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Ernährungsberatung für Biogasanlagen mit biotip
Andreas Kottmair
1)
; Dr. Klaus Hoppenheidt
1)
; Dr.-Ing. Klemens Finsterwalder
2)
1)
1)
BIfA GmbH;
2)
FITEC GmbH & Co. KG
Dr.-Ing. Klemens Finsterwalder
Finsterwalder Umwelttechnik GmbH & Co. KG
Mailinger Weg 5, 83233 Bernau/ Hittenkirchen, Tel.: 08051/6539-0,
E-Mail: k.Finsterwalder@fitec.com, Internet: www.fitec.com
Dipl.-Ing. (FH) Biotechnologie Andreas Kottmair
Bayerisches Institut für Angewandte Umweltforschung und –technik – BIfA GmbH
Am Mittleren Moos 46, 86167 Augsburg, Tel.: 0821/7000-156,
E-Mail: akottmair@bifa.de, Internet: www.bifa.de
Dr. Klaus Hoppenheidt
Bayerisches Institut für Angewandte Umweltforschung und –technik – BIfA GmbH
Am Mittleren Moos 46, 86167 Augsburg, Tel.: 0821 7000 –157,
E-Mail: khoppenheidt@bifa.de, Internet: www.bifa.de
Faulschlamm – eine Lebensgemeinschaft hochaktiver Mikroorganismen
Gesunde Faulschlämme sind in der Lage so ganz unterschiedliche Materialien wie Gülle, Bioabfälle,
Silagen oder Fette zu Biogas umzusetzen. Möglich wird dies durch die Vielfalt hochaktiver Mikroorga-
nismen, die ein Faulschlamm normalerweise enthält. In ihrer Gesamtheit bilden sie eine Lebensge-
meinschaft, die Erstaunliches leisten kann.
Höchstleistungen kann ein Faulschlamm allerdings nur dann erzielen, wenn seine „Ernährung“
stimmt. Eine Fehlernährung kann nicht nur zu Einbußen beim Gasertrag führen, im schlimmsten Fall
wird der Faulschlamm im weiteren Prozessverlauf so stark beeinträchtigt, dass zu wenige Mikroorga-
nismen nachwachsen, um die Verluste durch Absterben oder Austrag zu kompensieren – ohne Ge-
genmaßnahmen kommt der Prozess dann zum Erliegen.
Ausgewogen Füttern
Um die Leistungsfähigkeit eines Faulschlamms zu erhalten, sollte seine Fütterung also ausgewogen
sein. Doch was ist unter „ausgewogen“ zu verstehen? Als ausgewogen dürfen wir die Ernährung be-
trachten, solange im Faulschlamm ein effektiver Abbau der zugeführten Gärsubstrate stattfindet und
das Wachstum der einzelnen Mikroorganismen-Populationen eine dauerhafte Anreicherung von Zwi-
schenprodukten – wie beispielsweise der Propionsäure – im gesamten Nahrungsnetz wirksam ver-
hindert.
Um die Faulschlamm-Ernährung zu optimieren, sind 4 Teilaspekte bei der Fütterung einer Biogasan-
lage zu bedenken:
Verwertbarkeit Ist ein Substrat für die Vergärung überhaupt geeignet?
Zusammensetzung des Inputs Ermöglicht das Verhältnis der im Prozessverlauf freisetzbaren
Bioelemente (C, N, P, S, u. a.) und physikalisch-chemisch wirksamen Substanzen (Säuren, Basen,
Puffersubstanzen) eine stabile Gärung und einen optimalen Biogasertrag?
Beschickung Liegt die gewählte Belastung der Anlage in einem günstigen Bereich?
Biologie
Enthält der Faulschlamm alle für einen umfassenden Abbau der Gärsubstrate not-
wendigen Mikroorganismen-Populationen in ausreichender Zahl?
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Betreiber von Biogasanlagen können diese Fragen leider oft nur unzureichend klären, da sie über zu
wenige Informationen verfügen. Die Folge ist, dass es in vielen Fällen zu – in der Regel kostspieligen
- Prozess-Störungen kommt, bis der Betreiber aufgrund von Erfahrungswerten einschätzten kann, in
welchem Bereich seine Anlage zuverlässig arbeitet.
Ernährungsberatung mit biotip
Um die geschilderte Situation zu verbessern, entwickeln das Bayerische Institut für Angewandte Um-
weltforschung und –technik – BIfA GmbH und die Finsterwalder Umwelttechnik GmbH & Co. KG
(FITEC) derzeit im Rahmen der High-Tech-Offensive Bayern gemeinsam das Informationssystem
biotip.
Ausgangspunkt für die Prozessbewertung bzw. –prognose sind Daten und (optional) Proben, die der
Betreiber (bzw. der Planer oder Erzeuger von Substraten) zur Verfügung stellt (Abbildung 1). Diese
Daten bzw. Proben werden in den biotip-Submodulen „elektronisches Betriebstagbuch“, „Prüfung der
Vergärbarkeit“ und „Populationsanalyse“ weiter verarbeitet. Die dort erzielten Ergebnisse fließen in
zugehörige Datenbanken und von dort aus in das Simulationsmodul von biotip ein. Das Simulations-
modul ist der zentrale Baustein, mit dem - auf Grundlage eines mathematischen Modells – derzeit für
bis zu drei in Reihe geschaltete, voll durchmischte Fermenter, Prognosen zum Verlauf des Gärpro-
zesses erstellt werden können. Anhand von in der Simulation berechneten Kenngrößen, wie etwa der
Geschwindigkeit, mit der die Methanbakterien im Fermenter wachsen, lässt sich der aktuelle Ernäh-
rungszustand des Faulschlamms bewerten. Wichtiger noch ist der Blick in die Zukunft – mit Hilfe der
für eine Anlage geplanten Fütterungsdaten lässt sich in der Simulation schon im Voraus verfolgen, ob
der Biogasertrag und die Prozessstabilität weiterhin gesichert erscheinen. Bahnen sich in der Simula-
tion kritische Zustände an, so können diese in der Wirklichkeit noch rechtzeitig durch eine gezielte
Anpassung des „Speiseplans“ oder der Beschickung der Biogasanlage vermieden werden. Ebenso
können verschiedene Fütterungsstrategien vorab im Rechner miteinander verglichen und so die Pro-
zesse optimiert werden.
Substratproben
opt.)
Schlammproben
opt.)
Prüfung der
Vergärbarkeit
opt.)
Populations-
analyse
opt.)
Datenbank
Gärsubstrate
Simulation
Elektronisches
Betriebstagebuch
Anlagenkennwerte
Betriebsdaten
Datenbank
Faulschlämme
Datenbank
Betriebsdaten
Datenbank
Simulationsergebnisse
Prozessbewertung
und -prognose
Betreiber
Ernährungsberatung
biotip
opt.)
... optional
Substraterzeuger
Planer
Abbildung 1: Struktur und Funktionsweise von biotip
Abbildung 2: Laborbiogasanlage
Simulation und Wirklichkeit
Ob das System geeignet ist, den Prozessverlauf bei der Vergärung verschiedener Substrate zu be-
schreiben, wurde mit Hilfe von 17 Liter-Laborbiogasanlagen geprüft (Abbildung 2). Das Beispiel in
den Abbildungen 3 zeigt den Verlauf wichtiger Prozessparameter bei der Vergärung von Maissilage
im Laborversuch und in der Simulation. Die Abweichungen zwischen Simulation und Wirklichkeit wa-
ren bei den im Versuch verfolgten Parametern Biogasproduktion (Abbildung 3a), Methangehalt (Ab-
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bildung 3b), Pufferkapazität (Abbildung 3c) und pH-Wert (Abbildung 3d) gering. Die Projektion in die
Zukunft mit geplanten Fütterungsdaten zeigte, dass der pH-Wert im Reaktor kritische Werte erreichen
würde (Abbildung 3d). In der Realität kam der Prozess dann tatsächlich am 63. Versuchstag zum
erliegen. Bemerkenswert ist, dass der „Absturz“ im Vorfeld weder an der Biogasproduktion noch am
Methangehalt im Biogas vorhersehbar gewesen wäre (Abbildung 3a und 3b).
0
4
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Zeit (Tage)
Biogasertrag (L/Tag)
Messwerte
Simulation
"Absturz!"
Abbildung 3a: Biogasproduktion bei der Ver-
gärung von Maissilage
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Zeit (Tage)
pCH4 (
hP
a)
Simulation
Messwerte
"Absturz!"
Abbildung 3b: Methan-Partialdruck im Biogas
bei der Vergärung von Maissilage
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80
Zeit (Tage)
Pufferkap. (mmol HCO3-/L)
Simulation
Messwerte
"Absturz!"
Abbildung 3c: Pufferkapazität im Faul-
schlamm bei der Vergärung von Maissilage
6,0
6,1
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Zeit (Tage)
pH-W
ert
Simulation
Messwerte
"Absturz!"
kritischer pH-Bereich
Abbildung 3d: pH-Wert im Faulschlamm bei
der Vergärung von Maissilage
Alle bisherigen Laborversuche haben übereinstimmend gezeigt, dass - bei ausreichend genauer
Kenntnis der Startparameter – die mit biotip vorhergesagten mit den tatsächlich beobachteten Pro-
zessparametern nahezu deckungsgleich sind. Leider sind nun die Bedingungen im Labor nicht mit
den Bedingungen in der Praxis vergleichbar. Die meisten für die Simulation relevanten Eingangsgrö-
ßen, die im Laborversuch noch mit guter Genauigkeit bestimmt werden können, sind in der Praxis mit
mehr oder weniger großen Unsicherheiten behaftet. In realen Anlagen sind im Regelfall nur die Geo-
metriedaten der Reaktoren und die Temperatur der Suspension relativ genau bekannt. Die Mengen-
ströme und deren Inhaltsstoffe – insbesondere der Gehalt an Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen -
können meist nur ungefähr angegeben werden. Analog gilt dies für die biologische Abbaubarkeit und
die Abbaugeschwindigkeit der Substrate. biotip wurde deshalb so konzipiert, dass für die maßgebli-
chen Eingangsparameter auch Streuungen berücksichtigt werden können. Die Simulation liefert dann
für die relevanten Prozessparameter nicht einen einzelnen Kurvenverlauf, sondern eine ganze Kur-
venschar, in der jede Kurve eine andere Kombination der möglichen Werte für die Eingangsparame-
ter repräsentiert. Die Hüllkurve beschreibt den Bereich, in dem sich die Anlagenparameter voraus-
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sichtlich bewegen werden. Durch diese probabilistische Betrachtung der Vorgänge in den Reaktoren
können kritische Zustände lange vor ihrem Eintritt erkannt werden, auch wenn die Eingangsdaten nur
wenig präzise zur Verfügung stehen. Durch gezieltes richtiges Eingreifen kann in diesen Fällen zu-
meist noch rechtzeitig und erfolgreich gegengesteuert werden.
Nachfolgend soll an einem weiteren Beispiel der probabilistische Ansatz und eine Auswahl der Infor-
mationen, die mit biotip generiert werden können, gezeigt werden. Untersucht wurde in diesem Fall
das Anfahren eines mit Bioabfällen und Speiseresten beschickten Reaktors:
Abbildung 4a zeigt als erstes den Verlauf und die mögliche Schwankungsbreite des Biogasertrags. Zu
Beginn sinkt der Biogasertrag für kurze Zeit ab. Wichtigste Ursache hierfür ist, dass auch die Acetat-
konzentration im Reaktor in dieser Zeit sinkt (siehe Abbildung 5a), da mehr Acetat abgebaut wird, als
aus den zugeführten Substraten nachgebildet wird. Anschließend intensiviert sich der Abbau der zu-
geführten Substrate und der Gasertrag steigt dadurch linear an. Schließlich erreicht der Gasertrag ein
Plateau - der Prozess befindet sich nun im Fließgleichgewicht. Der Schwankungsbereich beträgt für
den Gasertrag etwa 20 Prozent. Abbildung 4b gibt den zugehörigen Methanertrag an, der in diesem
Fall analog zum Gasertrag verläuft.
Die Abbildungen 5 zeigen das Zusammenspiel zwischen der Acetatkonzentration, dem pH-Wert und
der Pufferkapazität. Die Acetatkonzentration spiegelt die biologischen Abläufe wieder. Zu Beginn sinkt
die Acetatkonzentration im Reaktor, da die Methan bildenden Mikroorganismen das Acetat schneller
verbrauchen, als es von den Essigsäure bildenden Mikroorganismen nachgeliefert wird. Anschließend
kehrt sich die Situation um - es wird ein Überschuss an Acetat produziert. Die Maxima der Acetatbil-
dung treten, mit einer Streubreite von circa 50 Prozent um den Mittelwert, zwischen dem 13. und 24.
Tag auf.
Der pH – Wert (Abbildung 5b) reagiert kaum, so dass ein Absturz durch Säurehemmung in diesem
Beispiel nicht zu befürchten ist. Das Absinken der Pufferkapazität in den ersten Tagen (Abbildung 5c)
ist auf den Acetatanstieg in dieser Zeit zurückzuführen. Jedoch werden auch zwischen dem 13. und
24. Tag - bei maximaler Acetatkonzentration - keine kritischen Werte erreicht. Anschließend stabili-
siert sich die Pufferkapazität bereits wieder.
Die Abbildungen 6 zeigen abschließend für die Methan bildenden Mikroorganismen den Verlauf der
Wachstumsrate und der Biomassekonzentration Die Wachstumsrate folgt dem Acetatangebot und
erreicht im Bereich von 14 bis 25 Tagen ihr Maximum. Die Organismenkonzentration steigt hingegen
kontinuierlich an und erreicht nach etwa 150 Tagen ihren maximalen Wert.
Abbildung 4a: Biogasertrag (m³/d)
Abbildung 4b: Methanertrag (m³/d)
(Methangehalt ca. 56 %)
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Abbildung 5a: Acetatkonzentration (mol/m³)
Abbildung 5b: pH-Wert
Abbildung 5c: Pufferkapazität (eq/m³)
Abbildung 6a: Wachstumsrate der
Methanogenen (1/d)
Abbildung 6b: Konzentration an
Methanogenen (mol/m³)
In einer realen Anlage können nur einzelne Parameter wie der Biogasertrag oder die -
zusammensetzung relativ einfach gemessen werden. Schon die exakte Bestimmung des pH-Wertes
ist schwierig. Hier hilft die Simulation, wie das obige Beispiel zeigt, die Zusammenhänge zu erkennen
und möglichen Fehlentwicklungen entgegenzusteuern.
Ausblick
Der (betriebswirtschaftliche) Nutzen und die Grenzen von biotip werden derzeit an sechs Referenzan-
lagen, die sich in ihrer Größe und dem verwerteten Substratspektrum unterscheiden, aufgezeigt.
Anzumerken bleibt, dass gerade eine einseitige Substratauswahl - wie derzeit bei der Monovergärung
von NawaRoS zu beobachten - für die Anlagenbetreiber erhebliche Risiken birgt. Bei der Beratung
von Betreibern, die Schwierigkeiten mit der Biologie in ihren Anlagen hatten, hat sich gezeigt, dass
mit Hilfe von biotip die Primärursachen für die Schwierigkeiten entschlüsselt werden können. Da das
künftige Verhalten der Biologie in einer Biogasanlage unter den geplanten Betriebsbedingungen beur-
teilt werden kann, lässt sich das Betriebsrisiko erheblich reduzieren.
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