Warum ist das fiktive Kapital FIKTIV?
1. Was versteht Marx unter „fiktiv“?
„Repräsentanten nicht existierender Kapitale“(K3 S. 494)
„bloße Anweisungen auf Gold, die aber keine Selbstwerte sind“ (K3 S. 487)
„Ertrag, berechnet auf ein illusorisches Kapital“ (K3 S. 485)
2. „fiktiv“ – Synonyme: „gedacht“, „angeblich“, „scheinbar“
3. Marx entwickelt die Kategorie des fiktiven Kapitals im Zusammenhang mit der
Darstellung der Genesis von Zins, zinstragendem Kapital und Kredit. Für die
Bedeutung der Darlegungen zur Kategorie fiktives Kapital sollte als Bezugspunkt das
27. Kapitels von K3 betrachtet werden, wo Marx generell die Rolle und Charakter des
Kredits allgemein und der Aktiengesellschaften im Besonderen behandelt. Die Aktien
als fiktives Kapital „scheinen“ Privatkapital darzustellen, sind aber tatsächlich nur als
„Kapital direkt assoziierter Individuen“ (K3 S. 452) funktionsfähig. Die auf dieser
Grundlage geschaffenen Unternehmen bezeichnet Marx als „Privatproduktion ohne
die Kontrolle des Privateigentums“. (K3 S. 454)
Fiktives Kapital entsteht, so Marx, indem eine regelmäßig sich wiederholende
Einnahme handelbar gemacht wird. (K3 S. 484) Sie wird handelbar in Wertpapieren.
Die dieser Einnahme zugrunde liegende Bewegung von konstantem und variablem
Kapital ist nicht mehr sichtbar und wird auch vom Handel mit Wertpapieren nicht
berührt. Die Bewegung des fiktiven Kapitals ist so nur „scheinbar“ Bewegung des
fungierenden Unternehmenskapitals. Mehr noch: Das Recht auf diese Einnahme ist
nicht identisch mit der Verfügung über das fungierende konstante und variable
Kapital, wenigstens nicht für den einzelnen Wertpapierbesitzer. Der
Wertpapierbesitzer als Personifizierung des Kapitals wird als Unternehmer „gedacht“,
er ist es aber nicht. Das fungierende Kapital bewegt sich unabhängig vom Wertpapier
und vom einzelnen Wertpapierbesitzer, weil das Wertpapier eben nur das Recht auf
einen Anteil am Profit (also eine handelbaren wiederkehrenden Einnahme) darstellt,
nicht aber das Recht der Verfügung über einen Anteil am fungierenden Kapital (also
kein dem deklarierten Wert des Papiers entsprechendes Kommando über einen
entsprechenden Anteil der eingesetzten fremden Arbeit) gewährt. Der aufgedruckte
Wert selbst ist nur „illusorisch“ und stellt im Kern nicht die dargestellte Summe dar,
sondern einen Anteil an einem Gesamtkapital (Stammkapital), der die
Berechnungsbasis der Dividende bildet. Inwieweit die Summe der Anteile mit dem
tatsächlich fungierenden Kapital übereinstimmt, ist dafür nicht erheblich. Dieser
„Schein“ zeigt sich auch darin, dass der Wert der Papiere anderen Gesetzen folgt als
die Entwicklung des repräsentierten Kapitals. (K3 S. 483, S. 485 und S. 487) Das
Kapital ist weiter „scheinbar“, weil es in der Realität nicht Kommando über fremde
Lohnarbeit, was das Wesen des Kapitals ausmacht, darstellt. Es ist also „scheinbar“
Verfügung über das Kapital des Unternehmens, tatsächlich aber nur Anrecht auf
Anteile vom Profit.
Fiktiv ist fiktives Kapital weiter in dem Sinne, als dass sich meisten Kreditgeschäfte
durch andere Kreditgeschäfte gedeckt sind – das von der Bank als Kapital eingesetzte
Geld ist tatsächlich nur Anweisung auf anderes Geld. (K3 S. 488f.)
Das bedeutet, dass die Kategorie des fiktiven Kapitals nicht einfach als dingliche
Angelegenheit (etwa nur als Wertpapier) betrachtet werden kann, sondern im o.g.
Sinne als Qualität des Kapitalverhältnisses überhaupt, soweit es sich mit seiner
gesellschaftlichen Verallgemeinerung über Kreditbeziehungen realisiert. Insoweit
beschreibt die Kategorie eine neue Stufe der Entfaltung des inneren Widerspruches des
Kapitalverhältnisses. Marx dazu: „Mit der Entwicklung des zinstragenden Kapitals
und des Kreditsystems scheint sich alles Kapital zu verdoppeln und stellenweis zu
verdreifachen durch die verschiedne Weise, worin dasselbe Kapital oder auch nur die
dieselbe Schuldforderung in verschiednen Händen unter verschiednen Formen
erscheint.“ (K3 S. 488f.)
Aber: Mit Bezug auf das jeweilige Unternehmen ist das Kapital fiktiv. Nicht fiktiv ist
es nur als zinstragendes Kapital. (K3 S. 494) Hier ist es tatsächlich Kapital, der
Geldbesitzer hat es mit dem Ziel der Verwertung eingesetzt und es hat sich schließlich
als sich selbst verwertender Wert bestätigt.