Ich möchte zeigen, wie sich im Bologna-Diskurs der hrk von der Origo des ich-hier-jetzt her eine Subjektivitätsformation aufba



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In der folgenden kurzen Diskursanalyse soll ausgehend von Bühler Origo-Modell und Laclaus/Mouffes Hegemonietheorie gezeigt werden, durch welche diskursiven Operationen im Bologna-Diskurs der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) eine spezifische Sprechersubjektivität hervorgebracht wird und welche Rolle das Ideologische im Prozess dieser Subjektformierung spielt.

I


Für Karl Bühler bezeichnet die Origo den Ort, von dem aus das sprechende Subjekt im ereignishaften „Sprechdrama“ ( 113) sichtbar wird. Das „ich“ ist nach Bühler keineswegs subjektivistisch zu deuten. Es verweist nicht auf ein vor dem konkreten, stets ereignishaften Sprachgebrauch bereits konstituiertes ich (vgl. 106). Jede Person, die vom Ort des ich-hier-jetzt aus in Erscheinung tritt, ist genau an diesen ereignishaften Akt gebunden und entfaltet das, worauf das Personalpronomen „ich“ deiktisch verweist, erst in der „Sprechhandlung“.
Von daher spricht Bühler auch vom ich-hier-jetzt als „Ort“. „Von der Origo des anschaulichen Hier aus werden sprachlich alle anderen Positionen gezeigt, von der Origo des Jetzt aus alle anderen Zeitpunkte“ (107) und, so könnten wir hinzufügen, von der Origo des Ich aus alle anderen Individualpunkte.
Die Origo des ich-hier-jetzt bezeichnet nach Bühler also den Ort, der im Zuge eines Sprechereignisses markiert wird und von dem aus andere Orte in gewisser Hinsicht erzwungen werden. So betont Bühler den imperativischen Charakter des Sprechereignisses, wenn er sagt: „Jeder Buchstabe sagt ‚sieh’ her! Ich meine dies’“ (106)

II


Ausgehend von Bühlers Organon-Modell können wir den Raum, der von der Origo aus aufgespannt wird, um zwei weitere „Grundpositionen“ ergänzen. Denn ein Sprechereignis markiert nur insofern ein „ich“, den Ort der Person, die spricht, ein „jetzt“, den Zeitpunkt, in Bezug auf den alle implizit oder explizit hervorgebrachten Symbole bezogen werden müssen und ein „hier“, von dem aus im sozialen Raum Bereiche des „dort“ aufgebaut werden, wenn sich jemand findet, der auf der Ortsmarkierung „du“ erscheint und sich ein „etwas“ herauskristallisiert, das als Referenten fungiert.
Diese drei „Grundpositionen“ bilden allerdings keinen schematischen und kohärenten Raum. Durch die drei Personalpronomen im Plural „wir, ihr, sie“ wird die klare Unterscheidung zwischen ich-du-er/sie/es – also Sender-Empfänger-Referent – in der Regel überspült. Obwohl nämlich zwischen dem ich, dem du und dem er/sie/es stets klar differenziert werden kann, ist nicht immer klar ob „du“ und „ich“ ein „wir“ bilden und ob er/sie/es wirklich „sie“ ist. Auch kann ein radikal exklusives „wir“ in manchen Situationen den Empfänger (also das, was auf „du“-Position erscheint) dazu zwingen die Position des „sie“ zu beziehen. Dies erst recht wenn von „du“ ein „wir“ verlangt wird, dem „du“ aber nicht beitreten kann. Besonders pikant wird die Situation, wenn das „du“ weder „wir“ sein kann noch „sie“ sein will. Auf der anderen Seite kann ein universal-inklusives „wir“ suchen, den gesamten Raum abzustecken und zu vereinnahmen.

III


Folgen wir Ernesto Laclaus und Chantal Mouffes Hegemonietheorie, dann kann aber eine solches all-inklusives „wir“ nur der Grenzfall einer Normalität sein, die schnell wieder ihr Recht einfordern wird, will das Subjekt, das von der Position des „ich“ aus sichtbar wird, nicht von anderen hegemonialen Akten inkorporiert werden.
Hegemoniale Formationen bilden sich nach Laclau/Mouffe durch den sogenannten Antagonismus. Der Antagonismus entsteht, wenn ein prädestinierter Signifikant aus dem System von Differenzen (vgl. de Saussure) heraustritt und ein Set von anderen Signifikanten des Differenzsystems gegenüber einem gemeinsamen Anderen/„Gegner“ äquivalent setzt. Durch diese Operation wir von der Position des „ich“ aus ein „wir“ sichtbar, indem es eine gewisse Anzahl anderer Signifikanten „hier“ unter das „wir“ subsummiert und dieses „wir“ gegen ein „sie“ „dort“ abgrenzt. Gegenüber den Subjekten, die im Feld des Eigenen stehen, bildet das „wir“ ein inklusives „wir“; gegenüber denen, die im Feld des „sie“ stehen, ist das „wir“ dagegen ein exklusives „wir“. Diese inklusions-exklusions-Dynamik variiert selbst wieder je nach Intensität des Antagonismus.

IV


Im Unterschied zu Bühlers Origo-Theorie betonen Laclau/Mouffe stärker die Rolle von Signifikat und Signifikant. Der Signifikant, der die unterschiedlichen Intensitäten des „wir“/ „sie“-Gegensatzes hervorbringt, bezeichnen Laclau/Mouffe als leeren Signifikanten. Mit Blick auf Lacan möchte ich diese Dimension des leeren Signifikanten noch weiter ausdifferenzieren. Ich spreche vom leeren Signifikanten, wenn es darum geht, den Signifikanten zu identifizieren, der die symbolische Ordnung als solche bezeichnet. Dagegen bezeichne ich den Signifikanten, der die kontingente Raumaufteilung organisiert, als hegemonialen Signifikanten.
Hegemonialer und leerer Signifikant sind funktional aufeinander angewiesen. Denn ohne die immer wieder durch den leeren Signifikanten herzustellenden ideologischen Effekte, würde der hegemoniale Signifikant seine subjektivierende Macht verlieren; andersherum würde die hegemoniale Ordnung zusammenbrechen, wenn es nicht den hegemonialen Signifikanten gäbe, der unter der „Schirmherrschaft“ des leeren Signifikanten die konkreten (politischen) Auseinandersetzungen führt.

V (siehe „Einleitung“)


In der folgenden empirischen Untersuchung möchte ich zeigen, wie im Bologna-Diskurs der HRK die Subjektformation operiert und welche Rolle die ideologische Funktion des leeren Signifikanten dabei spielt.
Zunächst wird der Sprecher des Diskurses sichtbar, indem er konstativ auf „Deutschland“ zeigt und durch den berichtenden Charakter der folgenden Ausführungen das staatstragende Ethos eines Ministerialbeamten aufbaut. Im zweiten Satz wird durch den deiktischen Verweis in der 3. Person Singular („[es] zeigt sich“)auf eine „Realität da draußen“ via „statistischer Objektivität“ („im europäischen Vergleich“)verwiesen und so der „objektive“, „notwendige“, regelrecht „patriotische“ („Es zeigt sich, dass X so ist“ und „Deutschland hat sich verpflichtet“) Anspruch dessen, was der Sprecher hier und im folgenden mitzuteilen hat, untermauert. Im dritten Satz positioniert sich der Sprecher als ein Vertreter der „HRK“, indem er durch den Verweis auf „die HRK“ auf sich selbst verweist und durch die Beschreibung der Rolle der „HRK“ im Bologna-Prozess eine Äquivalenz von „HRK“, „Deutschland“ und „der Bologna-Prozess“ herstellt.

VI


Der unbestimmte Artikel „den“ vor „Prozess“, das Demonstrativpronomen „diesen“ hinter dem Komma und der unbestimmte Artikel „der“ vor „Reform“ sind jedoch mehr als ein deiktischer Verweis auf das bereits Gesagte; denn alles bereits Gesagt wird an dieser Stelle durch diese drei Elemente gleichzeitig auch symbolisiert. „Den“ verweist deiktisch auf „Prozess“, „diesen“ verweist auf „Prozess“ deiktisch zurück und „der“ verweist auf „Reformen“, die in diesem Kontext mit „Prozess“ äquivalent gesetzt werden. Wie Bühler zeigt (303-315), hat der unbestimmte Artikel nicht nur eine substantivierende Funktion; darüber hinaus lenkt er die Aufmerksamkeit des Empfängers zugleicht auf das von ihm substantivierte Nomen. In etwa: sieh’ her! Ich meine dies (Reformen, Prozess). Durch die Kumulation vorher verstreuter diskursiver Elemente („39 europäische Staaten“, „bis 2010“, „Ziele der Bologna-Erklärung“, „grundlegende Umstrukturierung ihres Studiensystems“ etc.) in einem Signifikant, „des“ Signifikanten, in diesen drei Elementen des dritten Satzes, wird ein Signifikant instituiert, der allem, was nun folgt, seinen Namen gibt. Dieses prädestinierte Symbol des Diskurses ist der Signifikant „Bologna-Prozess“. Gleichzeitig wird ein Subjekt sichtbar, das im Namen dieses Signifikanten spricht bzw. das in der Ordnung, die von diesem Signifikanten her aufgebaut wird, einen spezifischen Platz einnimmt.
Das Subjekt, das von diesem Platz aus zu sprechen beginnt, konstituiert sich als Teil einer Koalition, die aus „Deutschland“, „39 anderen europäischen Staaten“ und „ein Großteil der Unterzeichnerstaaten“ (die „eine Umstrukturierung ihres Studiensystems beschlossen und mit der Implementierung begonnen“ haben) besteht. Das „wir“ wird also über eine Koalition aktiver europäischer Hochschulreformer aufgebaut, die sich dazu verpflichtet fühlt, eine auf europäischer Ebene getroffene Entscheidung („Deutschland hat sich ...verpflichtet“) umzusetzen bzw. sich an einem „Prozess“, der bereits läuft, zu beteiligen. Dieses Ethos des aktiven Reformteilnehmers, der für eine bereits getroffene und sich bereits in der Umsetzung befindliche Entscheidung, „wirbt“ bzw. mit dieser Aussage diese Entscheidung umsetzt, indem er dafür in gewisser Hinsicht „wirbt“ wird bereits im Titel des Buches artikuliert: „Bologna-Reader. Texte und Hilfestellungen zur Umsetzung der Ziele des Bologna-Prozesses an deutschen Hochschulen“. Es ist sicherlich nicht vermessen zu behaupten, dass das gesamte Buch genau dieses Ethos artikuliert, enthält es doch ausschließlich „verbindliche nationale Referenztexte, Empfehlungen zur Umsetzung, eine Auswahl von Arbeitshilfen“ usw.

VII


In gewisser Hinsicht spricht das Subjekt, das über die „Aussage“ (Foucault) des Buches sichtbar wird, im Modus einer „PR-Dienstleistung“; andererseits widerspricht dieser Modus aber der Vehemenz, mit der der „Bologna-Prozess“ vertreten wird. Die Signifikanten „Umsetzung“, „verpflichtet“ und der Verweis auf „die Umsetzung in anderen Staaten“ richtet sich an einen Empfänger, von dem verlangt wird, dass er die Reformen umsetzt (obligatorisch); der Äußerungs-Modus der „PR-Dienstleistung“ („Hilfestellungen“, „Service-Stelle Bologna“) dagegen unterstellt einen Empfänger, der grundsätzlich die Wahl hat dazu (fakultativ). Die „illokutionäre Kraft“ (Austin) der „PR-Dienstleistung“ überlagert sich spannungsvoll mit der illokutionären Kraft des „Imperatives“.

VIII


Diese spannungsgeladene Heterogenität zeigt sich genau an dem Punkt, wo der Andere, da „du“ markiert wird. Nach Laclau/Mouffe muss eine antagonistische Grenze zwischen dem „wir“ und dem „sie“ gezogen werden, damit ein Subjekt hegemonial sichtbar wird. Diese Grenze muss nicht durch einen radikalen Antagonismus organisiert werden. In jedem Fall aber benötigt jedes „wir“ ein wenn auch unscharf konturiertes „sie“.
Betrachten wir den ersten Satz des zweiten Abschnitts, dann fällt zunächst auf, dass der universale Gültigkeitsanspruch, der sich mit dem leeren Signifikanten „Bologna-Prozess“ verbindet, durch die Einfügung von „der so genannte“ vor „Bologna-Prozess“ relativiert wird. Der Sprecher nimmt hier kurzweilig eine distanzierte Position zum „Bologna-Prozess“ ein, um aus der Perspektive eines neutralen Beobachters („[er] bringt...mit sich“) auf eine gegenwärtige und zukünftige Realität deiktisch zu verweisen. Dieser Gestus zeugt insofern von einem gewissen „pädagogischen Infantilismus“, als doch durch das vorher bereits Gesagte klar sein sollte, dass es sich beim „Bologna-Prozess“ um eine Hochschulreform handelt. Insbesondere das „additive“ Signal „auch“ artikuliert eine gewisse Unsicherheit bezüglich der diskursiven Positionierung des „du“ („der Bologna-Prozess bedeutet nicht nur für die Hochschulen eine Veränderung, aber auch.“). Gehören die Hochschulen, die hier auf den „du“-Ort positioniert werden, zur Koalition des „wir“ oder zum anderen („sie“)? Der pädagogische Gestus des „Erklärens“, der in diesem zweiten Abschnitt hervortritt, entspricht in gewisser Hinsicht der illokutionären Rolle der oben erwähnten „PR-Dienstleistung“, muss der Sprecher (das „ich“) seinen Gegenüber (das „du“) doch als souveräne Persönlichkeit anerkennen, wenn er etwas „erklären“ will. Die dritte Person Singular passiv („Der s.g. Bologna-Prozess bringt ... mit sich“, „die Reform wirkt sich“ usw.), die den Modus des „Erklärens“ hervorbringt, artikuliert jedoch gleichzeitig einen zweiten Modus. Indem auf „reale Gegebenheiten“ deiktisch verwiesen wird, werden die Hochschulen als jemand angesprochen, der sich dieser Reform-Entwicklung nicht verschließen kann. Von den Hochschulen wird hier verlangt, dass sie den „Bologna-Prozess“ umsetzen, da sie sich diesem „Prozess“ „sowieso nicht“ verschließen können, „findet er doch bereits statt“, „sind doch alle Entscheidungen bereits getroffen“, ist die „Implementierung“ doch nur noch eine „technische Frage der Umsetzung“. Dadurch werden die „Hochschulen“ als der diskursive Ort sichtbar gemacht, wo die zeitliche Unbestimmtheit des „Bologna-Prozesses“ von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft spannungsvoll ausgetragen werden muss. Zwar ist der „Bologna-Prozess“ „unumkehrbar“; aber was passiert, wenn trotz der „Unumkehrbarkeit“ keiner mitmacht? So ähnlich wie im provokatorischen Dissertierungsaufruf der Friedensbewegung „stell’ dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“ wird hier eine Lücke eröffnet, die vom „ich“ verlangt Druck auf das „du“ auszuüben, ohne das „du“ offensiv im Bereich des „dort/sie“ zu positionieren. Genau wie eine Armee durch reine Gewaltandrohung nicht davon überzeugt werden kann in den Krieg zu ziehen, sondern darüber hinaus eine diskursive Ordnung anerkennen muss um eine „gute“ Armee sein zu können, wird man erst dann zum „Reformer“, wenn man die Ordnung des Bologna-Diskurses anerkennt. Insofern kann der hier vorgenommene Positionierungsversuch des „du“ als unsichtbarer, indirekter Appell an die „Hochschulen“ interpretiert werden. Unsichtbar und indirekt deshalb, weil es nicht darum geht an die Hochschulen zu appellieren den „Bologna-Prozess“ umzusetzen, sondern darum anzuerkennen, dass der „Bologna-Prozess“ „unumkehrbar“ ist. Erst wenn das anerkannt wird, entwickelt der hegemoniale Signifikant „Umsetzung des Bologna-Prozesses“ seine subjektivierende Macht. An dieser Stelle entscheidet sich nämlich, wer im Raum des „hier“ steht und zur „wir“-Koalition gehört und wer im Raum des „dort“ positioniert wird, und es sich wahrscheinlich gefallen lassen muss, als „europafeindlicher Nationalist“ oder „konservativer Besitzstandswahrer“ etikettiert zu werden. Der entscheidende Punkt hegemonialer Formationsprozesse besteht darin, dass jeder, der den Bologna-Diskurs betritt, den leeren Signifikanten „Bologna“ anerkannt haben muss um sichtbar zu werden.
An dieser Stelle kommt das Ideologische ins Spiel, das vom leeren Signifikanten „Bologna-Prozess“ organisiert wird. „Bologna“ verlangt in gewisser Hinsicht nach Anerkennung, trotz der Tatsache, dass die Bologna-Erklärung mit keinerlei völkerrechtlicher Verbindlichkeit ausgestattet ist, trotz der Tatsache, dass von einem „Prozess“ ohne die Umsetzung an den Hochschulen überhaupt nicht gesprochen werden kann, trotz der Tatsache, dass alle Texte im „Bologna-Reader“ alles andere als „verbindlich“ sind, wie trotzdem dort behauptet wird („Die Materialien sind thematisch geordnet und umfassen verbindliche nationale Referenztexte...“). Die ideologische Funktion des leeren Signifikanten besteht also darin, spezifische Möglichkeiten „vergessen zu machen“. Erst dann gelingt es eine spezifische diskursive Ordnung zu instituieren, deren normative Kraft sich nicht durch einen Appell an Subjekte entfaltet sondern durch die Kraft der Subjektivierung selbst.






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