MVZ Dr. Engelschalk, Dr. Schubach, Dr. Wiegel und Kollegen | Wörth 15 | 94034 Passau | Tel: 0851 95 93 00
Laborinformation
05/2015
Selen – das unterschätzte Spurenelement
Allgemeines
Bis in die 1950er-Jahre wurde Selen (Se) für die menschli-
che Gesundheit überwiegend als toxisch wahrgenommen.
Ab 1957 mehrten sich die Hinweise auf eine Essenzialität
von Selen. Die beiden grundlegenden Eigenschaften des
Selens sind seine antioxidative Wirkung sowie die Fähig-
keit Schwermetalle zu binden. Ernährungswissenschaft-
liche Gesellschaften gehen zwar von einer ausreichenden
Versorgung der Bevölkerung aus, dessen ungeachtet wer-
den zahlreiche Mineralstoff- und Multivitaminpräparate
als Nahrungsergänzungsmittel im Handel angeboten, die
offenbar regen Zuspruch seitens der Verbraucher erfahren.
Aus diesem Widerspruch möchten wir Ihnen im Folgenden
exemplarisch einige klinische Beispiele darstellen, bei wel-
chen eine Bestimmung unter anderem von Selen sinnvoll
sein kann. Hierbei haben wir uns auf durch Studien belegte
Wirkungen von Selen beschränkt und lassen die teilweise
fragwürdigen Effekte, die in der Boulevardpresse diskutiert
werden, außer Acht.
Selen: Baustein wichtiger Radikalfänger
Selen kommt im menschlichen Körper in so genannten
Selenoproteinen vor, deren biologische Wirkungen sehr
vielfältig sind. Das Spurenelement ist somit unter anderem
daran beteiligt, karzinogene bzw. mutagene Substanzen zu
inaktivieren, bösartige Veränderungen von Zellen zu beein-
flussen und auf das Immunsystem einzuwirken. Die selenab-
hängigen Enzyme Glutathionperoxidase und Thioredoxinre-
duktase wehren die schädlichen Sauerstoff-Radikale ab.
Selen blockiert krebserregende Metalle
Metalle wie Cadmium, Blei, Zink, Arsen und Chrom können
ebenfalls Krebs auslösen. Außerdem können sie co-karzino-
gene Aktivitäten entwickeln, das heißt andere Krebsauslöser
unterstützen, oder das Wachstum von Tumorzellen anregen.
Hier kann Selen krebsvorbeugend wirken, indem es diese
Metalle zu Metallseleniden oder Proteinkomplexen bindet
und dadurch unschädlich macht. Auch in Experimenten mit
menschlichen Tumorzellen fanden Krebsforscher heraus,
dass Selengaben das Zellwachstum hemmen. Zusätzlich
regten sie in Versuchen die Produktion des Tumor unterdrü-
ckenden Proteins p53 an und lösten den programmierten
Zelltod (Apoptose) aus.
Krebserkrankungen
Die Interventionsstudie „Nutritional Prevention of Cancer“
sorgte für großes Aufsehen bei der Diskussion um den Effekt
von Selen auf das Krebsrisiko. An ehemaligen Hautkrebspa-
tienten wurde untersucht, ob die Gabe von täglich 200 Mi-
krogramm Selen das neuerliche Auftreten von Karzinomen
der Haut beeinflusst. Die Zufuhr zeigte zwar keinen Effekt
auf das Hautkrebsrisiko. Die Wissenschaftler beobachteten
jedoch, dass die Gesamtsterblichkeit, die Todesfälle durch
Krebs und die Krebshäufigkeit von Lungen-, Prostata- und
Dickdarmkrebs durch die Selengabe verringert werden
konnte. Allerdings gibt es auch hierzu widersprüchliche Er-
gebnisse: Eine weitere Studie, die das Wachstum und das
Wiederauftreten von Geschwüren des Dickdarms unter einer
Selenbehandlung untersuchte, konnte insgesamt keinen
schützenden Effekt finden.
Hashimoto-Thyreoiditis
In Studien konnte ein günstiger Einfluss von Selen auf den
Verlauf einer Hashimoto-Thyreoiditis gezeigt werden. Bei
dieser Erkrankung greift das körpereigene Abwehrsystem
die Schilddrüse an, als ob sie ein fremdes Organ sei, und ver-
sucht, die Schilddrüse mit dieser Entzündungsreaktion zu
zerstören. Bekamen solche Patienten über drei bzw. sechs
Monate 200 Mikrogramm eines Selenpräparats, ging die Ent-
zündungsreaktion bei der Mehrzahl zurück und das Wohl-
befinden besserte sich. Für die Patientengruppe, bei denen
eine Autoimmun-Schilddrüsenentzündung mit hohen Anti-
körperwerten im Blut neu festgestellt wurde, kann also eine
ärztlich überwachte Therapie mit zusätzlichen Selengaben
durchaus empfohlen werden.
Zu viel Selen ist schädlich - Monitoring
Aber auch geringe Dosierungen können Nebenwirkungen
verursachen. Eine zusätzliche Selenaufnahme kann bei
Personen, die mit Jod unterversorgt sind, wie dies in der
deutschen Bevölkerung häufig der Fall ist, dazu führen, dass
selenhaltige Enzyme des Schilddrüsenhormon-Stoffwech-
sels verstärkt aktiviert werden. Als Folge werden weniger
Schilddrüsenhormone gebildet, was zu einer Hypothyreose
führt. Außerdem ist bisher unklar, ob die Anlage von Selen-
speichern im Organismus unbedenklich ist. Diese erfolgt
bereits bei einer Menge, die die Sättigung der selenabhängi-
gen Proteine nur geringfügig übersteigt. Dabei könnte es zur
Speicherung von Selenschwermetallkomplexen in inneren
Organen kommen. Aufgrund dieser Nebenwirkungen und
der geringen therapeutischen Breite wird unter Selen-The-
rapie ein Monitoring empfohlen.
Selen-Vorkommen
In der Nahrung:
In Abhängigkeit vom natürlichen Selengehalt des Bodens
und der Zugabe von Selen zum Kunstdünger und zu Futter-
mitteln enthalten Nahrungsmittel regional unterschiedliche
Mengen an Selen. Da die Gehalte in Abhängigkeiten von Her-
kunft und Entstehung eines Nahrungsmittels stark schwan-
ken können, sind Abweichungen von den Angaben in Tabelle
1 (Seite 2) zu erwarten. Im Vergleich zu anderen Ländern ent-
halten Lebensmittel aus der Bundesrepublik Deutschland
insgesamt eher niedrige Selengehalte.
Im Trinkwasser:
Das Trinkwasser spielt für die Selenversorgung in Deutsch-
land praktisch keine Rolle. Der Grenzwert der TrinkwV liegt
bei 0,01 mg/l und wird in der öffentlichen Wasserversorgung
problemlos eingehalten.
Fortsetzung auf der Rückseite
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Selen – das unterschätzte Spurenelement
Selen-Vorkommen
Tabelle 1: Selen in Nahrungsmitteln.
1
Aufnahme, Metabolismus, Ausscheidung
Lösliche anorganische und organische Selenverbindungen
werden im Allgemeinen rasch und zu mehr als 50% im Gast-
rointestinal-Trakt resorbiert. In Niere und Leber finden sich
höhere Spiegel als in anderen Organen, wobei die Muskula-
tur aufgrund ihrer Masse den größten Pool darstellt. Wegen
des unspezifischen und unregulierten Einbaus in Körper-
proteine führt eine hoch dosierte Supplementierung mit
organischen Selenpräparaten zu höheren Gehalten im Blut
und Gewebe, während die Supplementierung mit Selenit
als anorganisches Selen schneller eliminiert wird. Bei höhe-
rer Zufuhr wird Selen in Form von Methylselenol sowie Di-
methylselenid exhaliert und als Trimethylselenium-Ion ren-
al eliminiert. Die Elimination von Selen erfolgt biphasisch
mit mittleren Halbwertszeiten von ca. 2,4 Tagen und ca. 162
Tagen.
Ursachen für Selenmangel
Eine Unterversorgung mit Selen (<20 µg/Tag) kann verur-
sacht werden durch:
Totale parenterale Ernährung
Diäten ohne adäquaten Selenzusatz
Gastrointestinale Malabsorption (Morbus Chron, Zöliakie,
Dünndarmresektion)
Alkoholismus und Vegetarismus
Unzureichende Selenzufuhr durch regionale Lebensmittel
in Selenmangelgebieten
Es besteht ein Synergismus in Bezug auf eine Lipidperoxida-
tion zwischen Selenmangel und Vitamin-E-Mangel.
Mangelsymptome
Müdigkeit und Leistungsschwäche
Haarausfall
Leberfunktionsstörungen
Arthritis
Weißfärbung der Fingernägel
Muskelschwäche
Infertilität
Hypothyreose
Selenbedarf
Die beim Menschen mindestens erforderliche Aufnahme von
Selen wurde mit 16 – 70 µg Se pro Tag (0,3-1,1 µg Se pro kg
Körpergewicht pro Tag) ermittelt, d. h., zur Verhütung von
offensichtlichen Selenmangelzuständen reicht vermutlich
bereits eine Selenzufuhr von 0,3 µg/kg Körpergewicht und
Tag aus. Von der WHO wurden Werte mit 30 µg/Tag für Frau-
en und 40 µg/Tag für Männer festgelegt. Die Deutsche Ge-
sellschaft für Ernährung (DGE) hat für Jugendliche und Er-
wachsene eine Aufnahme von 30-70 µg/Tag als Empfehlung
ausgesprochen (Tabelle 2).
Tabelle 2: Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für
Ernährung zur nutritiven täglichen Selenaufnahme.
1
Material
1
ml Serum
Abrechnung (Labor)
EBM
GOÄ
1fach
1,15fach
32280
€ 14,60
4134
€ 23,90
€ 27,48
Literatur:
1
Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2006. 49:88–
102. DOI 10.1007/s00103-005-1185-4. Online publiziert: 15. Dezember 2005.
Springer Medizin Verlag 2005.
2
Mineralstoffe und Spurenelemente: Leitfaden für die ärztliche Praxis. Verlag
Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 1992.
3
Bertram, H.P.: Spurenelemente, Analytik, ökotoxikologische und medizinisch-
klinische Bedeutung. Urban und Schwarzenberg, München 1992.
Lebensalter
Selenaufnahme µg / Tag
Säuglinge
0 bis unter 4 Monate
5
4 bis unter 12 Monate
7-30
Kinder
1 bis unter 4 Jahre
10-40
4 bis unter 7 Jahre
15-45
7 bis unter 10 Jahre
20-50
10 bis unter 13 Jahre
25-60
13 bis unter 15 Jahre
25-60
Jugendliche und Erwachsene (> 15 Jahre) 30-70
Schwangere und Stillende 30-70
Nahrungsmittel
Selengehalt µg/kg
Tierische Nahrungsmittel
Rindfleisch
20-80
Hühnerfleisch
30-100
Schweinefleisch
50-150
Leber
50-200
Niere
500-2000
Fische und Schalentiere
200-500
Hühnerei
100-200
Milch
5-20
Käse
20-200
Pflanzliche Nahrungsmittel
Öle
<5
Gemüse (Kartoffel, Bohnen, Sellerie)
10-30
Speisepilze
20-100
Obst (Apfel, Banane, Orange)
<10
Getreide
10-500
Nüsse (Erdnuss, Walnuss)
20-200
Paranuss, „Brasilnuss“
2000-5000
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