Friedrich Schiller: Don Karlos - Buch mit Info-Klappe
Lektüre Durchblick Deutsch
von
Martin Neubauer
1. Auflage
Friedrich Schiller: Don Karlos - Buch mit Info-Klappe – Neubauer
schnell und portofrei erhältlich bei
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DIE FACHBUCHHANDLUNG
Mentor 2005
Verlag C.H. Beck im Internet:
www.beck.de
ISBN 978 3 580 65334 7
30
Die sprachliche Form
Hintergrund
Die sprachliche Form
»
D
on Karlos« ist ein sprachlich sehr eingängiges Drama in Blank-
versen (s. unten S. 34f.).
Stilfiguren
■
Unter Parallelismus versteht man den gleich laufenden Bau
mehrerer aufeinander folgender Sätze oder Satzteile, nicht selten
unter Heranziehung gleichen Wortmaterials.
■
Anapher: Beginnen aufeinander folgende Sätze, Satzteile oder
Verse mit dem gleichen Wort oder der gleichen Wortgruppe,
wird ein größerer Nachdruck erzeugt.
■
Eine Epipher ist das Gegenteil der Anapher: aufeinander folgen-
de Sätze, Satzteile oder Verse enden auf das gleiche Wort.
■
Antithesen, d. h. die Aufeinanderfolge gegensätzlicher Begriffe
oder Gedanken, findet man im »Don Karlos« recht häufig.
■
Chiasmus: Überkreuzstellung von Wörtern in aufeinander fol-
genden Sätzen oder Satzteilen.
■
Ein Paradoxon ist eine auf den ersten Blick widersinnig schei-
nende Behauptung.
■
Oxymoron (griech. »scharfer Unsinn«): Kombination zweier Be-
griffe, die sich logisch ausschließen.
■
Wenn derselbe Wortstamm kurz hintereinander in verschiedenen
Wortarten auftaucht, spricht man von einer Figura etymologica.
■
Gemination: Widerspiegelung der Erregung der Figuren in der auf-
einander folgenden Wiederholung eines Wortes/einer Wortgruppe.
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Hintergrund
Die sprachliche Form
Beispiele
(Hervorhebungen vom Autor)
[. . .] es zu wissen, / Dass unsre Freude fremde Wangen rötet, / Dass
unsre Angst in fremden Busen zittert, / Dass unsre Leiden fremde
Augen wässern! – [. . .] (V. 1116ff.)
Unendlich, / Wie Ihre Liebe, ist Ihr Schmerz. Unendlich, / Wie er,
ist auch der Ruhm, ihn zu besiegen. (V. 757ff.; häufig auch ver-
bunden mit Parallelismus)
Doch würd ich Eure Majestät beschwören, / Um Ihrer Ruhe willen
Sie beschwören, / Bei dem Entdeckten stillzustehn [. . .] (V. 2704ff.)
Sein Blut ist heiß, warum sein Blick so kalt? (V. 876); Gott richtete
im Himmel, ich auf Erden – (V. 1430); Was bis zu Schwächen
mich / Gebracht, kann auch zu Raserei mich führen. (V. 3777f.)
[. . .] – wie viel schneller man / Die Welt mit einem Könige ver-
sorge, / Als Könige mit einer Welt. (V. 1410ff.)
[. . .] – und so / Ward ich dein Feind, dir kräftiger zu dienen.
(V. 4633f.); Der Entwurf / Ist teuflisch, aber wahrlich – göttlich.
(V. 5002f.; zugleich Antithese)
Zittern / Nicht alle Schrecken dieses Glücks noch in mir? (V. 1293f.)
Zu überzeugen / Fällt keinem Überzeugten schwer. (V. 2052f.)
Hier, / Hier – hier – auf diesem heiligen Altare, [. . .] (V. 4265f.)
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I n t e r p r e t a t i o n
Textanalyse
D
ie folgende Textanalyse behandelt den »Don Karlos« unter drei
verschiedenen Deutungsansätzen: als Freundschaftsdrama, als
Familiendrama und als politisches Drama.
Es ist in der Forschung mittlerweile umstritten, das Stück wie »drei
Dramen in einem« zu behandeln. Da in der Unterrichtspraxis jedoch
mehrheitlich darauf zurückgegriffen wird, nimmt auch die folgende
Analyse diesen Ansatz auf.
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Interpr
etation
Politisches Drama
Familiendrama
Freundschaftsdrama
©
Karlos
als
Held der Liebeshandlung
im Spannungsfeld zwischen
●
Liebe zu Elisabeth
●
politischem Auftrag
Posa
als
Held der Freiheitshandlung
im Spannungsfeld zwischen
●
Freundschaft zu Karlos
●
Liebe zur Menschheit
1. »Don Karlos« als Freundschaftsdrama
1.1 Freundschaftskult im 18. Jahrhundert
Freundschaft als Form zwischenmenschlicher Beziehung ist so alt wie
die Geschichte; erst dem 18. Jahrhundert blieb es vorbehalten, daraus
einen gefühlsseligen Kult zu entwickeln. Das Erlebnis der Freund-
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schaft war gleichsam etwas Religiöses, etwas für die Ewigkeit Be-
stimmtes. Mögen uns heute jene Gefühlsaufwallungen übertrieben
vorkommen, mit denen sich Schillers Zeitgenossen tränenreich be-
grüßten oder verabschiedeten – die Frage bleibt, warum ausgerech-
net zu jener Zeit Freundschaft dermaßen überschwänglich erlebt
wurde.
Ein wichtiger Grund liegt in der Entwicklung des Erziehungswe-
sens. Europaweit waren die Besitzenden im 18. Jahrhundert dazu
übergegangen, ihre Kinder auf das Erwachsenendasein an isolierten
Orten – Internaten oder Collèges – vorzubereiten. Die Ausbildung
dort gründete sich auf Zwang, Disziplinierung und Überwachung.
Für die Zöglinge war die Freundschaft zu Gleichaltrigen daher oft
die einzige Möglichkeit, diese Kasernierung und Unterdrückung see-
lisch zu meistern und der Kontrolle durch die Erwachsenen zu entge-
hen. Nicht selten überdauerte eine solche Bindung die Jugendjahre.
Auch im studentischen Leben oder in Form von Dichterzirkeln spiel-
ten Freundschaftsbünde im 18. Jahrhundert eine Rolle.
43
Textanalyse
Interpr
etation
Gewiss war Schillers schwere Zeit an der herzoglichen Militärschule
mit ausschlaggebend dafür, Freundschaft zu Altersgenossen als
lebenswichtig, ja als heilig zu empfinden. Entsprechend häufig
finden wir dieses Thema in seinen Werken verarbeitet: in der »Ode
an die Freude«, in den »Räubern«, in dem Gedicht »Die Freund-
schaft« (Teil eines geplanten Freundschaftsromans) oder in der
Ballade »Die Bürgschaft«, die eine Freundschaft verherrlicht, die bis
zur gegenseitigen Bereitschaft geht, für den anderen zu sterben.
Die Freundschaft zwischen Karlos und Posa hat dieselben Vo-
raussetzungen wie so manche Jugendfreundschaft des 18. Jahrhun-
derts. Auch sie ist ein Produkt strenger Erziehung (vgl. die Erzählung
von Karlos in I/2), auch sie durchbricht die Standesgrenzen: Dieses
Possenspiel des Ranges / Sei künftighin aus unserm Bund verwiesen!
(V. 931f.). Indem der Königssohn Karlos seinem adeligen Freund das
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Aufgaben mit Lösungstipps
Interpr
etation
Aufgaben mit Lösungstipps
W
enn Sie die Textanalyse durchgearbeitet haben, müssten Sie für
eine Klassenarbeit bzw. mündliche oder schriftliche Prüfung
schon recht gut gerüstet sein. Die folgenden Aufgaben sollen
Ihnen zu einigen weiteren Aspekten, die bislang nicht direkt zur
Sprache gekommen sind, Denkanstöße liefern.
Aufgabe 1
Beschreiben Sie den Charakter von Don Karlos.
Lösungstipp
Karlos ist ein in sich unausgegorener, unvollkommener Charakter;
gerade dadurch wird er aber für das Drama interessant:
●
Schwermut (vgl. I/1; ein Vorbild Schillers für Karlos’ Charakter
war Shakespeares melancholischer Prinz Hamlet)
●
jugendliche Unbeherrschtheit (vgl. V. 1052ff.), impulsives, ge-
fühlsbetontes Verhalten – das Gegenbild zu seinem Vater
●
Zerstreutheit (vgl. Szene mit Eboli, II/8)
●
seine Neigung zu plötzlichen Stimmungsumschwüngen (vgl.
z. B. V. 1298ff.; V. 1460ff.).
Die Eboli, deren Verführungskünste bei Karlos erfolglos bleiben
(II/8), sieht in ihm einen schlangenglatten Sonderling (V. 1740). Sein
Vater schätzt ihn als schwach ein; seine unangemessene Weichher-
zigkeit (vgl. V. 1181/2) macht ihn für die Politik wenig geeignet.
Weitere Aspekte:
●
Vergleich mit dem historischen Karlos (s. oben S. 24ff.)
●
Freundschaft mit Posa (s. oben S. 42ff.)
●
Verhältnis zum Vater (s. oben S. 49ff.).
!
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Aufgaben mit Lösungstipps
Interpr
etation
Aufgabe 2
König Philipp – eine tragische Gestalt?
Lösungstipp
Noch bevor Philipp die Bühne betritt, wird er von Karlos als [d]er
Fürchterliche (V. 313) bezeichnet: ein unerbittlicher, gefühlskalter
Vollstrecker der Ordnung (vgl. auch die Verbannung der Marquisin
von Mondekar in I/6). Erst später wird Philipps tragische Situation
offenbar. Sie resultiert
●
aus seiner Einsamkeit: Ich b i n allein. (V. 1111)
●
aus seinem Misstrauen, das ihn selbst anfällig für Intrigen macht.
Seinem Sohn lässt er nachspionieren, selbst Posa verdächtigt er
zunächst, unaufrichtig zu sein (vgl. V. 3084ff.).
●
aus seiner Eifersucht: Die Angst, dass er die Königin verlieren
könnte (vgl. V. 867), führt dazu, dass es zum Bruch mit ihr
kommt und seine Familie im Chaos endet.
Philipps Reste an Menschlichkeit werden von Posa in der Au-
dienzszene geweckt. Der Marquis erkennt die Einsamkeit des Königs
als Resultat der gottähnlichen Verehrung, die er genießt. Der König
solle sich daher der Verwirklichung von Aufgaben widmen, die einen
besseren Staat entstehen lassen – das ist Posas Therapie: Weihen Sie /
Dem Glück der Völker die Regentenkraft, [. . .] (V. 3239f.).
In der Folge werden alle Chancen verspielt. Philipp ist unfähig, das
Wesen des misstrauischen Tyrannen abzuschütteln, und vernichtet
das, was ihm nahe steht: Posa, schließlich auch seine Familie. Zwar
zeigt sich der König menschlicher Regungen fähig (sein Weinen in
IV/23, sein Wille zur Versöhnung mit Karlos in V/4), doch am Ende
ist er von allen entfremdet.
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