Aktuelle ISBN: 3-608-93449-9
Audioproduktion: Klett-Cotta 1950-1956
The Star Spangled Banner
Diese Hymne wurde von Francis Key am 13. Sept. 1814 geschrieben als er auf einer Fregatte der Royal Navy während des britischen Angriffs auf Fort McHenry gefangen gehalten wurde.
Oh, say! can you see by the dawn's early light
What so proudly we hailed at the twilight's last gleaming;
Whose broad stripes and bright stars, through the perilous fight,
O'er the ramparts we watched were so gallantly streaming?
And the rocket's red glare, the bombs bursting in air,
Gave proof through the night that our flag was still there:
Oh, say! does that star-spangled banner yet wave
O'er the land of the free and the home of the brave?
On the shore, dimly seen through the mists of the deep,
Where the foe's haughty host in dread silence reposes,
What is that which the breeze, o'er the towering steep,
As it fitfully blows, half conceals, half discloses?
Now it catches the gleam of the morning's first beam,
In fully glory reflected now shines in the stream:
'Tis the star-spangled banner! Oh, long may it wave
O'er the land of the free and the home of the brave!
And where is that band who so vauntingly swore
That the havoc of war and the battle's confusion
A home and a country should leave us no more?
Their blood has washed out their foul footsteps' pollution!
No refuge could save the hireling and slave
From the terror of flight or the gloom of the grave:
And the star-spangled banner in triumph doth wave
O'er the land of the free and the home of the brave.
Oh, thus be it ever, when freemen shall stand
Between their loved home and the war's desolation!
Blest with victory and peace, may the heav'n-rescued land
Praise the Power that hath made and preserved us a nation!
Then conquer we must, when our cause it is just,
And this be our motto: "In God is our trust":
And the star-spangled banner in triumph shall wave
O'er the land of the free and the home of the brave.
The Tyger
Tyger Tyger burning bright,
In the forests of the night,
What immortal hand or eye,
Could frame thy fearful symmetry?
In what distant deeps or skies,
Burnt the fire of thine eyes?
On what wings dare he aspire?
What the hand dare sieze the fire?
And what shoulder, & what art,
Could twist sinews of thy heart?
And when thy heart began to beat,
What dread hand? & what dread feet?
What the hammer? and what the chain,
In what furnace was thy brain?
What the anvil ? what dread grasp,
Dare its deadly terrors clasp!
When the stars threw down their spears
And water'd heaven with their tears:
Did he smile his work to see?
Did he who made the Lamb make thee?
Tyger Tyger burning bright,
In the forests of the night,
What immortal hand or eye,
Dare frame thy fearful symmetry?
William Blake
Tiere aus der Tiefe
Und es kommen Tiere aus der Tiefe,
Tiere, die, wenn man sie riefe,
schweigend in der Tiefe blieben,
nie gesehen, nie beschrieben:
Nur dein Rufen läßt sie schlafen,
Rufe! Schrei zum Steinerweichen!
Und du wirst den letzten Hafen
Ohne Zwischenfall erreichen!
Robert Gernhardt
To Autumn
1 Season of mists and mellow fruitfulness,
2 Close bosom-friend of the maturing sun;
3 Conspiring with him how to load and bless
4 With fruit the vines that round the thatch-eves run;
5 To bend with apples the moss'd cottage-trees,
6 And fill all fruit with ripeness to the core;
7 To swell the gourd, and plump the hazel shells
8 With a sweet kernel; to set budding more,
9 And still more, later flowers for the bees,
10 Until they think warm days will never cease,
11 For Summer has o'er-brimm'd their clammy cells.
12 Who hath not seen thee oft amid thy store?
13 Sometimes whoever seeks abroad may find
14 Thee sitting careless on a granary floor,
15 Thy hair soft-lifted by the winnowing wind;
16 Or on a half-reap'd furrow sound asleep,
17 Drows'd with the fume of poppies, while thy hook
18 Spares the next swath and all its twined flowers:
19 And sometimes like a gleaner thou dost keep
20 Steady thy laden head across a brook;
21 Or by a cyder-press, with patient look,
22 Thou watchest the last oozings hours by hours.
23 Where are the songs of Spring? Ay, where are they?
24 Think not of them, thou hast thy music too,--
25 While barred clouds bloom the soft-dying day,
26 And touch the stubble-plains with rosy hue;
27 Then in a wailful choir the small gnats mourn
28 Among the river sallows, borne aloft
29 Or sinking as the light wind lives or dies;
30 And full-grown lambs loud bleat from hilly bourn;
31 Hedge-crickets sing; and now with treble soft
32 The red-breast whistles from a garden-croft;
33 And gathering swallows twitter in the skies.
John Keats 1797-1820
Arzt, Chirurg, Apotheker - schrieb alles zw. 19 u 24 Lj.,
starb an Tuberkulose
To see a world
in a grain of sand
And a heaven in a wild flower,
hold infinity in the palm of your hand
and eternity in an hour.
William Blake 1757 - 1827
Töricht auf Besserung der Toren zu harren
Kinder der Klugheit o habet die Narren
eben zum Narren auch, wie sichs gehört!
Goethe
Treu und Redlichkeit
Üb immer Treu und Redlichkeit
bis an dein kühles Grab
und weiche keinen Finger breit
von Gottes Wegen ab.
Dann wirst du wie auf grünen Aun
durchs Pilgerleben gehn,
dann kanst du sonder Furcht und Graun
dem Tod ins Auge sehn.
Dann suchen Enkel deine Gruft
und weinen Tränen drauf,
und Sommerblumen voller Duft,
blühn aus den Tränen auf.
x
Trinkt!
Wär nicht der rote Saft der Reben,
wer möchte hier wohl länger sein?
Wohin der Weise blickt ins Leben,
sieht er nur Leiden, nur die Pein
der Unterdrückten, Unermessnen
von der Verführten Schrei umgellt.
Drum, Brüder, trinkt, um zu vergessen
die ganze jammevolle Welt!
Sören Kierkegaard 1813-1855
Entweder- Oder
Über den Wolken
Wind nord/ost, Startbahn null drei
bis hier hör ich die Motoren
Wie ein Pfeil zieht sie vorbei
und es dröhnt in meinen Ohren
Und der nasse Asphalt bebt
wie ein Schleierstaub der Regen
bis sie abhebt und sie schwebt
der Sonne entgegen
Über den Wolken
muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
alle Ängste alle Sorgen, sagt man
blieben darunter verborgen, und dann
würde was uns gross und wichtig erscheint
plötzlich nichtig und klein
Ich seh ihr noch lange nach
seh sie die Wolken erklimmen
bis die Lichter nach und nach
ganz im Regengrau verschwimmen
Meine Augen haben schon
jenen winz'gen Punkt verloren
nur von fern klingt monoton
das Summen der Motoren
Über den Wolken
muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
alle Ängste alle Sorgen, sagt man
blieben darunter verborgen, und dann
würde was uns gross und wichtig erscheint
plötzlich nichtig und klein
Dann ist alles still ich geh
Regen durchdringt meine Jacke
irgendjemand kocht Kaffee
in der Luftaufsichtsbaracke
in den Pfützen schwimmt Benzin
schillernd wie ein Regenbogen
Wolken spiegeln sich darin
ich wär gern mitgeflogen
Über den Wolken
muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
alle Ängste alle Sorgen, sagt man
blieben darunter verborgen, und dann
würde was uns gross und wichtig erscheint
plötzlich nichtig und klein
R. Mey
Über Goethes Gedicht
"Der Gott und die Bajadere"
O bittrer Argwohn unsrer Mahadöhs
Die Huren möchten in den Freudenhäusern
Wenn sie die vorgeschriebne Wonne äußern
Nicht ehrlich sein. Das wäre bös.
Wie schön singt jener, der das alles weiß
Von jener einzigen, um die's ihm leid war
Die für ihn auch zu sterben noch bereit war
Um den von Anfang ausgemachten Preis.
Wie streng er püfte, ob sie ihn auch liebte!
Ausdrücklich heißt's, er hab ihr Pein bereitet...
Sechs waren schon geprüft, doch erst die siebte
Vergoß die Tränen, als sie ihn verlor!
Doch wie belohnte er sie auch: beneidet
Von allen hob er sie am Schluß zu sich empor.
Bertold Brecht
Überall
Überall ist Wunderland.
Überall ist Leben.
Bei meiner Tante im Strumpfenband,
Wie irgendwo daneben.
Überall ist Dunkelheit.
Kinder werden Väter.
Fünf Minuten später
Stirbt sich was für einige Zeit.
Überall ist Ewigkeit.
Wenn Du einen Schneck behauchst,
Schrumpf er ins Gehäuse.
Wenn Du ihn in Kognak tauchst,
Sieht er weiße Mäuse.
Ringelnatz
Umsonst
Immer rascher fliegt der Funke,
jede Dschunke und Spelunke
wird auf Wissenschaft bereist,
jede Sonne wird gewogen
und in Rechnung selbst gezogen,
was noch sonnenjenseits kreist.
Immer höh´re Wissenstempel,
immer richt´ger die Exempel,
wie Natur es draußen treibt,
immer klüger und gescheiter,
und wir kommen doch nicht weiter,
und das Lebensrätsel bleibt.
Theodor Fontane
Vegetarisch
Ein Hecht, bekehrt von St. Anton,
beschloss samt Ehefrau und Sohn
am vegetarischen Gedanken
moralisch sich emporzuranken.
Er ass seitdem nur noch dies:
Seegras, Seerose und Seegries.
Doch Gries, Gras, Rose floss o Graus
entsetzlich stinkend hinten raus.
Der ganze Teich ward angesteckt,
fünfhundert Fische sind verreckt.
Doch St. Anton, gerufen eilig
sprach nichts als "Heilig, heilig, heilig".
Morgenstern
Vergnügungen
Der erste Blick aus dem Fenster am Morgen
Das wiedergefundene alte Buch
Begeisterte Gesichter
Schnee, der Wechsel der Jahreszeiten
Die Zeitung
Der Hund
Die Dialektik
Duschen, Schwimmen
Alte Musik
Bequeme Schuhe
Begreifen
Neue Musik
Schreiben, Pflanzen
Reisen
Singen
Freundlich sein.
B.Brecht
Verhör des Guten
Tritt vor: Wir hören
Daß du ein guter Mann bist.
Du bist nicht käuflich, aber der Blitz
Der ins Haus einschlägt ist auch
Nicht käuflich.
Was du einmal gesagt hast, dabei bleibst du.
Was hast du gesagt?
Du bist ehrlich, du sagst deine Meinung.
Welche Meinung?
Du bist tapfer.
Gegen wen?
Du bist weise.
Für wen?
Du siehst nicht auf deinen Vorteil.
Auf wessen denn?
Du bist ein guter Feund.
Auch guter Leute?
So höre: Wir wissen
Du bist unser Feind. Deshalb wollen wir dich
Jetzt an eine Wand stellen. Aber in Anbetracht deiner Verdienste
Und guten Eigenschaften
An eine gute Wand und dich erschießen mit
Guten Kugeln guter Gewehre und dich begraben mit
Einer guten Schaufel in guter Erde.
Brecht
Vom Leben
Dein Leben ist dir nur geliehn -
du sollst nicht daraus Vorteil ziehn.
Du sollst es ganz dem Andren weihn -
und der kannst du nicht selber sein.
Der Andre, das bin ich mein Lieber -
nun komm schon mit den Kohlen rüber.
Robert Gernhardt
Vom Wolffesbrunnen
Dv edler Brunnen du / mit Rhu vnd Lust vmgeben
Mit Bergen hier vnd da als einer Burg vmbringt /
Printz aller schönen Quell' / aus welchem Wasser dringt
Anmutiger dann Milch / vnnd köstlicher dann Reben /
Da vnsres Landes Kron' vnd Häupt mit seinem Leben /
Der werthen Nymph' / offt selbst die lange Zeit verbringt /
Da das Geflügel jhr zu Ehren lieblich singt /
Da nur Ergetzlichkeit vnd keusche Wollust schweben /
Vergeblich bist du nicht in dieses grüne Thal
Beschlossen von Gebirg' und Klippen vberall:
Die künstliche Natur hat darumb dich vmbfangen
Mit Felsen und Gepüsch' / auff daß man wissen soll
Daß alle Frölichkeit sey Müh' und Arbeit voll /
Vnd daß auch nichts so schön / es sey schwer zu erlangen.
Martin Opitz
1597 - 1639, Student zu Heidelberg 1619 und 1620
Von den Seeräubern
1
Von Branntwein toll und Finsternissen,
Von unerhörten Güssen naß!
Von Frost eisweißer Nacht zerrissen
Im Mastkorb, von Gesichten blaß!
Von Sonne nackt gebrannt und krank!
(Die hatten sie im Winter lieb)
Aus Hunger, Fieber und Gestank
Sang alles, was noch übrigblieb:
O Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind, die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!
2
Kein Weizenfeld mit milden Winden
Selbst keine Schenke mit Musik
Kein Tanz mit Weibern und Absinthen
Kein Kartenspiel hielt sie zurück.
Sie hatten vor dem Knall das Zanken
Vor Mitternacht die Weiber satt:
Sie liebten nur verfaulte Planken
Ihr Schiff, das keine Heimat hat.
O Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind, die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!
3
Mit seinen Ratten, seinen Löchern
Mit seiner Pest, mit Haut und Haar
Sie fluchten wüst darauf beim Bechern
Und liebten es so wie es war.
Sie knoten sich mit ihren Haaren
Im Sturme in seinem Mastwerk fest:
Sie würden nur zum Himmel fahren
Wenn man dort Schiffe fahren läßt.
4
Sie häuften Seide, schöne Steine
Und Gold in ihr verfaultes Holz
Sie sind auf die geraubten Weine
In ihren wüsten Mägen stolz.
Um dürren Leib riecht toter Dschunken
Seide glühbunt nach Prozession
Doch sie zerstechen sich betrunken
Im Streit um einen Lampion.
5
Sie morden kalt und ohne Hassen
Was ihnen vor die Zähne springt
Sie würgen Gurgeln so gelassen
Wie man ein Tau ins Mastwerk schlingt.
Sie trinken Sprit bei Leichenwachen
Nachts torkeln trunken sie in See
Und die, die übrigbleiben, lachen
Und winken mit der kleinen Zeh.
6
Vor violetten Horizonten
Still unter bleichem Mond im Eis
Bei schwarzer Nacht in Frühjahrsmonden
Wo keiner von dem anderen weiß.
Sie lauern wolfgleich in den Sparren
Und treiben funkeläugig Mord
Und singen um nicht zu erstarren
Wie Kinder, trommelnd im Abort:
7
Sie tragen ihren Bauch zum Fressen
Auf fremde Schiffe wie nach Haus
Und strecken selig im Vergessen
Ihn auf die fremden Frauen aus.
Sie leben schön, wie noble Tiere
Im weichen Wind, im trunknen Blau!
Und oft besteigen sieben Stiere
Eine geraubte fremde Frau.
O Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind, die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!
8
Wenn man viel Tanz in müden Beinen
Und Sprit in satten Bäuchen hat
Mag Mond und zugleich Sonne scheinen
Man hat Gesang und Messer satt.
Die hellen Sternennächte schaukeln
Sie mit Musik in süße Ruh
Und mit geblähten Segeln gaukeln
Sie unbekannten Meeren zu.
9
Doch eines Abends im Aprile
Der keine Sterne für sie hat
Hat sie das Meer in aller Stille
Auf einmal plötzlich selber satt.
Der große Himmel, den sie lieben
Hüllt still in Rauch die Sternensicht
Und die geliebten Winde schieben
Die Wolken in das milde Licht.
10
Der leichte Wind des Mittags fächelt
Sie anfangs spielend in die Nacht
Und der Azur des Abends lächelt
Noch einmal über schwarzem Schacht.
Sie fühlen noch, wie voll Erbarmen
Das Meer mit ihnen heute wacht
Dann nimm der Wind sie in die Arme
Und tötet sie vor Mitternacht.
11
Noch einmal schmeißt die letzte Welle
Zum Himmel das verfluchte Schiff
Und da in ihrer letzten Hölle
Erkennen sie das große Riff.
Und ganz zuletzt, in höchsten Masten
War es, weil Sturm so gar laut schrie
Als ob sie, die zur Hölle rasten
Noch einmal sangen, laut wie nie:
O Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind, die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!
B. Brecht
Von guten Mächten
Von guten Mächten treu und still umgeben
behütet und getröstet wunderbar -
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr;
noch will das alte unsre Herzen quälen
noch drückt uns Böser Tage schwere Last.
Ach, Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.
Laß warm und hell die Kerzen heute flammen,
die Du in unsre Dunkelheit gebracht,
fuhr, wenn es sein kann, wieder uns zusammen!
Wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht.
Von guten Mächten wunderbar geborgen
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen,
und ganz gewiß an jedem neuen Tag.
Diettrich Bonhoeffer
Vor Tag
Nun liegt und zuckt am fahlen Himmelsrand
in sich zusammengesunken das Gewitter.
Nun denkt der Kranke: 'Tag! Jetzt werd ich schlafen!'
und drückt die heissen Lider zu Nun streckt
die junge Kuh im Stall die starken Nüstern
nach kühlem Frühduft. Nun im stummen Wald
hebt der Landstreicher ungewaschen sich
aus weichem Bett vorjährigen Laubes auf
und wirft mit frecher Hand den nächsten Stein
nach einer Taube, die schlaftrunken fliegt,
und graust sich selber, wie der Stein so dumpf
und schwer zur Erde fällt. Nun rennt das Wasser,
als wolle es der Nacht, der fortgeschlichenen, nach
ins Dunkel stürzen, unteilnehmend, wild
und kalten Hauches hin, indessen droben
der Heiland und die Mutter leise, leise
sich unterreden auf dem Brücklein: leise,
und doch ist ihre kleine Rede ewig
und unzerstörbar wie die Sterne droben.
Er trägt sein Kreuz und sagt nur: 'meine Mutter!'
und sie sieht ihn an, und: 'ach, mein lieber Sohn!'
sagt sie. - Nun hat der Himmel mit der Erde
ein stumm beklemmend Zwiegespräch. Dann geht
ein Schauer durch den schweren alten Leib:
sie rüstet sich, den neuen Tag zu leben.
Nun steigt das geisterhafte Frühlicht. Nun
schleicht einer ohne Schuh' von einem Frauenbett,
läuft wie ein Schatten, klettert wie ein Dieb
durchs Fenster in sein eigen Zimmer, sieht
sich im Wandspiegel und hat plötzlich Angst
vor diesem blassen, übernächtigen Fremden,
als hätte dieser selbe heute nacht
den guten Knaben, der er war ermordet
und käme jetzt, die Hände sich zu waschen
im Krüglein seines Opfers wie zum Hohn,
und darum sei der Himmel so beklommen
und alles in der Luft so sonderbar.
Nun geht die Stalltür. Und nun ist auch Tag.
Hugo von Hofmannsthal 1874 - 1929
Vorfrühling
Es läuft der Frühlingswind
durch kahle Alleen,
seltsame Dinge sind
in seinem Wehn.
Er hat sich gewiegt
wo Weinen war,
er hat sich geschmiegt
in zerrüttetes Haar.
Er schüttelt nieder
Akazienblüten
und kühlte die Glieder,
die atmend glühten.
Lippen im Lachen
hat er berührt,
die weichen und wachen
Fluren durchspürt.
Er glitt durch die Flöte
als schuchzender Schrei,
an dämmernder Röte
flog er vorbei.
Er flog mit Schweigen
durch flüsternde Zimmer
und löschte im Neigen
der Ampel Schimmer.
Es läuft der Frühlingswind
durch kahle Alleen,
seltsame Dinge sind
in seinem Wehn.
Durch die glatten
kahlen Alleen
treibt sein Wehn
blasse Schatten
und den Duft,
den er gebracht,
von wo er gekommen
seit gestern Nacht.
Hugo von Hofmannsthal
1874-1929
Vorsicht!
Ein Mensch wähnt, in der fremden Stadt,
Wo er Bekannte gar nicht hat,
In einem Viertel, weltverloren,
Dürft ungestraft er Nase bohren,
Weil hier, so denkt er voller List,
Er ja nicht der ist, der er ist.
Zwar entsinnt er sich noch entfernt
Des Spruchs, den er als Kind gelernt:
"Ein Auge ist, das alles sieht,
Auch was in finstrer Nacht geschieht!"
Doch hält er dies für eine Phrase
Und bohrt trotzdem in der Nase.
Da rufts, er möchte versinken schier:
"Herr Doktor, was tun Sie den hier?"
Der Mensch muß, obendrein als Schwein,
Der, der er ist, nun wirklich sein.
Moral: Zum Auge Gottes kann
Auf Erden werden jedermann.
Eugen Roth
Wanderers Nachtlied
Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vöglein schweigen im Walde.
Warte, nur balde
Ruhest du auch.
Goethe 1749-1832
Was ist der Mensch
Die Nacht, vielleicht geschlafen
Doch vom Rasieren schon wieder so müd.
Noch eh ihn Post und Telefone trafen
Ist die Substanz schon leer und ausgeglüht.
Ein höheres, ein allgemeines Wirken
Von dem man hört und manches mal auch ahnt,
Versagt sich vielen leiblichen Bezirken,
Verfehlte Kräfte, tragisch angebahnt.
Man sage nicht, der Geist kann es erreichen.
Er gibt nur manchmal, kurz belichtet, Zeichen.
Nicht im Entferntesten ist das zu deuten
Als ob der Schöpfer ohne Seele war.
Er fragt nur nicht so einzeln nach den Leuten,
Nach ihren Klagen, Krebsen, Haut und Haar.
Er wob sie aus Verschiedenem zusammen,
das er auch noch für andre Sterne braucht.
Er gab uns Mittel, selbst uns zu entflammen
Labil stabil, labil, man träumt, man taucht.
Schon eine Pille nimmt dich auf den Arm
Und macht das Trübe hell, das Kalte warm.
Du mußt aus deiner Gegend alles holen,
Denn auch von Reisen kommst du leer zurück.
Verläßt du dich, beginnen Kapriolen
Und du verlierst dich, Stück um Stück.
Von Blumen mußt du solche wählen,
Die blühn am Zaun und halb im Acker schon;
Die in dein Zimmer tun, die Laute zählen,
Des Lebens Laute, seinen Ton.
Benn, Melancholie
Weihnachten
Markt und Strassen stehn verlassen
still erleuchtet jedes Haus
sinnend zieh ich durch die Gassen
alles sieht so festlich aus.
An den Fenstern haben Frauen
buntes Spielzeug frpmm geschmückt
tausend Kindlein stehn und schauen
sind so wunderbar beglückt.
Und ich wandre aus den Mauern
bis hinaus ins freie Feld.
Heilges Glänzen, hehres Schauern
wie so weit und still die Welt!
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