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grenzt, und deren Äußerung selbst mit Gefahr verbunden war, die also keine andere als eine
moralische Anlage im Menschengeschlecht zur Ursache haben kann.
21
Enthusiasmus als »Teilnehmung am Guten mit Affekt« sei nun dadurch ausgezeichnet, dass
er »immer aufs
Idealische und zwar rein Moralische [gehe].
22
Das bedeutet, dass der
Enthusiasmus einen Bezug auf die Idee der Freiheit unterhält. In Kants Verständnis kann
Freiheit – als Vernunftidee – nicht Gegenstand eines bestimmenden Urteils werden. Im
Abschnitt »Analytik des Erhabenen« der Kritik der Urteilskraft hatte Kant jedoch gezeigt,
inwiefern auch Vernunftideen in die Reichweite des Urteilsvermögens rücken können. Bei
ihrem Versuch, Ideen zu erfassen, müssen die Vermögen endlicher Vernunftwesen
unweigerlich scheitern (im Bereich des Natur- bzw. Kunstschönen: am Erhabenen – analog
dann im Politischen: an der Idee der Freiheit), jedoch werden die Vermögen dadurch in einen
Zustand der Selbstaffektion versetzt, der sich in Form eines reinen – objektlosen – Affekts
manifestiere. So ist es zu verstehen, dass der Enthusiasmus als vordergründig objektloses
Gefühl gleichwohl einen negativen Hinweis auf die Idee der Freiheit enthält. Ins Politische
gewendet lässt sich der Enthusiasmus dann einerseits als Zuschaueremotion und andererseits
als Emotion der revolutionären Akteure fassen: Auf Seiten der Akteure begleitet der
Enthusiasmus ein Handeln, das ins Offene geht, insofern es keine Kriterien am Bestehenden
findet, die es begründen und auf ein feststehendes Ziel ausrichten würden. Auf Seiten der
Zuschauer kommt es zur enthusiastischen Anteilnahme: zum nicht-bestimmenden affektiven
Urteil anlässlich des Revolutionsgeschehens, dass dort in einem politischen Sinn frei
gehandelt wurde. Auch die Zuschauer können keine bestehenden Maßstäbe an das
revolutionäre Geschehen anlegen, denn eine Subsumption unter etablierte Kategorien würde
es als revolutionäres Geschehen disqualifizieren – es ist ihr Enthusiasmus, der sich genau dort
einschaltet, wo etablierte Kriterien ins Leere gehen. Folglich kann es das Politische nur im
Zusammenspiel dieser beiden aufeinander irreduziblen Perspektiven geben.
23
Das bedeutet, dass eine politische Öffentlichkeit, indem sie anstelle der politischen
Akteure die Deutung des Geschehens übernimmt, genauso konstitutiv für das Politische ist,
wie es die »revolutionären Taten« auf der politischen Bühne selber sind. Das heißt aber auch,
dass es nicht bei der spontanen »Exaltation« des Enthusiasmus der Zuschauer bleiben kann.
Dieses Gefühl ist nur ein vernunftgewirkter Anstoß für die weitere Ausdeutung und
Ausgestaltung der sich anfangs nur unbestimmt abzeichnenden freiheitlichen Perspektive.
21
Kant: Der Streit der Fakultäten, S. 84.
22
Ebd., 85f.
23
»In der Erfahrung des Enthusiasmus, die von der körperlichen Erfahrung eines öffentlichen Raumes mit
Beteiligten, medialer Vermittlung und Zuschauern lebt, konstituieren die Zuschauer sowohl die Erfahrung der
Freiheit als auch das Politische« (S. 182).
12
Mohrmann geht nicht mehr näher auf diese Folgedimension der politischen Affektivität ein;
es bleibt daher auch unklar, inwieweit ihr Ansatz – wie es der titelgebende Bezug auf
»Revolution« nahe legt – das Politische streng an das Vorliegen eines exzeptionellen
Ereignisses bindet, oder ob sich Spielarten einer genuin politischen Affektivität auch in
ruhigeren Zeiten identifizieren lassen.
24
Weitere Fragen dieser Art drängen sich nach Mohrmanns Ritt durch die
Abstraktionshöhen ihrer Kant-Interpretation auf. Wie spezifisch Kant-bezogen bleiben die
Ergebnisse? Wie weit lässt sich das dabei gewonnene Verständnis des Politischen von Kants
Begrifflichkeit, von seinem Freiheitsverständnis, vom Enthusiasmus sowie von der Urszene
der Französischen Revolution loslösen?
25
Nur in wenigen Andeutungen (z.B. S. 16 u. 205) –
lässt Mohrmann erkennen, wie sie ihre Ergebnisse für ein umfassenderes Verständnis des
Politischen auszuwerten gedenkt.
Nun sind die Bezüge auf Freiheit und Revolution, die Betonung des Handelns und
Urteilens unter Bedingungen von Offenheit und in Situationen der Neugründung von
Ordnungen klar genug als Eckpunkte eines emphatischen Verständnisses des Politischen
erkennbar. Es zeigen sich insbesondere Parallelen zu dem, was Oliver Marchart einen
postfundamentalistischen Ansatz in der Bestimmung des Politischen nennt, und vor allem mit
den verschiedenen Spielarten des französischen Linksheideggerianismus in Verbindung
bringt, also mit Autoren wie Nancy, Laclau, Mouffe, Rancière, Badiou und anderen.
26
Mohrmann verweist in ihrer Einleitung
auf diesen Diskussionskontext, geht aber nicht näher
darauf ein.
27
So entsteht am Ende der Eindruck, als solle eine wichtige Richtung des
gegenwärtigen Denkens des Politischen bewusst durch den Flaschenhals einer avancierten
Kant-Deutung geschickt werden.
Allerdings überwiegen die Erträge der Studie die Nachteile einer diffus bleibenden
Verortung. Das von Mohrmann entwickelte Affektverständnis ist eine wertvolle Intervention
in einem Feld, das immer noch zu naturalistischen, subjektivistischen oder anti-
rationalistischen Reduktionismen tendiert. Vor allem aber ist die Verkoppelung von
Emotionstheorie mit der Arbeit am Begriff des Politischen ein bedeutender methodologischer
24
Mohrmann deutet zumindest an, dass sie von Letzterem ausgeht, vgl. S. 194.
25
Es ließe sich auch nach dem genauen Status der Französischen Revolution in Mohrmanns Argumentation
fragen: Handelt es sich nur ein besonders markantes Beispiel für eine politische Revolution, oder muss die
Französische Revolution in dieser Perspektive als eine historische Singularität gelten, weil es sich um den
Gründungsakt einer universalistisch-demokratischen Perspektive überhaupt handelt?
26
Vgl. M
ARCHART
: Die politische Differenz.
27
Eine explizitere Diskussion dieser Theorielinie hätte den Ansatz Mohrmanns notwendig verkompliziert, nicht
zuletzt auch ganz elementar in Bezug auf die aufklärungsphilosophische Perspektive Kants, das damit angesetzte
Subjektverständnis und die dafür einschlägige Begrifflichkeit – also Begriffe wie Vernunft, Subjekt, Gesetz,
Achtung und ähnliche. Immerhin kann man festhalten, dass sich in Mohrmanns Deutung zumindest Umrisse
eines »postmodernen« Kants abzeichnen.