Ihr Entführer ein



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Plagiat
Wenn heute von einem Plagiat die Rede ist, dann denken wir an ein dreistes Sich-Vergreifen an geistigem Eigentum, an den Missbrauch geschützter Urheberrechte. Ursprünglich deutete das Wort auf unvergleichlich Übleres, auf Menschenraub und Menschenhandel; die Entführung der Natascha Kampusch wäre lateinisch gesprochen ein plagium, ihr Entführer ein plagiarius.
Am Anfang steht da, soweit wir sehen, eine lateinische plaga, die einen ausgedehnten „Landstrich“ oder einen „Himmelsstrich“, eine „Decke“ und besonders das ausgespannte weitmaschige „Netz“ bezeichnet, wie die Jäger es bei der Grosswildjagd gebrauchten. Irgendwo, irgendwann hat das davon abgeleitete Substantiv plagium neben seiner eigentlichen Bedeutung der Grosswildjagd mit Netzen die übertragene Bedeutung einer Menschenjagd, einer Entführung, angenommen, und das davon wieder abgeleitete, zuerst bei Cicero belegte plagiarius hat ausschliesslich noch die übertragene Bedeutung eines Entführers, eines Kidnappers. Eine Inschrift nennt die Liebesgöttin Venus eine plagiaria; doch im Allgemeinen geht es hier um Piraterie und Versklavung, Sklavenfang und Sklavenhandel.
Damit sind wir auf dem Weg von der Eberjagd zum Plagiat im heutigen Sinne aber erst auf halber Strecke. Das Missing Link zwischen der Versklavung eines freien Bürgers und der Aneignung geistigen Eigentums finden wir im 1. Jahrhundert n. Chr. bei dem grossen Spötter Martial, im ersten Buch seiner Epigramme, unter Nr. 52. Irgendein Versemacher hatte Martials Gedichte an der Party irgendeines Quintianus als die seinen vorgetragen, und nun ersuchte Martial diesen Quintianus in lockeren Elfsilblern um mannhaften Rechtsbeistand für seine derart „versklavten“ Geisteskinder: „... Wenn sie sich über diesen Sklavendienst beklagen / und der Bursche sich dann noch ihren Herrn nennt, / sag, sie seien die Meinen, Freigelass’ne! / Ruf das drei- oder viermal in die Runde, / und bring so diesem Sklavenfänger Scham bei!“ - im lateinischen Original: „... impones plagiario pudorem!“
Gleich im folgenden Epigramm nimmt Martial wohl den gleichen Plagiator - hier heisst er Fidentinus - noch einmal ins Visier, und schon vorher im gleichen Buch, unter Nr. 38, hatte er auf ebendiesen Fidentinus ein geschliffenes Distichon abgeschossen: „Das du da rezitierst, das Buch, Fidentinus, ist meines; / doch so schlecht rezitiert, fängt es an, deines zu sein.“
Über das einprägsame Bild, in dem Martial von seinen herausgegebenen Versen als von seinen freigelassenen Sklaven und von jenem unverschämten Versedieb im gleichen, fortgeführten Bild als einem plagiarius, einem „Sklavenfänger“, spricht, ist das Wort zu seiner heute geläufigen Bedeutung gekommen. Die letzte Wegstrecke führte im 16. Jahrhundert zu einem französischen plagiaire und im 17. Jahrhundert zu einem französischen plagiat; im 18. Jahrhundert ist das französische Wort ins Deutsche übergegangen, und im 19. Jahrhundert hat schliesslich auch der bereits spätantike, ursprünglich mit dem plagiarius gleichbedeutende plagiator die doppelt übertragene Bedeutung eines Text- und Töneräubers angenommen.
Noch ein Nachgedanke: Ist vielleicht die „Plage“ und die „Plackerei“ auf dem gleichen Stamm von Menschenraub und Versklavung gewachsen? Nein, das sind nur Lexikonnachbarn: Dahinter steht eine griechische plegé, „Schlag, Hieb“, die über eine gleichbedeutende lateinische plaga fast unverändert ins Alt-, Mittel- und Neuhochdeutsche herabgekommen ist.
Klaus Bartels
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