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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
Lumumba, in ihren Gemälden festhielten.
56
Sie erfül-
len damit eine wichtige Funktion in der lokalen
Überlieferung der historischen Ereignisse. Während
Tshibumba seit 1981 vermisst ist, lebt Kaswende bis
heute (wenigstens bis 2006) in Lubumbashi.
Freddy Tsimba
Eine Ausnahme unter den Künstlern Kinshasas ist
der Bildhauer Freddy Tsimba, der 2000 mit dem
Schiff auf dem Kongo ins Landesinnere reiste, um
die Geschichte der Kriegsflüchtlinge aus Kisangani
zu recherchieren, die bis nach Kinshasa gelangt wa-
ren. Er stieß auf die Spuren des Krieges in Form
einer großen Zahl von Patronenhülsen, die er nach
Kinshasa mitnahm und zu Skulpturen verschweißte.
Titel wie „La chute des dictateurs‚ verraten die kri-
tische Intention.
57
Tsimba erreicht damit weder den
einheimischen noch den internationalen Kunst-
markt, stellt aber international aus und war bei-
spielsweise 2006 und 2008 auf der Biennale von
Dakar vertreten.
http://freddytsimba.canalblog.com/
Prince Tshime Kalumbwa
‚War, Shadow, Pain‛ nennt Prince Tshime
Kalumbwa eine Skulpturenserie, an der er bereits in
seiner Heimatstadt Lubumbashi zu arbeiten begann
und die er anlässlich eines Stipendienaufenthalts an
der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart erweitert
hat. Lubumbashi ist die Hauptstadt der mineralrei-
chen Provinz Katanga. Es gibt dort eine Kunstaka-
demie, an der Tshime auch an Workshops auswärti-
ger Künstler wie Aimé Mpane oder Disunde teilge-
nommen hat. Die staatliche Minengesellschaft
Gécamines, für die er einmal ein Denkmal herge-
stellt hat, war früher das größte Unternehmen des
Landes, ist heute aber zu großen Teilen privatisiert.
Der Bildhauer thematisiert Mühen und Leiden der
Zivilbevölkerung und – etwa in einer lebensgroßen
Soldatenfigur, die ausschließlich aus Nägeln zu-
56
A Congo Chronicle. Patrice Lumumba in Urban Art, Museum for
African Art, New York 1999;
The Short Century. Independence and
Liberation Movements in Africa 1945-1994, München 2001, S. 104
f./107/474/479.
57
http://blog.zeit.de/kongo/2006/08/14/skulpturen-aus-
kriegsschrott.
sammengesetzt ist und kleinen Blauhelmsoldaten
gegenübersteht – die militärischen Auseinanderset-
zungen in der Katanga-Provinz. „Es ist eigentlich
kein Krieg‚, sagt der Künstler, „eher Plünderung.‚
Und: „Es ist gefährlich. Es sind Journalisten ums
Leben gekommen, die recherchiert haben. Trotzdem
muss man versuchen, die Nachrichten zu verbrei-
ten.‚
58
Le Groupe Amos
Vorgestellt auf der Documenta 11, arbeitet
Le Groupe
Amos aus Kinshasa mit verschiedenen, nicht not-
wendiger Weise künstlerischen Mitteln – wie Work-
shops, Radiosendungen, Videodokumentationen,
Publikationen, Theater – gegen die in der kongolesi-
schen Hauptstadt Kinshasa allgegenwärtige struktu-
relle Gewalt, die auch militärische Gewalt mit ein-
schließt, wie Thierry Nlandu, Literaturprofessor,
Dramenautor und Mitglied der Gruppe betont: „In
Kinshasa, the forces of law and order are themselves
one of the main agents of violence. The city’s mili-
tary police are plagued by corruption, entangled
with organized crime and accustomed to using vio-
lent and illegal methods.‛
59
Frauen, die von dieser
Gewalt oft besonders betroffen sind, gilt eine beson-
dere Aufmerksamkeit der Arbeit.
Christine Meisner: The Present (2008)
In einer aus mehreren Teilen bestehenden, in Buch-
form unter dem Titel „The Present‚ veröffentlichten
Arbeit, die anlässlich eines Stipendiums 2006 in
Schloss Ujazdowski bei Warschau entstand, beschäf-
tigt sich die Künstlerin Christine Meisner, ausge-
hend von Joseph Conrads berühmtem Roman „He-
art of Darkness‚, mit der Geschichte und Gegenwart
des Kongo. Der Titel stellt auf paradoxe Weise her-
kömmliche Auffassungen von Geschichte in Frage.
Während Meisner das koloniale Klischee von Afrika
als geschichtslosem Kontinent widerlegt, resultiert
aus ihren Gesprächen mit Kongolesen in Warschau,
58
Ausstellung Akademie Schloss Solitude, 09.-24.07.2011; vgl.
Dietrich Heißenbüttel: „Blauhelme, Kindersoldaten und spitze
Nägel‚,
Stuttgarter Zeitung, 07.09.2011.
59
Thierry Nlandu, ‚Kinshasa: Beyond Chaos‛, in:
Under Siege:
Four African Cities, Freetown, Johannesburg, Kinshasa, Lagos.
Documenta 11, Platform 4, Ostfildern-Ruit 2002, S.185-199, hier: 192.
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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
Brüssel, Tervuren, Kinshasa, Kisangani und bei Di-
amantenschmugglern im Bergbaugebiet Hewa Bora
doch andererseits, „dass eine unaufgearbeitete Ge-
schichte sich auf die nächste Generation übertrage
und bestimmte Mechanismen
und Charakteristika in
einer Gesellschaft erzeuge.‚
60
Sie spricht mit einem
ehemaligen Kindersoldaten und dem oben erwähn-
ten Bildhauer Freddy Tsimba, dessen Großvater für
Henry Morton Stanley arbeitete und der sagt:
„Mobutu wollte zwar die Namen afrikanisieren,
aber was die Belgier im Kongo zu verantworten
haben, hatte er nicht kritisch verfolgt, Mobutu habe
auch nicht gewollt, dass man so viel über die eigene
Geschichte erfahre, wegen der Sache mit Lumum-
ba.‚
61
Das Video zu Meisners Erzählung zeigt in
einer unveränderten Einstellung den ruhig dahin-
fließenden Kongofluss.
Deutlich wird in Meisners Arbeit, die neben der
Videoerzählung aus einer Fotoserie und Zeichnun-
gen besteht, dass sich hinter der Wiederkehr des
Gleichen eine fortdauernde Geschichte des Kolonia-
lismus verbirgt. Dies zeigt sich auch anhand des
Kontrasts zwischen dem pompösen, von König Le-
opold eingerichteten Museum in Tervuren, Belgien,
und dem prekären Zustand des Nationalen Archivs
des Kongo in Kinshasa.
Ruanda: Sarah Vanagt
Theater: Espace Masolo
Ruanda
Es fällt auf, dass unter den künstlerischen Arbeiten,
die sich mit dem Genozid in Ruanda 1994 beschäfti-
gen, dem in wenigen Monaten bis zu einer Million
Menschen zum Opfer fielen, kaum Arbeiten von
Ruandern zu finden sind. Zwar sollen sich im 2006
eröffneten Rwesero Art Museum auch solche Arbei-
ten befinden, die „certain scenes of the genocide, of
the exile and massive return of the Rwandan popu-
lation‚ abbilden. Doch, wie die Website verstören-
der Weise betont: „The gruesome scenes are mixed
with representations expressing happiness.‚ Dar-
über hinaus hängt im Foyer des in einer ehemaligen
60
Christine Meisner,
The Present, Warschau 2008, S. 36.
61
Ebd., S. 32.
Schule eingerichteten Murambi Genocide Memorial
Center ein Triptychon eines örtlichen Malers. Doch
die eigentliche Auseinandersetzung mit dem Völ-
kermord findet eher über die sechs vom National-
museum von Ruanda eingerichteten Gedenkstätten
selbst statt.
62
Alfredo Jaar: The Rwanda Project
In einer Serie von Arbeiten beschäftigte sich der
chilenische Künstler Alfredo Jaar, der bereits 1994
Ruanda bereiste, bis ins Jahr 2000 immer wieder mit
dem Völkermord. Er versandte Postkarten mit den
Namen von Menschen, denen er dort begegnete,
und dem Zusatz „ < is still alive‚, anknüpfend an
eine Arbeit von On Kawara aus den 1960er Jahren;
er konfrontierte in einer Lese-Performance in Chica-
go die Titelbilder des Magazins Newsweek mit den
jeweils aktuellen Nachrichten vom Genozid in Ru-
anda und schrieb in 50 Leuchtkästen in Malmö
nichts als den Namen des Landes. „Ich glaube nicht,
dass es etwas nützen würde, Bilder voller Blut zu
zeigen‚, beschreibt Jaar seinen Ansatz: „Statt dessen
wollte ich einen Raum des Trauerns. Wir alle wer-
den mit so vielen tausend Bildern bombardiert, dass
wir unsere Fähigkeit, zu sehen und von Bildern
ergriffen zu werden, verloren haben. Ich wollte eine
umgekehrte Strategie versuchen. Die Logik dabei
war, dass man die Bilder vielleicht besser sieht,
wenn ich sie nicht zeige.‚
63
Die bewusste Reflexion des Verhältnisses von
menschlicher Katastrophe, bildlicher Darstellung
und der Fähigkeit zur Empathie hebt Jaars Arbeit,
die hier nicht in allen Facetten vorgestellt werden
kann, gegenüber anderen Arbeiten heraus und cha-
rakterisiert ihre Bedeutung über den Fall Ruanda
hinaus. So thematisiert die Lesung in Chicago das
Nicht-Eingreifen internationaler Akteure, während
gleich vier Stationen anstelle des Grauens den Blick
eines Mädchens namens Gutete Emerita zeigen, der
Jaar in Ruanda begegnet war. Den persönlichen
62
http://www.museum.gov.rw;
http://bbs.keyhole.com/ubb/ubbthreads.php?ubb=showflat&Num
ber=1105593&site_id=1#import.
63
Alfredo Jaar, „Es ist schwierig‚, in:
Experimente mit der Wahrheit.
Documenta 11, Plattform 2, Ostfildern-Ruit 2002, S. 329-352, hier:
336.