Verba per aevum vigentia



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Lateinische

Jahrtausendworte

in die Gegenwart gesprochen

VERBA PER AEVUM VIGENTIA

Ausgewählte Texte aus

Klaus Bartels’ gleichnamigem Buch

im Original ergänzt um

weitere Texte

27. Bundesolympiade

Latein und Griechisch

am

13.-17.4.2015



Kremsmünster, OÖ.

Auswahl und Kommentierung:


Bauböck Johanna

Glatz Peter

Mayer Sieglinde

Peterseil Elisabeth

Stöllner Severin

Wiederkehr Sandra



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Inhalt
Bedenkzeit 22 04

Unabänderliche Rechte 51 04

Verschwörung gegen den Bauch 66 05

Korintherbrief 07

Die Gemeinschaft, ein Gewölbe 71 08

Das Eigene und das Fremde – Homo sum, humani nil a me alienum puto 70 09

Sklaven, Freie, Mitsklaven 73 09

Ein Menschheitsverrat 74 10

Nach uns der Weltenbrand 75 11

„Ἐμοῦ θανόντος γαῖα μειχθήτω πυρί“ (E) 11

Pax Romana, Pax Augusta 76 12

Schwerter zu Pflugscharen 77 12

Schwerter zu Pflugscharen, Altes Testament, Micha 4, 1-5 (E) 14

Im Zeichen von Venus und Mars 78 14

„Was Du siehst, ist Rom …“ 40 15

Menschen noch jenseits der Wölfe – Homo homini lupus (Plautus) 87 16

Bücherverbrennungen 89 17

„Wer die Fehler nicht will …“ 90 17

„Wie er das Blut da unten sah …“ 91 18

Die Sorge „um sich selbst“ (E; vgl. 96) 19

Ein Schatz im Text – si, quod adest, gratum iuvat … 103 21

Epikureisches Myrtengrün 105 22

Überflüssiges und mehr als Überflüssiges – nostri essemus, si ista nostra non essent 106 23

Freiheit, die durch den Magen geht – nihil habeo parati nisi me 108 23

Ein Glückskatalog – Quod sis, esse velis nihilque malis … 111 24

Ein Senior im Hörsaal – tamdiu discendum est, quamdiu vivas 122 25

Die Kinder, die „Freien“ –

Pudore et liberalitate liberos retinere satius esse credo quam metu 126 26

Väterliche Toleranz 128 28

Ein Collier von Söhnen 129 29

Eine Kunst des Vergessens 130 29

Nochmals vertagtes Leben 137 30

„Morgen lebst du?” 138 30

„Wär’s vergönnt uns beiden …“ 140 31

Leerlauf der Termine 141 31

Ausstieg aus dem Getriebe 144 33

Drinnen und draußen 145 33

Eiserne, fordernde Zeit – labor omnia vincit 156 34

„Nichts ist uns Sterblichen allzu steil …“ 166 35

„Wir sind der Welt zur Last“ – onerosi sumus mundo 167 36

„Niemals tue ich mehr …“ 174 37

Das Höhlengleichnis (E) 38

Vaticanum II – Nostra aetate, art. 3 (1965) (E) 41

Novum Testamentum, Mt 16, 21-28 (E) 42

Novum Testamentum Mt 25 (E) 42

Papst Benedikt XVI über die Bedeutung der latinitas im modernen Europa 44

Anstelle eines Vorworts der Klappentext der „Jahrtausendworte“:

»…Und da ja der berüchtigte Spruch derer als unmenschlich und geradezu verbrecherisch gilt, die sagen, sie hätten nichts dagegen, dass nach ihrem Tode über alle Länder der Weltbrand hereinbreche … , so trifft gewiss auch die umgekehrte Verpflichtung zu: dass wir auch für die Generationen, die in Zukunft einmal leben werden, um ihrer selbst willen Vorsorge treffen müssen.«

Cicero, de finibus bonorum et malorum 3,64

Mythen und Worte haben kein Alter: Angesichts der Entfesselung der Kernkraft spricht uns der Mythos vom Feuerdiebstahl des Prometheus neu und mächtig an, und Worte wie dieses hier aus Cicero zitierte scheinen geradewegs in unsere Gegenwart hineingesprochen. Die hier präsentierten »Jahrtausendworte« zeugen von der geistigen Verwandtschaft des alten Europa mit dem neuen; sie laden ein, die Antike aus der Sicht der Gegenwart, die Gegenwart aus der Sicht der Antike zu betrachten. Im Spiegel dieser unverwüstlichen, wirklich »nachhaltigen« alten Texte begegnen wir uns immer wieder selbst.



Hinweise:

mit (E) gekennzeichnete Textabschnitte sind Erweiterungen über die Textstellen aus dem Buch von Klaus Bartels hinaus.

Zahlen neben den Überschriften beziehen sich die Seiten im Buch von Klaus Bartels.

Bedenkzeit 22
Seine Schrift über das Wesen der Götter verfasste Cicero in den letzten Monaten vor Caesars Tod. Er lässt vier Männer (den Epikureer C. Velleius, den Stoiker Q. Lucilius Balbus, den Akademiker C. Aurelius Cotta und Cicero) im Hause Cottas an einem Tag der feriae Latinae zwischen 77 bis 75 v.Chr. zwei Gespräche führen.  Cicero fungiert überwiegend als Zuhörer. 

Ein mehrfaches Hin und Her von immer wiederholten Fragen und immer verdoppelten Fristen zwischen den Tyrannen Hieron I. von Syrakus und dem Lyriker Simonides von Keos verweist auf die Grenzen menschlicher Gotteserkenntnis. Aurelius Cotta führt als Repräsentant der für ihre Skepsis bekannten Philosophenschule der „Akademiker“ die feine Anekdote gegen den Epikureer Velleius ins Feld:
Roges me, quid aut quale sit deus: auctore utar Simonide, de quo1 cum1 quaesivisset hoc idem tyrannus Hiero, deliberandi sibi unum diem postulavit; cum idem ex eo postridie quaereret, biduum petivit; cum saepius duplicaret numerum dierum admiransque Hiero requireret, cur ita faceret, "Quia, quanto diutius considero," inquit "tanto mihi spes videtur obscurior".

(E) Sed Simoniden arbitror (non enim poeta solum suavis, verum etiam ceteroqui doctus sapiensque traditur), quia multa venirent in mentem acuta atque subtilia, dubitantem, quid eorum esset verissimum, desperasse omnem veritatem. Epicurus vero tuus (nam cum illo malo2 disserere quam tecum) quid dicit, quod non modo philosophia dignum esset, sed mediocri prudentia3? (E)


Unabänderliche Rechte 51

In Ciceros Dialog „Über den Staat“ gründet der jüngere Gaius Laelius die unabdingbaren Menschenrechte und überhaupt Recht und Gesetz im Sinne der Stoa auf die göttliche Vernunft und die mit ihr in Einklang stehende Natur. Der Kirchenvater Laktanz hat Ciceros pathetische Hymne auf dieses „wahre Gesetz“ in seinem Hauptwerk als Einziger überliefert; er zitiert dieses stoische Gesetz dort zugleich als „Gottes Gesetz“, … jenes heilige, jenes himmlische, das Marcus Tullius (Cicero) mit fast göttlicher Stimme dargestellt hat“:
Est quidem vera lex recta ratio naturae congruens, diffusa in omnes, constans, sempiterna, quae4 vocet ad officium iubendo, vetando a fraude deterreat; quae tamen neque probos frustra iubet aut vetat nec improbos iubendo aut vetando movet5. Huic legi nec obrogari6 fas est neque derogari ex hac aliquid licet neque tota abrogari potest, nec vero aut per senatum aut per populum solvi hac lege possumus, neque est quaerendus explanator aut interpres Sextus Aelius7, nec erit alia lex Romae, alia Athenis, alia nunc, alia posthac, sed et omnes gentes et omni tempore una lex et sempiterna et immutabilis continebit, unusque erit communis quasi magister et imperator omnium deus, ille legis huius inventor, disceptator, lator8; cui qui non parebit, ipse se fugiet ac naturam hominis aspernatus9 hoc ipso luet10 maximas poenas, etiamsi cetera supplicia, quae putantur, effugerit.
Verschwörung gegen den Bauch11 66

Bald nach dem Sturz des Königtums kam es in der jungen römischen Republik zu einer ersten Staatskrise: Die verschuldeten Plebejer zogen aus der Stadt aus und ließen die vermögenden Patrizier auf ihrem entvölkerten Staat sitzen. Damals soll Menenius Agrippa sie mit einer politischen – wohl ursprünglich griechischen – Parabel vom „Bauch“ und den übrigen Körperteilen zur Rückkehr bewogen haben. So wie Livius die Parabel erzählt, folgt sie der Ernährungsphysiologie des Aristoteles: Danach wird die aufgenommene Nahrung in Magen und Darm zu Blut verdaut, „verkocht“, und derart geläutert durch die Blutgefäße – den Blutkreislauf kannte man noch nicht – allen Körperteilen zugeführt.
Vorgeschichte 32, 1-7:

Die Väter fürchteten nun, es könnte wieder heimliche Versammlungen und Verschwörungen geben, wenn man das Heer entließe. Zwar hatte der Diktator die Werbung durchgeführt. Aber sie hielten die Soldaten für eidgebunden, weil sie den Konsuln geschworen hatten. Unter dem Vorwand, die Aequer fingen einen neuen Krieg an, erteilten sie den Legionen den Marschbefehl. Dies brachte den Aufruhr zum Übersprudeln. Erst sollen die Bürger die Ermordung der Konsuln besprochen haben, um ihren Eid abzuschütteln. Dann machte man ihnen aber klar, dass keine Untat eine Bindung lösen könne.


Dann sollen sie auf den Rat eines gewissen Sicinius ohne Anordnungen der Konsuln auf den heiligen Berg gezogen sein, jenseits des Anio, 3000 Schritt von der Stadt entfernt. Diese Erzählung ist unbedeutender als die von Piso berichtete, wonach die Leute auf den Aventin gegangen seien. Hier schlugen sie ohne jede Führung ein festes Lager mit Wall und Graben auf. Sie nahmen nur die nötigen Lebensmittel mit sich und blieben mehrere Tage ruhig. Keiner griff sie an, und sie taten niemandem etwas Böses.
In der Stadt war man sehr bestürzt, und man fürchtete sich gegenseitig. Die Bürger, die von ihrer Familie

zurückgelassen worden waren, fürchteten das Eingreifen der Väter. Die Väter fürchteten sich vor den verbliebenen Bürgern und wussten nicht, was sie lieber wollten: wenn diese weiter blieben oder auch gingen. Wie lange würde die ausgezogene Menge noch ruhig sein? Und wenn ein auswärtiger Krieg ausbrach, was sollte dann werden? Die einzige Hoffnung, die ihnen noch blieb, lag in der Einigkeit der Bürger. Diese müsse man dem Staat um jeden Preis wieder schaffen.

32, 8-12:

Placuit igitur oratorem12 ad plebem mitti Menenium Agrippam13, facundum virum et quod inde oriundus14 erat plebi carum. Is intromissus in castra pricso illo dicendi et horrido15 modo nihil aliud quam hoc narasse fertur:

„Tempore quo in homine non ut nunc omnia in unum consentiant, sed singulis membris suum cuique consilium, suus sermo fuerit, indignatas16 reliquas partes sua cura, suo labore ac ministerio ventri omnia quaeri, ventrem in medio quietum nihil aliud quam datis voluptatibus frui;

conspirasse inde ne manus ad os cibum ferrent, nec os acciperet datum, nec dentes quae acciperent conficerent17. Hac ira, dum ventrem fame domare vellent, ipsa una membra totumque corpus ad extremam tabem18 venisse.

Inde apparuisse ventris quoque haud segne19 ministerium esse, nec magis ali quam alere eum, reddentem in omnes corporis partes hunc20 quo vivimus21 vigemusque22, divisum pariter23 in venas maturum24 confecto cibo sanguinem.”

Comparando hinc, quam intestina corporis seditio similis esset irae plebis in patres, flexisse25 mentes hominum.

Erwähnt sei die Verwendung des Motivs des funktionierenden Organismus durch den

Apostel Paulus im 1. Korintherbrief 12,12-31 (E).


Der größere Zusammenhang ist dort: „Die Geistesgaben und das Leben der Christen“. Es geht also um die Gemeinschaft der Christen, um ihr konkretes Zusammenleben. Auch hier trifft Paulus bemerkenswerte Aussagen über das Zusammenspiel aller Mitglieder eines Systems, einer Gruppe. Nach einer Erörterung über den „einen Geist“ und die „vielen Gaben“, sagt Paulus über „den einen Leib“ und „die vielen Glieder“:
12 Sicut enim corpus unum est et membra habet multa, omnia autem membra corporis, cum sint multa, unum corpus sunt: ita et Christus. 13 Etenim in uno Spiritu omnes nos in unum corpus baptizati sumus, sive Iudaei, sive gentiles, sive servi, sive liberi et omnes unum Spiritum potati sumus. 14 Nam et corpus non est unum membrum, sed multa.
15 Si dixerit pes „quoniam non sum manus, non sum de corpore“, non ideo non est de corpore. 16 et si dixerit auris „quia non sum oculus, non sum de corpore“, non ideo non est de corpore. 17 Si totum corpus oculus, ubi auditus? Si totum auditus, ubi odoratus26?
18 Nunc autem posuit Deus membra – unumquodque eorum – in corpore sicut voluit.
19 Quod27, si essent omnia unum membrum, ubi corpus? 20 Nunc autem multa quidem membra, unum autem corpus. 21 Non potest dicere oculus manui „Opera tua non indigeo“ aut iterum caput „Pedibus non estis mihi necessarii“. 22 Sed multo magis, quae videntur membra corporis infirmiora esse, necessariora sunt 23 et, quae putamus ignobiliora membra esse corporis, his honorem abundantiorem circumdamus et, quae inhonesta sunt nostra28, abundantiorem honestatem habent, 24 honesta autem nostra nullius29 egent. Sed Deus temperavit30 corpus ei31, cui deerat32, abundantiorem tribuendo honorem, 25 ut non sit schisma in corpore, sed id ipsum pro invicem sollicita sint membra. 26 Et si quid patitur unum membrum, conpatiuntur omnia membra, sive gloriatur unum membrum, congaudent omnia membra. 27 Vos autem estis corpus Christi et membra de membro33.
28 Et quosdam quidem posuit Deus in ecclesia primum apostolos, secundo prophetas, tertio doctores, deinde virtutes34, exin gratias35 curationum, opitulationes36, gubernationes37, genera linguarum38.
29 Numquid omnes apostoli, numquid omnes prophetae, numquid omnes doctores?
30 Numquid omnes virtutes39, numquid omnes gratiam habent curationum, numquid omnes linguis loquuntur, numquid omnes interpretantur?
31a Aemulamini autem charismata maiora!
Die Gemeinschaft, ein Gewölbe 71

Der Philosoph Seneca beschäftigt sich in ep. 95 mit der Frage, in welcher Beziehung Götter und Menschen zueinander stehen. Daraus ergeben sich auch konkrete ethische Forderungen, die den zwischenmenschlichen Bereich betreffen.

Ausgehend von der griechischen, stoischen Idee einer weltweiten Menschheitsgemeinschaft erhebt Seneca den damals bereits „geflügelten“ Komödienvers „Homo sum, humani nil a me alienum puto“, „Ich bin ein Mensch; nichts Menschliches nenne ich mir fremd“, zum Leitspruch einer alle Grenzen überschreitenden mitmenschlichen Solidarität; sein Aufruf gipfelt in dem einprägsamen Bild eines römischen Rundbogens, in dem ein Block den anderen stützt und das ganze Gewölbe umso fester zusammenhält, je stärker die einzelnen Blöcke zum Sturze neigen:
(E) Vis deos propitiare? Bonus esto! Satis illos coluit, quisquis imitatus est. (E)

Ecce altera quaestio, quomodo hominibus sit utendum40. Quae damus praecepta? Ut parcamus sanguini humano? Quantulum est ei non nocere, cui debeas prodesse! Magna scilicet laus est, si homo homini mansuetus est. Praecipiemus, ut naufrago manum porrigat, erranti viam monstrat, cum esuriente panem suum dividat? Quando41 omnia, quae praestanda42 ac vitanda sunt, dicam, cum possim breviter hanc formulam humani officii tradere?

Omne hoc, quod vides, quo divina atque humana conclusa sunt, unum est: membra sumus corporis magni. Natura nos cognatos edidit, cum ex iisdem et in eadem 43 gigneret. Haec nobis amorem mutuum indidit et nos sociabiles fecit. Ille versus et in pectore et in ore sit: „homo sum; humani nihil a me alienum puto.“ Cohaereamus! In commune44 nati sumus. Societas nostra lapidum fornicationi45 simillima est; dieser Steinbogen würde zusammenbrechen, wenn die Steine nicht einander stützten, gerade durch dieses gegenseitige Stützen besitzt er Standkraft.

Das Eigene und das Fremde - Homo sum, humani nil a me alienum puto 70

In der Eingangsszene des ursprünglich Menandrischen, dann Terenzischen „Sich-selbst-Strafenden“ plackt sich der neu zugezogene, offenkundig vermögende Menedemus mit saurer Gartenarbeit ab. Sein Nachbar Chremes hat das eine Zeitlang besorgt mitangesehen; schließlich spricht er den Mann über den Zaun hinweg an: Warum er sich denn Tag für Tag so abmühe? Er habe doch das gewiss nicht nötig … Menedemus erwidert, verletzt und verletzend, mit einem scharfen Ausfall; doch Chremes pariert den Hieb, und seine entwaffnende Antwort ist bereits in der Antike zum Geflügelten Wort geworden:

Menedemus: Chreme, tantumne ab re tuast oti46 tibi,
aliena ut cures ea, quae nil ad te attinent?

Chremes: Homo sum: humani nil a me alienum puto.

Das „Eigene“ und das „Fremde“ sind da am Gartenzaun zu Hieb- und Stichwörtern geworden: Der eine zieht die Grenze zwischen Mein und Dein fein säuberlich den Hag entlang; der andere zählt unter Menschen alles „Menschliche“ – alles, was Menschen betrifft – zum „Eigenen“. Noch ein halbes Jahrtausend später bezeugt Augustinus, „ganze Theater voll dummer, ungebildeter Leute“ – er meint: ganz gewöhnlicher Leute – hätten diesem Vers auf offener Szene Beifall geklatscht; so „natürlich“ sei es, dass „kein Mensch sich nicht als den Nächsten jedes beliebigen anderen Menschen verstehe“.

Sklaven, Freie, Mitsklaven 73

Mit seinem Protest gegen die menschenunwürdige Behandlung der Sklaven und seinem Appell, auch im Sklaven den Mitmenschen zu sehen, war Seneca seiner Zeit um Jahrhunderte voraus. „Es sind Sklaven …“: Ein ums andere Mal lässt Seneca rhetorisch raffiniert einen fiktiven Widerpart obstinat auf seinem verachtenden Verdikt beharren, um seinen Widerspruch von Mal zu Mal zu steigern:

Libenter ex iis, qui a te veniunt, cognovi familiariter te cum servis tuis vivere: hoc prudentiam tuam, hoc eruditionem decet. „Servi sunt.“ Immo homines. „Servi sunt.“ Immo contubernales. „Servi sunt.“ Immo humiles amici. „Servi sunt.“ Immo conservi, si cogitaveris tantundem in utrosque licere fortunae. …

Vis tu cogitare47 istum, quem servum tuum vocas, ex isdem seminibus ortum, eodem frui caelo, aeque spirare, aeque vivere, aeque mori! Tam tu illum videre ingenuum potes, quam ille te servum. Variana clade48 multos splendidissime natos, senatorium per militiam auspicantes gradum, fortuna depressit: alium ex illis pastorem, alium custodem casae fecit. Contemne nunc eius fortunae hominem in quam transire, dum contemnis, potes.

Ein Menschheitsverrat 74

Im dritten Buch seines Dialogs „Über das höchste Gut und das größte Übel“ legt Cicero dem Jüngeren Cato ein weit ausgreifendes Collegium Stoicum in den Mund. Die Darlegung gipfelt in der Idee einer globalen Menschheitsgemeinschaft, in der kein Mensch dem anderen als „fremd“ gelten darf. Jenseits des seit alters geächteten Landesverrats kommt hier erstmals ein wenigstens ebenso streng zu ächtender Menschheitsverrat in den Blick:

Ex hoc nascitur, ut etiam communis hominum inter homines naturalis sit commendatio, ut oporteat hominem ab homine ob id ipsum, quod homo sit, non alienum49 videri. (E) Ut enim in membris alia sunt tamquam sibi nata, ut oculi, ut aures, alia etiam ceterorum membrorum usum adiuvant, ut crura, ut manus, sic inmanes quaedam bestiae sibi solum natae sunt. … Formicae, apes, ciconiae aliorum etiam causa quaedam faciunt. Multo haec coniunctius homines50. Itaque natura sumus apti ad coetus, concilia, civitates. (E)

Mundum autem censent51 regi numine deorum, eumque esse quasi communem urbem et civitatem hominum et deorum, et unum quemque nostrum eius mundi esse partem; ex quo illud natura consequi52, ut communem utilitatem nostrae53 anteponamus. Ut enim leges omnium salutem singulorum saluti anteponunt, sic vir bonus et sapiens et legibus parens et civilis officii non ignarus utilitati omnium plus quam unius alicuius aut suae consulit. Nec magis est vituperandus proditor patriae quam communis utilitatis aut salutis desertor propter suam utilitatem aut salutem. (E) Ex quo fit, ut laudandus is sit, qui mortem oppetat pro re publica, quod deceat cariorem nobis esse patriam quam nosmet ipsos. (E)
Nach uns der Weltenbrand“ 75

Im Anschluss an die vorige Stelle (74), in der der jüngere Cato neben dem Kapitalverbrechen des Landesverrats neu das nicht minder schwere eines Menschheitsverrats an den Pranger stellt, erstreckt der römische Stoiker die weltweite Verantwortlichkeit aller Menschen füreinander über den Kreis der Mitlebenden hinaus – frappierend aktuell – auch auf alle zukünftig lebenden Generationen:
Quoniamque illa vox inhumana et scelerata ducitur eorum, qui negant se recusare, quominus ipsis mortuis terrarum omnium deflagratio54 consequatur – quod vulgari quodam versu Graeco pronuntiari55 solet –, certe verum est etiam iis, qui aliquando futuri sint, esse propter ipsos consulendum.

Der „griechische Vers“, auf den Cato hier anspielt, ist anderswo mehrfach überliefert, als ein Geflügeltes Wort durchweg ohne Nennung eines Autors oder eines Sprechers. Es lautete, samt einem folgenden Vers: „Wenn ich gestorben bin, mag die Erde in Feuer aufgehen; das kümmert mich nicht; das Meine ist ja gut bestellt.“ Sueton berichtet, Nero habe dazu bemerkt: „Meinetwegen auch schon, solange ich noch lebe.“.
Ἐμοῦ θανόντος γαῖα μειχθήτω πυρί“ (E)

Den in der vorigen Stelle zitierten Vers aus einer unbekannten griechischen Tragödie verwendet Nero in seiner eher tendenziösen Vita Neronis:
Sed nec populo aut moenibus patriae pepercit56. Dicente quodam in sermone communi „Ἐμοῦ θανόντος γαῖα μειχθήτω πυρί“ „Immo“, inquit, „ἑμοῦ ζῶντος“, planeque ita fecit. Nam quasi offensus deformitate veterum aedificorum et angustiis flexurisque57 vicorum, incendit urbem tam palam, ut plerique consulares cubicularios58 eius cum stuppa59 taedaque

in praediis suis deprehensos non attigerint, et quaedam horrea circum Domum Auream60,

quorum spatium maxime desiderabat, ut bellicis machinis labefacta atque inflammata sint, 61 quod saxeo muro62 constructa erant.

Pax Romana, Pax Augusta 76

Am Ende des Unterweltbuches der „Aeneis“, genau in der Mitte des Epos, lässt Vergil den toten Anchises, den Vater des Aeneas, die Kulturleistung der Römer gegen die der Griechen abheben. Anichises erkennt den Griechen dort uneingeschränkt den Vorrang in den Bildenden Künsten, der Redekunst und den Wissenschaften zu, um darauf den Römern die Herrschaft über eine vollends unterworfene, geeinte und damit befriedete Welt zuzusprechen.

(E) excudent63 alii spirantia64 mollius aera 847

(credo equidem), vivos65 ducent66 de marmore vultus,

orabunt causas67 melius, caelique meatus68

describent radio69 et surgentia sidera dicent: (E) 850

tu regere imperio populos, Romane, memento

(hae tibi erunt artes70), pacique imponere71 morem,

parcere subiectis et debellare72 superbos.'


Die drei Verse sind zum Leitwort der Augusteischen auf versöhnende Milde und kriegerische Härte gegründeten Romidee geworden. Der Gegensatz von Milde und Härte korrespondiert mit den beiden mythischen Stammgöttern Roms, der Liebesgöttin Venus, der Mutter des Aeneas, und dem Kriegsgott Mars, dem Vater des Romulus, und zugleich mit der rückläufigen Lesung des Namens Roma als „Amor“ und dem griechischen Verständnis des Namens Rhóme als „Stärke“.

Schwerter zu Pflugscharen 77
Der 30. Jänner, der Tag der Weihung der Ara Pacis, des „Altars des Friedens“, im Jahre 9 v. Chr., wurde in Rom fortan als der Tag des „Augusteischen Friedens“ gefeiert. Zu diesem neuen Fest und dem seit alters gefeierten Saatfest kurz davor begrüßt Ovid in seinem poetischen Festkalender die Einkehr eines weltweiten, dauernden Friedens und die Wiederkehr des bäuerlichen Tagwerks von Aussaat und Ernte. Die Dankesbezeugung gilt dem jungen Germanicus, dem (Adoptiv-)Enkel des Augustus, und mit ihm dem Kaiserhaus:

Bella diu tenuere viros: erat aptior ensis 697

vomere73, cedebat taurus arator equo;

Sarcula74 cessabant, versique in pila75 ligones76,

factaque de rastri77 pondere cassis78 erat. 700

Gratia dis domuique tuae: religata catenis


     iampridem79 vestro sub pede Bella80 iacent.
Sub iuga bos veniat, sub terras semen aratas:
     Pax Cererem81 nutrit, Pacis alumna Ceres. 704
Frondibus Actiacis82 comptos redimita capillos83, 711
     Pax, ades et toto mitis in orbe mane!
Dum desint hostes, desit quoque causa triumphi:
     tu ducibus bello gloria maior eris.
Sola gerat miles, quibus arma coerceat, arma84, 715
     canteturque85 fera nil nisi pompa tuba.
Horreat Aeneadas86 et primus87 et ultimus orbis:
     si qua parum Romam terra timebat, amet. 718
Das letzte Distichon Vv. 717f spielt deutlich auf die Vergilische Formel “parcere subiectis et debellare superbos” an.

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