Rudolf steiner



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heiten, zu gelangen. Auch Kant war in seiner vorkritischen Zeit
ein Anhänger dieser Schule. Seine ersten Schriften sind ganz in
ihrem Sinne gehalten. Ein Umschwung in seinen Anschauungen
trat ein, als er mit den Ausführungen des englischen Philosophen
Hume bekannt wurde. Dieser suchte den Nachweis zu führen,
daß es andere als Erfahrungserkenntnisse nicht gibt. Wir nehmen
den Sonnenstrahl wahr, und hierauf bemerken wir, daß der Stein,
auf den ersterer fällt, sich erwärmt hat. Dies nehmen wir immer
wieder und wieder wahr und gewöhnen uns daran. Deshalb setzen
wir voraus, daß sich der Zusammenhang zwischen Sonnenstrahl
und Erwärmung des Steines auch in aller Zukunft in derselben
Weise geltend machen wird. Eine sichere und notwendige Er-
kenntnis ist damit aber keineswegs gewonnen. Nichts verbürgt
uns, daß ein Geschehen, das wir gewohnt sind, in einer bestimm-
ten Weise zu sehen, nicht bei nächster Gelegenheit ganz anders
ablaufe. Alle Sätze in unseren Wissenschaften sind nur durch Ge-
wohnheit festgesetzte Ausdrucke für oft bemerkte Zusammen-
hänge der Dinge. Daher kann es auch über jene Objekte, um die
sich die Philosophen bemühen, kein Wissen geben. Es fehlt uns
hier die Erfahrung, welche die einzige Quelle unserer Erkenntnis
ist. Über diese Dinge muß der Mensch sich mit dem bloßen
Glauben begnügen. Will sich die Wissenschaft damit beschäftigen,
so artet sie in ein leeres Spiel mit Begriffen ohne Inhalt aus. -
Diese Sätze gelten, im Sinne Humes, nicht nur von den letzten
psychologischen und theologischen Erkenntnissen, sondern schon
von den einfachsten Naturgesetzen, zum Beispiel von dem Satze,
daß jede Wirkung eine Ursache haben müsse. Auch dieses Urteil
ist nur aus der Erfahrung gewonnen und durch Gewohnheit fest-

gelegt. Als unbedingt gültig und notwendig läßt Hume nur jene


Sätze gelten, bei denen das Prädikat im Grunde schon im Subjekte
eingeschlossen ist, wie das nach seiner Ansicht bei den mathe-
matischen Urteilen der Fall ist.

Kant wurde durch die Bekanntschaft mit Humes Anschauung


in seiner bisherigen Überzeugung erschüttert. Daß wirklich alle
unsere Erkenntnisse mit Hilfe der Erfahrung gewonnen werden,
daran zweifelte er bald nicht mehr. Aber gewisse wissenschaftliche
Lehrsätze schienen ihm doch einen solchen Charakter von Not-
wendigkeit zu haben, daß er an ein bloß gewohnheitsmäßiges
Festhalten an denselben nicht glauben wollte. Kant konnte sich
weder entschließen, den Radikalismus Humes mitzumachen, noch
vermochte er bei den Bekennern der Leibniz-Wolffschen Wissen-
schaft zu bleiben. Jener schien ihm alles Wissen zu vernichten, in
dieser fand er keinen wirklichen Inhalt. Richtig angesehen, stellt
sich der Kantsche Kritizismus als ein Kompromiß zwischen
Leibniz-Wolff einerseits und Hume andererseits heraus. Und die
Kantsche Grundfrage lautet mit Rücksicht darauf: Wie können
wir zu Urteilen kommen, die im Sinne von Leibniz und Wolff
notwendig gültig sind, wenn wir zugleich zugeben, daß wir nur
durch die Erfahrung zu einem wirklichen Inhalte unseres Wissens
gelangen? Aus der in dieser Frage liegenden Tendenz läßt sich die
Gestalt der Kantschen Philosophie begreifen. Hatte Kant einmal
zugegeben, daß wir unsere Erkenntnisse aus der Erfahrung gewin-
nen, so mußte er der letzteren eine solche Gestalt geben, daß sie
die Möglichkeit von allgemein- und notwendig-gültigen Urteilen
nicht ausschloß. Das erreichte er dadurch, daß er unseren Wahr-
nehmungs- und Verstandesorganismus zu einer Macht erhob, der
die Erfahrung miterzeugt. Unter dieser Voraussetzung konnte er
sagen: Was auch immer aus der Erfahrung von uns aufgenommen
wird, es muß sich den Gesetzen fügen, nach denen unsere Sinn-
lichkeit und unser Verstand allein auffassen können. Was sich
diesen Gesetzen nicht fügt, das kann für uns nie ein Gegenstand
der Wahrnehmung werden. Was uns erscheint, das hängt also von
den Dingen außer uns ab, wie uns die letzteren erscheinen, das ist
von der Natur unseres Organismus bedingt. Die Gesetze, unter

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denen sich derselbe etwas vorstellen kann, sind somit die allge-


meinsten Naturgesetze. In diesen liegt auch das Notwendige und
Allgemeingültige des Weltlaufes. Wir sehen im Kantschen Sinne
die Gegenstände nicht deshalb in räumlicher Anordnung, weil die
Räumlichkeit eine ihnen zukommende Eigenschaft ist, sondern
weil der Raum eine Form ist, unter welcher unser Sinn die Dinge
wahrzunehmen befähigt ist; zwei Ereignisse verknüpfen wir nicht
deshalb nach dem Begriffe der Ursächlichkeit, weil dies einen
Grund in der Wesenheit derselben hat, sondern weil unser Ver-
stand so organisiert ist, daß er zwei in aufeinanderfolgenden Zeit-
momenten wahrgenommene Prozesse diesem Begriff gemäß ver-
knüpfen muß. So schreiben unsere Sinnlichkeit und unser Ver-
stand der Erfahrungswelt die Gesetze vor. Und von diesen Geset-
zen, die wir selbst in die Erscheinungen legen, können wir uns
natürlich auch notwendig gültige Begriffe machen.

Klar ist es aber auch, daß diese Begriffe einen Inhalt nur von


außen, von der Erfahrung erhalten können. An sich sind sie leer
und bedeutungslos. Wir wissen durch sie zwar, wie uns ein Gegen-
stand erscheinen muß, wenn er uns überhaupt gegeben wird. Daß
er uns aber gegeben wird, daß er in unseren Gesichtskreis eintritt,
das hängt von der Erfahrung ab. Wie die Dinge an sich, abgese-
hen von unserer Erfahrung, sind, darüber können wir durch unsere
Begriffe also nichts ausmachen.

Auf diese Weise hat Kant ein Gebiet gerettet, auf dem es Be-


griffe von notwendiger Geltung gibt; aber er hat zugleich die
Möglichkeit abgeschnitten, mit Hilfe dieser Begriffe über die
eigentliche, absolute Wesenheit der Dinge etwas auszumachen.
Kant hat, um die Notwendigkeit unserer Begriffe zu retten, deren
absolute Anwendbarkeit geopfert. Um der letzteren willen wurde
aber die erstere in der Vor-Kantschen Philosophie geschätzt.
Kants Vorgänger wollten aus der Gesamtheit unseres Wissens
einen zentralen Kern bloßlegen, der seiner Natur nach auf alles,
also auch auf die absoluten Wesenheiten der Dinge, auf das «In-
nere der Natur» anwendbar ist. Das Ergebnis der Kantschen Philo-
sophie ist aber, daß dieses Innere, dieses «An-sich der Objekte»
niemals in den Bereich unserer Erkenntnis treten, nie ein Gegen-

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stand unseres Wissens werden kann. Wir müssen uns mit der sub-


jektiven Erscheinungswelt begnügen, welche in uns entsteht, wenn
die Außenwelt auf uns einwirkt. Kant setzt also unserem Er-
kenntnisvermögen unübersteigliche Schranken. Von dem «An-sich
der Dinge» können wir nichts wissen. Ein namhafter Philosoph
der Gegenwart hat dieser Ansicht folgenden präzisen Ausdruck
gegeben: «Solange das Kunststück, um die Ecke zu schauen, das
heißt ohne Vorstellung vorzustellen, nicht erfunden ist, wird es
bei der stolzen Selbstbescheidung Kants sein Bewenden haben, daß
vom Seienden dessen Daß, niemals aber dessen Was erkennbar
ist» — das heißt: wir wissen, daß etwas da ist, welches die sub-
jektive Erscheinung des Dinges in uns bewirkt, was aber hinter
der letzteren eigentlich steckt, bleibt uns verborgen.

Wir haben gesehen, daß Kant diese Ansicht angenommen hat,


um von jeder der zwei entgegengesetzten philosophischen Lehren,
von denen er ausging, möglichst viel zu retten. Aus dieser Ten-
denz heraus entwickelte sich eine gekünstelte Auffassung unseres
Erkennens, die wir nur mit dem zu vergleichen brauchen, was die
unmittelbare und unbefangene Beobachtung ergibt, um die ganze
Haltlosigkeit des Kantschen Gedankengebäudes einzusehen. Kant
denkt sich unsere Erfahrungserkenntnis aus zwei Faktoren zu-
stande gekommen: aus den Eindrücken, welche die Dinge außer
uns auf unsere Sinnlichkeit machen, und aus den Formen, in
denen unsere Sinnlichkeit und unser Verstand diese Eindrücke
anordnen. Die ersteren sind subjektiv, denn ich nehme nicht das
Ding wahr, sondern nur die Art und Weise, wie meine Sinnlich-
keit davon affiziert wird. Mein Organismus erleidet eine Verände-
rung, wenn von außen etwas einwirkt. Diese Veränderung, also
ein Zustand meines Selbst, meine Empfindung ist es, was mir ge-
geben ist. Im Akte des Auffassens nun ordnet unsere Sinnlichkeit
diese Empfindungen räumlich und zeitlich, der Verstand wieder
das Räumliche und Zeitliche nach Begriffen. Auch diese Gliede-
rung der Empfindungen, der zweite Faktor unseres Erkennens, ist
somit ganz und gar subjektiv. — Diese Theorie ist weiter nichts
als eine willkürliche Gedankenkonstruktion, die vor der Beobach-
tung nicht standhalten kann. Legen wir uns einmal zuerst die

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Frage vor: Tritt irgendwo für uns eine einzelne Empfindung auf,


einzeln für sich und abgesondert von anderen Elementen der Er-
fahrung? — Blicken wir auf den Inhalt der uns gegebenen Welt.
Er ist eine kontinuierliche Ganzheit. Wenn wir unsere Aufmerk-
samkeit auf irgendeinen Punkt unseres Erfahrungsgebietes richten,
so finden wir, daß sich ringsherum anderes anschließt. Ein Abge-
sondertes, für sich allein Bestehendes gibt es hier nirgends. Eine
Empfindung schließt sich an die andere. Wir können sie nur
künstlich herausheben aus unserer Erfahrung; in Wahrheit ist sie
mit dem Ganzen der uns gegebenen Wirklichkeit verbunden. Hier
liegt ein Fehler, den Kant gemacht hat. Er hatte eine ganz falsche
Vorstellung von der Beschaffenheit unserer Erfahrung. Die letz-
tere besteht nicht, wie er glaubt, aus unendlich vielen Mosaik-
steinchen, aus denen wir durch rein subjektive Vorgänge ein Gan-
zes machen, sondern sie ist uns als eine Einheit gegeben: eine
Wahrnehmung geht in die andere ohne bestimmte Grenze über.
Wollen wir eine Einzelheit für sich abgesondert betrachten, dann
müssen wir sie erst künstlich aus dem Zusammenhange herausheben,
in dem sie sich befindet. Nirgends ist uns zum Beispiel die Einzel-
empfindung des Rot als solche gegeben; allseitig ist sie von
anderen Qualitäten umgeben, zu denen sie gehört und ohne die
sie nicht bestehen könnte. Wir müssen von allem übrigen absehen
und unsere Aufmerksamkeit auf die eine Wahrnehmung richten,
wenn wir sie in ihrer Vereinzelung betrachten wollen. Dieses
Herausheben eines Dinges aus seinem Zusammenhange ist für uns
eine Notwendigkeit, wenn wir die Welt überhaupt betrachten
wollen. Wir sind so organisiert, daß wir die Welt nicht als Gan-
zes, als eine einzige Wahrnehmung auffassen können. Das Rechts
und Links, das Oben und Unten, das Rot neben dem Grün in
meinem Gesichtsfelde sind in Wirklichkeit in ununterbrochener
Verbindung und gegenseitiger Zusammengehörigkeit. Wir können
den Blick aber nur nach einer Richtung wenden und das in der
Natur Verbundene nur getrennt wahrnehmen. Unser Auge kann
immer nur einzelne Farben aus einem vielgliedrigen Farbenganzen
wahrnehmen, unser Verstand einzelne Begriffsglieder aus einem
in sich zusammenhängenden Ideengebäude. Die Absonderung

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einer Einzelempfindung aus dem Weltzusammenhange ist somit


ein subjektiver Akt, bedingt durch die eigentümliche Einrichtung
unseres Geistes. Wir müssen die einheitliche Welt in Einzelemp-
findungen auflösen, wenn wir sie betrachten wollen.

Wir müssen uns aber darüber klar sein, daß diese unendliche


Vielheit und Vereinzelung in Wahrheit gar nicht besteht, daß sie
ohne alle objektive Bedeutung für die Wirklichkeit selbst ist. Wir
schaffen ein zunächst von der Wirklichkeit abweichendes Bild
derselben, weil uns die Organe fehlen, sie in ihrer ureigenen Ge-
stalt in einem Akte aufzufassen. Aber das Trennen ist nur der eine
Teil unseres Erkenntnisprozesses. Wir sind beständig damit beschäf-
tigt, jede Einzelwahrnehmung, die an uns herantritt, einer Gesamt-
vorstellung einzuverleiben, die wir uns von der Welt machen.

Die sich hier notwendig anschließende Frage ist nun die: Nach


welchen Gesetzen verknüpfen wir das im Wahrnehmungsakte Ge-
trennte? — Die Trennung ist eine Folge unserer Organisation; sie
hat mit der Sache selbst nichts zu tun. Deshalb kann auch der
Inhalt einer Einzelwahrnehmung durch den Umstand nicht ver-
ändert werden, daß sie für uns zunächst aus dem Zusammenhange
gerissen erscheint, in den sie gehört. Da aber dieser Inhalt durch
den Zusammenhang bedingt ist, so erscheint er in seiner Abson-
derung zunächst ganz unverständlich. Daß an einer bestimmten
Stelle des Raumes gerade die Wahrnehmung des Rot auftrete, ist
von den mannigfaltigsten Umständen bewirkt. Wenn ich nun das
Rot wahrnehme, ohne gleichzeitig auf diese Umstände meine Auf-
merksamkeit zu richten, so bleibt es mir unverständlich, woher das
Rot kommt. Erst wenn ich andere Wahrnehmungen, und zwar die
jener Umstände gemacht habe, an die sich jene Wahrnehmung
des Rot notwendig anschließt, dann verstehe ich die Sache. Jede
Wahrnehmung weist mich also über sich selbst hinaus, weil sie
aus sich selbst nicht zu erklären ist. Ich verbinde deswegen die
durch meine Organisation aus dem Weltganzen abgesonderten
Einzelheiten gemäß ihrer eigenen Natur zu einem Ganzen. In
diesem zweiten Akte wird somit das wiederhergestellt, was in
dem ersten zerstört wurde, die Einheit des Objektiven tritt wieder
in ihr Recht gegenüber der subjektiv bedingten Vielheit.

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Der Grund, warum wir uns der objektiven Gestalt der Welt


nur auf dem gekennzeichneten Umwege bemächtigen können,
liegt in der Doppelnatur des Menschen. Als vernünftiges Wesen
ist er sehr wohl imstande, sich den Kosmos als eine Einheit vor-
zustellen, in der jedes Einzelne als Glied des Ganzen erscheint;
als sinnliches Wesen jedoch ist er an Ort und Zeit gebunden, er
kann nur einzelne der unendlich vielen Glieder des Kosmos wahr-
nehmen. Die Erfahrung kann daher nur eine durch die Beschränkt-
heit unserer Individualität bedingte Gestalt der Wirklichkeit lie-
fern, aus welcher die Vernunft erst das Objektive gewinnen muß.
Die sinnenfällige Anschauung entfernt uns also von der Wirklich-
keit, die vernünftige Betrachtung führt uns darauf wieder zurück.
Ein Wesen, dessen Sinnlichkeit in einem Akte die Welt anschauen
könnte, bedürfte der Vernunft nicht. Ihm lieferte eine einzelne
Wahrnehmung, was wir nur durch das Zusammenfassen unend-
lich vieler erreichen können.

Die eben angestellte Untersuchung unseres Erkenntnisvermö-


gens führt uns zu der Ansicht, daß die Vernunft das Organ der
Objektivität ist oder daß sie uns die eigentliche Gestalt der Wirk-
lichkeit liefert. Wir dürfen uns nicht täuschen lassen durch den
Umstand, daß die Vernunft scheinbar ganz innerhalb unserer Sub-
jektivität liegt. Wir haben gesehen, daß in Wahrheit ihre Tätig-
keit dazu bestimmt ist, gerade den subjektiven Charakter, den
unsere Erfahrung durch die sinnliche Wahrnehmung erhält, auf-
zuheben. Durch diese Tätigkeit stellen die Wahrnehmungsinhalte
selbst in unserem Geiste den objektiven Zusammenhang wieder
her, aus dem sie unsere Sinne gerissen haben.

Wir sind nun an dem Punkte, wo wir das Irrtümliche der Kant-


schen Auffassung durchschauen können. Was eine Folge unserer
Organisation ist: das Auftreten der Wirklichkeit als unendlich
viele getrennte Einzelheiten, das faßt Kant als objektiven Tat-
bestand auf; und die Verbindung, die sich wieder herstellt, weil
sie der objektiven Wahrheit entspricht, die ist ihm eine Folge
unserer subjektiven Organisation. Gerade das Umgekehrte von
dem ist wahr, was Kant behauptet hat. Ursache und Wirkung zum
Beispiel sind ein zusammengehöriges Ganzes. Ich nehme sie ge-

trennt wahr und verbinde sie in der Weise, wie sie selbst zuein-


ander streben. Kant hat sich durch Hume in den Irrtum hinein-
treiben lassen. Letzterer sagt: Wenn wir zwei Ereignisse immer
und immer wieder in der Weise wahrnehmen, daß das eine auf
das andere folgt, so gewöhnen wir uns an dieses Zusammensein,
erwarten es auch in künftigen Fällen und bezeichnen das eine als
Ursache, das andere als Wirkung. — Das widerspricht den Tat-
sachen. Wir bringen zwei Ereignisse nur dann in eine ursächliche
Verbindung, wenn eine solche aus ihrem Inhalte folgt. Diese Ver-
bindung ist nicht weniger gegeben als der Inhalt der Ereignisse
selbst.

Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, findet die alltäg-


lichste sowohl wie die höchste wissenschaftliche Denkarbeit ihre
Erklärung. Könnten wir die ganze Welt mit einem Blick umspan-
nen, dann wäre diese Arbeit nicht notwendig. Ein Ding erklären,
verständlich machen heißt nichts anderes, als es wieder in den
Zusammenhang hineinsetzen, aus dem es unsere Organisation
herausgerissen hat. Ein Ding, das an sich vom Weltganzen abge-
trennt ist, gibt es nicht. Alle Sonderung hat bloß eine subjektive
Geltung für uns. Für uns legt sich das Weltganze auseinander in:
Oben und Unten, Vor und Nach, Ursache und Wirkung, Gegen-
stand und Vorstellung, Stoff und Kraft, Objekt und Subjekt und
so weiter. Alle diese Gegensätze sind aber nur möglich, wenn uns
das Ganze, an dem sie auftreten, als Wirklichkeit gegenübertritt.
Wo das nicht der Fall ist, können wir auch nicht von Gegensätzen
sprechen. Ein unmöglicher Gegensatz ist der, den Kant als «Er-
scheinung» und «Ding an sich» bezeichnet. Dieser letztere Be-
griff ist ganz bedeutungslos. Wir haben nicht die geringste Veran-
lassung, ihn zu bilden. Er hätte nur für ein Bewußtsein Berech-
tigung, das außer der Welt, die uns gegeben ist, noch eine zweite
kennt und welches beobachten kann, wie diese Welt auf unseren
Organismus einwirkt und das von Kant als Erscheinung Bezeich-
nete zur Folge hat. Ein solches Bewußtsein könnte dann sagen:
Die Welt der Menschen ist nur eine subjektive Erscheinung jener
zweiten, mir bekannten Welt. Die Menschen selbst aber können
nur Gegensätze innerhalb der ihnen gegebenen Welt anerken-

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nen. Die Summe alles Gegebenen zu etwas anderem in Gegensatz


bringen ist sinnlos. Das Kantsche «Ding an sich» folgt nicht aus
dem Charakter der uns gegebenen Welt. Es ist hinzuerfunden.

Solange wir mit solchen willkürlichen Annahmen, wie das


«Ding an sich» eine ist, nicht brechen, können wir niemals zu
einer befriedigenden Weltanschauung kommen. Unerklärlich ist
uns etwas nur, solange wir das nicht kennen, was notwendig da-
mit zusammenhängt. Dies haben wir aber innerhalb, nicht außer-
halb unserer Welt zu suchen.

Die Rätselhaftigkeit eines Dinges besteht nur, solange wir es in


seiner Besonderheit betrachten. Diese ist aber von uns hervor-
gebracht und kann auch von uns wieder aufgehoben werden. Eine
Wissenschaft, welche die Natur des menschlichen Erkenntnispro-
zesses versteht, kann nur so verfahren, daß sie alles, was sie zur
Erklärung einer Erscheinung braucht, auch innerhalb der uns ge-
gebenen Welt sucht. Eine solche Wissenschaft kann als Monismus
oder einheitliche Naturauffassung bezeichnet werden. Ihr steht
der Dualismus oder die Zweiweltentheorie gegenüber, welche zwei
voneinander absolut verschiedene Welten annimmt und die Er-
klärungsprinzipien für die eine in der ändern enthalten glaubt.

Diese letztere Lehre beruht auf einer falschen Auslegung der


Tatsachen unseres Erkenntnisprozesses. Der Dualist trennt die
Summe alles Seins in zwei Gebiete, von denen jedes seine eigenen
Gesetze hat und die einander äußerlich gegenüberstehen. Er ver-
gißt, daß jede Trennung, jede Absonderung der einzelnen Seins-
gebiete nur eine subjektive Geltung hat. Was eine Folge seiner
Organisation ist, das hält er für eine außer ihm liegende, objek-
tive Naturtatsache.

Ein solcher Dualismus ist auch der Kantianismus. Erscheinung


und An-sich der Dinge sind nicht Gegensätze innerhalb der ge-
gebenen Welt, sondern die eine Seite, das An-sich, liegt außerhalb
des Gegebenen. — Solange wir das letztere in Teile trennen — mö-
gen dieselben noch so klein sein im Verhältnis zum Universum —,
folgen wir einfach einem Gesetze unserer Persönlichkeit; betrach-
ten wir aber alles Gegebene, alle Erscheinungen als den einen Teil
und stellen ihm dann einen zweiten entgegen, dann philosophie-

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ren wir ins Blaue hinein. Wir haben es dann mit einem bloßen


Spiel mit Begriffen zu tun. Wir konstruieren einen Gegensatz,
können aber für das zweite Glied keinen Inhalt gewinnen, denn
ein solcher kann nur aus dem Gegebenen geschöpft werden. Jede
Art des Seins, die außerhalb des letzteren angenommen wird, ist
in das Gebiet der unberechtigten Hypothesen zu verweisen. In
diese Kategorie gehört das Kantsche «Ding an sich» und nicht
weniger die Vorstellung, welche ein großer Teil der modernen
Physiker von der Materie und deren atomistischer Zusammen-
setzung hat. Wenn mir irgendeine Sinnesempfindung gegeben ist,
zum Beispiel Farbe- oder Wärmeempfindung, dann kann ich
innerhalb dieser Empfindung qualitative und quantitative Sonde-
rungen vornehmen; ich kann die räumliche Gliederung und den
zeitlichen Verlauf, die ich wahrnehme, mit mathematischen For-
meln umspannen, ich kann die Erscheinungen gemäß ihrer Natur
als Ursache und Wirkung ansehen und so weiter: ich muß aber
mit diesem meinem Denkprozesse innerhalb dessen bleiben, was
mir gegeben ist. Wenn wir eine sorgfältige Selbstkritik an uns
üben, so finden wir auch, daß alle unsere abstrakten Anschau-
ungen und Begriffe nur einseitige Bilder der gegebenen Wirk-
lichkeit sind und nur als solche Sinn und Bedeutung haben. Wir
können uns einen allseitig geschlossenen Raum vorstellen, in dem
sich eine Menge elastischer Kugeln nach allen Richtungen bewegt,
die sich gegenseitig stoßen, an die Wände an- und von diesen ab-
prallen; aber wir müssen uns darüber klar sein, daß dies eine ein-
seitige Vorstellung ist, die einen Sinn erst gewinnt, wenn wir uns
das rein mathematische Bild mit einem sinnenfällig wirklichen
Inhalt erfüllt denken. Wenn wir aber glauben, einen wahrgenom-
menen Inhalt ursächlich durch einen unwahrnehmbaren Seins-
prozeß, der dem geschilderten mathematischen Gebilde entspricht
und der außerhalb unserer gegebenen Welt sich abspielt, erklären
zu können, so fehlt uns jede Selbstkritik. Den beschriebenen Feh-
ler macht die moderne mechanische Wärmetheorie. Ganz dasselbe
kann in bezug auf die moderne Farbentheorie gesagt werden. Auch
sie verlegt etwas, was nur ein einseitiges Bild der Sinnenwelt ist,
hinter diese als Ursache derselben. Die ganze Wellentheorie des

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Lichtes ist nur ein mathematisches Bild, das die räumlich-zeitlichen


Verhältnisse dieses bestimmten Erscheinungsgebietes einseitig dar-
stellt. Die Undulationstheorie macht dieses Bild zu einer realen
Wirklichkeit, die nicht mehr wahrgenommen werden kann, son-


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