Deutsche Biographie – Onlinefassung
NDB-Artikel
Seutter, Matthäus Landkartenstecher und -verleger, * 20.9. 1678 Augsburg, ⚰
16. 3. 1757 Augsburg.
Genealogie
V Matthäus (um 1640–1704), Goldarbeiter in A., S d. Martin (1607–77/81),
ksl. Hofsilberhändler in A. (s. Einl.), u. d. Viktoria Schanternell; M Helena
(1658–1704), T d. Hans Geiselmair u. d. Barbara N. N.; ⚭ 1) Augsburg 1707
Maria Barbara (1681–1708), T d. Johann Georg Gaap u. d. Rosina Lang, 2)
Augsburg 1708 Euphrosina (1689–1716), T d. Caspar Grießbeck u. d. Regina
Eberhard, 3) Augsburg 1717 Magdalena († 1761), T d. Johann Mitteregger; 6 K
(4 früh †) aus 2), S Georg Matthäus (* 1710), Kupferstecher im väterl. Verlag,
T Euphrosina (1709–84, ⚭ Tobias Conrad Lotter, 1717–77, Kupferstecher,
Landkartenverl. in A., erwarb 1762 d. Kupferdruckplatten u. Kartenbestände
v. S.s Verlag, s. Augsburger Stadtlex.; L), 7 K (5 früh †) aus 3) S Albrecht Carl
(1722–62), Kupferstecher, nach S.s Tod Verlagsinh., T Anna Sabina (1731–
82, ⚭ 1] →Christoph Gustav Kilian, 1724–76, Pastellmaler, Schabkünstler,
Kunstverl., s. ADB 15; Augsburger Stadtlex., 2] Georg Balthasar Probst, 1732–
1801, Kunstverl., s. L).
Leben
S. erlernte nach 1697 bei →Johann Baptist Homann (1664–1724) in Nürnberg
die Kunst des Landkartenstichs und übte diese Tätigkeit anschließend für den
Augsburger Verleger →Jeremias Wolff (1663–1724) aus. Nach seiner Heirat
1707 gründete er in seiner Heimatstadt eine eigene Graphikoffizin. S. stach
und verlegte Landkarten im zeittypischen Barockstil. Sein Sortiment umfaßte
das gesamte kartographische Spektrum von der Welt- und Kontinentkarte
bis zur großmaßstäblichen Darstellung einer einzelnen Grafschaft oder der
Umgebung einer Stadt. Ergänzend hierzu produzierte er thematisch verwandte
Sujets wie Himmelskarten und Globen, Kriegs-, Geschichts-, Postrouten- und
Ordenskarten, Stadtpläne und -ansichten, theoretische und Phantasiekarten,
aber auch Wappentafeln und genealogische Schaubilder. Seit 1720 faßte
er diese großformatigen, meist einblättrigen Stiche (ca. 50 x 60 cm) in
diversen Atlasausgaben zusammen, die von 20 Blatt (Atlas Compendiosus,
1720) auf über 400 Blatt (Grosser Atlas, 1731/32) anwuchsen. S.s „Atlas
Novus“ erschien seit 1728 auch im Verlag des Wiener Buchdruckers und
Zeitungsverlegers →Johann Peter van Ghelen (1673–1754), versehen mit einem
vollständigen Ortsregister zu jeder Karte. Seit den 1740er Jahren bot S. zudem
einen preisgünstigen „Atlas Minor“ mit kleinformatigen Karten (ca. 20 x 25
cm) an, der sich besonders für den geographischen Schulunterricht und für
interessierte Laien eignete. Wie die großen Atlanten erschien auch dieser
Atlas in Ausgaben verschiedenen Umfangs und konnte mehr als 60 Karten
enthalten. 1741 erhielt er ein Druckprivileg für den oberrhein. und den schwäb.
Reichskreis sowie für den Bereich fränk. Rechts.
S.s Œuvre besteht überwiegend aus Nachstichen und Kompilationen von
Karten anderer Verlage. Da in Augsburg das akademische Umfeld fehlte,
konnte er keine dauerhaften Beziehungen zu namhaften Kartographen
aufbauen. S. fertigte daher nur wenige Originalkarten, diese vornehmlich
von Territorien Süddeutschlands (nach Entwürfen v. Militärkartographen)
und der Schweiz (Kantonskarten v. Gabriel Walser). Doch gelang es ihm
mit Geschäftssinn und sicherem Gespür für den Geschmack der Zeit, die
mangelnde wissenschaftliche Qualität des Großteils seiner Karten durch eine
künstlerisch ansprechende Gestaltung wettzumachen. Sein Erfolgsrezept war in
allen wesentlichen Merkmalen von Homann übernommen; hierzu gehörten eine
reiche Ausschmückung der Karten mit dekorativen Kartuschen, Vignetten und
figürlichen Elementen, eine hohe Dichte an Ortseintragungen, ein weitgehend
einheitliches Blattformat, eine ansprechende Kolorierung und niedrige Preise.
Als ebenso geschickter wie fleißiger Stecher produzierte S. viele Karten selbst,
er beschäftigte aber auch andere Kupferstecher, darunter seine beiden Söhne
und seinen Schwiegersohn Tobias Conrad Lotter.
S. war einer der berühmtesten und erfolgreichsten Landkartenverleger seiner
Zeit. Er trug zwar nur unwesentlich zum wissenschaftlichen Fortschritt der
Kartographie bei, umso größer aber war seine Bedeutung für die Verbreitung
geographischer Kenntnisse in weiten Bevölkerungskreisen Deutschlands im
18. Jh. Mit S.s Sohn und Nachfolger Albrecht Carl begann der Niedergang der
Offizin. In den fünf Jahren seiner Verlagsleitung|erschienen nur ca. 15 neue
Blätter. Nach seinem Tod wurden die Kupferdruckplatten und Kartenbestände
an den Augsburger Kunsthändler →Johann Michael Probst d. Ä. (1727–76) und
an Lotter verkauft, die damit den Grundstock für eigene Landkartenverlage
legten und S.s Karten noch einige Jahrzehnte lang weitervertrieben.
Auszeichnungen
ksl. Geograph (1731/32, auf d. Karten meist bezeichnet als „Sacrae Caesareae
Maiestatis Geographus“), vermutl. anläßl. d. Widmung d. „Grossen Atlas“ an Ks.
Karl VI.
Werke
Suevia Universa, v. J. Michal (9 Bll.), um 1725; Alsatia Superior et Inferior,
v. dems. (3 Bll.), um 1725; Rhenus per tres tabellas delineatus, v. dems. (3
Bll.), nach 1731; Novissima delineatio Marchionatus Burgoviae, v. dems., nach
1740; Charte geographique de la Campagne du Haut Rhin, v. J. F. Oettinger
(2 Bll.), 1734; Neu verfertigt accurater Grund Riß d. Hochberühmten ( . . . )
Haupt Statt Augspurg, v. J. T. Kraus, 1743; Tabulae Principatus Brandenburgico-
Culmbacensis ( . . . ) pars Superior, v. J. A. Riediger, 1750.
Literatur
ADB 34; C. Sandler, M. S. u. seine Landkarten, in: Mitt. d. Ver. f. Erdkde. zu
Leipzig 1894, S. 1–38 (Neudrr. 1963, 2001); H. Wolff, Cartographia Bavariae,
Bayern im Bild d. Karte, Ausst.kat., 1988, S. 141 f. (P); P. H. Meurer, Das
Druckprivileg f. M. S., in: Cartographica Helvetica 8, 1993, S. 32–36; M. Ritter,
S., Probst and Lotter, An eighteenth-century map publishing house in Germany,
in: Imago Mundi, The Internat. Journal for the History of Cartography 53, 2001,
S. 130–35; ders., Augsburger Landkartenproduktion im 18. Jh., Die Verleger S.,
Lotter u. Probst, in: Augsburg, die Bilderfabrik Europas, Essays z. Augsburger
Druckgraphik d. Frühen Neuzeit, hg. v. J. R. Paas, 2001, S. 153–62 (P, dort auch
e. v. S. hg. Verlagsverz. ,,Catalogus der Landcharten“); ders., Der Verlag v. M.
S. in Augsburg u. andere Konkurrenten im Dt. Reich im 18. Jh., in: „auserlesene
u. allerneueste Landkarten“, Der Verlag Homann in Nürnberg, 2002, S. 186–95;
Augsburger Stadtlex.
Portraits
Brustbild, Schabkunstbl. v. M. Deisch, um 1735 bzw. 1748/49 (Augsburg,
Staats- u. Stadtbibl.; Nürnberg, German. Nat.mus.).
Autor
Michael Ritter
Empfohlene Zitierweise
Ritter, Michael, „Seutter, Matthäus“, in: Neue Deutsche Biographie 24
(2010), S. 285-286 [Onlinefassung]; URL:
http://www.deutsche-biographie.de/
pnd118613537.html
ADB-Artikel
Seutter: Matthäus S. (auch Seuter), Kupferstecher und Kartograph, wurde
1678 als Sohn des Goldarbeiters Matthias S. und der Bierbrauerstochter Helene
Geiselmeir zu Augsburg geboren. Seine Eltern bestimmten ihn ursprünglich
zum Bierbrauer, er setzte es aber durch, daß er bei J. B. Homann in Nürnberg
das Landkartenstechen erlernen durfte. Bereits 1707, in welchem Jahre er sich
zum ersten Male verheirathete (1708 und 1717 heirathete er zum zweiten
und dritten Male), finden wir ihn als selbständigen Kupferstecher zu Augsburg
ansässig. Binnen kurzer Zeit gelang es ihm, seine dortigen Vorgänger|und
Concurrenten im Landkartenstich, Joh. Stridbeck und Jer. Wolf, besonders in
Bezug auf Reichhaltigkeit und Mannigfaltigkeit des kartographischen Verlags
zu überholen und den Landkartenhandel, der durch die kriegerischen Zeiten
begünstigt wurde, im Großen zu betreiben. Seinen kaufmännischen Erfolg
bezeugt der 1723 abgeschlossene Kauf des Hauses D 261 (St. Annagasse),
seinen wissenschaftlichen der Titel "kaiserlicher Geograph", den ihm gegen
1730 der Kaiser für die Dedication seines "großen Atlas" verlieh. Er starb
1757. — Aus seiner Officin sind bis zu diesem Jahr gegen 400 Blätter
hervorgegangen, die zum großen Theil von ihm selbst, im übrigen von seinem
Schwiegersohn (seit 1740) Tobias Konrad Lotter, dem Kupferstecher Andreas
Silbereisen und seinem Sohn Albrecht Karl S. gestochen sind. Ungefähr 250
davon sind Landkarten, gegen 100 Pläne und Ansichten von Städten, der
Rest chronologische Tafeln, Stammbäume. Tafeln zur Erklärung des See-
und Kriegswesens, endlich Jak. Brucker's "Geschichte der Philosophie" in
6 Tabellen und verschiedene "Curiosa". Sämmtliche Blätter des Verlags,
so wie sie in den verschiedenen Jahren gerade vorhanden waren, bildeten
unter gelegentlicher Zuhülfenahme von Homännischen und anderen Karten
Seutter's "großen Atlas" (ohne Jahr), während die Hauptkarten zu kleineren
Atlanten unter besonderen Titeln zusammengestellt wurden; bekannt sind:
"Atlas geographicus", 1725, mit 46 Karten; "Atlas compendiosus", o. J., mit
20 Karten; "Atlas compendiosus scholasticus", o. J., mit 26 Karten; "Atlas
novus indicibus instructus", Wien und Augsburg, um 1730 mit 25, um 1735
mit 50 in Buchstabenquadrate eingetheilten Landkarten und dazu gehörigen
vom kaiserl. Hofkriegsagenten Matth. Roth angefertigten Ortsregistern;
"Atlas minor" (4°), o. J., mit 50 Karten. Jedem dieser Atlanten ist außer dem
erwähnten (gedruckten) Titel noch ein "gemaltes" Titelblatt mit der östlichen
Erdhälfte und allegorischen Figuren vorgesetzt, welches ihn als "Atlas novus
sive tabulae geographicae totius orbis faciem exhibentes ...", o. J., bezeichnet,
und zumeist ist auch eine kurzgefaßte, mathematisch-physikalische "Einleitung
zu dem so anmuthig- als nutzlichen Studio der Geographie" (lat. oder deutsch)
beigefügt. — Die große Mehrzahl der Blätter sind Copien oder unwesentliche
Veränderungen holländischer und französischer, aber auch Homännischer
Originale; nach Manier und Inhalt den Homännischen Karten auf das genaueste
gleichend wurden sie, wie damals üblich, möglichst rasch nach dem Erscheinen
der theuren, oft schwer zu verschaffenden Originale ohne Angabe von Autor
und Publicationsjahr auf den Markt gebracht und dem großen Publicum um
billigen Preis angeboten. S. hat außerdem noch das Verdienst, daß er dem
geographisch ungeschulten, "zeitungslesenden" Publicum durch Beigabe
der Ortsregister eine leichte und schnelle Orientirung auf der Landkarte
ermöglichte. Seine Originalkarten beschränken sich meist auf kleinere deutsche
Gebiete; hervorzuheben sind Michal's "Schwaben" in 9 Bl. (um 1720) und
"Rheinstrom" in 3 Bl., Harenberg's "Palästina" (1738), Walser's Karten mehrerer
schweizer Cantone (nach 1740), Zürner's "sächsische Specialkarten" (nach
1750). Ständige wissenschaftliche Mitarbeiter hat sich S. nicht gehalten; Hasius
und Tob. Mayer, welch letzterer 1741—46 bei Andreas Silbereisen wohnte,
sind nur gelegentlich, der Geograph Rizzi-Zannoni aus Padua, der sich eine
Zeit lang, wahrscheinlich Mitte der fünfziger Jahre, im Seutterischen Hause
aufhielt, nur vorübergehend für ihn thätig gewesen. Kritische Selbständigkeit
in der Kartographie, so wie sie die Homännischen Erben seit 1732 zu erreichen
suchten, hat S. wohl überhaupt nicht angestrebt. — Sein Verlag wurde nach
seinem Tode vertheilt und ging theils an seinen Sohn Albrecht Karl über, der
aber bald starb, theils an Michael Probst, theils an Tob. Konr. Lotter (1717—
77). Letzterer, dessen Stich sehr gelobt wurde, und noch mehr sein Sohn und
Erbe Matthäus Albrecht|Lotter (geb. 1741), waren durch Benützung englischer
Originalkarten und häufigere Ausgabe eigener Werke sichtlich bemüht, die
Seutterische Officin wieder auf einen zeitgemäßen Standpunkt zu heben; aber
auch sie haben besonders hervorragende Erfolge nicht zu verzeichnen.
Literatur
Paul v. Stetten d. j., Kunst-, Gewerbe- und Handwerks-Geschichte der
Reichsstadt Augsburg. Augsburg 1779, S. 54 ff. — Die übrigen biogr. Daten aus
verschiedenen Acten und Protokollen des augsb. städt. Archivs. — E. D. Hauber,
Historie der Landkarte von Schwaben, Ulm 1724, S. 33 ff. — Ein Verzeichniß
der Landkarten u. s. w. von Matth. Seutter s. im Neuen Büchersaal der schönen
Wissensch. VI. Bd. (1748), S. 559 ff.
Autor
Sandler.
Empfohlene Zitierweise
Sandler, „Seutter, Matthäus“, in: Allgemeine Deutsche Biographie (1892), S.
[Onlinefassung]; URL:
http://www.deutsche-biographie.de/pnd118613537.html
Register
Seutter, Matthäus
Name: Seutter, Matthäus
Namensvarianten: Seuter, Matthäus; Seutter, Matthäus IV.
Lebensdaten: 1678 bis 1757
Beruf/Lebensstellung: Kartograph; Kupferstecher; Landkartenstecher;
Landkartenverleger
Konfession: evangelisch
Autor NDB: Ritter, Michael
Autor ADB: Sandler
PND: 118613537
11. November 2016
© Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
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