Seminar für allgemeine pädagogik



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VORwort


Der vorliegende Band geht zurück auf Vorlesungen über Theorien der Kommunikation, deren päd­agogisch-psychologischer Teil in der Vor- bzw. Zwischenprüfung im Prüfungsfach Erziehungswis­senschaft (Pädagogik) vorausgesetzt wird. Die Ausweitung der Betrachtung auf soziologische Theo­rien, Aspekte der Sprachphilosophie und Argumentationstheorie sind, wenn nicht schon im Grund­studium ausschnittsweise berücksichtigt, für das Hauptstudium relevant. Aus systematischen Gründen wurden die betreffenden Abschnitte nicht an das Ende gestellt, sondern an das Einführungskapitel angeschlossen.

Der Text umreißt für die Studierenden der Lehramtsstudiengänge sowie des Pädagogik-, Magister- und Diplomstudienganges vertieftes Grundlagenwissen. Übungsaufgaben ergänzen jeweils die theoretischen Ausführungen.

Jedem Hauptabschnitt ist die thematisch relevante Literatur vorangestellt. Sie ist im Gesamt-Literaturverzeichnis nochmals alphabetisch aufgeführt – ergänzt durch weitere Literatur, die zitiert wurde oder die als weiterführend betrachtet werden kann. Bei eingerücktem Text handelt es sich um Zitate, die ohne Anführungszeichen mit nachgestelltem Quellennachweis wiedergegeben werden. Definitionen werden mit der Abkürzung def. bezeichnet.

im Mai 1999 H.R.



1. Einleitung


Literatur

Faßler, M.: Was ist Kommunikation? München 1997.


1.1. Was ist Kommunikation?


Informations- und Kommunikationsgesellschaft: Die Bezeichnung „Informations- und Kommunika­tionsgesellschaft“, die vor etwa 25 Jahren aufkam, steht im Moment nicht im Vordergrund aktueller gesellschaftlicher Zustandsbeschreibungen, sie ist aber nach wie vor zutreffend. Der Terminus Kommunikationsgesellschaft ist heute - völlig zu Unrecht - gegenüber anderen Schlagworten wie Risikogesellschaft, Erlebnisgesellschaft oder Postmoderne in den Hintergrund getreten; vermutlich deshalb, weil Begriffe sich abnützen und uns die umwälzenden Neuerungen der Informationstechnologie schon zu selbstverständlich geworden sind. Dennoch leben wir heute mehr denn je in einer Gesellschaft, die im wesentlichen nur durch Kommunikation auf allen Ebenen und in allen ihren Bezirken funktioniert.

Im öffentlichen Bereich ist Kommunikation in der Form von Informationsaustausch, Diskussion und Argumentation die Basis aller sozialen, ökonomischen und politischen Entscheidungsprozesse und hier ebenso unentbehrlich wie im privaten Bereich. Nur über Kommunikation vermag das Individuum Ich-Autonomie zu erwerben, sich zu artikulieren, verantwortlich zu handeln und die Beziehungen zu den Mitmenschen zu regulieren. Die gegenwärtige Kommunikationsgesellschaft ist dabei weder frei von Widersprüchen noch von Risiken. Im Gegenteil: beide Elemente prägen ihre Entwicklung; mit dem weiteren Ausbau von Kommunikation kommt es gleichzeitig immer auch zu negativen Rückkopplungen, Zwängen und Entfremdungserscheinungen. Münch bemerkt dazu:

Durch die Steigerung von Kommunikation wird die Gesellschaft in einem Maße bewegt, wie niemals zuvor. Es wird immer mehr Wissen gesammelt und in Umlauf gebracht. Es wird dadurch immer mehr Aufmerksamkeit für das erzeugt, was bisher falsch gemacht wurde und in Zukunft besser gemacht werden sollte. Der permanente Umbau der Gesellschaft ist die Konsequenz dieser gesteigerten Kommunikation. In einer Gesellschaft, in der alles durch Kommunikation bewegt wird, kann sich niemand mehr dem Zwang zur Erzielung von öffentlicher Aufmerksamkeit entziehen. Anderenfalls ist man vergessen und verloren. Wer sich nicht gut darstellen kann, hat in dieser Gesellschaft keine Chance.

Kommunikation muß angeheizt werden, wenn gesellschaftlich etwas bewegt werden soll. Ohne eine strategische Nutzung von öffentlicher Aufmerksamkeit läßt sich heute nichts mehr ausrichten. Politik, Wirtschaft, Verbände, Wissenschaft, Kunst, Literatur und Religion, sie alle können nur noch über den öffentlichen Diskurs gesellschaftlich wirksam werden und maßgeblich die Definition von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beeinflussen. (Münch 1991, S. 17)



Definition und Differenzierung von „Kommunikation“: In einer neutralen, gleichsam „technischen“ Ausdrucksweise gesprochen, bedeutet Kommunikation im weitesten Sinne die Übermittlung von Information, wobei „Übermittlung“ ein formales Strukturmoment, „Information“ ein inhaltliches Moment bezeichnet. Der Begriff „Übermittlung“ setzt (mindestens einen) „Sender“ und (einen oder mehrere) „Adressaten“ der Information (= Empfänger) voraus. Zeichen werden vom "Sender" codiert, d.h. mit Sinn unterlegt, sie werden vom "Empfänger" decodiert, d.h. ihr Sinn wird entschlüsselt.

Warum wird eine derart komplizierte Ausdrucksweise gewählt, die Sprechen als „Codieren“ und Verstehen als „Decodieren“ bezeichnet?



Verstehen und Nichtverstehen von Sprache: Tatsächlich beherrschen wir unsere Muttersprache so gut, daß wir normalerweise gar nicht merken, was wir tun, wenn wir miteinander reden. Aber der Kommunikationsvorgang mißlingt sofort, wenn die Kommunikanten sich sprachlich nicht oder nicht hinreichend verständigen können, etwa weil einer von ihnen als Ausländer nicht die Sprache versteht, die an seinem neuen Aufenthaltsort gesprochen wird. Erst im Ausland, in dem meine Sprache weitgehend unbekannt ist, bemerke ich, wie schwierig meine Situation wird, wenn ich die betreffende Fremdsprache nicht beherrsche und keine Hilfe zu gewärtigen habe. Ich bin völlig allein gelassen, kann weder etwas erfragen, noch verstehe ich das, was zu mir in guter Absicht gesagt wird. Allenfalls mit Gesten, mit nonverbaler Sprache, kann man versuchen anzudeuten, worum es geht.

Dies passiert heute in Deutschland gar nicht so selten. Für viele Ausländer, die nach Deutschland kommen, z.B. jüdische Einwanderer aus der Ukraine, bedeutet dies eine Ersterfahrung mit negativem Vorzeichen, die lange Zeit anhält und prägend wirkt - ein Anlaß zur Vorurteilsbildung auf beiden Seiten: Vorurteile von Eingesessenen gegenüber Ausländern sowie Unterlegenheitsgefühle von eingewanderten Ausländern gegenüber Einheimischen sind in starkem Maße bedingt durch fehlende Sprachkenntnis. Es fehlt sowohl die Möglichkeit, sich in der neuen Lebenswelt nach außen hin verständlich machen zu können als auch die eingesessene Bevölkerung zum Gesprächspartner zu machen. Der Wechsel von einer Sprache in die andere ist ein komplizierter Prozeß des Umdenkens, der durchaus in Analogie zum nachrichtentechnischen Vorgang der Codierung, des Entschlüsselns und Verschlüsselns von Zeichen, zu verstehen ist. Dabei kommt es häufig vor, daß die Grundbedeutung von Begriffen und Sätzen in spezifischen Situationen nochmals durch Sonderbedeutungen außer Kraft gesetzt wird, so daß an die Decodierungs- bzw. Codierungsfähigkeit eines in der betreffenden Sprache noch nicht versierten Kommunikanten höchste Anforderungen gestellt werden - Anforderungen, die für jeden, der in seiner Muttersprache heimisch ist, in der Regel ohne größere Schwierigkeit zu bewältigen sind.



Geheimsprachen: Nicht nur Nachrichtendienste benützen geheimgehaltenen Codes bei der Informationsvermittlung. Auch Kinder etwa ab 10 Jahren kommen auf die Idee, eine „Geheimsprache“ zu entwickeln (zum Beispiel durch Wiederholen von Silben), die für Uneingeweihte unverständlich ist. Mir gut bekannt ist ein Elfjähriger, der sich seiner Mutter mit einer solchen Geheimsprache verständlich macht (z.B. Wünsche äußert, die Dritte besser nicht hören sollen), während der Vater lediglich am Ausdrucksverhalten des Sohnes ablesen kann, daß da etwas „im Busch ist“, was ihm, dem Vater, vorenthalten bleibt.

Eine etwas anspruchsvollere Kunstsprache mit interessanter Auswirkung beinhaltet das folgende Textbeispiel:

Das Klingel telephonte. Ich treppte die Rannte runter und schrankte vor dem Bums. Mein Schmerz kopfte, und ich bodete auf dem Fiel. Das Klingel telefonte weiter. Langsam bodete ich mich vom Erhoben und telefonte zum Schlich. Als ich das Ohr abnahm und an den Hörer hielt, machte es „tut, tut, tut“. So ein Dacht mistete ich.

Aus: Mücke, Heft 11/1987, S. 30

Die syntaktische Regel, die hier in jedem Satz das Verbum gleichsam „objektisiert“ und das Objekt „verbumisiert“, hat Sprachkomik und -witz zur Folge.



Differenzierung des Kommunikationsbegriffs: Der Begriff Kommunikation läßt sich in dreifacher Weise differenzieren. Wir können unterscheiden:

  • mündliche und schriftliche Kommunikation;

  • direkte und indirekte Kommunikation;

  • Massenkommunikation und (interaktive) Alltagskommunikation

1. Unterscheiden wir zuerst mündliche und schriftliche Kommunikation. Mündliche Sprache besteht aus Lauten und Lautsilben, die Bestandteile von Worten sind. Worte wiederum sind Bestandteile von Sätzen. Die Grundform der Aussage - schriftlich oder mündlich - ist der Satz. Die schriftliche Form der Kommunikation ermöglicht es, die Inhalte der mündlichen Kommunikation in festen, kulturell überlieferbaren Formen zu tradieren. Ein gewaltiger Schritt innerhalb der europäisch-abendländischen Kultur bedeutete 1450 die Erfindung des Buchdrucks, der die Verbreitung von schriftlichen Informationen vervielfachte, wesentlich beschleunigte und Informationen präzise interpretierbar machte. Dadurch wurde das Verstehen der Schrift durch Lesen, das bis dahin der Geistlichkeit und einem kleinen Kreis von Gelehrten vorbehalten war, zu einem weitreichenden Bildungsanliegen. Das Lesen als basale Fähigkeit auszubilden, war durch die Reformation ab dem 16. Jahrhundert in ein konkretes Realisierungsstadium getreten - aus einem religiösen Grund: Jedermann sollte „Gottes Wort“, die Bibel, lesen können. Der reformatorische Bildungsschub leitete jene Veränderungen ein, die zur Aufklärung führten und die Moderne bis heute bestimmen. Für die weit verbreitete Meinung, daß die genetische Ausstattung zu schriftlicher Kommunikation (Schreiben und Lesen) ein evolutionsgeschichtlich spätes Produkt ist, gibt es keine Belege. Humanbiologen gehen heute davon aus, daß sowohl die mündliche als auch die schriftliche Sprachkompetenz, die auch in geringem Maße beim Schimpansen entwickelt sind, im Prozeß der Hominisation bereits relativ früh erworben wurden und ein biologisches Alter vor mindestens fünf bis sieben Millionen Jahren besitzen, obwohl die tatsächliche Ausübung schriftlicher Kommunikation als Gebrauchssprache erst für die ältesten Hochkulturen, also für die letzten fünftausend Jahre, nachgewiesen ist (vgl. Niemitz 1995, S. 322).

2. Unterscheiden wir sodann direkte und indirekte Kommunikation. Formen der direkten Kommunikation sind das Gespräch unter vier Augen, die Unterhaltung, die Diskussion, der Vortrag. Die indirekte Kommunikation ist „technische“ Kommunikation, die über größere Entfernungen stattfindet. Unter dem Aspekt des kulturellen Wandels verhält sich die technische Kommunikation zur schriftlichen, wie die schriftliche Kommunikation zur mündlichen: Sie setzt eine Revolution des kulturellen Fortschritts in Gang, die auch heute noch nicht abgeschlossen ist. Technische Kommunikation ermöglicht einen Informationsaustausch, der die Grenzen des Wahrnehmbaren überschreitet. Die Übermittlung von Informationen im Rahmen technischer Übertragungssysteme umfaßt unter anderem die Möglichkeit,



  • schriftliche Nachrichten über weite Strecken zu übertragen (Telegraph, Telex, Telefax);

  • Sprache, Musik und Handlungen realitätsgetreu aufzunehmen, festzuhalten und aufnahmegetreu wiederzugeben (Tonband, Film, Video);

  • sich wechselseitig über größere Entfernung mündlich zu verständigen (Telefon);

  • von zentralen Sendern audiovisuelle Informationen an breite Bevölkerungskreise auszustrahlen (Massenkommunikationsmittel Hörfunk, Fernsehen).

In den letzten beiden Jahrzehnten wurde darüber hinaus der Computer, seit wenigen Jahren zusätzlich das Internet zu einem zentralen Kommunikationsmittel. Mit ihrer Hilfe werden Daten, textgebundene und bildhafte Kommunikation - auch in der Kopplung mit „Multimedia“ - weltweit nicht nur als Information abrufbar, sondern auch zum Gegenstand von individueller bzw. gruppenbezogener Kommunikation.

3. Unterscheiden wir schließlich noch Massenkommunikation und interaktive Alltagskommunikation. Nach Maletzke (1963, S. 32) ist Massenkommunikation „jene Art der Kommunikation, bei der Aussagen öffentlich (für jedermann zugänglich), indirekt (über technische Verbreitungsmittel) und einseitig (ohne die Möglichkeit eines Rollentausches zwischen Kommunikator und Rezipienten) an ein disparates (untereinander nicht in Kontakt befindliches Publikum vermittelt wird“. Diese Definition gilt für die klassischen Medien der Massenkommunikation (Rundfunk, Presse) nach wie vor. Massenkommunikation ist zugleich technische Kommunikation. Aber das elektronische Zeitalter eröffnet mit dem Internet eine neue Perspektive: Die Differenz zwischen Kommunikator und Rezipient wird durch diese Kommunikationsform völlig beseitigt. Online vermag jedermann gegenüber anderen Netzteilnehmern sowohl Sender als auch Empfänger von Information zu sein. Neben der interaktiven Mail-Kommunikation treten neue Möglichkeit des Abrufs von Informationen wie auch der Kundgabe von eigenen Informationen an andere Netzteilnehmer auf.



Alltagskommunikation: Zentraler Gegenstand unserer Betrachtung ist die Alltagskommunikation. Nachdem drei wichtige Unterscheidungen im Zusammenhang mit dem Begriff der Kommunikation getroffen wurden, werden für die weitere Darstellung die indirekte (technische) Kommunikation, die schriftliche Kommunikation und die Massenkommunikation weitgehend ausgeschieden - ungeachtet der Tatsache, daß die Entwicklung von Kommunikationskonzepten in den Sozialwissenschaften insbesondere in ihrer Anfangsphase in starkem Maße durch technische Kommunikationsmodelle mit beeinflußt war, wie auch an der kommunikationstheoretischen Begriffsbildung (Codieren, Kommunikationssystem u.a.) abzulesen ist.

def. Alltagskommunikation ist der Austausch von Informationen bei unmittelbarer wechselseitiger Wahrnehmung der Kommunikanten mit relativ hoher Erwartungsgewißheit über das allgemeine Verhaltensmuster der Beteiligten auf Grund der Bekanntheit der Standards derartiger Austauschsituationen.

Alltagskommunikation ist zu kennzeichnen durch

  • direkte Kommunikation bei nahem Abstand der Kommunikanten;

  • geringe Zahl der Kommunikanten (optimal: zwei oder drei);

  • wechselseitige Wahrnehmung, deren Focus mit dem wechselseitig gerichteten Aufmerksamkeitszentrum der Kommunikation zusammenfällt;

  • einen gemeinsamen Erwartungshorizont des Alltäglichen der Kommunikanten, der sich aus dem funktionalen Bezügen (z.B. dem gemeinsamen Warten auf den Bus) und situationsspezifischen Kontexten (in der Familie, am Arbeitsplatz, beim Gespräch mit Nachbarn, in der Kneipe mit Freunden u.a.) ergibt.

Verbale und nonverbale Kommunikation: Im Rahmen der Alltagskommunikation erfolgt der Informationsaustausch (die Verständigung) verbal oder nonverbal.

Die verbale Kommunikation umfaßt die gesprochene Sprache. Die nonverbale Kommunikation bezieht sich auf jene Signale der Selbstbefindlichkeit des Kommunikanten, die durch Körperhaltung, räumliche Distanzwahrung, Gestik, Mimik, Ausdrucksverhalten (Qualität der Stimme, Räuspern u.a.m.) an seinem Verhalten „ablesbar“ sind.

In jeder Interaktion sind auch Anteile der Selbstoffenbarung des Senders enthalten. Sowohl die Qualität der Botschaft als auch die Entschlüsselung von Zeichen durch den Empfänger ist in starkem Maße durch das situative Spektrum der Vorerwartungen bestimmt. Derartige Vorerwartungen werden im Alltag wesentlich durch die situationsgemäßen Routinen und Verhaltensautomatismen bestimmt, wie sie sich im ständig wiederholten Handlungsvollzug ausgebildet haben. Sie verleihen den Aktoren Sicherheit des Handelns, Kontrolle der Situation und Orientiertheit.

Kommunikation und Interaktion: In der Soziologie, der Psychologie und der Pädagogik existiert neben Kommunikation der Begriff Interaktion. Es gibt Autoren, die beide Begriffe völlig identisch setzen und sie synonym verwenden (wie etwa Friedemann Schulz v. Thun). Es gibt andere Autoren - zu denen ich mich zähle -, die bei aller Gemeinsamkeit beider Begriffe im Groben, dennoch eine Differenz zwischen ihnen sehen. Ich möchte für die folgende Darstellung an der Differenz zwischen beiden Begriffen festhalten: Interaktion ist für mich der weiter gefaßte Begriff. Übersetzt man den englischen Terminus interaction wörtlich ins Deutsche, bedeutet Interaktion zwischenmenschliches Handeln oder auch Handeln zwischen Menschen. Dabei ist nicht nur das realisierte aktuelle Handeln gemeint, sondern ebenso (und vor allem) die Beziehungsstruktur, die solches Handeln ermöglicht. So gesehen muß nicht jede Art der Interaktion immer gleichzeitig Kommunikation sein, Kommunikation ist aber immer Interaktion.

Der Begriff „Interaktion“ kann ein soziales Zuordnungsverhältnis bzw. die wechselseitigen Beziehungen von Mitgliedern einer - durchaus auch großen! - Gruppe in einem allgemeinen Sinne kennzeichnen, ohne daß dabei der Austausch bzw. das Verstehenwollen von Mitteilungen im Vordergrund stehen muß. Interaktion kann auch mittels technischem Einsatz und in virtuellen Räumen erfolgen (vgl. Faßler 1997, S. 166). Internet-Surfer sind Teilnehmer eines riesigen Interaktionsnetz aber Kommunikation findet nur sehr selektiv statt. Familienmitglieder stehen in einem interaktiven Lebenszusammenhang miteinander, ohne daß dabei ständig kommuniziert wird. Entgegen der Auffassung Watzlawicks ist noch zu zeigen, daß in einer sozialen Situation Nichtkommunikation unter bestimmten Voraussetzungen durchaus möglich ist. Die Situation der Nichtkommunikation vermag Interaktion nicht in jedem Fall außer Kraft zu setzen. Es gilt die Regel: Der Begriff Kommunikation bezieht sich immer auf das Verstehenwollen und -sollen von Mitteilungen. Er unterstellt nach Habermas „Verstehen“ und hat seinen eigentlichen Ausgangspunkt in der Situation von-Angesicht-zu-Angesicht (engl. face-to-face). Im Begriff Interaktion ist nicht in jedem Fall wechselseitiges Austauschen von Mitteilungen unter dem Horizont des Verstehens vorausgesetzt, wohl aber ein wechselseitiger Bezug der Aktoren, die – nachgeordnet – auch miteinander kommunizieren können.

Kommunikation im eigentlichen Sinn geschieht unter der Bedingung der wechselseitigen Wahrnehmung der Kommunikanten. Das schließt in den face-to-face-Situtionen des Alltags den Austausch para- und nonverbaler Zeichen ein. Alltagskommunikation realisiert sich in einer face-to-face-Beziehung von zwei oder wenig mehr Menschen (Kleingruppe), die in einem Bezug zueinander stehen. In der Wissenschaftssprache werden die an der Kommunikation beteiligten Personen auch als Kommunikanten (im weiteren Sinne als Aktoren) bezeichnet bzw. mit dem lateinischen Begriffspaar Ego [ich] und Alter [der Andere] umschrieben.

Kommunikation als Gegenstand der Sozialwissenschaften: Alltagskommunikation wurde im letzten Vierteljahrhundert zu einem zentralen Gegenstand der Sozialwissenschaften; insbesondere die Soziologie, die Psychologie und die Pädagogik sind mit dem Thema Kommunikation beschäftigt. Dementsprechend stehen soziologische und pädagogisch-psychologische Theorieansätze im Vordergrund der Darstellung, ergänzt durch eine historisch-sprachphilosophisch fundierte Einführung in die Argumentationstheorie. Sie besitzt eine Brückenfunktion zwischen Individuum und Gesellschaft, Privatheit und Öffentlichkeit. Systematisch betrachtet steht sie zwischen soziologischen und psychologischen Theorien der Kommunikation.

Soziologische Theorien verdeutlichen, soweit sie Aspekte von Kommunikation berücksichtigen, in welchem Ausmaß menschliche Kommunikation, ja der Mensch als autonomes Individuum, ein gesellschaftlich determiniertes Wesen ist; Dahrendorf führte den Begriff „Homo sociologicus“ ein.

Psychologisch meint, daß insbesondere jene psychische Strukturen und Verhaltensweisen untersucht werden sollen, die Kommunikation bedingen, stören und befördern.

Der Begriff des Pädagogischen wird in einem weiten Sinne verstanden: Theoretische Einsichten sollen für praktische Zwecke nutzbar gemacht werden. Insbesondere die Standard-Situationen „soziale „Interaktion“, "Erziehung" und „Beratung“ mit ihren jeweiligen Konfliktlagen sind in diesem Sinne pädagogisch relevant. Pädagogische Beratung hat unter anderem zur Voraussetzung, daß der Berater die Kommunikationsprozesse und ihre möglichen Störungen, die in einem Beratungsgespräch ablaufen, genau kennt.

Das führt uns wieder zurück auf den Ausgangspunkt: Alltagssituationen. Der oben angedeuteten Definitionsversuch von Alltagskommunikation, der akzentuierenden, nicht determinierenden Charakter hat, gibt eine Rahmvorstellung von dem, was gemeint ist. Natürlich ist immer auch ein Stück Selbsterkundung und Selbstaufhellung dabei, wenn wir uns mit der Kommunikation im Alltag, insbesondere mit der Art in der wir selbst kommunizieren, beschäftigen.


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