Mitteleuropa zwischen Ost und West Kosmische und menschliche Geschichte Sechster Band



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Ich wollte an konkreten Fällen, an die unser Gesellschaftskarma herangeführt hat, einiges erklären über die Beziehung der Menschenseele zu den Geisteswelten, denn noch mehr als in abstrakter Charakteristik kann durch solch konkretes Sich-Hineinleben in einzelne Verhältnisse der Geisteswelten uns dies oder jenes klar werden, und vor allen Dingen kann an uns herantreten ein Gefühl dafür, daß durch unsere geisteswissenschaftliche Bewegung ein lebendiges Zusammenwirken der physischen Welt mit der höheren Welt allmählich wirklich

entstehen muß. Nach mannigfachen Erfahrungen, die in den letzten Zeiten gemacht werden mußten, kann man sagen: So recht innerlich befestigt können die Hoffnungen, daß schon jetzt gewisse Dinge in bezug auf unsere spirituelle Bewegung eintreten, nur sein, wenn man gewiß ist, daß diejenigen, die schon durch die Pforte des Todes gegangen sind, unsere helfenden Mitarbeiter sein werden. - Das erfordert allerdings, daß wir mit intensivem Ernst dasjenige erfassen, was der Inhalt und die Intention unserer Geisteswissenschaft ist.

Ich möchte zusammenfassend etwas aussprechen, was schon ausführlich behandelt worden ist in dem Zyklus in Wien über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt, was wichtig ist zu berücksichtigen. Man kann sagen, weil man gewisse Worte, die für das physische Leben dienen, verwenden muß: Der Mensch ist in einer Art unbewußtem Schlafzustand nach dem Tode. Dann erwacht er, aber «erwacht» ist nicht ganz richtig gesagt. Das sieht aus, wie wenn man beim Erwachen zu einer Art Bewußtsein käme. Das ist nicht der Fall. Wenn der Mensch den Ätherleib abgelegt hat, hat er nicht zuwenig oder Schlaf-Bewußtsein, er hat zuviel Bewußtsein. Er hat eine Art überquellendes Bewußtsein. Wie man, von überflutendem Licht geblendet, nicht sehen kann, so ist nach dem Tode zuviel Bewußtsein da. Wir sind ganz von unendlich wirksamem Bewußtsein überflutet, erst herabdämpfen muß es sich bis zu dem Grad, den wir nach unserer Entwickelung in der physischen Welt uns angeeignet haben. Wir müssen uns orientieren in der Überfülle des Bewußtseins. Das, was man da «Aufwachen» nennt, ist erst ein Hineingewöhnen in den viel höheren Grad von Bewußtsein, in den wir eintreten nach dem Tode. Es ist ein Herabdämpfen des Bewußtseins bis zu dem Grade, den wir ertragen können.

Ein anderes ist, daß sich, ich möchte sagen, in jeder Beobachtung mehr zeigt, wie für gewisse Zustände des Daseins das Erleben in den Geisteswelten gerade entgegengesetzt ist dem Erleben in der physischen Welt. So ist es auch in einem Fall, auf den ich jetzt hindeuten will. Zwischen Geburt und Tod ist es so, daß niemand eigentlich sich ohne höhere Erkenntnisse zurückerinnert an seine Geburt. Für keinen ist das eine Sache der eigenen Beobachtung. Wenn man hinhören wollte auf diejenigen Menschen, die sagen, sie glauben nichts, als was

ihnen ihre fünf Sinne geben, könnte man einwenden: Dann darfst du auch nicht glauben, daß du einmal ein kleines Kind warst. Das glaubst du nur aus den folgenden zwei Untergründen: Weil du siehst, daß alle anderen Menschen so ihr Leben anfangen, da schließest du, daß das bei dir auch so war. Das ist nur ein Analogieschluß, oder die anderen haben es dir erzählt. - Durch Mitteilung und nicht durch Beobachtung weiß man, daß man auch durch Geburt ins Leben eingegangen ist. Es merkt kein Mensch, daß das nur ein Analogieschluß ist. Man müßte sagen: Ich kann aus eigener Beobachtung nichts wissen über dieses physischen Leibes Ursprung. Wenn der Mensch im physischen Leben zurückblickt, sieht er nicht bis zu seiner Geburt. Anders ist das zwischen Tod und neuer Geburt. Gerade der Fall, wo der innerliche Impuls aufstieg, dem, der durch die Pforte des Todes gegangen, solche Worte nachzusenden, die mit seinem Selbst etwas zu tun haben, die ihn charakterisierten, zeigt das. Dieser Impuls kommt von dem Drang, dem zu dienen, der durch die Pforte des Todes gegangen ist, ihm das zu erleichtern, was er haben muß, möglichst bald: ein ungehindertes Hinblicken auf den Todesmoment. Denn so wenig man im physischen Leben auf die Geburt zurückblickt, so unerläßlich ist es, daß man zwischen Tod und neuer Geburt auf den Tod zurückblickt. Der Tod steht immer im Rückblick da, nur nimmt er sich von der geistigen Seite anders aus. Er mag von der physischen Seite Schreckliches haben, von der anderen Seite ist er das herrlichste Ereignis, auf das man blicken kann. Er zeigt das Herrliche, daß der Geist über das Physische siegt, indem er sich ihm entringt. Das gehört zum Schönsten, dies Erlebnis, das man zwischen Tod und neuer Geburt hat im Rückblick. Das ist wieder ein Beispiel, wie physische Welt und Geisteswelt entgegengesetzt sind.

Man lernt so allmählich die Eigentümlichkeiten der Geisteswelt kennen. Das sind Gesichtspunkte, die ich aphoristisch heute vor Ihnen entwickeln wollte. Ein weiterer Gesichtspunkt ist mittelbar bedeutend für Dinge, die wir jetzt erleben, der Gesichtspunkt, daß bei einem Menschen, der nach normalen Verhältnissen hier noch lang hätte leben können, ein unverbrauchter Ätherleib als Individualität dasteht neben der Individualität. Kurz dauert die Auflösung des Ätherleibes nur bei älteren Menschen. Wir sind immer umgeben von solchen noch nicht

aufgelösten Ätherleibern. Wir leben einer Zeit entgegen, wo dies besonders bemerkbar sein wird, weil mittelbar von diesen Ätherleibern ausgehend eine Art Atmosphäre gebildet wird, wie sie in dieser Weise noch nicht in der Erdenentwickelung da war. Man könnte denken, daß ähnliches schon in früheren Kriegen eingetreten sei, aber die Dinge ändern sich, weil die Menschen früher anders durch den Tod gegangen sind. So viele Menschen, die im Leben nur von materieller Denkweise umringt waren wie jetzt, gab es früher nicht. Das begründet, daß diese Ätherleiber spirituelle Impulse abgeben werden. Weiter wird es sein, daß es Menschen hier auf der Erde gibt, die dies fühlend wissen und wissend fühlen. Ich habe darauf schon in den, ich möchte sagen, den Zeitereignissen gewidmeten Vorträgen hingedeutet. Was uns unsere Zeit lehren will, ist, daß wir nötig haben neben der spirituellen Verflachung auch Vertiefung in das, was als die Begleiterscheinungen später erscheinen wird. Müssen wir es denn nicht wirklich mit ungeheurer Betrübnis erfahren, daß in unserer Zeit, die sich für logisch so aufgeklärt hält, wo sich die wissenschaftliche Kultur durch allerlei populäre Kanäle in weiteste Kreise verbreitet hat, daß da wieder in weitesten Kreisen etwas Platz greifen kann, was wir als ein aus Leidenschaft geborenes Urteil ansehen müssen?

Wer die Stimmen derjenigen verfolgt, die Mitteleuropa wie in einer großen Festung eingeschlossen halten, der wird schon darauf kommen, was diese Leidenschaft in den Seelen der Menschen anrichtet. Man braucht nur nach West und Nordwest zu blicken, da kann man zunächst staunend davor stehen, wozu es menschliches leidenschaftliches Urteilen gebracht hat. Bessere Zeitungen werden da besonders lehrreich sein können. Wie wird da von diesen oder jenen hinausgebrüllt: Wir haben diesen Krieg nicht gewollt! - Wie wird von denen, die dem deutschen Wesen feindlich gegenüberstehen, demjenigen Gebiet, das am allerwenigsten Veranlassung hatte zu diesem Krieg: dem mitteleuropäischen - ganz sinnlos die Schuld an diesem Krieg beigemessen.

In dieser Beziehung ist es dem Deutschen in der Tat durch die ganze Art und Weise, wie sich deutsches Wesen entwickelt hat, schon objektiv möglich, eine Art nationaler Selbsterkenntnis zu erringen, wie sie die anderen Völker recht sehr vermissen lassen. Es wird ja ganz gewiß

erst lange Zeit nach den kriegerischen Ereignissen den meisten Menschen möglich sein, namentlich außerhalb Mitteleuropas, die Verhältnisse so weit zu übersehen, daß man über die törichtsten Urteile der Gegenwart einigermaßen hinwegkommt. Für uns, die wir in einer geistigen Bewegung darinstehen, die nicht nur Theoretisches überliefern will, für uns sollte klar sein, daß solchen schweren Ereignissen gegenüber auch ein objektives Urteil gewonnen werden kann und daß wir über manches uns aufklären können in der Gegenwart gerade dadurch, daß wir in diesen schicksaltragenden Tagen darin leben. Wie leicht kann mancher kurzsichtige Geist kritisieren, was zu den Impulsen, zum Kern unserer Geisteswissenschaft gehört. Schmerzvolles hat in den letzten Monaten auf diesem Felde erfahren werden müssen. Da gibt es eine geisteswissenschaftliche Bewegung, die sagt, daß sie liebevoll dafür arbeitet, auf die Menschen eingehen zu wollen ohne Unterschied von Rasse und so weiter. Man kann sagen: Wie stimmt das, was von mir in dieser Zeit vorgebracht wurde, dazu? - Ich habe, bevor diese schweren, schicksaltragenden Tage über uns hereingebrochen sind, davor gewarnt, den Grundsatz von der Gleichberechtigung, Gleichwertigkeit so aufzufassen, daß man ihn in das ganz Abstrakte verkehrt. Erinnern Sie sich, wie ich oft sagte: Wenn Leute kommen und sagen, Buddhisten, Mohammedaner, Christen sind nur verschiedene Formen eines Wesens -, so ist das, wie wenn man sagt: Salz, Zucker, Pfeffer sind alles Speisezutaten, also ist es gleichgültig, was ich nehme -, und streut Zucker in Suppe und Bier, weil es Speisezutat ist. In so abstrakter Weise einen solchen Grundsatz anwenden, kann bequem sein, aber dem, der ernst sucht, kann es nicht darauf ankommen.

Wenn wir uns liebevoll einlassen auf das Wesenhafte der einzelnen europäischen Nationen, dann kommen wir dazu, zu erkennen, daß die Volksseele bei den Italienern zu der Empfindungsseele spricht, bei den Angehörigen der französischen Nation zu der Verstandesseele, bei der britischen Nation zu der Bewußtseinsseele, bei der deutschen Nation zu dem Ich. Nicht dadurch, daß man abstrakt über alles die Liebe ausgießt, kommt man zu Begriffen. Darin wird das Wesentliche unserer Bewegung bestehen, daß die Menschenseele unter Anerkennung der nationalen Eigentümlichkeiten sich zum Allgemein-Menschlichen

erheben will. Geisteswissenschaft kann es dazu bringen, daß derjenige, der diesmal in Britannien geboren ist, sagt: Ich habe erkannt, daß ich die Volksseele besonders durch die Bewußtseinsseele sprechend habe, durch das, was die Beziehung der Seele zum physischen Plan regelt, was den Menschen geeignet macht, materiell zu sein. - Wenn er das erkennt, erkennt er, daß er abstreifen muß das, was ihm aus der Nationalität heraus entgegensteht, wenn er sich zum allgemeinen Menschentum erheben will. Diese Erkenntnis hilft immer, und wichtig ist es, daß man dasjenige erkenne, was Eigentümlichkeit der einzelnen nationalen Wesenheit ist. Wenn der Angehörige der russischen Kultur sich sagen wird: Das Eigentümliche der Volksseele ist, daß sie wie eine Wolke schwebt über dem einzelnen, daß der einzelne in chaotischem Denken hinaufsieht zur Volksseele, dadurch darauf angewiesen ist, in das Produktive der anderen Völker sich hineinzufinden -, dann wird er seinen Weg finden. Die, welche durch Geisteswissenschaft das Wesen der russischen Volksseele erkennen, werden sagen: Wozu bin ich Russe? Die Kraft, die ich dadurch erworben habe, habe ich, um die Kraft der anderen Nationen aufzunehmen.

Der Deutsche wird durch Geisteswissenschaft erkennen - er hat nötig, dies in aller Objektivität und Demut aufzufassen -, daß er durch das, was die Volksseele zu seinem Ich spricht, dazu prädestiniert ist, das Allgemein-Menschliche durch seine Nationalität zu suchen. Daß er mitbekommt, was ihn über die Nationalität hinausführt, das ist das Nationale deutschen Wesens. Darin besteht das konkret Nationale deutschen Wesens, daß es durch das Nationale über die Nation hinausgetrieben wird in das allgemeine Menschentum hinein. Daher ist der Übergang zu finden vom deutschen Idealismus zur Geisteswissenschaft im Hineinfließen des deutschen Idealismus in Geisteswissenschaft. Es ist nötig, sich zu konkretem Erfassen der geistigen Wirklichkeiten hindurchzuringen. Geisteswissenschaft gibt die Möglichkeit, konkret diese Dinge aufzufassen. - Wenn man erfährt, daß ein Franzose wie Renan sagt: Das, was er in der deutschen Kultur erhalten habe, komme ihm vor wie höhere Mathematik gegenüber der niederen, verglichen mit dem bei anderen Völkern Erlebten -, so ist da ausgesprochen, was gerade das deutsche Wesen charakterisiert. Wir haben

schon einmal das Schicksal, dies erkennen zu müssen. Erkennen müssen wir es, können nicht anders als es erkennen, müssen aber mit derselben Objektivität erkennen, daß es unser Schicksal ist, wenn wir rechte Deutsche sind, zu spirituellem Leben fortzuschreiten, so wie es den Briten nötig ist, den Materialismus abzustreifen, um in das Spirituelle hineinzukommen. Aus dem nationalen Wesen ergeben sich für die verschiedenen Völker verschiedene Aufgaben. Für den Deutschen ist besonders wichtig, daß er sich in die geistigen Welten desjenigen, was durch die deutsche Kultur strömt, hineinversenke. Für den Russen gibt es so etwas Nationales nicht. Es gibt für ihn nur die Möglichkeit, die Blutkraft zu gewinnen, die ihm möglich macht, das Wesen der anderen entgegenzunehmen. Es zeigt sich, daß das deutsche Wesen Wichtiges bei der Entwicklung der Volksseele erfuhr.

Die Volksseelen machen, wie die Menschen, eine Entwickelung durch. In den Jahren 1530 bis 1550 geschieht etwas Besonderes mit der italienischen Volksseele. Vorher ist diese Kultur noch nicht so abgeschlossen vom übrigen Europa wie nachher. Vor diesem Zeitpunkt wirkt die Volksseele in der Seele, nachher greift sie über das Seelische hinaus, gestaltet das Physische zum Nationalen hin. Der Mensch schreitet fort zum Unabhängigwerden vom Physischen. Umgekehrt die Volksseele. Sie wirkt erst auf die Seele, dann auf den Leib, so daß die italienische Volksseele vor dem 16. Jahrhundert bloß auf die Seele wirkte, später hingegen greift sie über das bloß Seelische in das Körperliche über, formt das Nervensystem, formt den Ätherleib, so daß der Mensch bestimmt, identifiziert wird auch in bezug auf das Leibliche. Der Mensch wird starrer, schließt sich mehr ab für die übrigen Kulturen.

Für die französische Volksseele tritt ein solcher Zeitpunkt ein in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Da fängt die Volksseele an, vom Seelischen auf das Leibliche überzugreifen, macht die Nation starr. Für die Briten geschieht das erst von der Mitte des 17. Jahrhunderts an, und Shakespeare gehört noch nicht einem Zeitalter an, wo die Volksseele auf den Leib übergriff, daher verstehen die Deutschen ihn besser als die Briten. In der Zeit zwischen 1750 und 1850 findet eine Art Übergreifen der deutschen Volksseele vom Seelischen zum Leiblichen

statt, sie zieht sich aber wieder davon zurück. Bei westlichen Völkern schwebt die Volksseele höher vorher, senkt sich dann in das Leibliche. Die, die früher in das Leibliche sich senkte, stieg dann wieder ins Geistige. Der Hinunterstieg war zwischen Mitte des 17. und 18. Jahrhunderts. Die deutsche Volksseele bleibt dadurch beweglicher. Sie bleibt nicht dauernd drunten, sie geht hinauf und herab, ergreift den Menschen und läßt ihn wieder frei.

Das sind Dinge, die erst in der Zukunft ganz werden verstanden werden. Wir müssen schon sagen, wir können nicht genug diese gegenwärtige schwere Zeit zugleich mit all ihrem Großartigen, Bedeutungsvollen im Tiefsten unserer Seele mitempfinden. Unendlich bedeutungsvoll müssen diese Ereignisse der Gegenwart sein für denjenigen, der sich für das in der Welt webende Geistige interessiert. Wenn einstmals die Menschen nachdenken werden über die Ursachen, die die gegenwärtigen Kriegsereignisse herbeigeführt haben, dann wird sich eines herausstellen: Mitgewirkt hat zu diesen gegenwärtigen Kriegsereignissen der Gegensatz zwischen den Volksseelen, aber wenn jemand in den künftigen Zeiten noch so sehr suchen wird auf dem physischen Plan nach dem, was die Ursachen seien, er wird immer etwas finden, was die Sache nicht aufklärt, weil die Ursachen nicht auf dem physischen Plan liegen, sondern weil man bei diesen Ereignissen sagen kann: Geistige Individualitäten, geistige Impulse wirken hinein. - Erst wenn die Menschheit das erkennen wird, wird man vernünftig sprechen über die Ursachen, die diese Ereignisse herbeigeführt haben. Man wird erkennen, daß die Menschen nur die Werkzeuge waren, durch die gute und böse Mächte gewirkt haben. Um zu diesem Urteil zu kommen, ist Vorurteilslosigkeit nötig, indem wir uns durchdringen mit dem, was Geisteswissenschaft dem Innersten der Seele, nicht nur dem Verstände, sein kann.

Es kann einmal wichtig sein zu erkennen, wieviel von dem, was von seiten der britischen Welt Anteil genommen hat, wirklich innig mit dem Nationalcharakter zusammenhängt. Dann wird man etwas erkennen müssen, was sich mir seit Juli aufdrängte, bevor noch der Krieg begonnen hatte. Da konnte man verschiedene Urteile hören. Ich erzähle objektiv, möchte das Persönliche ganz unberücksichtigt von Ihnen

wissen. Mir drängte sich auf, daß der Welt Gefahr drohte aus der Ursache, daß in London ein so furchtbarer Dummkopf die auswärtigen Angelegenheiten lenkte. Die Welt hält Grey für einen gescheiten, vielleicht geriebenen Menschen. Ich konnte ihn nie für etwas anderes halten, aus den intuitiven Eindrücken, als für einen Dummkopf, muß ihn heute für einen besonders dummen Menschen ansehen, den sich ahri-manische Mächte ausgesucht haben, weil er durch seine Nichtbesin-nung über die Dinge besonderes Unheil stiften konnte. Durch äußere Gründe kann man nicht so recht beweisen, daß eine solche Persönlichkeit ein Dummkopf ist. Gestern kaufte ich ein Buch und fand darin einen Brief, den ein Ministerkollege des Grey geschrieben hat. Ich kenne den Brief erst seit gestern, halte aber den Grey seit Juli für einen Toren, der von Ahriman ausgesucht ist, um Unheil anzurichten. Es ist für uns interessant, wie der Briefschreiber seinen Kabinettskollegen qualifiziert: «Es ist für uns, die wir Grey seit Anbeginn seiner Laufbahn kennen, sehr unterhaltsam, zu beobachten, wie er seinen kontinentalen Kollegen imponiert. Sie scheinen irgend etwas in ihm zu vermuten, was durchaus nicht in ihm steckt. Er ist einer der hervorragendsten Sportangler des Königreichs und ein recht guter Tennisspieler. Politische oder diplomatische Fähigkeiten besitzt er wirklich nicht; man müßte denn eine gewisse ermüdende Langweiligkeit seiner Art zu reden und ein seltsames Beharrungsvermögen als solche anerkennen. Earl Rosebery sagte einmal von ihm, er mache einen so konzentrierten Eindruck, weil er nie einen eigenen Gedanken habe, der ihn von einer Arbeit ablenken könne, die man ihm mit genauen Direktiven in die Hand gegeben. Als neulich ein etwas temperamentvoller fremder Diplomat sich bewundernd über Greys leise Art äußerte, die nie erkennen lasse, was in ihm vorgehe, meinte ein vorwitziger Sekretär: Das war frech, aber gut gesagt. Ich glaube, daß Grey einen sehr anständigen Charakter hat,

wenn ihn auch eine gewisse stupide Eitelkeit gelegentlich einmal verführen mag, sich auf Angelegenheiten einzulassen, von denen Hände, die auf unbedingte Sauberkeit halten, besser wegblieben. Seine Entschuldigung ist aber immer, daß er aus sich selbst heraus keine Sache zu übersehen und durchzudenken vermag. Er, der von sich aus in keiner Weise ein Intrigant ist, kann, sobald ein geschickter Intrigant sich seiner bedienen mag, als der vollkommenste Intrigant erscheinen. Darin lag für politische Intriganten schon immer eine Versuchung, sich gerade ihn zum Werkzeug zu wählen, und allein diesem Umstände verdankt er seine heutige Stellung.»

Das ist ein Beispiel, wie man sich irren kann, wenn man nicht versucht, objektiv auf die Dinge zu schauen. An dieser Persönlichkeit, die nicht durch besondere Schlauheit sich auszeichnet, sondern durch persönliche Anglerfähigkeiten, die nichts zu tun haben mit den Fähigkeiten, auf die es ankommt, sieht man die ahrimanischen Mächte wirken, welche notwendigerweise wirken mußten von der inneren Seite her, damit die Ereignisse eintraten. Man wird nach und nach einsehen, daß man gerade diesen Ereignissen gegenüber sich wird klar sein müssen, wie Übersinnliches im Guten und Bösen anerkannt werden muß. Wenn man diese Ereignisse wird verstehen wollen aus dem, was man auf dem physischen Plan beobachten kann, wird man diese Ereignisse nicht verstehen können. Man wird einsehen, wie die verschiedenen Impulse herübergeströmt sind, wie seit langer Zeit sich im Osten das vorbereitete, was den Impuls zu diesen Ereignissen gab, wie aus denjenigen Dingen, die gerade im östlichen Europa zu beobachten sind, die Faktoren sich entwickelten, die notwendigerweise einmal die Kriegsfackel entzünden mußten, wie der gegenwärtige Moment den Krieg brachte, weil die westlichen Faktoren sich eingelassen auf die Brandstiftung aus dem Osten, aus Gründen, die nur erkannt werden können, wenn man auf die wichtigen Ursachen eingeht. Es wird wichtig sein, daß gerade diese historischen Ereignisse die Menschen zwingen werden, wenn sie die Ursachen erkennen wollen, zum Übersinnlichen hinzublicken, nicht auf dem physischen Plan stehenzubleiben, denn sonst werden sie lang streiten können. Wir werden sehen müssen, daß es, wohl mehr als für andere Menschen, für den Geisteswissen-

schafter eine Notwendigkeit ist, sich auf einen sichereren Horizont zu stellen als den, der aus der Erfahrung der Angelegenheiten der physischen Welt hervorgehen kann.

Wie eingeengt der physische Horizont werden kann, hat sich seit Jahren gezeigt. Für viele begann geschichtliche Betrachtung erst im Juli. Auch manche in unseren Kreisen gaben sich sonderbaren Urteilen hin. Die Elemente zu dem, was ich sagen will, sind schon im Zyklus «Die Mission einzelner Volksseelen» in Kristiania gegeben worden. Da steht auch, daß im Osten sich vorbereitet, was in der sechsten nachatlantischen Kultur herauskommen will. Wir leben hier in der fünften Kultur. Wenn man abstrakt denkt, von der fünften Kultur steige die Menschheit immer höher zur sechsten und siebenten Kultur, dann kann einem der Kamm schwellen. Aber solches Vordringen ist nicht das Vorwärtsgehen der Kulturentwickelung der Menschheit. Bis zur vierten Kultur war eine Wiederholung der Erdentwickelung. Die fünfte Kultur ist die, auf die es ankommt; sie ist etwas Neues, das hinzugekommen ist, das herübergetragen werden muß in das sechste Zeitalter. Die sechste Kultur wird in Dekadenz sinken, es wird eine absteigende Kultur sein. Das muß berücksichtigt werden. Damit hängt zusammen, daß ein Geist wie Solowjowy der in gewisser Beziehung mit seinen habituellen Eigenschaften aus dem russischen Volkscharakter herausgewachsen ist, sich in die westliche Welt gesenkt hat, daß seine Philosophie westlich ist, zwar eingeschlossen in das Temperament des Ostens, aber in der Art, wie die Sätze fließen, das Russische erkennen läßt. - Eine Torheit wäre es, zu sagen, daß dem, der in westeuropäischer Kultur steht, etwas gegeben werden könnte, was über diese westeuropäische Kultur hinausginge.

Es sind dies wieder nur abgerissene Sätze gewesen, aber Sie werden durchhören den Appell an unsere geisteswissenschaftliche Strömung, zu versuchen, diese schwere Zeit auch dazu zu benützen, mit Konkretheit zu sehen und in Konkretheit dasjenige aufzufassen, was auch wirklich in unser Empfinden einfließen kann, wenn geisteswissenschaftliche Vorstellungen in dies unser Empfinden einfließen. Diese unsere Geisteswissenschaft wird sich in der Zukunft gerade dadurch bewähren müssen, daß sie den Weg hindurch findet durch die so unbändig aufgewühlten Leidenschaften in unserer Zeit.

Ich bin mir wohl bewußt, daß ich seit dem Beginn dieser unserer schweren Zeit weder hier noch anderswo anders über die Dinge gesprochen habe als so, daß man vor einer objektiven Weltanschauung diese Dinge vertreten kann. Doch, was alles konnte man hören! Man kann auch da aus dem, was in den letzten Monaten vorging, lernen, wie es um so manches steht, wovon kritisierend in der Außenwelt gesprochen wird. Man hat oft das Urteil hören müssen, ein großer Teil der Mitglieder höre nur auf das Urteil des einen, es beruhe alles auf blindem Vertrauen. - Wie weit es mit dem blinden Vertrauen ist, konnte sich in diesem Moment zeigen.


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