft. Dadurch aber, daß man diese Ideen praktisch macht, daß man die Menschheit so ansehen lernt, dadurch ganz allein kann man über die siebenundzwanzig Jahre hinauskommen; sonst bleibt man in den siebenundzwanzig Jahren stecken. Und denken Sie sich die Aussicht: Auf unsere fünfte nachatlantische Zeit wird eine sechste und siebente folgen. In der sechsten wird die allgemeine Menschheit hergeben dasjenige, was in der individuellen Entwickelung der Zeit zwischen dem vierzehnten und einundzwanzigsten Jahre entspricht. Man wird in der Außenwelt, wenn auch noch so gescheite Leute die Erziehung leiten, nicht mehr hereinbekommen als das, was der individuellen Entwickelung bis zum einundzwanzigsten Jahre entspricht. Man wird nicht älter werden können als einundzwanzig Jahre, wenn man da auch nicht stirbt. Und gar im siebenten nachatlantischen Zeitalter wird man nicht über das Alter hinauskommen, das in der individuellen Entwickelung dem vierzehnten Lebensjahre entspricht. Wenn man nicht durch Anfeuerung des Inneren älter wird, so ergreift die Menschheit ein epidemischer Jugendschwachsinn. Wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, und nicht gedankenlos dahinlebt, der kann, mit solchen Ideen ausgerüstet, schon mancherlei Erscheinungen in der Gegenwart in der richtigen Weise bewerten!

Nehmen wir nur ein Gebiet: Wohin hat es unsere Gegenwart gebracht in der Auffassung, sagen wir des Christus-Impulses? Wie viele

Menschen sind doch dem Gedanken des Barres recht nahe, daß die großzügige Weltanschauung des Heilands durch die Kirche den Bedürfnissen der modernen Gesellschaft angepaßt ist, daß man gerade deshalb mit den Kirchen so gut auskommen könne? Wer bemüht sich denn - vielleicht noch einzelne, gewiß, aber im allgemeinen -, wer bemüht sich denn wirklich, auferstehen zu lassen dasjenige aus den Evangelien, was der Christus entgegengesetzt hat dem anderen, dem er vor allen Dingen entgegenzutreten hatte? Die bedeutungsvollsten, tiefsten Dinge des Christentums, wie werden sie denn heute verstanden? Ich will nur erinnern an eine Zentralidee des Christentums: das Kommen der Reiche der Himmel. Selbst Blavatsky hat darüber gespottet, daß vorausgesagt worden sei, die Reiche der Himmel würden kommen, und in der Zeit, in der sie hätten kommen sollen, hätte doch nicht mehr Weizen geblüht als früher, die Trauben wären nicht größer geworden, kurz, das Himmelreich wäre nicht auf die Erde gekommen.

Man dünkt sich gescheit; aber aus dieser Gescheitheit kommt eben nichts anderes heraus als diese Beurteilung, und diese Gescheitheit läßt nicht zu die tiefere Frage: Könnte nicht vielleicht der Christus etwas anderes gemeint haben? - Man erkennt heute schon den Christus an, aber so, daß man vor allen Dingen will, daß die eigenen Ideen, gerade so, wie man sie selber gefaßt hat, auch beim Christus leben. Der Sozialist macht einen braven Sozialisten aus ihm, der Liberale einen Liberalen, der Protestantenvereinler einen Vorstand des Protestantenvereins und so weiter. Ein moderner Schultheologe konstruiert ihn sich so wie Professor Harnack, und die Leute hören zu, wie der Professor Harnack über die wichtigsten Begriffe des Christus Jesus spricht. Da passierte es einmal, daß ich einen Vortrag zu halten hatte in einem Verein, dessen Vorsitzender ein in der Bibel und auch in der modernen Theologie gut beschlagener Mann war. Ich sagte im Verlaufe dieses Vortrags, daß der gute Harnack eigentlich einen merkwürdigen Auferstehungsbegriff habe, denn in seinem «Wesen des Christentums» stünde der merkwürdige Satz: Was auch im Garten von Gethsemane vorgegangen sein mag, darüber können wir heute nicht mehr urteilen, weil das die menschliche Erkenntnis übersteigt, und auch die berechtigten Anforderungen des Glaubens übersteigt. Aber vom Garten in Gethsemane ist

ausgegangen der Auferstehungsglaube, und dieser ist der Menschheit besonders wert geworden. — Ob es wahr ist, daß der Christus irgendwie auferstanden ist, darauf kommt es nicht an! Glauben soll man, daß von dem Garten in Gethsemane der Glaube ausgegangen ist. - Das ist Harnacksche Lehre. Derjenige, welcher der Vorsitzende war des Vereines, sagte: Sie haben sich geirrt, denn da wäre Harnack geradezu Katholik — der Betreffende fühlte sich so recht protestantisch erhaben -, es wäre ja dann wie bei den Katholiken, die sagen: Woher das Stückchen Kleid rührt, das man als Heiligenrock von Trier anbetet, oder woher irgendwelche Knöchelchen stammen, darauf kommt es nicht an, es kommt nur darauf an, daß sich der Glaube verbreitet hat, daß diese Dinge von einem bestimmten Heiligen herrühren. Das aber ist katholisch - meinte der Betreffende -, an so etwas können wir selbstverständlich nicht glauben. Und das wäre ja dann ganz gleich, wenn Harnack sagt, es käme nicht darauf an, ob es wahr ist, daß der Christus irgendwie auferstanden ist, sondern darauf, daß man glaubt, daß von dem Garten Gethsemane der Glaube ausgegangen ist. Also, sagte er zu mir, Sie haben sich sicher geirrt. - Da sagte ich: Ja, wissen Sie, das steht aber im «Wesen des Christentums». - Nein, antwortete er, das kann nicht drinstehen. Haben Sie es gelesen? - Oh, oftmals, sagte ich, ich werde Ihnen morgen auf einer Karte Seite und Zeile aus dem Buche «Das Wesen des Christentums» mitteilen, wo das steht.


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