Sommer 2005
Gemeinschaft Junges Ermland
C
de als ich. Dem war leider nicht wirklich
so. Hanna verstand leider auch nicht
wesentlich mehr als ich, hatte aber min-
destens genauso viel Spaß. „Aaaahhh,
vielleicht wollen die wissen, woher wir
kommen. Oder warum wir hier sind.“
„Wo? Hier in der Ukraine, in Rivne oder
bei den zwei Gänsen?“ Weil die Gestik
auf beiden Seiten des Kiosks doch nicht
so international war wie angenommen,
nahmen wir irgendwann Papier und
Stift zur Hand. Wir erzählten, zeigten,
veranschaulichten, rieten um die Wette,
spielten Szenen vor, malten, erklärten,
verzweifelten und lachten.
Unser „Gespräch“ dauerte immerhin
über eine halbe Stunde. Währenddes-
sen wurde der Stift hin und her gereicht.
Wir „redeten“ über unser Projekt, dar-
über, dass wir erst mit dem Flugzeug
nach Warschau und dann weiter mit
dem Bus erst nach Lemberg und dann
nach Rivne gekommen waren. Wir „er-
zählten“, dass wir eine deutsch-pol-
nisch-ukrainische Gruppe waren und in
dem Hotel „MUP“ wohnten. Wir „wur-
den gefragt“ wie uns die ukrainischen
Männer so gefallen und „berichteten“
von den polnischen und deutschen
Jungs in unserer Gruppe, vor allem vom
Franken. Sie „erzählten“ uns von einem
Ort, an dem man gut feiern kann und lu-
den unsere Gruppe ein, einen Abend
mit ihnen zu verbringen.
Irgendwann malte Hanna Natalia auf
und zwar deshalb, weil Natalia aus der
Allensteiner Ukrainischen Minderheit
kommt und perfekt Ukrainisch spricht,
so dass wir alles weitere später klären
könnten. Schließlich fehlten wir schon
fast zwei Stunden bei der Projektarbeit.
Während des „Gesprächs“ entstand
ein DIN A4-Bild, dass jetzt bei mir zu Hau-
se auf dem Schreibtisch liegt und darauf
wartet, von neugierigen völkerverständi-
gungsinteressierten Ermis bestaunt zu
werden. Interessant wäre es natürlich zu
wissen, ob die anderen beiden sich mit
Hanna und mir über das gleiche „unter-
halten" haben, wie wir mit ihnen. Wir
sind einfach davon ausgegangen... Fest-
zuhalten bleibt auf jeden Fall das Phäno-
men, dass ein Gespräch so lange dauern
kann und so viel Spaß macht, auch wenn
die eine Seite nur Ukrainisch und Rus-
sisch, und die andere Seite alles andere
(Deutsch, Englisch, Französisch, Spa-
nisch, Latein, Griechisch und Hebräisch)
spricht. Eine Erfahrung, die ich nie ver-
gessen werde. Ich freue mich schon rie-
sig auf die nächste Ukraine-Fahrt mit der
Aktion West-Ost.
Alexandra Hinz
„Stimmt, so ein Mist. Die arbeiten
schon alle wieder an der CD weiter .
Und wir?“
„Wir trinken Bier!“
„Ja. Aber ich kann das jetzt auch nicht
schnell austrinken. Dann bin ich heute
Nachmittag zu gar nichts mehr fähig und
das hilft unserer CD auch nicht weiter.“
„Stimmt. Und übersetzen können wir
eh nicht.“
Hanna spricht zwar schon immer bes-
ser polnisch, aber zum Übersetzen hät-
te es wohl noch nicht ganz gereicht. Von
unseren Ukrainisch-Kenntnissen ganz
zu schweigen. So plauderten wir noch
ein bisschen - Hanna und ich haben uns
immer sehr viel zu erzählen - bis unsere
Gläser schließlich leer waren.
„Hanna, guck mal! Ich habe mir heu-
te Morgen nach dem orthodoxen Got-
tesdienst ukrainische Zigaretten auf
dem Markt gekauft. Wollen wir die nicht
noch in Ruhe draußen probieren?“
„Also, ich nicht, aber ich warte gerne
mit dir. Wir können uns ja draußen auf
die Mauer in die Sonne setzen.“
Gesagt getan. Auf der Mauer musste
ich allerdings feststellen, dass mir das
Elementarste für mein Vorhaben fehlte.
„O nein! Ich hab gar kein Feuerzeug!"
„Hm, dann geh doch mal zu dem
Kiosk dort und frag die nach Feuer. Die
haben bestimmt welches.“ „Okay, ich bin
auch sofort wieder da!“ Daraus wurde
nichts. Die nächste drei viertel Stunde
sollte ich nicht zur Mauer zurückkehren.
Ich lief also zum Kiosk, der zu dem Re-
staurant gehörte und fragte das Mädchen
und den Jungen, die dort arbeiteten
nach Feuer. Sie waren etwa in meinem
Alter. Auf Ukrainisch sagte ich „Entschul-
digung“, und auf Polnisch „habt ihr Feu-
er?“ Das „Entschuldigung" hatten sie viel-
leicht verstanden, aber Polnisch spra-
chen sie nicht. Englisch, Französisch und
Spanisch auch nicht und Deutsch schon
gar nicht. Meine Gestik schien zum
Glück jedoch international zu sein und
ich bekam eine Schachtel Streichhölzer
gereicht. Ich bedankte mich auf Ukrai-
nisch und versuchte ihnen „Streichhöl-
zer“ auf Polnisch beizubringen. Warum,
weiß ich auch nicht mehr.
„To są zapałki!“ Sie verstanden nicht,
was ich wollte, waren aber sofort begei-
stert von der Konversation und ver-
suchten mich irgendetwas auf Ukrai-
nisch zu fragen. Jetzt verstand ich über-
haupt nichts. Nach zehn Minuten rief
ich schließlich nach der sich auf der
Mauer sonnenden Hanna, in der Hoff-
nung, dass sie vielleicht durch ihre Pol-
nisch-Kenntnisse mehr verstehen wür-
Sprechen S
Sie U
Ukrainisch?
Nein? Hanna und ich leider auch
nicht. Macht aber nichts. Dann ist die
Geschichte umso lustiger. Denn das,
was uns den einen Nachmittag in Riv-
ne passiert ist, hätte jedem passieren
können, der mit der Aktion West-Ost
Länder bereist, deren Sprache er oder
sie nicht mächtig ist.
Anfang Mai sind neun Leute aus
Deutschland (darunter auch Hanna
und meine Wenigkeit) mit dem Flug-
zeug aus Köln nach Warschau geflo-
gen. Dort trafen wir elf Allensteiner Er-
mis, die zum Teil schon eine Woche
Italien hinter sich hatten, und fuhren
gemeinsam in einem abenteuerlichen
Bus über noch abenteuerlichere Stra-
ßen nach Lemberg in die Ukraine.
Anlass war das Zeitzeugenprojekt
der Aktion West-Ost, organisiert von
Karin Ziaja. Wir hatten bereits schon
ein Wochenende in Düsseldorf für die
deutschen Teilnehmer und eins in Al-
lenstein für die polnischen Teilnehmer
hinter uns, an denen wir jeweils Zeit-
zeugen aus dem 2. Weltkrieg u. a. zum
Erleben des 8. bzw. 9. Mai 1945 inter-
viewt hatten. Unter den Zeitzeugen wa-
ren Angehörige der Ukrainischen Min-
derheit, die durch die Aktion Weichsel
nach Allenstein umgesiedelt worden
waren, Angehörige der Deutschen
Minderheit, Polen, Deutsche, die den
Bombenhagel in Düsseldorf miterlebt
hatten und deutsche Vertriebene.
Nun wollten wir erfahren, wie die
Ukrainer den 9. Mai 1945 damals erlebt
hatten und was ihnen dieser Tag heute
noch bedeutet. Zudem arbeiteten wir
Tag und Nacht an dem Erstellen einer
CD, auf der alle Zeitzeugengespräche
zu hören sein werden. Es ist gar nicht
so einfach, in drei Richtungen zu über-
setzen. Aber nicht mehr lange und un-
ser Projekt wird erfolgreich zum Ab-
schluss kommen, so dass die CD in na-
her Zukunft käuflich zu erwerben sein
wird. An dieser Stelle ein großes Lob
an Karin Ziaja, die wohl am meisten
Arbeit mit der CD hat.
Ich könnte noch viel erzählen über
unseren Tag in Lemberg, unseren neun-
tägigen Aufenthalt in Rivne, ukrainische
Nationalgetränke, von denen man mit
100g auf gefallene Soldaten anstößt, von
Besichtigungen des Luftschutzbunkers
in Düsseldorf, Plätzen, an denen Mas-
senerschießungen von Juden stattge-
funden haben, Soldatenfriedhöfen, Aus-
stellungen, Museen, Debattierclubs, un-
terirdischen Galerien, orthodoxen Kir-
chen und vielem mehr und schließlich
von der Parade am 9. Mai.
Das alles würde allerdings unsere vier
Seiten GJE-Beilage sprengen. Und so
möchte ich mich auf den bereits ange-
deuteten Nachmittag in Rivne beschrän-
ken. Mir ist dieser Nachmittag besonders
wichtig, weil er viel mit dem zu tun hat,
was sich die GJE als eines ihrer obersten
Ziele gesetzt hat: Völkerverständigung.
Es ist tatsächlich so, dass man sich
sehr gut versteht, auch wenn man sich
nicht versteht. Soll heißen, man kann
sich auch über Sprachbarrieren hin-
aus anfreunden. Viel mehr muss dazu
vielleicht gar nicht gesagt werden. Ver-
folgt den Text einfach aufmerksam und
bekommt Lust auf Projekte mit der Ak-
tion West-Ost.
Sonntag, 8. Mai, bei den „zwei Gän-
sen“ irgendwo in Rivne.
Zum Geschehen: Jeden Tag fanden
wir uns zum Mittagessen (und meist
auch zum Abendbrot) bei den „zwei
Gänsen“ ein, ein kleines Restaurant
mit Mensaflair und ukrainischen Köst-
lichkeiten. Gelegentlich tranken wir
auch ein Glas Bier, wenn es die Zeit,
unser striktes Programm und unsere
Projektarbeit zuließen.
„O nein, Hanna, guck mal! Die ande-
ren sind ja schon alle weg!“
Wir saßen plötzlich nur noch zu
zweit dort, wo eben noch alle gegessen
hatten. Vor uns zwei halb volle Gläser
ukrainisches Bier.
Marienburgtagung a
an d
der M
Mosel
32°C, Sonnenschein und 17 junge, gut
gelaunte Menschen auf einer Burg an
der Mosel, was könnte das anderes sein,
als eines der berühmt-berüchtigten Er-
mi-Wochenenden auf der Marienburg?
So kam es, dass sich am Freitagnach-
mittag fünf einsame, weithergereiste
Heldenbergener auf der Marienburg
einfanden, um ein Wochenende mit den
Ermis dort zu verbringen. Als dann im
Laufe des Abends auch noch die restli-
chen Teilnehmer eintrafen, genossen
wir das köstliche Buffet im Clubraum.
Nach dem Abendessen stellte Felix je-
doch verwundert fest, dass das Abend-
essen zu früh stattgefunden hatte. Wor-
aufhin Dominik bestürzt erkannte, dass
es sich bei dem Buffet bereits um unser
Abendessen gehandelt hatte: „Ach, das
war jetzt schon das Buffet?!?!“ Als dann
aber auch dieser Programmpunkt been-
det war, ließen wir den Abend bei Spiel
und Spaß gemütlich ausklingen.
Am nächsten Morgen weckten uns
die Tagungsleiter mit lieblicher Stimme
und den freundlichen Worten und dem
Aufruf, zum Frühstück zu kommen. So
bewältigte jeder die vielen Treppenstu-
fen (O-Ton Felix ;)) hinunter zum Spei-
sesaal, wo wir ein erstes Frühstück zu
uns nahmen.
Mehr oder weniger pünktlich tum-
melten sich dann die Ermifische im
Aquarium ein (Tagungsraum) zu Be-
ginn der Thematik: „Genussmittel -
Suchtmittel“. Dort lauschten wir ge-
spannt der Lebensgeschichte unseres
Referenten Torsten. Die einzelnen Sta-
tionen seines Lebens waren sehr inter-
essant, auch insofern, da er sehr offen
mit persönlichen Erfahrungen und Ge-
fühlen umging und zudem seine Aus-
führungen teilweise durch diverse Be-
merkungen aufwertete: „Heroin light -
jeder Schuss ein Treffer“, als Antwort
auf eine Frage nach Werbung für Alko-
hol und Drogen.
Die Mittagspause verlebten wir ent-
weder liegend in der Sonne, sitzend auf
der Mauer beim Lernen oder laufend
beim Spaziergang runter zur Fähre.
Als Nächstes stand „Grillabend“ auf
dem Programm, an dem Johannes für
den Grill zuständig sein sollte. Er ver-
kündete, jeder möge ihm mitteilen, wie
er sein Steak zu speisen wünscht (Felix,
in tiefster, dunkler Stimme: „Bluuutig.“;)
Während Johannes sich also um den
Grill bemühte, hatte O. G. alias Mario W.
nichts Besseres zu tun, als höchst unge-
schickt eine Schüssel Nudelsalat zu Bo-
den gleiten zu lassen. Dirk und Angela
fuhren Kohle für den Grill kaufen und
Dominik und Jeannine suchten ver-
zweifelt nach einem Internetanschluss,
um die Abrechnungsunterlagen auszu-
drucken. Bei angenehmer Unterhaltung
durch eine Senioren-Tanzgruppe ver-
speisten wir das Grillgut und die lecke-
ren Salate.
Wie jedes Jahr führte uns auch dies-
mal die legendäre Nachtwanderung
zum Holzturm, der aus statischen Män-
geln leider nicht bestiegen werden
konnte (jaja, wir haben es schon immer
gewusst ;)).
Nach der üblichen Prozedur dann am
Sonntagvormittag (Aufräumen, Stunde
der Gemeinschaft, Abrechung) besuch-
ten wir den von der Senioren-Tanzgrup-
pe, die sich übrigens als „liturgische-Tän-
ze-Gruppe“ herausstellte (ein unausge-
schlafener Ermi: „Was? Äthiopische Tän-
zer?“), mitgestalteten Gottesdienst.
Zum Abschied fuhren wir noch
schnell nach Alf und aßen ein Eis.
Danach trat jeder schweren Herzens
seinen Heimweg an. Wir können an die-
ser Stelle nur sagen: Bis nächstes Jahr! =)
Felix Teschner & Lisa-Marie Racky
Allensteiner Ermis vor der größten or-
thodoxen Kirche in Rivne
Foto: GJE