Zeugen des gegenwärtigen Gottes Band 038 D. Walter Michaelis Nachlese aus fünfzigjährigem Dienst auf dem Acker des Evangeliums



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D. Walter Michaelis

hat in jahrzehntelangem, gesegnetem Dienst als Gemeindepfarrer, Missionsinspektor, freier Evangelist, Dozent an der theologischen Schule inBethel und als Vorsitzender des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes eine reiche Erfahrung sammeln dürfen. Sein Lebensweg hat ihn mit vielen bedeutenden Persönlichkeiten zusammengeführt. Als Vertreter eines echten biblischen Pietismus, gepaart mit theologischem Weitblick und kirchlichem Verantwortungsgefühl, hat er an der Gestaltung und Entwicklung der Gemeinschaftsbewegung entscheidenden Anteil gehabt und sich um ein positives Verhältnis von Kirche und Gemeinschaft gemüht. Bereits vor Jahren legte Michaelis seine „Erkenntnisse und Erfahrungen aus fünfzigjährigem Dienst am Evangelium“ schriftlich nieder. Die vorliegende „Nachlese“ stellt keinen Auszug aus jenem Werk, sondern, bei nur vereinzelten unvermeidlichen Überschneidungen, etwas völlig Neues dar. Dabei läßt uns der Verfasser auch in sein persönliches Erleben und Begegnen in Dienst und Familie sowie in seine seelsorgerliche Tätigkeit hineinschauen. Über allem Erzählten liegt die Abgeklärtheit eines reifen und sich vollendenden Lebens.



Achtunddreißigster Band der Sammlung
Zeugen des gegenwärtigen Gottes


Es erschienen bis jetzt:


Band

1

Bodelschwingh

tt

2

Pastor Dr. Wilhelm Busch

ff

3

Johann Christoph Blumhardt

ft

4

Carl Hilty

ft

5

Samuel Keller

ft

6

Baronin Wurmb von Zink

ft

7/8

Matthias Claudius

ft

9/10

Mathilda Wrede

ft

11

Heinrich Jung-Stilling

ft

12/13

Paul Gerhardt

ft

14

Johann Sebastian Bach

ft

15

Schwester Eva von Tiele-Winckler

ft

16/17

D. Otto Funcke

ft

18/19

Toyohiko Kagawa

ft

20

Curt von Knobelsdorff

ft

21

Henriette Freifrau von Seckendorff

ft

22/23

Jakob Gerhard Engels

ft

24

Elias Schrenk

ft

25/26

Markus Hauser

ft

27/28

Ludwig Richter

ff

29/30

Ludwig Hofacker

ft

31/32

Gräfin Waldersee, Tante Hanna, Mutter Fischbach

>1

33/34

Johann Friedrich Oberlin

»»

35/36

Franziskus von Assisi

ft

37

Charles Haddon Spurgeon

ft

38

D. Walter Michaelis



39

Pestalozzi

Die Reihe wird fortgesetzt



D. Walter Michaelis

Nachlese von jahrzehntelangem Dienst
auf dem Acker des Evangeliums






BRUNNEN-VERLAG GIESSEN-BASEL

INHALTSVERZEICHNIS

Seite


D. Walter Michaelis 4

D. Walter Michaelis 6



II.Schule und Universität 11

IV.Verlobung und Ehe 22

VII.In Zusammenarbeit mit Bodelschwingh Vater und Sohn 37

VIII.Meine Verbindung mit der Gemeinschaftsbewegung 43

X.Die Ravensberger und Siegerländer Erweckungsbewegung 57

XI.Ich und mein Bruder Esel 63

XII.In einer Segensstätte am Zürichsee 69

XIII.Zum Beschluß 75

CXXII.Bad Boll durch dreihunderlfünfzig


Jahre (1595-1945)
und beide Blumhardi (1805-1919) 79

CXXVIII.Ein Baumeister am Tempel Gottes 79





  1. Copyright by Brunnen-Verlag Gießen 1952
    1.—7. Tausend
    Printed in Germany


  2. Druck der Brühlschen Universitätsdruckerei, Gießen



  3. Vorwort

  4. Im Jahre 1939 gab ich ein Buch heraus „Erkenntnisse und Erfahrungen aus fünfzigjährigem Dienst am Evangelium“. Es enthielt die Schilderung meiner Lebensarbeit. Das vorliegende Buch ist eine Art Ergänzung des vorigen und trägt vielfach mehr persönlichen Charakter. Es wird unvermeidlich sein, daß einiges in diesem neuen Buch Gesagte sich überschneidet mit dem in dem genannten Werk Geschilderten; aber es wird genug des Neuen bringen. Und ich hoffe, daß in den kurzen Abschnitten ein Körnchen Salz und die Möglichkeit einer Segnung für den Leser liege. Das ist meine Bitte zu Gott.

  5. D. W. Michaelis







  1. Die Familie

  1. Auf dem Weizacker im Kreise Pyritz liegt ein schönes Bauerngut, mit dem das Frei- und Lehnschulzengericht verbunden war. Damit wurde im Jahre 1609 mein Vorfahr Joachim Michaelis betraut. Das Gut blieb über 300 Jahre im Besitz der Familie. Der letzte Michaelis vererbte es einer Tochter, die einen Gutsbesitzer heiratete und das elterliche Erbe verkaufte. So kam das Gut aus den Händen der Familie. Die Familie hatte sich schon lange zuvor in einen pommerschen und einen neumärkisch-schlesischen Zweig geteilt. Diesem entsproß eine bedeutende Persönlichkeit: Friedrich Gottlieb, geb. 1727. Friedrich der Große machte ihn zu seinem Minister für das Finanz- und Postwesen, er war der einzige bürgerliche Minister unter Friedrich II., die rechte Hand des großen Königs bei seinen weitausschauenden Plänen der Kolonisation und Urbarmachung. Er starb schon 1781. Der König schrieb auf die Todesanzeige: „ist sehr schade“. Ein rastloser Arbeiter, hatte er seine Kräfte frühzeitig verzehrt.

  2. Ein Zweig der Familie Michaelis wurde also nach Schlesien verpflanzt. Dem schlesischen Zweig der Familie entstammen meine direkten Vorfahren. Mein Urgroßvater war Hof- und Kriminalrat zu Glogau, der Großvater ebendaselbst Oberlandesgerichtsrat. Mein Vater war auch Jurist und wurde wegen seiner hervorragenden Fähigkeiten (für die damalige Zeit) frühzeitig Rat am obersten Gericht der Provinz Brandenburg. Er war vermählt mit der Tochter eines Geschlechts von altem, schlesischen Adel, Henriette von Tschirschky- Bögendorff (aus dem Hause Peucke). Ihr Vater hat eine überaus merkwürdige Lebensgeschichte gehabt.- Als Leutnant bei den Gardehusaren in Potsdam bekehrte er sich zu Gott aus einem ganz weltlichen Leben. Die entstehenden Konflikte führten zu seiner Verabschiedung. Die letzte Zeit seines Lebens verlief daher sehr eigentümlich. Eifer für Jesus verzehrte ihn. Der Konflikt mit den Behörden brachte ihn ins Gefängnis, wo er nach zwei Wochen starb. Ich zeichne dies Leben nur in diesen kurzen Strichen, weil es ausführlicher schon in vier Büchern zu lesen ist: in meinem oben erwähnten Buch — in dem Buch meines Bruders Georg „Für Staat und Volk“ — und in dem Buch von Langewiesche „Heimat und Jugend“, dessen Großvater als Arzt sich des Gefangenen angenommen hat, und von Prof. Fabricius. Carl von Tschirschky starb vor Geburt seiner Tochter Henriette. Aber seine Frau war ihm ebenbürtig. Ihre Tochter wurde im Glauben erzogen.

  3. Die Ehe meiner Eltern war eine sehr glückliche, währte aber nur 12 Jahre. Sie war mit sieben Kindern gesegnet, 5 Söhnen und 2 Töchtern. Ich als Jüngster wurde 1866 geboren. Das war das Jahr, wo während des preußisch-österreichischen Krieges in Böhmen die Cholera ausbrach, deren Ansteckungskeime dem Fluß der Oder folgten. Wir lebten in Frankfurt. Der Vater fragte den Arzt, ob Baden im Fluß gefährlich sei. Er verneinte es, man wußte damals von den Zusammenhängen noch nichts. Der Vater ging in der Morgenfrühe baden, leitete danach eine Gerichtssitzung, fühlte sich schlecht, als er heimkam, legte sich und war nach acht Stunden tot. Er hinterließ die Witwe 3 3jährig mit sieben Kindern von 111/i Jahren. Doch sie war eine betende Witwe. Die Witwen-Pension auch eines höheren Richters war bescheiden. Aber güdge Freunde halfen. Und die Mutter erlebte manche wunderbare Hilfe. Kurz vor seinem Tode, ohne eine Ahnung von dessen Nähe, hatte unser Vater zu ihr gesagt: Soll ich monatlich etwas auf die Sparkasse tun oder mich in eine Lebensversicherung einkaufen ? Bei seiner großen Arbeitskraft konnte er nämlich neben seinem Richteramt noch zwei Nebenämter verwalten, so daß seine Einnahmen hoch waren. Ohne besonderes Besinnen entschied sich die Mutter für die Lebensversicherung. Ich glaube, die Prämie war nur einmal bezahlt, da starb der Vater und der Mutter fiel ein Kapital zu, von dem drei ihrer Söhne später studieren konnten: der eine, der spätere Reichskanzler, Jura, ein anderer, am Schluß seiner Laufbahn Mitglied des Provinzialschulkollegiums für Berlin und Brandenburg, Herausgeber lange gebrauchter Schulbücher, Philologie, und ich Theologie. Mein ältester Bruder wurde Infanterieoffizier und ist als General gestorben, ein anderer Marineoffizier, er ist in jungen Jahren auf einer Auslandsreise einer schweren Krankheit erlegen. Die Töchter heirateten und wurden Mütter kinderreicher Familien. Als unsere Mutter starb, schrieb ein Verwandter: Die Namen, die unter der Todesanzeige stehen, sind das Denkmal, das ihr gesetzt ist. — Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt I Das Andenken der Gerechten bleibt in Segen.

  1. Schule und Universität

  1. Ich besuchte in Frankfurt an der Oder von Sexta bis Oberprima das staatliche Friedrich-Gymnasium, dem eine dreiklassige Vorschule angegliedert war. Ich durchlief die Schule ohne Aufenthalt bis zum Abitur. Ich erinnere mich nicht, daß sie mir außer dem zum Abitur nötigen Wissen innere Werte vermittelt hätte.

  2. Warum habe ich eigentlich mich für das Theologiestudium entschlossen ? Ich muß es offen sagen: ich weiß es nicht. Es begab sich einfach so. Weder besondere Erwägungen oder Vorliebe noch Glaubensimpulse waren die Ursachen. Sicherlich haben die Gebete meiner Mutter dahinter gestanden, für die ich ja, nachdem die älteren Brüder ihren Beruf erwählt hatten, der letzte war, durch den sich ihre Hoffnung, ein Sohn möchte Theologe werden, erfüllen konnte. Aber sie hat mich nie irgendwie zu beeinflussen gesucht oder mir zugeredet. Es blieb für sie eine Sache zwischen Gott und ihr. Man kann von besonders entschiedenen Christen die Forderung aufgestellt hören, es solle kein Unbekehrter zum Studium der Theologie zugelassen werden. Erstens ist die Feststellung dieser Tatsache ein zartes Ding. Zweitens liegt auch darin noch nicht Gewähr eines gesegneten Fortganges. Vor allem aber lehrt mich mein Beispiel, daß man ohne Kenntnis und Erfahrung von dem, was Bekehrung und Wiedergeburt ist, studieren und Pastor werden und dann von Gott mit dieser Erkenntnis erst im Amt begnadet werden kann. So ist es mit sehr vielen

  3. Pastoren gegangen. Gottes Führung hat schon manchen auf diese Laufbahn gebracht, dessen dereinst gesegnete Tätigkeit schon vor Seinen allwissenden Augen stand. Jedenfalls weiß ich, der ich ohne klare Impulse in das Studium eintrat, daß es der mir von Gott gegebene Beruf war und ich ihm nicht genug dafür danken kann, daß er mich hineinführte.

  4. So bezog ich dann nach Erledigung des Abiturs 181/2 Jahre alt die Universität Halle, an der ich mein erstes Semester verbrachte. In Halle lehrte Martin Käliler. Aber ich war zu jung und unreif, um seine Tiefe zu fassen, wenngleich seine Persönlichkeit mir höchst eindrucksvoll war. In Leipzig, wo ich die nächsten drei Semester zubrachte, lebte noch das Dreigestirn: Luthardt (Dogmatik), Delitzsch (Altes Testament), Kahnis (Kirchengeschichte). Dieser Kirchenhistoriker las zum letztenmal als ein schon sehr gealterter Mann und machte leider schon mehr den Eindruck eines Mummelgreises. Entscheidende Eindrücke nahm ich von Leipzig nicht mit. Gottes Stunde hatte noch nicht geschlagen. Das darauf folgende Wintersemester galt der Reichshauptstadt. Hier hatte ich von vornherein den Plan, in der Hauptsache meinen Gesichtskreis zu erweitern durch Teilnahme an allem, was Berlin in mannigfacher Hinsicht bot. Den Schluß machte Greifswald. Hier traf ich den Mann, der mich am tiefsten beeindruckt hat, Hermann Cremer, den Herausgeber des biblisch-theologischen Wörterbuches, welches damals ein Standardwerk war. Zunächst staunte ich die Arbeitskraft dieses Mannes an. Er war erstens ordentlicher Professor, zweitens Pfarrer der großen Mariengemeinde, drittens Mitglied des Konsistoriums und Berater des preußischen Kultusministers für Besetzung der theologischen Lehrstühle. Und als der alttestamentliche Kollege für ein ganzes Semester erkrankte, sprang er sofort mit einer Psalmenvorlesung ein. Auch in seinen Vorlesungen konnte er die Studenten mit großem Ernst ansprechen. Das Bedeutendste waren aber für mich seine sonntäglichen Predigten in der Marienkirche. Sie waren zunächst von einer für einen akademischen Lehrer bemerkenswerten Einfachheit. Zum andern war stets Christus die Mitte. Und dann schonte er uns Studenten wahrlich nicht. Ich besinne mich, wie er einmal mit großem Ernst in die Kirche hinein rief: „Ihr Studenten, seid Ihr für die Umgebung von Greifswald ein Segen oder ein Unsegen?“ Da hat wohl mancher Student wegen Kneipereien und unschön verlaufenden Tanzveranstaltungen auf den Dörfern ringsum sein Haupt gesenkt. Aber zur lebendigen Glaubensverbindung mit Gott und Seinem Sohne half mir auch dieser bedeutende Theologe und Prediger nicht.

  1. Erste Jahre im Amt

  1. Im Herbst 1888 machte ich vor dem Berliner Konsistorium das erste theologische Examen. Aber was nun ? Das Kirchenregiment ließ damals den Kandidaten seinen weiteren Weg selber suchen. Ein alter Freund unseres Hauses, ein frommer Jurist, wies mich mit einem Gruß von sich an Generalsuperintendent Braun, den früheren, so geliebten Pfarrer am Evangelischen Gymnasium in Gütersloh. Braun riet zum Lehrvikariat. Diese Einrichtung, statt in einem Predigerseminar bei einem Pfarrer ein Jahr lang lernend tätig zu sein, war gerade damals von der Ev. Kirche in Preußen eingerichtet worden. So schickte mich Braun zu dem betreffenden Referenten im Konsistorium. Und nach wenigen Tagen erhielt ich den Auftrag, mich gleich bei dem Superintendenten Vorberg in Schöneberg bei Berlin als Lehrvikar zu melden. Die Schöneberger Pfarrstelle hatte damals mehrere Eigentümlichkeiten an sich. Zunächst die Kinderzahl des Pfarrherrn: 5 Söhne und 5 Töchter, die beiden ältesten schon in erwachsenem Alter. Dann hinter dem Pfarrhaus ein schöner, großer Park, wirklich ein Park, mit hohen Bäumen — und das in Berlin —, und endlich bezog noch der Vorgänger meines Superintendenten ein unvorstellbar großes Gehalt! Schöneberg war einst ein Dorf, eine Stunde vor dem Potsdamer Tore Berlins. Jetzt streckte das schnell wachsende Berlin seine Arme nach den Äckern aus, die meist aus dürrem märkischem Sand bestanden. Die Preise schnellten in unsinniger Weise in die Höhe. Auch Stücke des Pfarrackers wurden verkauft. Die Nutzung des Erlöses stand rechtlich dem Pfarrer zu. So betrug sein Gehalt 27000 M. Seinem Nachfolger (Vorberg) wurde es, wie sich gebührt, auf ein Bruchteil herabgesetzt.

  2. Sup. Vorberg war eine stattliche Gestalt, groß und breit. Im Knopfloch hing das Eiserne Kreuz, das er als Militärpfarrer im Kriege 70/71 erhalten hatte. Er hatte Beziehungen zum Hause Bismarck und war künstlerisch und literarisch interessiert. Regelmäßig besuchte er das Atelier eines bedeutenden Berliner Künstlers, um unter dessen Anleitung zu malen. Für die Kreuzzeitung war er Rezensent für die schöne Literatur. Er war ein begabter Redner. Gegen mich war er väterlich und gütig. Und ich war viel in der Familie (ich hatte schräg über die Straße mein eigenes Zimmer). Zeit widmete er mir nicht, etwa zu gemeinsamer Lektüre eines theologischen Werkes. Aber er nahm mich stets, wo es angängig war, mit in Sitzungen, kirchliche Vereinigungen usw., so daß ich Neues sah und lernte.

  3. Sup. Vorberg hatte sehr den Wunsch, mein Vikariat möchte um ein zweites Jahr verlängert werden. Die Kirchenbehörde lehnte es ab. Da versuchte er einen anderen Weg, zum Ziele zu kommen. Er wartete einige Monate, bis ich mein 2. Examen gemacht hatte. Und während der beiden Tage, in denen ich im Examen schwitzte, erreichte er auf einem Rundgang bei den Kirchenältesten durch den Einsatz seiner starken Persönlichkeit, daß sie die Gründung einer Hilfspredigerstelle beschlossen, die es bis dahin in der Gemeinde noch • nicht gab. Das Konsistorium genehmigte es. Und da wenige Tage danach eine Ordination mehrerer Kandidaten vorgesehen war, wurde ich ihnen zugesellt und in der Domstiftskapelle durch Oberhofprediger und Generalsuperintendent Kögel ordiniert. Bei der Schnelligkeit, mit der das alles ging, hatte man übersehen, daß ich noch nicht das kanonische Alter für die Ordination besaß, nämlich 25 Jahre. Ich war erst in jenen Tagen 24 geworden. Nun, das ließ sich aufheben durch eine nachträgliche Ausnahmegenehmigung. Aber von einer ganz anderen Seite kam ein unerwartetes Hindernis. Einige Mitglieder der größeren Gemeindevertretung bewogen, wobei wohl persönliche Intrigen mitspielten, die anderen Mitglieder dieser Körperschaft, Einspruch gegen die Begründung einer Hilfspredigerstelle zu erheben, da sie an dem Beschlüsse hätten beteiligt werden müssen. Das Konsistorium gab ihnen recht. Und so erhielt ich in bürokratischem Stil ohne Begründung die Mitteilung: „Sie haben sich jeder Amtshandlung in der Gemeinde Schöneberg zu enthalten“, was fast so klang, als hätte ich silberne Löffel gestohlen. So wanderte ich also bei jedem Ausgang auf den Straßen Schönebergs als ein von der Stelle entsetzter Hilfsprediger, was nicht angenehm war. Aber das Konsistorium entschädigte mich bald. Es gab mir die Hilfspredigerstelle auf dem Gesundbrunnen, die durch die dortigen Umstände von besonderer Art war. Der Gesundbrunnen bildete damals gegen Pankow hin das Ende von Berlin. Einige Straßen nahmen allmählich einen ländlichen Charakter an und verloren sich in Wiesen und Kiefernwäldern. Aber die Gemeinde betrug 30000 Selen. Und dafür gab es nur einen Pfarrer und einen Hilfsprediger. Der Pfarrer, aus dem Rheinland nach Berlin gewählt, war ein ausgesprochen liberaler Theologe und außerdem etwas trocken in der Predigt. Dem entsprach der Kirchenbesuch. Aber er war ein wirklich liberaler Mann und behandelte mich nicht, wie viele Hilfsprediger in Berlin behandelt wurden, indem sie nämlich das machen mußten, was der Pfarrer nicht machen wollte, sondern er sagte zu mir: Sie haben einen ganz selbständigen Bezirk, und wir wechseln regelmäßig in den Gottesdiensten. Auch sonst hat er mir trotz unserer verschiedenen theologischen Stellung viel Freundlichkeit erwiesen. So hatte ich mein erstes Amt und arbeitete unbekümmert um die Probleme, die sich in der Gemeindefrage für eine so große Gemeinde ergaben, frisch darauf los.

  4. In diese Zeit fiel ein Ereignis, das ich zwar schon in „Erkenntnisse und Erfahrungen“ geschildert habe, das aber für mein persönliches Leben von solcher Wichtigkeit war, daß es hier nicht fehlen darf: die viva vox evangelii (die lebendige Stimme des Evangeliums) traf mein Herz, und ich wurde ein neuer Mensch und Prediger. In meinem erwähnten Buche habe ich darüber berichtet:

  5. Um jene Zeit machte ein im Druck erschienener Vortrag Aufsehen, den der Generalsuperintendent Braun in Berlin unter dem Titel „Die Bekehrung der Pastoren und deren Bedeutung für ihre Amtswirksamkeit“ gehalten hatte. Auch ich las ihn. Ich kam an die Stelle, wo Braun von einer rein psychischen Virtuosität, das Leben aus Gott aufzufassen und sich in dasselbe hineinzuempfinden, spricht. Diese Fähigkeit, sagt er, ist jetzt weitverbreitet, nämlich sich für . . . Kanzelzwecke ... in Empfindungen der Buße, des Glaubens und der Liebe zu versetzen. Vorher hatte er von dem Gespräch mit einem Bauern seiner westfälischen Heimat geredet, dessen Gemeinde Jahrzehnte von einem Pfarrer „gequält“ worden sei. Auf die Frage: habt ihr nicht für ihn gebetet, hatte der Bauer geantwortet: wohl; aber die Bekehrung von

  6. Pastoren, die schon lange im Amt sind, ist eine sehr schwere Sache. Braun erklärte nun in seiner erwähnten Schrift diesen Ausspruch damit, daß mit dem soeben geschilderten Mißbrauch des Heiligen ein geheimes Gericht der Verstockung angehe. — An diesen Worten von der psychischen Virtuosität, vom Anempfinden, wurde mir klar, so steht es bei mir. Ich erschrak vor der Möglichkeit, dem Gericht einer geheimen Verstockung anheimzufallen. Sicherlich, ich hatte in ehrlicher Überzeugung gepredigt, ich hatte stets Gott um seinen Beistand gebeten, oft aus der Not heraus dringend, ich war vom Bibelwort ausgegangen. Aber zumal in der Anwendung, da war ich jener gefährlichen „Virtuosität“ anheimgefallen. Und so hatte ich oft geredet wie einer, der an den Heilsgütern des Evangeliums wer weiß wie viele Erfahrungen gemacht hatte und darin nun lebte — ganz recht; aber nur — so könnte man vergleichsweise sagen — in einem dichterischen Mitfühlen und Anempfinden von vielem, was man ja in seinem Leben in christlicher Beziehung schon gehört und gelesen hatte. Das trug man in ehrlicher Überzeugung vor wie sein echtes Eigenes, und vieles war doch, recht verstanden, Schein. Kein Prediger der heutigen Zeit unterschätze diese Gefahr, weil er meint, sie hänge mit dem Individualismus und Psychologismus einer überwundenen Zeit zusammen. Besteht nicht für jeden Prediger die Gefahr, daß er, was nur seine Erkenntnis erfaßt hat und sein Wille bejaht, vorträgt, vielleicht mit viel Wärme des Herzens, nur daß er entweder noch nie durch lebendig gewordenes Wort erleuchtet ward oder daß er ohne dies Licht


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