Zusammenfassung Das "Dekret Über den Grund und Boden"



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Dekret des 2. Allrußländischen Sowjetkongesses

über den Grund und Boden, 26. Oktober (8.

November) 1917

Zusammenfassung

Das "Dekret Über den Grund und Boden" war das erste Gesetz der Sowjetmacht. Es

wurde unmittelbar nach der Oktoberrevolution verkündet. Einzigartig war dabei der

populäre Ursprung. Es machte die von den Bauern selbst formulierten Forderungen

zur Sozialisierung des Bodens unmittelbar zum Gesetz, indem es den "bäuerlichen

Wählerauftrag" wörtlich übernahm, den das Exekutivkomitee des Allrußländischen

Sowjets der Bauerndeputierten im August 1917 aus lokalen Resolutionen der Bauern

verfaßt hatte. Damit belegt das Dekret anschaulich das Geschick der Bolschewiki,

sich durch Anpassungsbereitschaft an Stimmungen der Bevölkerung nach der

Oktoberrevolution im Lande durchzusetzen. Zugleich markiert es mit der Ablehnung

des Privateigentums an Grund und Boden eine bis heute fortbestehende

Besonderheit in der Einstellung der russischen Bevölkerung.



Einführung

Das Dekret "Über den Grund und Boden" stand im Einklang mit dem Agrarprogramm

der Sozialrevolutionäre, bedeutete aber einen radikalen Schwenk in den Losungen

der Bolschewiki, weil es nicht nur die entschädigungslose Enteignung des

Gutsbesitzes sowie der Ländereien von Klöstern und Kirchen sanktionierte, sondern

zugleich die Aufteilung des enteigneten Bodens unter den Bauern vorsah. Noch im

Agrarprogramm vom Frühjahr 1917 hatte Lenin die Überführung des Gutsbesitzes in

staatliche Mustergroßbetriebe gefordert und die Aufteilung des Bodens als bürgerlich

abgelehnt. Jedes Privateigentum an Boden, Bodenschätzen, Gewässern, Wäldern

und Naturkräften wurde nun für immer aufgehoben. Der Boden sollte weder verkauft

noch gekauft, verpachtet, verpfändet oder in irgendeiner Weise veräußert werden

dürfen.


Das Dekret sanktionierte die von den Bauern eigenmächtig begonnenen und zuvor

rechtswidrigen Handlungen. Die Februarrevolution1917 hatte auch die Bauern

aufgerüttelt. Sie weckte ihre Erwartungen auf eine baldige Erfüllung ihrer beharrlich

vorgebrachten Forderungen nach Land und Freiheit und einer "schwarzen

Umverteilung" des Gutslandes. Als sich zeigte, daß die Provisorische Regierung über

die Prinzipien der Agrarreform keine Einigkeit erzielen konnte und die Lösung der

Agrarfrage hinausschob, begannen die Bauern im Frühjahr zunächst vereinzelt,

später immer verbreiteter ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. So eigneten

sie sich brachliegendes Gutsland an. Es kam zu Zerstörungen von Gebäuden und

Raub von Eigentum. Mancherorts bemächtigten sich die Bauern des Bodens der

Adligen, vertrieben diese von ihrem Besitz und brannten die Herrenhäuser nieder.

Ein entschiedener Versuch, die Revolution auf dem Lande unter Kontrolle zu

bringen,

unterblieb.

So

folgten


dem

Dekret


nicht

umgehend


Ausführungsbestimmungen. Die schließlich getroffenen Regelungen blieben vage.

Die im Dekret für die Durchführung der Enteignung als zuständig benannten Organe,

die Volost'-Bodenkomitees, bestanden in den meisten Gebieten noch gar nicht. Statt

alle Gutsländereien in ihre Verfügung zu bringen und dabei den gutsherrlichen Besitz




zu registrieren und unter Wahrung der Ordnung zu schützen, wurden die Komitees

zumeist erst nach der Enteignung des Privatlandes gebildet. Für die Unterlassung

der Lenkung gab es Gründe. Das Dekret selbst war bei den Bolschewiki umstritten,

eine Einigung mit dem Koalitionspartner, den Linken Sozialrevolutionären (LSR),

über die konkreten Prinzipien der Bodenaufteilung erschien unmöglich. Den LSR

schwebte eine "ausgleichende Landnutzung" auf Basis von Verbrauchs- und

Arbeitsnormen vor. Die Aufteilungen sollten sich nach dem Subsistenzprinzip richten.

Die Bolschewiki waren dagegen überzeugt, daß die bäuerliche Kleinproduktion

permanent den Kapitalismus reproduziere, und lehnten deshalb diese Form der

Landnutzung aus ideologischen Gründen ab. Selbst eine zeitweilige Aufteilung des

Bodens galt ihnen als rückwärtsgewandte Maßnahme. Die Bolschewiki blockierten

deshalb geradezu eine Klärung der komplizierten und strittigen Detailfragen, und

nahmen in Kauf, daß dadurch die Bauern weitgehend autonom handeln konnten.

Trotz aller theoretischer Bedenken war die "schwarze Umverteilung" für sie politisch

opportun, weil sie Adel, Kirche und wohlhabendere Bauern schwächte und damit

zugleich die ökonomische Basis für die Gegner der neuen Regierung zerstörte.

Die Regelungen des Dekrets verstanden sich bis zu einem Beschluß der

Konstituierenden Versammlung (Konstituante) als vorläufig. Sie schränkten dennoch

die freie Entscheidung der Konstituante ein, weil diese kaum hinter den geschaffenen

Fakten zurückbleiben konnte. Die Bauern waren angesichts der Sanktionierung ihres

Tuns durch das Dekret vor allem daran interessiert, vollendete Tatsachen zu

schaffen und durch die Zerstörung des Gutshofs die Rückkehr des Gutsherren

unmöglich zu machen. Den neu erhaltenen Boden bestellten sie zunächst nur

zögerlich und erste Umverteilungen beschränkten sich häufig auf das zugewonnene

Land. Gerade weil in den Dörfern Unsicherheit über die Dauerhaftigkeit der

Regelungen herrschte, trat das paradoxe Ergebnis ein, daß die Bauern in den

Bolschewiki die Garanten der Bodenaufteilung erblickten, so daß sie ihnen im

Bürgerkrieg

im

Konflikt


mit

den


Weißen

trotz



aller

gravierenden

Meinungsverschiedenheiten – die Unterstützung nicht versagten.

Die Agrarrevolution war in der Praxis eine Angelegenheit auf der Ebene der Dörfer,

bestenfalls der Amtsbezirke, die vor allem die Rechtsansichten der lokalen

Bauernschaft spiegelte. Die Bauern betrachteten ihr Handeln durch die formale

Übereinstimmung mit der Regierung für legitimiert und strebten keine überregionale

Interessenvertretung an. Die gedankliche Urheberschaft der Sozialrevolutionäre an

dem Dekret war unter diesen Umständen weitgehend belanglos. Ihr Programm

berücksichtigte viele bäuerliche Anschauungen, die weitergehenden ideologischen

Festlegungen waren den Bauern jedoch fremd. Die Agrarrevolution entzieht sich

deshalb einer einfachen generalisierenden Beschreibung. Regional ergibt sich ein

erstaunlich uneinheitliches Bild sowohl hinsichtlich der Enteignungen als auch

hinsichtlich von Umfang und Prinzipien der Neuverteilung des Bodens. Dabei ist von

West nach Ost ein Gefälle hinsichtlich der Akzeptanz fortschrittlicherer Formen der

Bodennutzung durch die Separation von Betrieben aus der Gemeinde festzustellen.

Gemeinsam war dem Handeln der Bauern in der Regel die Ausrichtung gegen den

Gutsbesitz und das Bestreben, die Ergebnisse der Stolypinschen Agrarreform in

Bezug auf die Verleihung von Bodeneigentum rückgängig zu machen. Vielerorts

schloß die entschädigungslose Enteignung auch Land in bäuerlichem Privatbesitz

ein. Betroffen waren Bauern, die zuvor gegen den Willen der Gemeinde ihren Boden

in konsolidierter Form als otrub vom Gemeindeland abgetrennt hatten. Nur in den

westlichen Landesteilen blieben zum Teil die durch Aussiedlung gebildeten

Einzelhöfe erhalten. Nachdem anfangs häufig nur die enteigneten Flächen aufgeteilt

worden waren, kam es nachfolgend zu weiteren Umverteilungen, die zunehmend das



gesamte Gemeindeland einbezogen und auch Rückkehrern aus den Städten Boden

zuwiesen. Dabei kamen unterschiedliche Verteilungskriterien zur Anwendung.

Während Gutsland sofort enteignet wurde, blieben die Ländereien der Klöster häufig

zunächst verschont und wurden vielfach erst auf Druck der Behörden 1919 und 1920

enteignet.

Nur


wenige

Güter


blieben

entsprechend

den

Vorstellungen



der

Bolschewiki von der Aufteilung verschont. Im Ergebnis wurde im Verlauf der

Agrarrevolution die mit der Stolypinschen Agrarreform begonnene Übergabe des

Bodens in das Privateigentum der Bauern rückgängig gemacht. Fast der gesamte

Boden fiel wieder an die Bodenumverteilungsgemeinden.

Bis heute ist unklar, wieviel Land die Bauern durch die Konfiskation der privaten

Ländereien

dazugewannen.

Die

von


den

Bauern


als

Anteilland

genutzte

landwirtschaftliche Nutzfläche (Acker, Gartenland, Wiesen und Weiden) betrug 1917

240 Mio. ha, 1927 315 Mio. ha. Der hier ausgewiesene Zugewinn um 75 Mio. ha

oder 30 % übertreibt den tatsächlichen Landgewinn allerdings, weil hier auch die

Fläche mitgerechnet ist, die zuvor als Privateigentum in den Händen der Bauern war.

Weiter ist zu berücksichtigen, daß die Bauern schon zuvor etwa die Hälfte des

Gutslandes in Form von Landpacht genutzt hatten. Einen besseren Anhaltspunkt für

den Zugewinn der Bauern vermitteln die Zahlen der landwirtschaftlichen Erhebung

von 1916. Zu diesem Zeitpunkt verfügten die Güter auf dem späteren Territorium der

Sowjetunion lediglich über 4 % der Pferde und bestellten 8,2 % der Ackerfläche.

Diese Zahlen untertreiben den Anteil der Güter in der Vorkriegszeit etwas, da die

Gutsbetriebe unter dem kriegsbedingten Mangel an Arbeitskräften auf dem Lande

am schärfsten litten. Der wirkliche Zugewinn dürfte deshalb kaum mehr als 10 % des

vor der Revolution von den Bauern genutzten Landes betragen haben.

Von der Aufteilung des Gutslandes profitierte also nur ein Teil der Bauern. Dort, wo

es zuvor praktisch keine Güter gegeben hatte – in Nordrußland, im Ural und in den

asiatischen Landesteilen –, gewannen die Bauern auch keinen Boden dazu. Nur in

der Ukraine (einschl. der Krim), Weißrußland und im Zentralen Schwarzerdegebiet

war der Zugewinn etwas bedeutender. Auch hier verzeichneten in der Regel nur die

Gemeinden, die an Gutsland angrenzten, einen Zuwachs an Boden, weil ein

Landausgleich zwischen den Gemeinden praktisch nicht stattfand. Ein erheblicher

Teil der russischen Bauern, vermutlich die Mehrheit, ging also bei der Agrarrevolution

leer aus. In den übervölkerten zentralen Gebieten stillte der Bodentransfer den

"Landhunger" der Bauern keineswegs. Durch das Zurückfluten der Bevölkerung aus

den großen Städten und verbreitete Abtrennungen aus dem väterlichen Haushalt

verringerte

sich

bei


den

zunächst


häufigen

Bodenumverteilungen

die

durchschnittliche Fläche je Haushalt sogar. Die vielbeschworene Nivellierung der



Betriebe bezog sich allerdings nur auf den Boden, nicht aber auf die Verteilung der

Produktionsmittel, die somit noch stärker als vor 1917 zur Grundlage der sozialen

Differenzierung wurde. Über Land verfügte nach der Agrarrevolution praktisch jeder

dörfliche Haushalt. Dagegen war etwa ein Drittel der Betriebe darauf angewiesen,

Inventar von anderen Bauern zu mieten, weil ihnen selbst die elementarsten

Produktionsmittel wie Pferd und Pflug zur Bestellung des Bodens fehlten.

Auf der unterschiedlichen Beurteilung der Ergebnisse der Agrarrevolution basierten

Mißverständnisse zwischen Bauern und Bolschewiki. Die Bauern sahen sich – nicht

ganz unberechtigt – als eigentliche Akteure der Agrarrevolution. Mit dem Land der

Gutsbesitzer nahmen sie sich nur, was ihnen nach ihrem eigenen Rechtsbewußtsein

schon immer zustand. Dafür fühlten sie sich niemandem zu Dank verpflichtet. Die

Kommunisten beanspruchten dagegen für sich, den Bauern den Boden gegeben und

damit deren soziale Lage wesentlich verbessert zu haben, und verlangten dafür

Gegenleistungen.




Die Agrarrevolution verschärfte mit dem Verzicht auf regulierendes Eingreifen die

Abkapselung des Dorfes von dem Rest der Gesellschaft. Politisch wertete das die

bäuerliche

Selbstverwaltung

im

Rahmen


der

Gemeinden

auf,

die


mit

der


Stolypinischen Agrarreform abgeschafft werden sollte. Ökonomisch gefährdete die

Ausrichtung auf bäuerliche Subsistenzwirtschaften mit der nivellierenden Verteilung

des Bodens akut die Erzeugung von Überschüssen für den Markt. Channon betont,

daß damit die Duldung der Bodenaufteilung im lokalen Rahmen unmittelbar in den

künftigen, gewaltsame Formen annehmenden Konflikt mit den Bauern um den Erhalt

von Getreide zur Versorgung des Landes und der Armee führte, der schließlich in

den Bauernaufständen kulminierte. Lenins Politik war also keineswegs konsistent.

Das Entgegenkommen in der Bodenfrage gefährdete die Lebensmittelversorgung.

Den Widerspruch, daß die Bodenaufteilung die wohlhabenderen Bauern schwächte,

von denen man anschließend wieder Marktüberschüsse verlangte, lösen die

Bolschewiki in der Praxis nicht auf.

In längerfristiger Perspektive ist festzuhalten, daß das Dekret "Über den Grund und

Boden" die sozialistische Agrarpolitik mit einem gravierenden Widerspruch belastete

und sie dem Vorwurf aussetzte, die Bevölkerung mit den ersten Maßnahmen bewußt

über die eigentlichen Zielsetzungen zu täuschen. Warum schrieb eine Partei, die den

Zusammenschluß der Bauern zu Agrargroßbetrieben auf kollektiver Grundlage

anstrebte, eine Bodenreform mit der Landvergabe an landlose Bauern auf ihre

Fahnen? Obwohl die weitere Entwicklung in der Sowjetunion zeigte, daß

anschließend der Zusammenschluß der Bauern zu Kollektiven nur mit Zwang

vollzogen werden konnte, wurde der faktische Ablauf in der Sowjetunion in drei

Stufen (Bodenreform, Anfachen des "Klassenkampfes", Kollektivierung) dogmatisiert

und zum Muster der richtigen Agrarpolitik in der sozialistischen Revolution erklärt. In

allen osteuropäischen Staaten versuchten die Kommunisten nach dem Ende des

Zweiten Weltkriegs die Bevölkerung und insbesondere die Bauernschaft auf ihre

Seite zu ziehen, indem sie eine umfangreiche Bodenreform mit nivellierender

Wirkung (Landzuteilung an Flüchtlinge und Neubauern, Landaufstockung für

Landarbeiter und landarme Bauern) durchsetzten. Wie nach 1917 entstanden dabei

bäuerliche Subsistenzwirtschaften, denen häufig hinreichende Produktionsmittel zur

Feldbestellung fehlten. Die Zerschlagung marktfähiger Betriebe wirkte sich in der

Folge negativ auf die Marktleistung der Bauern aus und verschärfte die

Versorgungsschwierigkeiten.

Auch


hier

widersetzten

sich

die


Bauern

der


anschließenden so dass wiederum Zwang zum Einsatz kam.

Die Interessenlage der Bauern prägte die Einstellung der russischen Bevölkerung

nachhaltig. Ihnen war 1917 das Bestreiten des Eigentumsrechts für den Adel

wichtiger als die Erlangung eines Eigentumsrechts für sich selbst. Der Sozialisierung

des Bodens widersetzten sich selbst die bäuerlichen Bodeneigentümer nicht

nennenswert, obwohl sie einen erheblichen Teil des Bodens mit dem Eigentumstitel

in ihren Händen hielten. In der Folgezeit blieb der Begriff des Privateigentums in der

Sowjetunion negativ besetzt und wurde mit allen Schattenseiten des Kapitalismus in

Verbindung gebracht. Obwohl seit Anfang der 1990er Jahre mehrere Gesetze

Privateigentum

an

Grund


und

Boden


vorsehen

(u.a.


Gesetz

über


die

Bauernwirtschaften von 1990, Zivilgesetzbuch von 1994), sind ihre diesbezüglichen

Paragraphen bis heute nicht in Kraft. Selbst die auf den städtischen Boden

beschränkte Verleihung des Eigentumsrechts führte 2001 zu Tumulten in der Duma.

Meinungsumfragen belegen, daß eine sogar wieder anwachsende Mehrheit der

russischen Bevölkerung privates Eigentum an landwirtschaftlichen Grund und Boden

ablehnt. Damit ist eine Voraussetzung für die notwendige Modernisierung der

russischen Landwirtschaft, nämlich den Boden beleihen zu können, noch immer nicht




gegeben.

Stephan Merl



Quellen- und Literaturhinweise

Altrichter, H., Rußland 1917. Ein Land auf der Suche nach sich selbst, Paderborn

1997.

Atkinson, D., The End of the Russian Land Commune. 1905-1930, Stanford 1983.



Bonwetsch, B., Die Russische Revolution 1917. Eine Sozialgeschichte von der

Bauernbefreiung 1861 bis zum Oktoberumsturz, Darmstadt 1991.

Channon, J., "The Bolsheviks and the peasantry: The land question during the first

eight months of Soviet rule", in: SEER, 66 (1988), S. 593-624.

Figes, O., Peasant Russia, Civil War. The Volga Countryside in the Revolution

(1917-1921), Oxford 1989.

Merl, St., "Einstellungen zum Privateigentum in Rußland und in der Sowjetunion", in:

Siegrist, H., Sugarman, D. (Hrsg.), Eigentum im internationalen Vergleich, Göttingen

1999, S. 135-160.

Merl, St. (Hg.), Sowjetmacht und Bauern. Dokumente zur Agrarpolitik und zur

Entwicklung der Landwirtschaft während des "Kriegskommunismus" und der Neuen

ökonomischen Politik, Berlin 1993.

Read, Ch., From Tsar to Soviets. The Russia People and their Revolution.

1917-1921, London 1996.

Shanin, Th., The Awkward Class. Political Sociology of Peasantry in a developing

society. Russia 1910-1925, Oxford 1972.

Wädekin, K.-E., Sozialistische Agrarpolitik in Osteuropa. I. Von Marx bis zur

Vollkollektivierung, Berlin 1974.



Gesetz über Grund und Boden des Sowjetkongresses der Arbeiter-

und Bauerndeputierten. (Angenommen in der Sitzung vom 26.

Oktober um 2 Uhr nachts).

1. Das Eigentum der Gutsbesitzer an Grund und Boden wird unverzüglich ohne

Entschädigungszahlungen aufgehoben. 2. Die Güter der Gutsbesitzer sowie alle

Domänen-, Kloster- und Kirchenländereien mit ihrem gesamten lebenden und toten

Inventar,

ihren


Wirtschaftsgebäuden

und


allem

Zubehör


gehen

bis


zur

Konstituierenden Versammlung in die Zuständigkeit der Volost'-Bodenkomitees

sowie der Uezdsowjets der Bauerndeputierten über. 3. Jegliche Beschädigung des

konfiszierten Besitzes, der von nun an dem ganzen Volk gehört, wird als schweres

Verbrechen betrachtet und vom Revolutionsgericht geahndet. Die Uezdsowjets der

Bauerndeputierten ergreifen alle notwendigen Maßnahmen zur Wahrung der

strengsten Ordnung bei der Konfiskation der Güter der Gutsbesitzer, zur Festlegung,

welche


Grundstücke

und


Grundstücke

welchen


Umfangs

der


Konfiskation

unterliegen, zur Aufstellung eines genauen Verzeichnisses des gesamten der

Konfiskation unterliegenden Besitzes und zum strengsten revolutionären Schutz aller

in das Eigentum des Volkes übergehenden Wirtschaften mit allen Gebäuden,

Geräten, Vieh, Vorräten an Produkten usw. 4. Als Richtschnur für die Durchführung

der großen Bodenreform muß überall bis zu deren endgültiger Entscheidung durch

die Konstituierende Versammlung folgender bäuerlicher Wählerauftrag dienen, der

auf der Basis von 242 örtlichen Wähleraufträgen der Bauern von der Redaktion der

"Izvestija Vserossijskogo Soveta Krest'janskich Deputatov" zusammengestellt und in

Nummer 88 dieser "Izvestija" (Petrograd, Nr. 88, 19. August 1917) veröffentlicht

wurde.

Über Grund und Boden.



Die Bodenfrage kann in ihrem gesamten Umfang nur durch die Konstituierende

Versammlung des gesamten Volkes gelöst werden.

Die gerechteste Lösung der Bodenfrage wäre die folgende:

1. Das Recht auf Privateigentum an Grund und Boden wird für immer aufgehoben,

der Boden darf weder verkauft noch gekauft, verpachtet, verpfändet oder auf

irgendeine andere Weise veräußert werden. Der gesamte Boden: die Staats-,

Domänen-,

Kabinetts-,

Kloster-,

Kirchen-,

Possessions-,

Majorats-

und

Privatländereien, das Gemeinde- und Bauernland usw. wird entschädigungslos



enteignet, zum Gemeineigentum des Volkes erklärt und zur Nutzung all denen

übergeben, die ihn bearbeiten.Den durch die Umwälzung der Eigentumsverhältnisse

Geschädigten wird lediglich das Recht auf öffentliche Unterstützung für die Zeit

zuerkannt, die zur Anpassung an die neuen Lebensbedingungen notwendig ist. 2.

Alle Bodenschätze: Erze, Erdöl, Kohle, Salz usw., ebenso Wälder und Gewässer, die

eine gesamtstaatliche Bedeutung haben, gehen in die ausschließliche Nutzung des

Staates über. Alle kleinen Flüsse, Seen, Wälder usw. gehen in die Nutzung der

Gemeinden unter der Bedingung über, dass sie den örtlichen Organen der

Selbstverwaltung

unterstellt

werden.

3.

Ländereien



mit

hochentwickelter

Kulturwirtschaft: Gärten, Plantagen, Pflanz- und Baumschulen, Gewächshäuser

usw., unterliegen nicht der Aufteilung, sondern werden in Musterwirtschaften

umgewandelt und je nach ihrem Umfang und ihrer Bedeutung dem Staat oder den

Gemeinden zur ausschließlichen Nutzung übergeben.Das städtische und dörfliche

Hofland mit Haus- und Gemüsegärten bleibt in der Nutzung der jetzigen Besitzer,

wobei der Umfang dieser Grundstücke und die Höhe der Steuern für deren Nutzung

gesetzlich

geregelt


werden.

4.

Gestüte,



staatliche

und


private

Vieh-


und

Geflügelzüchtereien usw. werden konfisziert, zum Gemeineigentum des Volkes

erklärt und gehen, je nach ihrer Größe und Bedeutung, in die ausschließliche

Nutzung des Staates oder der Gemeinden über.Die Frage einer Entschädigung

unterliegt einer Prüfung durch die Konstituierende Versammlung. 5. Das gesamte

lebende und tote Wirtschaftsinventar der konfiszierten Ländereien geht je nach ihrer

Größe und Bedeutung ohne Entschädigung in die ausschließliche Nutzung des

Staates oder der Dorfgemeinden über.Die Konfiskation des Inventars betrifft nicht

Bauern mit geringem Landbesitz. 6. Das Recht der Bodennutzung erhalten alle

Bürger des russischen Staates (ohne Unterschied des Geschlechts), die den Boden

selbst bearbeiten wollen, mit Hilfe ihrer Familie oder genossenschaftlich, und zwar

nur so lange, wie sie imstande sind, ihn zu bearbeiten. Lohnarbeit ist nicht

zulässig.Bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit eines Mitglieds der Dorfgemeinde

bis zu zwei Jahren verpflichtet sich die Dorfgemeinde, ihm für diese Zeit bis zur

Wiederherstellung

seiner


Arbeitsfähigkeit

auf


dem

Wege


gemeinschaftlicher

Bodenbearbeitung Hilfe zu leisten.Ackerbautreibende, die infolge von Alter oder

Invalidität die Möglichkeit verloren haben, selbst den Boden zu bearbeiten, verlieren

das Recht auf seine Nutzung, doch erhalten sie statt dessen vom Staat eine Rente.

7. Die Bodennutzung muß ausgleichend sein, d.h. der Boden wird unter den

Werktätigen

je

nach


den

örtlichen

Bedingungen

nach


der

Arbeits-


oder

Verbrauchsnorm aufgeteilt.Die Formen der Bodennutzung müssen völlig frei sein:

Einzelwirtschaften, Einzelhöfe, Dorfgemeinde und Artel, je nach Entscheidung der

einzelnen Dörfer und Siedlungen. 8. Der gesamte Boden geht nach seiner

Enteignung in einen Bodenfonds über, der Eigentum des ganzen Volkes ist. Die

Verteilung des Bodens unter die Werktätigen wird von den örtlichen und zentralen

Selbstverwaltungsorganen

geleitet,

d.h.

von


den

demokratisch

organisierten,

ständelosen dörflichen und städtischen Gemeinden bis hin zu den zentralen

Gebietsbehörden.Der Bodenfonds wird periodisch neu aufgeteilt, in Abhängigkeit



vom

Bevölkerungswachstum

sowie

der


Steigerung

der


landwirtschaftlichen

Produktivität und der Bodenkultur.Bei einer Änderung der Grenzen der Anteile muß

der ursprüngliche Kern des Anteils unangetastet bleiben.Der Boden ausscheidender

Mitglieder fällt an den Bodenfonds zurück, wobei die nächsten Verwandten der

ausscheidenden Mitglieder und die von ihnen bezeichneten Personen das

Vorzugsrecht auf Zuweisung dieser Anteile erhalten.Die für die Düngung und

Melioration (grundlegende Verbesserungen) des Bodens aufgewandten Kosten

müssen bei Rückgabe des Anteils an den Bodenfonds erstattet werden, soweit sie

nicht ausgenutzt worden sind.Wenn sich in einzelnen Orten der vorhandene

Bodenfonds für eine Zufriedenstellung der gesamten örtlichen Bevölkerung als nicht

ausreichend erweist, ist der Bevölkerungsüberschuß umzusiedeln.Die Organisierung

der Umsiedlung wie auch die Kosten für die Umsiedlung und die Versorgung mit

Inventar usw. hat der Staat zu übernehmen.Die Umsiedlung vollzieht sich in

folgender Reihenfolge: zunächst die landlosen Bauern, die eine Umsiedlung

wünschen; sodann die Mitglieder der Dorfgemeinde mit schlechtem Leumund,

Deserteure und andere; und schließlich nach Entscheidung durch das Los oder nach

Übereinkunft.

Der gesamte Inhalt dieses Wählerauftrags muß uneingeschränkt als Willen der

überwältigenden

Mehrheit


der

politisch

denkenden

Bürger


ganz

Rußlands


angesehen

und


zum

provisorischen

Gesetz

erklärt


werden,

das


bis

zum


Zusammentritt der Konstituierenden Versammlung angewandt wird, nach Möglichkeit

unverzüglich, in wichtigen Teilen aber – und notwendigerweise – allmählich, was im

einzelnen von den Uezdsowjets der Bauerndeputierten festzulegen ist.

Der Boden der einfachen Bauern und einfachen Kosaken unterliegt nicht der

Konfiskation.

Der Vorsitzende des Rates der Volkskommissare Vladimir Ul'janov (Lenin)

26. Oktober 1917

Übersetzung von St. Merl.



Faksimile

Die 2 Faksimile werden nicht mit ausgedruckt.

Hier nach: GCMSIR, f. listovok, GIK Nr. 315/101a. Flugblatt.

© Gosudarstvennyj central'nyj muzej sovremennoj istorii Rossii (GCMSIR). Moskau.

Quelle: http://1000dok.digitale-sammlungen.de/dok_0006_bod.pdf

Datum: 17. September 2011 um 18:58:05 Uhr CEST.



© BSB München

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