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Photochemische Untersuchungen
Während die gasanalytischen Methoden auf eine jahrzehnte-
lange Beschäftigung Bunsens mit diesem Thema zurückgehen,
die Wurzeln für die Arbeiten zur Elektrochemie in Marburg und
diejenigen zur Jodometrie in Breslau gelegt wurden, können die
photochemischen Untersuchungen und die Spektralanalyse als
genuin Heidelberger Leistungen bezeichnet werden.
Mit Henry Roscoe, der 1853 zur Fortsetzung seines Studiums
von London nach Heidelberg gekommen war, begann Bunsen
um 1855 eine Kooperation zur Erforschung chemischer Reak-
tionen, die durch die Einwirkung von Licht ausgelöst werden.
Diese als „Photochemische Arbeiten“ bekannt gewordenen
Untersuchungen sollte Wilhelm Ostwald (1853–1932), erster
Inhaber eines Lehrstuhls für Physikalische Chemie, 1892 als
„das klassische Vorbild für alle späteren experimentellen Arbeiten
auf dem Gebiete der physikalischen Chemie“ bezeichnen.
Die Arbeiten entstanden im Kontext des um die Mitte des
19. Jahrhunderts neu entstandenen Forschungsfeldes von ‚Strah-
lungsphänomenen’ im Zusammenhang mit den neuen Vorstel-
lungen von Energie und Materie. Von den Autoren selbst wurde
es in den Kontext der Erforschung kosmischer Energiebilanzen
und der universalen Geltung des Satzes von der Energieerhal-
tung gestellt.
In insgesamt sechs Abhandlungen, die zwischen 1855 und 1862
zunächst in Poggendorffs Annalen, bald darauf aber auch in den
Philosophical Transactions und anderen Zeitschriften erschienen,
widmeten Bunsen und Roscoe sich zwei thematischen Schwer-
punkten: In den ersten drei Abhandlungen geht es im Wesent-
lichen um die Erforschung lichtinduzierter Kettenreaktionen
in wässrigen Lösungen von Jod, Brom und v.a. Chlor, von der
Beschreibung des Phänomens und einer genauen quantitativen
Bestimmung, über Testreihen mit verschiedenen Lichtquellen
bis hin zur Erklärung des verzögerten Eintretens der Reaktionen
(„photochemische Induktion“). Die vierte Abhandlung leitet in
den zweiten Teil der Untersuchungen über. Darin gehen Bunsen
und Roscoe der Natur der Strahlung (Licht vs. „Chemische
Strahlen“) nach und fragen, „ob bei dem Acte der photochemi-
schen Verbindung eine Arbeit geleistet werde, für welche eine
äquivalente Menge Licht verschwindet, oder ob es sich dabei
gleichsam nur um eine Auslösung handelt, welche durch die
chemischen Strahlen ohne merklichen Lichtverbrauch vermittelt
wird“. Auf dieser Grundlage suchten sie anschließend, die
Wirkung des Sonnenlichts als Energiequelle auf chemische
und physiologische Vorgänge quantitativ zu bestimmen.
Fast zehn Jahre dauerte diese Zusammenarbeit, die teils ge-
meinsam in Heidelberg und teils, räumlich getrennt, in Baden
und England ausgeführt wurde. Roscoe verbrachte, nachdem
er 1856 Lecturer am University College London und 1857
Chemieprofessor in Manchester geworden war, wiederholt Teile
seiner Ferien in Heidelberg. Die gesamte Zeit über hielten sich
die beiden Forscher gegenseitig brieflich über ihre Arbeiten auf
dem Laufenden.
Die komplexen, methodisch raffinierten Untersuchungen fanden
unter den Zeitgenossen große Beachtung. Viele der von Bunsen
und Roscoe aufgeworfenen Fragen konnten erst ein halbes
Jahrhundert später abschließend beantwortet werden. Die nach-
haltige Bedeutung ihrer gemeinsamen Arbeiten liegt wesentlich
in den von ihren Arbeiten ausgehenden Impulsen, die weitere
Forschungen auf diesem Gebiet anregten, sowie in der Bewälti-
gung experimenteller Schwierigkeiten und den damit verbunde-
nen apparativen Innovationen, von denen der 1857 publizierte
Bunsenbrenner die bekannteste ist. Ganz und gar ungewöhnlich
für die Zeit ist auch die jahrelange Kooperation zweier etablier-
ter Experimentalforscher über große Distanzen hinweg.
Erste Darstellung eines Bunsen-Brenners. Aus: Robert Bunsen
u. Henry Roscoe, „Photochemische Untersuchungen. Zweite
Abhandlung: Maassbestimmung der chemischen Wirkungen
des Lichts“, Annalen der Physik und Chemie 100 (1857),
43–88, Taf. I (Ausschnitt).
Friedrich Veith, Bleistiftzeichnung, 21,3 x 31 cm, bez.: f. Hofrath Bunsen [18]60 für Geh. R. Bunsen. 1860.
Universitätsarchiv Heidelberg.
Spektralanalyse
Das spektakulärste Ergebnis aus Bunsens Heidelberger Zeit war
zweifellos die Entwicklung der Spektralanalyse, d.h. die Anwen-
dung spektroskopischer Methoden auf analytisch-chemische
Fragestellungen. Wie keine andere Entdeckung steht sie für ein
wissenschaftliches Milieu, in dem die Zusammenarbeit von
Forschern unterschiedlicher Disziplinen an der Tagesordnung
war, wobei häufig gerade Instrumente den Methodentransfer
über Fachgrenzen hinweg leisteten.
Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten William Hyde
Wollaston (1766–1828) und Joseph Fraunhofer (1787–1826)
darauf hingewiesen, dass das Sonnenspektrum von dunklen Linien
unterbrochen ist. Die Rezeption der nach ihrem Entdecker
benannten ‚Fraunhoferschen Linien’ war zunächst verhalten –
nur wenige Forscher verfügten in dieser Zeit über so gute op-
tische Apparaturen, dass Fraunhofers Beobachtung allgemein
nachvollzogen werden konnte. Allerdings richtete sich dessen
Aufmerksamkeit auf die Absorptions-, Kirchhoffs und Bunsens
Interesse jedoch vornehmlich auf Emissionsspektren, wobei
Bunsen auf seine Erfahrung mit den Flammenfärbungen als
Hilfsmittel der qualitativen Analyse aufbauen konnte. Damit
war der Weg zur Identifizierung der für die einzelnen Spektral-
linien verantwortlichen Elemente frei.