Seminar für allgemeine pädagogik


Thesen und Argumente in strittigen Angelegenheiten (Josef Kopperschmidt)



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3.4.3 Thesen und Argumente in strittigen Angelegenheiten (Josef Kopperschmidt)


Argumente spielen in der Regel nur dann eine Rolle, wenn Behauptungen begründet werden müssen. Zu begründen sind Behauptungen

  • wenn ihre Verankerung in allgemeinen Normen- und Sinnkriterien deutlich gemacht werden soll (d.h. wenn Legitimationsbedarf besteht, daß sie den Grundsätzen der Vernünftigkeit und Gerechtigkeit folgen);

  • wenn sie strittig sind.

Während der erstgenannte Punkt in der argumentationstheoretischen Literatur kaum eine Rolle spielt, ist der zweite Punkt zentral. Josef Kopperschmidt, derzeit vielleicht der bedeutendste Argumentationstheoretiker in der Bundesrepublik, legt seiner Argumentationstheorie drei Fragen zu Grunde; dabei steht Kopperschmidt ganz hinter dem argumentations- und diskurstheoretischen Konzept von Habermas (vgl. Kopperschmidt 1989).

Welche Angelegenheiten können überhaupt strittig werden? Welche Arten strittiger Angelegenheiten gibt es? Wie werden Angelegenheiten strittig?

Welche Angelegenheiten können überhaupt strittig werden? Strittig werden nicht Gegenstände, Ereignisse, Personen an sich; strittig sein kann höchstens, daß solche Gegenstände, Ereignisse oder Personen existieren oder in konkreten Zusammenhängen in bestimmter Weise in Erscheinung treten. Die Faktizität dieser Gegenstände, Ereignisse oder Personen wird durch Sätze zum Ausdruck gebracht, durch Aussagen über Sachverhalte. Damit ist die Sprache ein für den Prozeß der Wahrheitsentscheidung relevantes Medium. Den Tatbestand, daß p als wahr gilt bzw. bestritten wird, drückt man aus durch die Formulierung:

  • Ich behaupte, daß p wahr ist. (Kurzform: Ich behaupte, daß p.)

  • Ich bestreite, daß p wahr ist (Kurzform: Ich bestreite, daß p.)

Argumentieren meint „den Versuch eines Sprechers (A), den begründungsbedürftigen (weil problematischen) Geltungsanspruch einer Äußerung (p) durch Berufung auf die ihm unterstellte Gültigkeit einer anderen Äußerung (q) einzulösen: A begründet p mit q als Argument“ (Kopperschmidt 1989, S. 91).

Strittig ist genau genommen nicht der Satz, sondern sein Geltungsanspruch (GA). Ein Satz wird durch den Rekurs auf seinen Geltungsanspruch zu einer Behauptung. Jede Behauptung impliziert einen als wahr unterstellten Geltungsanspruch, der allerdings im Zweifelsfalle bestritten werden kann.

Die Einlösung des Wahrheitsanspruchs bzw. der Erweis der Unwahrheit einer Behauptung geschieht durch Argumentation. Argumentation ist nach Kopperschmidt das Prüfen von Argument und Gegenargument auf ihren Wahrheitsgehalt. Dieser Vorgang heißt auch: eine Aussage (Behauptung) durch Argumente legitimieren (rechtfertigen). Am Ende der Argumentation muß beim Erweis der Wahrheit bzw. Unwahrheit eines Geltungsanspruchs der argumentativ erreichte Konsens der am Diskurs beteiligten Subjekte stehen (ebenda, S. 24).

Geltungsansprüche sind durch Rationalität und Vernünftigkeit grundsätzlich unterschieden von Gewißheits- und Machansprüchen. Strittig ist „eine mögliche Eigenschaft von Äußerungen, deren implizit erhobener Geltungsanspruch hinsichtlich seiner Berechtigung bestritten werden kann“ (ebenda, S. 26). In der Alltagskommunikation werden Aussagen in der Regel nicht bestritten, sondern sind Informationen, die ungeprüft als wahr angesehen werden. Erst wenn eine differente bzw. kontroverse Bewertung des gemeinten Sachverhaltes erfolgt, wird er strittig. Es erfolgt dabei, wie Habermas dies beschrieben hat, ein Wechsel von der Ebene des kommunikativen Handelns zur Ebene des Diskurses = Diskussion von Geltungsansprüchen



Welche Arten strittiger Angelegenheiten gibt es? Hier unterscheidet Kopperschmidt mit Rückgriff auf Habermas zwei Arten von Geltungsansprüchen: Wahrheit und Richtigkeit; erstere beziehen sich auf Aussagen über Tatsachen, letztere auf Aussagen über Normen.

  • Wahrheit betrifft theoretische Wissensannahmen über Tatsachen

  • Richtigkeit betrifft praktische Wertentscheidungen innerhalb der sozialen Welt, die handlungsrelevante Verbindlichkeit sichern (Werte, Verhaltensnormen, juristische Gesetze)

Gelingende Verständigung beruht auf der Anerkennung jener vier Geltungsansprüche, wie sie Habermas mit den „vier reinen Fällen von Sprechakten“ formulierte (Habermas 1995a., Bd. 1, S. .410, S. 414): Bei dem vier „reinen Fällen“ von Sprechakten handelt es sich, wie in Abschnitt 2.4.4 ausgeführt, um

  • elementare Sachaussagen mit dem Anspruch auf Wahrheit,

  • Aufforderungs- oder Absichtssätze mit dem Anspruch auf Richtigkeit,

  • elementare Erlebnissätze mit dem Anspruch auf Wahrhaftigkeit sowie

  • um Einverständnis bemühte Sätze mit dem Anspruch auf Verständlichkeit.

Steht der Geltungsanspruch einer dieser Kategorien in einer bestimmten Situation in Frage, erzeugt dies Argumentationsbedarf .

Argumente sind „eine spezifische Art von Gründen, mit denen eine spezifische Art von Warum-Fragen, nämlich Geltungsfragen, überzeugungskräftig zu beantworten versucht wird“ (ebenda, S.74).

Argumentation benötigt nach Kopperschmidt mindestens die vier Variablen A,B, p, q - wobei A und B die Kommunikanten sind, p und q Behauptung und stützendes Argument darstellen.



Wie werden Angelegenheiten strittig? Angelegenheiten werden strittig, indem Problemlagen entstehen, die die Geltungsbasis der Kommunikation in Frage stellen. Problemlagen „unterbrechen den Prozeß kommunikativen Handelns, damit die normativen Bedingungen seiner Möglichkeit explizit thematisiert und gegebenenfalls diskursiv eingelöst werden können“. Dabei werden „sektorale Bereiche lebensweltlicher Hintergrundüberzeugungen reflexiv aufgebrochen und als Verständigungsressourcen kommunikativen Handelns bewußt...“ (ebenda, S. 76 f.). Geltungsaussagen werden strittig, deutungs- oder erklärungsbedürftig, indem man „warum?“ fragt. Kopperschmidt unterscheidet zwei Typen von Warum-Fragen, die Geltungsansprüche strittig werden lassen: Sachfragen und Geltungsfragen. Beide werden beantwortet durch

  • erklärungsbedürftige Ursachen,

  • deutungskräftige Motive,

  • überzeugungskräftige Argumente.

Wie sind Argumente möglich - was macht sie überzeugungskräftig? Kopperschmidt spricht vom „Rollenwechsel“ einer Information (p) im Wechsel von Kommunikation zum Diskurs: eine sachhaltige Information (p) wird im Kontext kommunikativen Handelns frag-würdig. Sie wird angezweifelt. Ihr Geltungsanspruch wird in Frage gestellt. Damit aber wird nicht mehr über die Sache – sondern gleichsam eine Stufe höher – über ihre Geltung gesprochen, indem Argumente ausgetauscht werden. Diese höhere Stufe ist der Diskurs im Habermasschen Sinne. Die Information p wird zum Diskursanlaß: aus (p) wird (p?). So wird (p) mit einer These verteidigt, „die ihre Gültigkeit von ihrer argumentativen Stützungsfähigkeit abhängig macht (p aufgrund von q)“ (ebenda, S. 98).

Thesen sind Aussagen mit expliziten Geltungsansprüchen, d.h. Thesen können nur auf Grund gleichzeitig vorhandener Argumente existieren. Ist der Geltungsanspruch eingelöst (das Argument q als wahrheitsfähig anerkannt), verliert die Aussage ihren Thesencharakter. Sie gilt als anerkannt.

Das stützende Argument q darf allerdings seinerseits nicht begründungsbedürftig sein (ebenda, S. 109); q muß darüber hinaus geeignet sein, in dem gewählten Rahmen der Argumentation als Stützargument aufzutreten. Es muß „eine einsichtige materiale Beziehung zwischen p und q geben“ (ebenda, S. 112). Das bedeutet, daß p unter q sachlich subsumierbar ist bzw. eine Regel R existiert, die p mit q verknüpft. Schließlich muß auch der jeweilige Rahmen der Diskussion beachtet werden. Damit ist das jeweilige „System bereichsspezifischer Äußerungen“ SY ( = Kategoriensystem) gemeint, das der Argumentation zugeordnet ist. Sehr oft werden aus einer strittigen komplexen Behauptung von den Gegnern unterschiedliche, für die Argumentation differente Bezugsrahmen gewählt. Stimmt aber der Rahmen nicht überein, kann es sein, daß beide Parteien recht bzw. unrecht haben. Dann findet gleichsam ein Grabenkrieg auf Parallelschauplätzen statt.

Die These: p! (das heißt: Es gilt p!) steht und fällt mit der Überzeugungskraft von q: „die Überzeugungskraft von q in der Rolle eines Arguments für p hängt ab, von seiner sprechhandlungsspezifischen Gültigkeit, von seiner argumentationsspezfiischen Eignung, von seiner problemspezifischen Relevanz“ (ebenda, S. 113).

Damit wird die Kurzformel < p weil q > erweitert durch eine Formel, die an das Argumentationsschema von Toulmin anknüpft, es aber unter den Gesichtspunkt differenziert, daß Argumente immer aus bestimmten (bereichsspezifischen) Kontexten erwachsen:



< p weil q auf Grund von R in SY >

Vernünftig ist ein Konsens, wenn er mit universeller Zustimmung rechnen kann; ein Konsens, der in seiner Vernünftigkeit eingeschränkt ist, weil er unter restringierten Bedingungen zustande kam, heißt partikularer Konsens. Zu unterscheiden ist:

  • überzeugen = durch Argumentation erzielter, wahrer bzw. vernünftiger Konsens im Medium herrschaftsfreier Verständigung („ideale Sprechsituation“ im Sinne Habermas’)

  • überreden = ein durch rhetorische Mittel, zum Zwecke privater Interessendurchsetzung herbeigeführter Konsens, der nicht auf Argumentation beruht.

Eine Argumentation ist überzeugungskräftig, wenn sie fähig ist, „den Geltungsanspruch einer Aussage zu rechtfertigen“ (Kopperschmidt 1977, S. 224).

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