Rudolf steiner



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umgewandelt wird.

Die luziferischen Kräfte streben, in das gegenwärtige Dasein das-


jenige hereinzutragen, was im Weltendasein längst vergangen ist, was
daher im gegenwärtigen Dasein nach den Daseinsgesetzen nicht wirk-
lich sein kann. Wenn der Mensch das kosmisch Konservative verfolgt,
wenn er das, was für Vorzeiten richtige Daseinsgestaltungen waren,
in die Gegenwart hereinstellen will, dann verfällt er in falscher Weise
dem Luziferischen. Wenn er also zum Beispiel jene Anschauung der
Welt, welche in verschwommenen Bildern lebt, die nur in alten kos-
mischen Zeitaltern voll berechtigt waren, wenn er alles ineinander
verschwimmen läßt, was in seiner Seele lebt, dann ergibt er sich in
falscher Weise dem luziferischen Dasein. Wenn er dem äußerlichen
materiellen Dasein eine solche Gestalt gibt, daß es etwas ausdrückt,
was es durch seine eigenen Naturgesetze nicht ausdrücken kann - der
Marmor kann nur die mineralogischen Gesetze ausdrücken —, wenn
der Mensch dem Marmor aufzwingt dasjenige, was dieser durch die
eigene Naturkraft des Marmors niemals ausdrücken kann, dann ent-
steht die plastische Kunst. Dann wird dasjenige, was in einem solchen
Sinnlichen keine Wirklichkeit sein kann, dann wird Unwirklichkeit
in das Dasein hereingezaubert. Und das ist ja gerade das Bestreben
Luzifers, daß er den Menschen von der Wirklichkeit, in der er sich
nun einmal befindet zwischen Geburt und Tod, hinwegführen will zu
einer Wirklichkeit, die allerdings für andere Zeitalter direkte Wirk-
lichkeit war, die aber für dieses Zeitalter nicht die rechte Wirklichkeit
sein kann.

Wenn man den Menschen nun geistig ins Auge faßt, dann kann

auch für das Geistige das Luziferische und das Ahrimanische in An-
spruch genommen werden. Es äußert sich hier für das Erdendasein
zunächst das menschliche Wesen in geistiger Beziehung durch die
Wechselzustände zwischen Wachen und Schlafen. Im Wachzustande
sind wir mit unserem geistigen Teil ganz dem Materiellen hingegeben.
Man muß in dieser Beziehung folgendes sagen: Wenn der Mensch ein-
schläft, so ist er vom Einschlafen bis zum Aufwachen in einem Zu-
stande, den man als geistig-seelisches Dasein bezeichnen kann. Der
Mensch geht mit seinem geistig-seelischen Dasein beim Einschlafen
aus dem physischen und ätherischen Leibe heraus und taucht wie-
derum unter in den physischen und ätherischen Leib mit seinem Gei-
stig-Seelischen beim Aufwachen. So trägt der Mensch gewissermaßen
im Schlafzustande seinen geistig-seelischen Zustand in sich; aber den
seelischen Zustand, den behält er beim Aufwachen fast ganz als see-
lisches Leben zurück. Nur mit dem Geiste taucht er vollständig auch
in den Leib unter. So daß wir im Wachen mit unserem Geiste in der
Periode der heutigen Menschheitsentwickelung eben ganz Leib werden,
in das Leibliche untertauchen, wenigstens bis zu einem hohen Grade.
Da verfallen wir dann aus einem Dasein, wie wir es eben im Schlafe
haben, in das Dasein des wachen Zustandes. Wir werden herüber-
getragen aus dem einen Zustand in den ändern. Und diesen Übergang
den bewirken Kräfte, die wir zu den ahrimanischen zu zählen haben.
Wenn wir den Menschen in bezug auf sein Geistiges betrachten,
das heißt in bezug auf jenen Wechselzustand zwischen Wachen und
Schlafen, der ja für das physische Erdendasein das Geistige des Men-
schen offenbart, so müssen wir sagen, beim Aufwachen wirkt am mei-
sten das Ahrimanische; umgekehrt beim Einschlafen wirkt am meisten
das Luziferische. Der Mensch wird aus dem Untergetauchtsein in das
Physisch-Leibliche in den freien geistig-seelischen Zustand hinüber-
getragen. Er wird in einen Zustand hinübergetragen, in dem er nicht
mehr in ahrimanischen Begriffen denkt, sondern nur in den Bildern,
welche die scharfen, ahrimanischen Begriffskonturen auflösen, welche
alles verweben und verschwimmen lassen. Er wird in einen Zustand
versetzt, wo dieses In-Bildern-Verschwimmen das Normale ist. Kurz,
wir können sagen: Es trägt uns von dem Schlafzustande in den Wach-

zustand hinein in berechtigter Weise das Ahrimanische, es trägt uns


aus dem Wachzustand in den Schlafzustand hinein in berechtigter
Weise das Luziferische.

Abwege entstehen erst dann, wenn in den Wachzustand zu wenig


hineingetragen wird von dem luziferischen Impuls, so daß während
des Wachzustandes zu stark der ahrimanische Impuls wirkt. Dann
wird der ahrimanische Impuls den Menschen zu stark in das Leibliche
hinunterdrücken, wird ihn nicht stehenlassen bei den seelischen Emp-
findungen von Gut und Böse, bei den moralischen Impulsen. Er wird
ihn hinuntertauchen in das Emotionelle, in das Leidenschaftliche. Er
wird ihn hinuntertauchen in das Instinktleben, in das Animalische. Er
wird den Menschen seinem Ich nach zu gründlich mit dem Leiblichen
vereinigen.

Und wiederum: wenn das Luziferische in unberechtigter Weise im


Menschen wirkt, so wird der Mensch zu viel von seinem Wachleben
in das Schlafleben hineintragen. Es werden im Schlafesleben Träume
auftauchen, die zu viel Reminiszenzen an das Tagesleben sind. Diese
werden wiederum zurückwirken auf das Wachleben und dieses in
eine ungesunde Mystik hineintreiben. Man sieht, überall ist es im Le-
ben so, daß der Gleichgewichtszustand des Menschen durch die bei-
den Polaritäten, durch das Luziferische und das Ahrimanische, her-
vorgebracht werden muß, daß aber Abirrungen stattfinden können.
Man wird erst eine Leibeslehre - wie ich schon angedeutet habe - mit
einer richtigen Gesundheits- und Krankheitslehre haben, wenn man
überall diese Polarität im Leibesleben finden kann. Man wird erst
eine Psychologie haben, wenn man in der Lage sein wird, im See-
lischen diese Polarität zu sehen.

Man redet heute in denjenigen Wissenschaften, die man als Psycho-


logie, als Seelenkunde ansieht, in chaotischer Weise herum von Den-
ken, Fühlen und Wollen. Im Seelenleben fließen auch Denken, Fühlen
und Wollen ineinander über. Wir können noch so reine Gedanken
fassen -, indem wir die Gedanken verbinden und trennen, wirkt
der Wille in den Gedanken. Und selbst, wenn wir nur instinktive Be-
wegungen ausführen, so wirken unsere Gedankenimpulse doch in die
Willensbetätigung hinein. Nirgends sind im Seelenleben getrennt Den-

ken, Fühlen und Wollen, überall wirken sie ineinander. Und wenn


man sie in der heute gewohnten Weise trennt, so ist die Trennung eine
abstrakte Trennung, so ist da das Sprechen von Denken, Fühlen und
Wollen nur in drei Abstraktionen bestehend. Was wir da Denken,
Fühlen und Wollen nennen, wir können es unterscheiden, wir können
es als abstrakte Begriffe hinstellen, aber als solche abstrakte Begriffe
mag es uns dienen für unsere unterscheidende Erkenntnis; ein richtiges
Bild der Wirklichkeit gibt es uns nicht.

Ein richtiges Bild der Wirklichkeit bekommen wir nur, wenn wir


in jedes Denken das Fühlen und Wollen auch hineinschauen, in jedes
Fühlen das Denken und Wollen, in jedes Wollen das Denken und
Fühlen. Damit wir aber dann doch statt dieses abstrakten Denkens,
Fühlens und Wollens das konkrete Leben und Wogen des Seelischen
durchschauen, müssen wir uns vergegenwärtigen, wie das Seelenleben
nach der einen Polarität hin ausschlägt und nach der ändern Polarität,
wie es hinschlägt nach der ahrimanischen Polarität und da in Gedan-
ken sich auslebt. In diesen Gedanken mögen nun Willensimpulse so
viel als möglich sein. Lernen wir erkennen auf einer höheren Stufe des
Erkennens die besondere Eigenart des Ahrimanischen, dann fühlen wir
die Polarität des Denkens in der Seele; sehen wir nach der ändern
Seite die Seele ausschlagen, nach dem Wollen, dann mögen noch so
viele Denkinhalte in den Willensbetätigungen sein —, wenn wir den
luziferischen Charakter des Wollens erfassen, dann haben wir die
lebendige Natur des Wollens in der Seele begriffen. Es muß sich in
uns verwandeln dasjenige, was Abstraktionen sind, Begriffe sind,
Ideen sind, in lebendige Anschauung. Diese gewinnen wir aber nicht,
wenn wir uns nicht entschließen, aufzusteigen zu so etwas, wie es die
Anschauungen des Luziferischen und Ahrimanischen sind.

Auch gegenüber dem geschichtlichen Leben der Menschheit bringen


wir nur Wirklichkeit in unser Vorstellen hinein, wenn wir in den ein-
zelnen Geschichtsperioden das Walten und Wogen des Luziferischen
und Ahrimanischen wahrzunehmen in der Lage sind. Betrachten wir
die Geschichtsperiode, sagen wir, von Augustinus bis in die Zeit des
endenden Mittelalters, der aufsteigenden Neuzeit, bis zum 15. Jahr-
hundert hin, betrachten wir sie, wie der Mensch vorzugsweise im

äußeren Leben jene Impulse wirksam sein läßt, die aus seinem tiefsten


Inneren, aus dem emotionellen Leben herkommen, betrachten wir,
wie der Mensch in dieser Zeit selbst das äußere staatlich-soziale Leben
so gestalten will, wie er den im Inneren erkannten göttlichen Impuls
glaubt wahrnehmen zu können: wir fühlen deutlich das luziferische
Walten in diesem Geschichtsabschnitt.

Und wenn wir heraufgehen in die neuere Zeit, wenn wir sehen, wie


der Mensch den Blick nach außen richtet auf das Mechanisch-Physi-
kalische der Welt, das adäquat nur in der richtigen Weise erfaßt wer-
den kann durch das Denken, durch den Umgang mit der äußeren
Welt, so sehen wir deutlich walten das Ahrimanische in diesem Zeit-
räume. Das darf uns aber nicht bloß zu der Aussage nötigen, die Zeit
von Augustinus bis zu Galilei wäre luziferisch, die Zeit von Galilei
bis zu uns wäre ahrimanisch. Das wäre wiederum selber ein ahrima-
nisches Urteil, das wäre ein intellektualistisches Auslegen. Will man
von einem solchen intellektualistischen Auslegen in ein Lebendiges
hineinkommen, in ein miterlebendes Erkennen des Daseins, in das der
Mensch hineingestellt ist, dann muß man das Ausdrucksmittel anders
wenden. Dann muß man sagen: In der Zeit von Augustinus bis zu
Galilei hatte der Mensch, um seinen Gleichgewichtszustand anzustre-
ben, sich gegen das Luziferische zu wehren. In der neueren Zeit hat
der Mensch, um seinen Gleichgewichtszustand anzustreben, sich gegen
das Ahrimanische zu wehren.

Es kommt nicht nur darauf an — das muß immer klarer und klarer


eingesehen werden -, daß wir in unserer fortschreitenden Zivilisation
das oder jenes sagen, sondern es kommt darauf an, daß wir entschei-
den können, ob gegenüber einer Situation das oder jenes gesagt wer-
den kann. Es mag noch so wahr sein im abstrakten Sinne, daß das
Mittelalter luziferisch, die neuere Zeit ahrimanisch ist; diese abstrakte
Wahrheit hat keine wirkliche Impulsivität. Die wirkliche Impulsivi-
tät tritt auf, wenn wir sagen: Der Mensch konnte sich aufrechterhal-
ten im Mittelalter durch den Kampf gegen das Luziferische, der
Mensch kann sich aufrechterhalten in der Neuzeit durch den Kampf
gegen das Ahrimanische. Wahr sein kann auch im äußeren abstrakten
Sinne das, was gegenüber der Wirklichkeit lediglich Phrase ist: Rieh-

tig wirklich im Vorstellungsleben ist nur dasjenige, was in bezug auf


die Situation des Menschendaseins, auf die es ankommt, wirklich
innerlich vorhanden ist. Wovor sich der moderne Mensch am meisten
zu hüten hat, das ist das Fallen in die Phrase. Man erlebt es immer
wieder und wiederum, daß Menschen, die dann schon glauben, im
anthroposophischen Leben drinnenzustehen, sagen: Dieser oder jener
habe etwas gesagt, was ganz mit dem Anthroposophischen überein-
stimme. - Auf das äußere Zustimmen in Worten kommt es nicht an,
sondern auf den Geist, auf den lebendigen Geist, auf den lebendigen,
wirklichen Zusammenhang, in dem etwas drinnen steht. Wenn wir
heute bloß auf den äußerlich logischen Inhalt der menschlichen Aus-
sage sehen, so entgehen wir der Gefahr der Phrase nicht.

Ich habe in der letzten Zeit ein paarmal vor diesem oder jenem


Kreise meiner Zuhörer ein eklatantes Beispiel angeführt, wie an sich
ganz richtige Sachen, die gesagt werden, sich merkwürdig ausneh-
men vor dem Wirklichkeitssinn. Ich habe das Beispiel angeführt, daß
1884 der Fürst Bismarck im deutschen Reichstag, als er die sozial-
demokratische Gefahr herannahen fühlte, einen merkwürdigen Aus-
spruch tat. Er wollte die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung da-
von ablenken, den sozialdemokratischen radikalen Führern zu folgen,
und aus diesem Impuls heraus sagte Bismarck: Es stehe jedem Men-
schen das Recht auf Arbeit zu. Gestehen Sie jedem Menschen das
Recht auf Arbeit zu, verschaffen Sie ihm von Staats wegen Arbeit,
solange er arbeiten kann, versorgen Sie ihn - so sprach er, der
deutsche Reichskanzler -, versorgen Sie ihn, wenn er alt geworden
ist und nicht mehr arbeiten kann und in Krankheitsfällen mit dem,
was er zum Leben nötig hat, und Sie werden sehen, daß die breiten
Scharen der Arbeitermassen fortstürmen von den Versprechungen
der Arbeiterführer. - 1884 hat der Fürst Bismarck diesen Satz im
Deutschen Reichstag gesagt.

Kurioserweise kann man etwas zurückgehen, fast ein Jahrhundert


zurückgehen, und ein anderer hat, man kann fast sagen wörtlich, den-
selben Satz ausgesprochen, hat ausgesprochen den Satz: Es ist Men-
schenpflicht, jedem das Recht auf Arbeit zuzugestehen, ihm von
Staats wegen Arbeit zu verschaffen, solange er arbeiten kann, ihn von

Staats wegen zu versorgen, wenn er krank oder invalide ist und nicht


mehr arbeiten kann. - Und dieser andere, das war Robespierre. 1792
hat er diesen Satz seinem Menschenrechte einverleibt. Merkwürdig,
wörtlich genau dasselbe sagten der radikale Robespierre 1792 und
der Fürst Bismarck, der ganz gewiß kein Robespierre sein wollte, 1884
im Deutschen Reichstag. Sie sehen, zwei Leute können genau dasselbe
sagen und es ist nicht dasselbe. Und kurioserweise berief sich dazumal
1884 der Fürst Bismarck darauf, daß das Recht auf Arbeit jedem
im preußischen Lande befindlichen Arbeiter garantiert sei, denn das
sei 1794 im Preußischen Landrechte enthalten. Kurioserweise also
sagt der Fürst Bismarck nicht nur dasselbe, sondern er sagt, was
Robespierre forderte, stehe im Preußischen Landrecht. Aber die
Wirklichkeit verläuft so, daß dazumal diese Worte von Bismarck
nur ausgesprochen wurden, weil er herannahen fühlte eine Gefahr,
welche gerade dadurch entsteht, daß das eben nicht da ist, was da
wortwörtlich im Preußischen Landrecht steht.

Ich führe dieses Beispiel an, nicht weil es ein politisches ist, sondern


aus dem Grunde, weil es gerade eklatant zeigt: Zwei Menschen kön-
nen ganz genau wörtlich dasselbe sagen, und doch entspricht es einer
entgegengesetzten Wirklichkeit. Ich möchte dadurch darauf aufmerk-
sam machen, daß wir in eine Zeit eintreten müssen, wo es uns weniger
auf den Wortlaut ankommt und mehr auf das Erleben der Wirklich-
keit. Sonst verfallen wir gerade in dem Gebiete des geistigen Lebens
in die Phrase, die eine so große Rolle spielt in unserem gegenwärtigen
geistigen Dasein. Gerade dieser Übergang von dem bloß inhaltlich
Richtigen zu dem lebendig erlebten Wahren, dieser Übergang soll be-
wirkt werden durch das Eintreten der Initiationswissenschaft, die
vom bloß logischen Inhalt zu dem Erleben der geistigen Welt geht, in
die Zivilisation der Menschheit. Und derjenige, der richtig die äuße-
ren Symptome des geschichtlichen Werdens in der Gegenwart für die
nächste Zukunft hinein betrachtet, der wird sich aus diesen Sym-
ptomen heraus ein Gefühl und eine Empfindung für den berechtigten,
für den notwendigen Eintritt der Initiationswissenschaft in die Welt-
zivilisation erringen können. Das wollte ich heute noch als eine Art
Neujahrsbetrachtung vor Ihre Seele hinstellen.

ZWEITER VORTRAG


Dornach, 7. Januar 1922

Zu den Betrachtungen, die in diesen Tagen über die Christus-Wesen-


heit angestellt worden sind, vor und nach Weihnachten, sei heute
noch einiges hinzugefügt. Es sei diejenige Seite des Christus-Problems
heute mit einigen Strichen gezeichnet, welche vorzugsweise eine Be-
deutung für das Welt-Sozialproblem hat. Die Menschen haben gerade
in dem gegenwärtigen Zeitalter die größte Notwendigkeit, über den
Erdkreis hin zu einer Verständigung zu kommen. Und auf welche An-
gelegenheiten des Lebens wir heute auch hinblicken, von einer solchen
Verständigung kann kaum irgend etwas bemerkt werden. Die Not-
wendigkeit zur Verständigung ist da. Nicht aber ist da, man möchte
sagen, die Begabung der Menschen, eine solche Verständigungsmög-
lichkeit zu finden. Wir sehen, wie über wichtige Angelegenheiten des
Lebens heute versucht wird, zu beraten. Wir sehen, wie überall sich
Kongresse abspielen. In den Tiefen der Menschenseelen sieht es gegen-
über den Angelegenheiten, die auf solchen Kongressen zur Bespre-
chung kommen sollen, anders aus als in den Worten, die da gewech-
selt werden. In den Worten, die da gewechselt werden, lebt viel
Schein, und dieser Schein will den Eindruck erwecken, als ob überall
der einzelne Mensch mit dem ändern irgendwie einen Ausgleich oder
ähnliches finden wolle. Aber nirgends kann ein solcher Ausgleich
eintreten, denn im Grunde genommen sprechen heute nicht Menschen
miteinander, sondern es sprechen die Angehörigen verschiedener Na-
tionen miteinander. Es sprechen Menschen dem äußeren Scheine nach.
Aus ihnen aber spricht das, was als ganz differenziertes Wesen der
einzelnen Nationen lebt. Und da die Menschen nun eben einmal im
gegenwärtigen Zeitalter so sind, daß sie bei den Worten nur auf den
wörtlichen Inhalt sehen, nicht auf das, woraus die Worte kommen,
worin die Worte wurzeln, weil sie nicht sehen auf die durchgreifenden
Lebensverhältnisse, so wird eben gar nicht bemerkt, wie im Grunde
genommen die Verschiedenheit der einzelnen Volksdämonen miteinan-
der spricht, nicht aber der Mensch zum Menschen.

Kaum könnte man durch etwas anderes einen klareren Beweis er-


langen, daß das Christentum heute nicht in der Welt realisiert ist, als
durch das eben Angeführte. Das Christentum ist nicht realisiert, denn
den Christus voll verstehen, heißt: den Menschen als Menschen in sich
finden. Der Christus ist kein Volksgott, ist kein Rassengott, der Chri-
stus ist überhaupt nicht der Gott irgendeiner Menschengruppe, son-
dern der Christus ist der Gott des einzelnen Menschen, insofern
dieser einzelne Mensch nur ein Angehöriger der gesamten Menschheit
ist. Und erst, wenn man die Christus-Wesenheit aus allen Vorausset-
zungen heraus, denen der Mensch zugänglich ist, wird so verstehen
können, daß man sie als den Menschheitsgott versteht, erst dann wird
der Christus, aber dann auch gewiß die größte soziale Bedeutung über
das ganze Erdenrund haben.

Man muß sich nur einmal klarmachen, daß gerade in den Tiefen


der Seele heute Dinge walten, die nicht übergehen in die Worte, die fest-
gehalten werden in ihren äußeren Phraseninhalten durch die Dif-
ferenzierung der Volksdämonen. Man kann nicht mit dem, worin die
Menschheit heute auf bequeme Weise stehenbleiben will, dasjenige
herbeiführen, was heute nur aus den Tiefen des Menschenwesens her-
aus wirklich zustande gebracht werden kann. Heute bedarf es der
Tiefe, des Eingehens auf die Tiefe des Menschenwesens, wenn wie-
derum Aufgangs-, wenn wiederum Fruchtkräfte in die Entwickelung
der Erde hineinkommen sollen. Was heute hörbar wird über die ver-
schiedenen Teile der Erde hin, berührt nicht einmal wesentlich an der
Oberfläche das, was im Menschenwesen wurzelt. Und das Suchen
nach diesem im tiefsten Menschenwesen Wurzelnden, das müßte in
die Menschheit einziehen.

Wollen wir uns doch heute einmal mit ein paar Strichen hinstellen,


wie verschieden, wenigstens nach Hauptpunkten, die Auffassung der
Menschen ist in bezug auf das, was zum Erkennen, zum Durchschauen
des Christus-Problems führen könnte. Ich habe oftmals vor Ihnen an-
geführt die Differenzierung der Menschen nach westlichen Menschen,
östlichen Menschen und Menschen der Mitte zwischen dem Westen
und Osten. Man kann von den verschiedensten Gesichtspunkten aus
diese Differenzierung betrachten. Man wird ihr nur gerecht, wenn

man sie ohne jedes Vorurteil in voller Unbefangenheit ins Auge faßt,


wenn man nicht von vornherein dem einen oder dem ändern Gliede
in dieser Differenzierung Sympathie und Antipathie entgegenbringt,
etwa dadurch, daß man gerade selber in dem einen oder in dem än-
dern Gliede darinnensteht. Es ist heute schon einmal notwendig, daß
alle Menschen der Erde zusammenwirken, um die rechte Christus-
Einheit hervorzubringen. Denn man kann sagen, über die verschie-
densten Teile der Erde hin sind gerade in den Tiefen der Mensch-
heit die Impulse vorhanden, die Einheit zu finden. Aber es muß eben
in den Tiefen gesucht werden.

Wenn wir zunächst unsere Blicke auf dasjenige werfen, was ins-


besondere aus den Zivilisationen des Westens heute zutage tritt, so fin-
den wir, daß das, was in den westlichen Zivilisationen das Wesent-
liche ist, sich ausdrücken läßt gerade durch die besondere Geistigkeit
von heute. Diese besondere Geistigkeit von heute hat ja die Eigen-
tümlichkeit, daß sie sich in Abstraktionen ergeht, daß sie gewisser-
maßen im Abstrakt-Ideellen ihre größten Triumphe feiert. Dieses
Ideelle, dieses Abstrakte ist am besten geeignet, gerade die Natur so,
wie sie sich den Sinnen darbietet, und diejenige Seite des sozialen
Lebens, die sich abspielen muß durch die Kräfte dieser Sinneswelt,
kennenzulernen. Man kann mit diesen Kräften, die ich die westlichen
Kräfte nennen will, durchaus in die Tiefen des Menschheitswesens
und des Weltenalls eindringen. Vor allen Dingen haben diese Kräfte
des Westens die Grundkonstitution des naturwissenschaftlichen
Denkens begründet und jene Impulse des sozialen Lebens in Anleh-
nung an dieses naturwissenschaftliche Denken gesucht, welche die
Menschheit der Zukunft brauchen wird, um das Erdenleben in einer
möglichen Weise zu gestalten. Das wird aus den folgenden Betrach-
tungen schon hervorgehen. Es ist lange nicht alles an die Oberfläche
gehoben, was in den Schätzen des westlichen Geisteslebens liegt.

Es ist zunächst durchaus eine Wahrheit, daß die Naturwissenschaft


der Gegenwart nur hat begründet werden können aus Grundkräften
des menschlichen Wesens heraus, welche man am adäquatesten, am
treffendsten gerade durch die heutige Geistigkeit, durch die abstrakt-
ideelle Geistigkeit ausdrücken kann. Aber es ist auch wahr, daß in

alldem, was da zutage getreten ist, noch ein Wesentliches mehr vor-


handen ist. Was in den naturwissenschaftlichen und in der zu ihr
gehörigen sozialen Denkweise an den Tag getreten ist, das kann bis
zum Geistigen gebracht werden. Es kann fortgeschritten werden von
der Gesetzmäßigkeit der Natur bis zur Erkenntnis des Wesenhaften
in der Natur. Dieses Wesenhafte in der Natur ist aber das Göttlich-
Geistige. Und wird man in einer den neuesten Menschheitsbedürfnis-
sen angemessenen Weise das Christentum verstehen wollen, so wird

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