Hinterpommern - das gelobte Land der Kartoffelzüchtung
"K
ARTZ VON
K
AMEKE
Streckenthin, der als genialer Pflanzenzüchter den traditionellen Rahmen seines
Berufsstandes als Landwirt weit überschritt" **
Volker Janke
Inhalt
1. Kurze Kulturgeschichte der Kartoffelzüchtung ...................................................................21
1.1 Die Kartoffelzucht ................................................................................................23
2. Streckenthin – der Wallfahrtsort für Kartoffelexperten im 20. Jahrhundert ........................23
2.1 Das Gut Streckenthin ..........................................................................................24
2.2 Pflanzenzucht und Saatgutschutz .......................................................................25
2.3 Vertreibung, Flucht und Neubeginn.....................................................................25
3. Zusammenfassung.............................................................................................................26
4. Literatur- und Quellenverzeichnis.......................................................................................26
Schloß Streckenthin (aus D
ADE
1913)
1. Kurze Kulturgeschichte der Kartoffel-
züchtung
Die Kartoffel (Solanum tuberosum L.) hat von
der Nutzpflanze südamerikanischer Hochebe-
nen bis zur europäischen Kulturpflanze ersten
Ranges einen weiten Weg zurückgelegt
1
. Hier-
bei spielt die Pflanzenzüchtung eine besondere
Rolle. Ohne die züchterischen Leistungen hätte
sie nicht den heutigen Stellenwert in der
menschlichen Ernährung, nicht die Ertragslei-
stung, nicht den Geschmack und nicht die
Kochfähigkeit. Über 3000 verschiedene Kartof-
felsorten machen die Kartoffel zu einem der
wichtigsten Nahrungsmittel des Menschen.
Als Heimat der wilden Kartoffel werden die pe-
ruanisch - bolivianischen Hochebenen mit bis
**Deutsches Familienarchiv, 49/1972, Neustadt
a.d. Aisch, S. 248f.
1
Vgl.: G
RIES
, W.: Geschichte der Kartoffel-
züchtung, unveröffentl. Hausarbeit zum Di-
plomexamen, Halle 1955, S. 7 u. 8.; vgl. auch
K
OLBE
, W.: Kulturgeschichte der Kartoffel und
anderer Knollenfrüchte, Burscheid 1994. und
Z
IESSOW
, K.-H.: Kolumbus’ spätes Erbe, in:
Rund um die Knolle, Beiträge zur Geschichte
und Zukunft der Kartoffel 1, Stuttgart 1994.
Samensurium 12/2001
- 21 -
zu 4000 Metern angenommen. Von hier ver-
breiteten sich die ersten Kulturformen bis nach
Chile, von wo aus sie um 1560 über Spanien
und gegen 1600 über England nach Europa
gelangten. “Obwohl die Kartoffel bereits 1587
im Deutschen Reich zu finden gewesen ist,
bedurfte es doch Jahrhunderte, bis sie sich
allgemein durchgesetzt hatte. Zu einer Zeit, da
sie in anderen Ländern bereits feldmäßig an-
gebaut wurde, blieb die Kartoffel in Deutsch-
land als Sehenswürdigkeit in Botanischen oder
als Gemüsepflanze in Küchengärten reicher
Leute beschränkt"
2
.
In Folge des dreißigjährigen Krieges ist eine
zögernde Ausbreitung der Kartoffel von Süd-
deutschland ausgehend in die nördlichen und
östlichen Provinzen des Deutschen Reiches zu
erkennen. Der Schwerpunkt des Kartoffelbaues
war dann im 18. Jahrhundert in Preußen zu
finden. “Infolge der Kriege, Teuerungen und
Not sowie mittels Gratisverteilungen von Saat-
kartoffeln und Kabinettsorder der preußischen
Könige Friedrich Wilhelm I. und besonders
Friedrich II., gelang um etwa 1770 der Durch-
bruch zum allgemeinen Nahrungsmittel"
3
.
In der Mitte des 18. Jahrhunderts war für die
Kartoffel lediglich in den Gärten der Höfe und
Bauernhäuser etwas Platz. Sie diente zur Er-
gänzung der einseitigen Ernährung mit Hülsen-
früchten oder Kohl. Die bauernfeindliche Politik
der Zeit sorgte auch für einen allgemeinen Ver-
fall der bäuerlichen Gartenkultur. Der Garten
des leibeigenen Bauern oder der anderen
unterbäuerlichen Schichten verwahrloste zum
Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend.
Warum sollte man Obstbäume pflanzen oder
einen Garten pflegen, wenn die Zukunft in der
unberechenbaren Hand der Herrschaft lag?
Die zunehmende Last der Hand- und Spann-
dienste tat ihr übriges, um für die Gartenpflege
keine Zeit zu lassen.
Die Kartoffel hinterließ außerdem auf Grund
der hohen Solanin-Gehalte noch einen kratzi-
gen Geschmack und ein Brennen im Hals, was
sie für die Ernährung nicht sehr beliebt machte.
Der eigentliche Grund für die letztendliche Ver-
breitung der Kartoffelkultur und deren feldmä-
ßigen Anbau ist allerdings woanders zu su-
chen. Die Aufhebung der Feldgemeinschaft
und des Flurzwanges sowie die Aufgabe der
damit verbundenen Dreifelderwirtschaft ermög-
lichten erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts
den Anbau der Kartoffel in größerem Maße.
Bisher waren zwei Schläge dem Winter- bzw.
Sommergetreide vorbehalten und auf dem drit-
ten, also dem Bracheschlag, wurde oft Viehhal-
tung betrieben. Erst als man die Brache auch
ackerbaulich für Hackfrüchte zu benutzen be-
gann, wurde diese frei für Kartoffeln, Kohl oder
Rüben.
Insbesondere die Hungersnöte in Folge des
siebenjährigen
Krieges,
die
anhaltende
schlechte Witterung der Jahre 1770/1771 und
der daraus resultierende Getreidemangel tru-
gen zur Ausweitung des Kartoffelanbaues bei.
Ein allgemeiner Getreidemangel wurde auch
durch die Revolution in Frankreich bewirkt. Das
teuer gewordene Getreide wurde exportiert.
Der Gewinn brachte insbesondere dem meck-
lenburgischen Landadel Reichtum und der
ländlichen Bevölkerung Hunger. Neben der
Verwendung als Tierfutter war die Kartoffel nun
vor allem zum Brot des armen Mannes gewor-
den.
Die “Dienstbauer- und Wirtschaftsordnung” des
Gutes Rövershagen vom 10. März 1767 gibt
uns einen ersten Hinweis auf die herrschaft-
liche Förderung des Kartoffelbaues und dessen
Verbreitung. Nach ihr sollte “jeder Untertan ...
seinen Garten fleißig mit Kartoffeln, Kohl, Rü-
ben, Wurzeln u. dgl. Bestellen...”
4
. Jedenfalls
dort, wo die Bauern noch nicht gelegt, die Häu-
ser der gelegten Bauern noch nicht abgebro-
chen und die Gärten zur Vergrößerung der
Schläge und des Ackerlandes vereinnahmt
wurden.
In den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts er-
langte die Kartoffel zunehmend wirtschaftliche
Bedeutung. Es entwickelte sich allmählich ein
Absatzmarkt für Kartoffeln, so dass W
REDOW
in
seiner Oeconomisch–technischen Flora Meck-
lenburgs im Jahre 1811 schrieb: “Es ist fast
unglaublich, welche ungeheure große Menge
Kartoffeln in Mecklenburg angepflanzt wird,
man sieht fast ebenso große Kartoffel- als Ge-
treidefelder. Aber die meisten Menschen leben
auch fast einzig und allein von Kartoffeln. Mor-
gens, mittags und Abends. Selbst auf den Ti-
schen der Vornehmen machen sie die Haupt-
speise aus”.
2
G
RIES
, W., S. 9.
3
K
ÖRBER
-G
ROHNE
,
U.:
Nutzpflanzen
in
Deutschland, Stuttgart 1994, S. 143.
4
M
AGER
, F.: Geschichte des Bauerntums und
der Bodenkultur im Lande Mecklenburg, Berlin
1955, S. 293.
- 22 -
Samensurium 12/2001
1.1 Die Kartoffelzucht
Die ständige Reproduktion der Kartoffel aus
sich selbst heraus - also mittels vegetativer
Vermehrung durch das Teilen von Knollen -
führte zu einer gewissen Degeneration der Sor-
ten. Dieser Umstand ließ nicht nur die Erträge
sinken, die Kartoffel wurde auch krankheitsan-
fälliger. Neue Sorten mußten her und dies
durch gezielte Züchtung auf Grund generativer
Vermehrung.
“Die Blütennarbe einer auf dem Felde
ausgewählten besonders guten Staude
wird mit dem Pollen einer ebenfalls be-
sonders viel versprechenden Staude ei-
ner anderen Sorte bestäubt, nachdem
vorher der Sortencharakter der zu kreu-
zenden Sorten aus den Zuchtbüchern
festgestellt worden ist. Die im Herbst ge-
ernteten Kreuzungsbeeren werden in
warmen Räumen so lange gelagert, bis
das Fruchtfleisch weich wird und einen
aromatischen Geruch bekommt. In die-
sem Zustand werden die Beeren zer-
drückt, die Körper ausgewaschen und
getrocknet, um über Winter in Papier-
beuteln aufbewahrt zu werden. In der er-
sten Märzhälfte erfolgt sodann die Aus-
saat der Samen in Blumentöpfen, die im
Warmhaus oder Mistbeet aufgestellt
werden. Nach ca. 10 Tagen läuft der
Same auf. Die jungen, dichtbehaarten
Pflänzchen werden sodann nach weite-
ren 8-10 Tagen mit dem vierten Blatt
zum ersten Mal in Kästen pikiert, um ca.
vier Wochen später, sobald sie das sie-
bente Blatt gebildet haben, in Frühbeete
verpflanzt zu werden, die allmählich im-
mer mehr gelüftet werden, um die
Pflänzchen abzuhärten. Nach drei bis
vier Wochen haben die Pflänzchen eine
Höhe von 15-20 cm erreicht, weisen zu-
weilen beim Auspflanzen auf das Feld
auch schon kleine Knöllchen an den
Stollonen auf. In der Regel geschieht
dieses Auspflanzen anschließend an das
Pflanzen der übrigen Kartoffeln, selten
jedoch vor dem 1. Juni und erfolgt in ei-
nem Reihenabstand von 60x60 cm. Im
Herbst werden von vornherein alle Stau-
den mit nicht befriedigendem Ansatz
ausgemerzt, und auch von den verblei-
benden guten wird nur eine beschränkte
Zahl mit besonders vielversprechendem
Aussehen ausgewählt und staudenweise
in Säckchen gefüllt, um über Winter im
Keller aufbewahrt zu werden. Im näch-
sten Frühjahr wird jede Staude für sich
getrennt ausgelegt und durch Stauden-
auslese mehrere Jahre weiter bearbeitet
und geprüft"
5
.
Bis um 1840 war die Kartoffel, abgesehen von
den degenerativen Erscheinungen, eine relativ
sichere Kultur. 1842 trat in Amerika plötzlich
die Phytophthora (Kraut- und Knollenfäule)
epidemisch auf und verbreitete sich rasend, so
dass es zwei Jahre später kein kartoffelbauen-
des Land gab, dass von der Krankheit ver-
schont blieb. Extreme Hungersnöte in ganz
Europa waren die Folge. In Deutschland ver-
ursachte die Kartoffelseuche den sogenannten
Kohlrüben- bzw. Steckrübenwinter. Die Kartof-
felernte des Jahres 1916 betrug auf Grund
fehlender Düngemittel und Arbeitskräfte sowie
durch die Kartoffelseuche lediglich 50% des
Vorjahres.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts begann man
nun mit der systematischen Züchtung von Kar-
toffeln und erfuhr bald erste Erfolge im Kampf
gegen die Kartoffelkrankheit.
Im Gegensatz zu anderen Gebieten Deutsch-
lands fasste die Kartoffelzüchtung erst verhält-
nismäßig spät in den für die Erzeugung hoch-
wertigen Pflanzgutes idealen Lagen Mecklen-
burgs und Pommerns Fuß. Eng verbunden mit
den züchterischen Leistungen in der Ostsee-
Region sind die Namen H
ERMANN
L
IENAU
und
K
ARTZ VON
K
AMEKE
auf Streckenthin.
2. Streckenthin - der Wallfahrtsort für
Kartoffelexperten im 20. Jahrhundert
Die in Norddeutschland allgemein angebaute
“D
ABER
'
sche Kartoffel” verschlechterte sich von
Jahr zu Jahr. Sie war sehr krankheitsanfällig
und brachte immer weniger Ertrag. Noch im-
mer war es nicht gelungen, gegen die verhee-
rende Kartoffelkrankheit ein Mittel zu finden
oder eine resistente Sorte zu züchten.
Zur Hebung des Kartoffelbaus wurde 1897 in
Streckenthin durch den Rittmeister der Reserve
K
ARTZ VON
K
AMEKE
auf Streckenthin (1866-
1942) eine Sortenprüfungsstation eingerichtet.
In Streckenthin gab es für den Kartoffelbau be-
sonders günstige Bedingungen wie durchlässi-
5
U
EBERSCHÄR
, K., Geschichte der Kartoffel-
züchtung in Deutschland zugleich ein ge-
schichtlicher Beitrag zur Sortenkunde, Berlin
1929, S. 55-56.
Samensurium 12/2001
- 23 -
gen humosen Sand und maritimes Klima mit
gleichmäßig feuchten Sommermonaten.
Streckenthin im damaligen hinterpommerschen
Regierungsbezirk von Stettin, gehörte bereits
1926 zu den größten Saatzuchtwirtschaften der
Welt
6
. Schon bald erkannte man den Wert der
Region nicht nur für die Sortenprüfung sondern
auch für die ganz gezielte Züchtung neuer Kar-
toffelsorten. Um 1900 wurde mit verschiedenen
neueren Kartoffelkultursorten Vergleichsanbau
betrieben. Bereits 1906 wurde die Prüfungssta-
tion in eine Zuchtstation umgewandelt und es
begann der eigentliche Zuchtbetrieb in Stre-
ckenthin.
In diesem Jahr übernahm H
ERMANN
L
IENAU
die
Leitung der Kartoffelzucht auf Streckenthin.
L
IENAU
, auch als “Altmeister der Kartoffelzucht”
bezeichnet
7
, wurde 1872 als Sohn eines Bau-
ern in Nettlau geboren. Er erlernte den Beruf
des Gärtners und unternahm bereits 1898 er-
ste kartoffelzüchterische Versuche bei Graf
A
RNIM
-S
CHLAGENTHIN
aus Nassenheide
8
.
L
IENAU
galt unter den damaligen Kartoffelzüch-
tern als “As”. Unter seiner Leitung wurden bis
1912 108 verschiedene Kreuzungen mit insge-
samt 27.000 Kartoffelsämlingen vorgenommen.
Das Zuchtziel beinhaltete, besonders boden-
ständige, dem Küstenklima und den rauhen
nördlichen Lagen angepaßte Sorten zu schaf-
fen. 1913 konnten die ersten eigenen Züchtun-
gen mit den Namen '
Parnassia'
und '
Deodora'
der Kundschaft präsentiert werden. Für die
Züchtung einer neuen Qualitätssorte werden in
der Regel 10 Jahre veranschlagt. Hier gelang
der Erfolg gleich beim ersten Wurf. 1917 ver-
ließ L
IENAU
Streckenthin und gründete mit
S
CHRÖDER
-L
ISCHOW
-V
OGELSANG
die Zucht-
stätte Tilliberg in Mecklenburg.
2.1 Das Gut Streckenthin
Die Stammgüter der Familie
V
. K
AMEKE
er-
streckten sich damals über die Orte Thunow,
Streckenthin und Geritz und umfassten ca.
1450 ha. Bis 1913 hat sich der Besitz nahezu
auf 2150 ha verdoppelt. Davon waren 954 ha
Acker, 765 ha Wald, 228 ha Wiesen, 173 ha
Weiden und Moor, 18 ha Garten, 3 ha Wasser
und 9 ha Wege. Die Fruchtfolge der 8 Schläge
lautete 1. Roggen, 2. Roggen, 3. Kartoffeln, 4.
Hafer, 5. Kartoffeln, 6. Hafer, 7. ½ Klee, ½
Blattfrucht, 8. ½ Brache, ½ Gründüngung. 1911
gehörten zum Gut ca. 200 Pferde, 600 Kühe,
850 Schweine, 1600 Schafe. Weiterhin gehör-
ten der Familie seit 1901 die Redliner Mühlen-
werke mit Kornmühle, Sägewerk, Bautischlerei,
Zementwarenfabrikation und Spiritusbrennerei.
Mühlenwerke Redlin, 1901 (aus D
ADE
1913)
“Von gleich hoher Bedeutung für die ren-
table Bewirtschaftung einer intensiven
Begüterung ist ihre Ausrüstung mit tüch-
tigen Menschenkräften in leiblicher, gei-
stiger und moralischer Tauglichkeit.
Diese lebendigen Kräfte sind letzten En-
des doch die Seele des ganzen Betrie-
bes. Was nützen noch so gute maschi-
nelle Einrichtungen, wenn sie nicht mit
dem gehörigen Verständnis, nicht mit
vollem Arbeitsernste bedient werden!
Heutzutage freilich kann der Betriebs-
inhaber nicht mehr so nachhaltig auf
seine mit ihm zum Ganzen zusammen-
wirkenden Arbeiter Einfluß nehmen, wie
dies frühere Zeiten noch gestatteten. Die
ländlichen Arbeiter haben größere Frei-
heiten erhalten, sie kehren leider häufig
dem gesunden ländlichen Heimatsboden
den Rücken, um schließlich im Ruße
großstädtischer Fabrikschlote Einbuße
an der Lebensfreudigkeit zu erleiden, die
ihre Seele bei Arbeiten auf freiem Felde
und in Waldesfrische erfüllte"
9
.
1902 engagierte sich K
ARTZ V
. K
AMEKE
bei der
Elektrifizierung der Provinz Pommern. Das von
ihm 1905 errichtete, durch Wasserkraft betrie-
bene Redliner Elektrizitätswerk war das erste
6
B
INSWANGER
, E.: Biographie der v. Ka-
meke’schen Kartoffel-Sorten, o. O. 1926, S. 5.
7
Landwirtschaftliche Pflanzenzüchtung in
Deutschland, Bundesverband Deutscher Pflan-
zenzüchter (Hg.), Bonn 1987, S. 256 f.
8
U
EBERSCHÄR
, K.: Geschichte der Kartoffel-
züchtung in Deutschland zugleich ein ge-
schichtlicher Beitrag zur Sortenkunde, Berlin
1929, S. 54.
9
D
ADE
, H. G.: Die Landwirtschaft unter Kaiser
Wilhelm II. 1. Bd., Halle 1913, S. 129.
- 24 -
Samensurium 12/2001
östlich der Oder und produziert noch heute
Energie mit den alten Turbinen von AEG und
Siemens. 1912 errichtete von Kameke eine
Talsperre zur Stromerzeugung.
Brennerei Thunow (aus D
ADE
1913)
Die größte Bekanntheit hat K
ARTZ VON
K
AMEKE
allerdings durch sein züchterische Tätigkeit und
seine Mitarbeit in den unterschiedlichsten
landwirtschaftlichen Gremien zur Kartoffelzucht
erlangt.
So heißt es in einem Artikel zum 60. Geburts-
tag des Sohnes D
OBIMAR V
. K
AMEKE
,
“Nobles oblige! Getreu dem edelsten
Wahlspruch seines Standes als fürsorg-
licher Gutsherr zahlreicher Mitarbeiter
hatte der Vater des heutigen Jubilars,
Herr Kartz von Kameke, zum Ende des
vorherigen Jahrhunderts mit der züchte-
rischen Verbesserung mehrerer Acker-
früchte begonnen, um seiner Verpflich-
tung zu höheren Leistungen auch im
landwirtschaftlichen Bereich gerecht zu
werden"
10
.
2.2 Pflanzenzucht und Saatgutschutz
K
ARTZ VON
K
AMEKE
kämpfte entschieden für die
Saatanerkennung von Kartoffeln durch die
Originalsaatgutkommission. So gehörte er
1915 zu den Gründungsmitgliedern der Pom-
merschen Saatzucht GmbH (PSG) und war in
den 1920er Jahren Gründungsmitglied und
Vorsitzender des “Verband der Originalkartof-
felzüchter” (VOK)
11
. Ein Grundgedanke des
Verbandes war der sogenannte “Erfinder-
schutz” für Kartoffelsorten, ähnlich der Paten-
tierung einer Entdeckung. Die Grundgedanken,
die zur Gründung des Verbandes führten, wa-
ren Hauptbestandteil des 1953 erlassenen,
ersten Saatgutgesetzes der Welt. Weiterhin
war K
AMEKE
Mitarbeiter im Ausschuß der Saat-
zuchtabteilung der D.L.G., im Vorstand der Ge-
sellschaft zur Förderung Deutscher Pflanzen-
zucht (G.F.P.) und Vorsitzender der Original-
kartoffelzuchtabteilung der G.F.P.
Die größte Leistung K
ARTZ VON
K
AMEKE
s je-
doch
war
die
Zucht
der
Kartoffelsorte
'Parnassia'.
Mit einer besonders hohen Krautfäuleresistenz
und einer extremen Stärkehaltigkeit ausgestat-
tet nahm diese Sorte später 30% der Kartoffel-
anbaufläche in Deutschland ein. Die Zucht-
erfolge
V
. K
AMEKE
s verbreiteten sich wie ein
Lauffeuer in der Fachwelt. Bis 1930 hatten sich
alle großen deutschen Kartoffelzuchtbetriebe
mit Zuchtstationen in Hinterpommern mit
Streckenthin als Mittelpunkt angesiedelt. Auf
Grund der zahlreichen Existenzgründungen
wurde Hinterpommern somit zum Zentrum der
Pflanzkartoffelzucht für das 3. Reich.
2.3 Vertreibung, Flucht und Neubeginn
Von 1936 bis 1945 war D
OBIMAR V
. K
AMEKE
der
Leiter der Saatzucht in Streckenthin.
Am 20. Juli 1944 wurde D
OBIMAR VON
K
AMEKE
von Russischen Truppen in Gefangenschaft
genommen. Er und seine Mitarbeiter hatten
keine Möglichkeit, die wertvolle Kartoffelsamm-
lung oder das Saatgut zur weiteren Zucht in
Sicherheit zu bringen. Ein eilig gepackter
Rucksack mit Samen, der den Neuanfang si-
chern sollte ist auf der Flucht verloren gegan-
gen.
10
F
RIEBE
, P.: Bedeutung der Pflanzenzucht für
die Ernährung., in: Der Kartoffelbau, 21. Jg.,
Nr. 4, 1970, S. 106.
11
Deutsches Familienarchiv, 49/ 1972, Neu-
stadt a.d. Aisch, S. 200.
Samensurium 12/2001
- 25 -
“Durch den Zusammenbruch (1945 d.A.)
war der Anteil seiner Züchtungen in
Westdeutschland auf 0,5% der Vermeh-
rungsfläche zusammengeschrumpft. Der
gesamte Zuchtaufbau aller im Handel
befindlichen Sorten, die Zuchtakten, 98,5
% des neuen Zuchtmaterials und der
gesamte Samenbestand waren verlo-
ren"
12
.
So mußte D
OBIMAR V
. K
AMEKE
als Hofpächter
in Schleswig-Holstein vollständig von vorne
anfangen. Einziger K
AMEKE
'
scher Grundbesitz
blieb das Moorgut Kartzfehn bei Oldenburg,
welches 1929 noch von K.
V
. K
AMEKE
erworben
und kultiviert wurde. Mit seinem Wissen um die
Kartoffelzucht fand D .
V
. K
AMEKE
in Windeby
bei Eckernförde ein Gut mit einer ähnlichen
“Gesundlage” wie in Streckenthin. Die in Hin-
terpommern zerschlagene Pflanzkartoffelzucht
und Produktion mußte für Deutschland neu
aufgebaut werden. Viele der ebenfalls vertrie-
benen Mitarbeiter haben sich nach der Flucht
bei den
V
. K
AMEKE
s wieder eingefunden. An-
fang der 50er Jahre waren die ersten Erfolge
zu verzeichnen, und 1957 konnten die ersten
zwei Sorten am Markt plaziert werden.
D
OBIMAR V
. K
AMEKE
arbeitete entschieden an
der Idee seines Vaters, ein Saatgutgesetz zum
Schutz von Pflanzenzüchtungen zu erlassen,
weiter. Am 27. Juni 1953 wurde das Gesetz
über Sortenschutz und Saatgut von Kultur-
pflanzen erlassen
13
und hat noch heute Gültig-
keit.
Schließlich beschloß D
OBIMAR VON
K
AMEKE
für
seinen Sohn K
ARTZ VON
K
AMEKE
: “ Wir werden
Landwirtschaft studieren”. Dies lag den Ambi-
tionen des jüngsten Sprosses allerdings fern.
Der Familientradition nicht besonders verpflich-
tet, wollte er lieber Architektur studieren. Aller-
dings einigte man sich schnell auf ein Biologie-
studium. Mit einem anschließenden Agrarbio-
logiestudium erlangte Kartz v. Kameke die Fä-
higkeiten eines Züchters und übernahm die
Leitung des Unternehmens.
Heute exportiert die Firma “Sara” in Windeby in
ca. 40 Länder. Gemeinsam mit der SaKa-Ragis
Pflanzenzucht GbR halten sie ca. 20% des
deutschen Marktes.
Seit drei Jahren ist K
ARTZ V
. K
AMEKE
Vorsit-
zender des Bundesverbandes deutscher Pflan-
zenzüchter mit Sitz in Bonn. Die Fortführung
von Ideen, die vor nahezu 100 Jahren geboren
wurden, liegt in seinen Händen.
3. Zusammenfassung
K
ARTZ VON
K
AMEKE
ist es gelungen, Anfang
des 20. Jahrhunderts in der relativ struktur-
schwachen Region Hinterpommern einen Weg
aus einer allgemeinen Krise der Landwirtschaft
aufzuzeigen. Neben dem traditionellen Getrei-
debau und der Viehzucht war es
V
. K
AMEKE
möglich, mit dem Kartoffelbau und der Kartof-
felzucht eine neue Spezialisierungsrichtung für
die Agrarproduktion der Zeit zu etablieren. Un-
ter Hinzuziehung von hochqualifiziertem Fach-
personal und unter Berücksichtigung der neue-
sten Erkenntnisse aus Wissenschaft und For-
schung gelang somit auf Streckenthin ein Mo-
dernisierungsprozeß mit Modellcharakter für
das gesamte Deutsche Reich.
Die
K
AMEKE
-Sorten
'
Parnassia'
(1913),
'
Deodora'
(1913), '
Hindenburg'
(1916) und
'
Carnea'
(1938) werden seit dem Frühjahr 2001
im Mecklenburgischen Volkskundemuseum-
Freilichtmuseum-Mueß mit Erfolg angebaut.
Entsprechendes Vermehrungsmaterial von 10
weiteren 10 K
AMEKE
-Sorten steht in der Gen-
bank Außenstelle Nord in Groß Lüsewitz zur
Verfügung.
4. Literatur- und Quellenverzeichnis
B
INSWANGER
, E.: Biographie der v. Kameke’schen
Kartoffel-Sorten, o. O. 1926
Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (Hg.):
Landwirtschaftliche Pflanzenzüchtung in Deutsch-
land, Bonn 1987
D
ADE
, H. G.: Die Landwirtschaft unter Kaiser Wil-
helm II., 1. Bd., Halle 1913
Das Saatgutgesetz, Gesetz über Sortenschutz und
Saatgut von Kulturpflanzen vom 27. Juni 1953,
Hannover 1953
Deutsches Familienarchiv, 49/ 1972, Neustadt a.d.
Aisch
F
RIEBE
, P.: Bedeutung der Pflanzenzucht für die
Ernährung., in: Der Kartoffelbau, 21. Jg., Nr. 4,
1970, S. 105-108
G
RIES
, W.: Geschichte der Kartoffelzüchtung, un-
veröffentl. Hausarbeit zum Diplomexamen, Halle
1955
12
F
RIEBE
, P.: Bedeutung der Pflanzenzucht für
die Ernährung., in: Der Kartoffelbau, 21. Jg.,
Nr. 4, 1970, S. 106.
13
Das Saatgutgesetz, Gesetz über Sorten-
schutz und Saatgut von Kulturpflanzen vom 27.
Juni 1953, Hannover 1953.
- 26 -
Samensurium 12/2001
K
OLBE
, W.: Kulturgeschichte der Kartoffel und ande-
rer Knollenfrüchte, Burscheid 1994
K
ÖRBER
-G
ROHNE
, U.: Nutzpflanzen in Deutschland,
Stuttgart 1994, S. 143
M
AGER
, F.: Geschichte des Bauerntums und der
Bodenkultur im Lande Mecklenburg, Berlin 1955
O
BERSTEIN
, O
TTO
: Beitrag zur Phylogenie unserer
Kartoffelsorten, Breslau o.J.
U
EBERSCHÄR
, K.: Geschichte der Kartoffelzüchtung
in Deutschland zugleich ein geschichtlicher Beitrag
zur Sortenkunde, Berlin 1929
Z
IESSOW
, K.-H.: Kolumbus’ spätes Erbe. - In: Rund
um die Knolle, Beiträge zur Geschichte und Zukunft
der Kartoffel 1, Stuttgart 1994
Volker Janke
Obotritenring 55
19053 Schwerin
Samensurium 12/2001
- 27 -
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