Zeugen des gegenwärtigen Gottes Band 001 Friedrich von Bodelschwingh Der Vater des Bethel-Werkes



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Daneben hatte er einen feinen Blick für seine Umgebung. Er lernte einen 15jährigen Pfarrerssohn kennen, dessen Vater eine blühende Gemeinde hatte; der Sohn selbst aber ging andere Wege. Aller Zwang von seiten des Vaters half nichts. Die Art, wie er seinem Sohn alles untersagte, was nach seiner Meinung mit einem

christlichen Leben nicht vereinbar war, stieß Bo- delschwingh ab. Sein Versuch zu helfen mißlang. Aus Haß und Trotz wurde der junge Mann später Mohammedaner. Dieses Erlebnis blieb Bo- delschwingh unvergeßlich. Niemals hat er später in seinem Leben seine eigene Art anderen aufgezwungen. Er lernte: Zwang richtet Zorn an, aber Freiwilligkeit macht fröhliche Leute. Christliches Leben läßt sich nicht aufpressen. Darin liegt ein Stück Unglauben;man hat dasZutrauen zum Worte Gottes nicht, daß es seinen Weg macht, wenn es nur gesagt ist.

Wie es damals in seinem Herzen aussah, läßt der Text seiner ersten öffentlichen Predigt vermuten, die er am Karfreitag in der Elisabethkirche zu Basel hielt. Es war Jesaja 53, 11—12. Sie war wie ein Auftakt für seine Lebensarbeit, in Wort und Tat den zu verkünden, der gerecht macht und uns Menschen mit Gott wieder in Ordnung bringt.

Fast wäre er schon damals, nach einem kurzen Studium in Basel, in die Mission gegangen. Er lernte den alten Buchhändler Spittler kennen, in dessen Verlag der Traktat vom Chinesenjungen Tschin erschienen war. Dieser Mann hatte fast alle Anstalten der christlichen Liebestätigkeit in und um Basel ins Leben gerufen. Er stand auf dem Standpunkt des alten Missionars G o ß n e r , der seine Missionare ohne großes Studium als Handwerker hinausschickte und sie anwies, draußen ihr Brot selbst zu verdienen. Er wollte Bodelschwingh durchaus für die Mission in Abessinien gewinnen. Mis-

sionsinspektor Josenhans jedoch hielt es für richtiger, seinen Missionaren eine gediegene Ausbildung zu geben und auch ein auskömmliches Gehalt, damit sie draußen ihre ganze Kraft der Wortverkündigung widmen könnten. Um Bodelschwinghs willen kamen die beiden fast aneinander. Bodelschwingh entschied sich dafür, sein Studium zu beenden. Für seine eigene spätere Missionsarbeit waren ihm diese verschiedenen Anschauungen, die er miteinander vereint hat, eine wichtige Lehre.

In Erlangen und Berlin beendete er sein Studium. ln Berlin verwirklichte er noch seine Absicht, sich für den Missionsdienst ärztliche Kenntnisse zu verschaffen. Er wurde in dem Regiment, wo er früher gedient hatte, Lazarettgehilfe, lernte Verbände anlegen und Medizin zubereiten.

Der Weg zum Lazarett führte ihn mit einem früheren Schulkameraden Blankenburg zusammen, der Not litt. Bodelschwingh nahm ihn bei sich auf, mußte aber bald spüren, daß er sich einen Tyrannen aufgeladen hatte; doch diese Last ward ihm zum Gewinn. Blankenburg merkte, daß Bodelschwingh viel zu wenig auf das Auswendiglernen von Bibelsprüchen und Kirchenliedern gegeben hatte, und zwang ihn, ganze Stücke des Neuen Testamentes auswendig zu lernen. Er überhörte ihn dann. — Das 1. theologische Examen machte Bodelschwingh in Münster. Nun war der Weg zu den Heiden offen. Doch zuletzt war ihm bei dem vielen Lernen die rechte Freudigkeit zur Predigt abhanden gekommen, weil er an den Grundwahrheiten der christlichen Lehre fast irre geworden war — und er wollte doch vor sich selbst ehrlich bleiben.

Er sah es darum als gnädige Führung an, als ihm ein Pastor Meyer, der in Paris den Deutschen das Evangelium verkündigte, vorschlug, er solle nach Paris kommen und ihm dort helfen. Es käme vor allem darauf an, „armen Kindern" zu predigen. Das wollteBodelschwingh gern wagen. „Wenn es mir gelingt", so dachte er, „den Kindern zu predigen, dann werde ich es wohl auch bei den Erwachsenen können." Paris beherbergte vor dem Kriege 1870/71 über 60 000 Deutsche, meist aus dem Süden unseres Vaterlandes. Sie wollten sich in Paris soviel Geld erarbeiten, daß sie sich später in ihrer Heimat ein kleines Stückchen Land kaufen und ein Häuschen darauf bauen könnten. Viele kamen und viele verdarben. Die Arbeit war schwer und groß. Im Norden von Paris, wo viele aus der Innenstadt Hinausgedrängte sich angesiedelt hatten, war nichts von Kirche zu spüren: keine Gemeinde, keine Schule, kein Pfarrhaus, kein Saal, erst recht keine Kirche und schon lange kein Verkünder des Wortes Gottes. Als Bodelschwingh ankam, war er erschrocken über das Leben, die glänzenden Lichter auf den Straßen, die Menschenmengen, es machte ihn alles ganz wirr: Wie sollst du hier das Kreuz Christi predigen? In Paris erlebte Bodelschwingh die alte Wahrheit, daß der Herr sich zu den Demütigen bekennt und seine Verheißungen wahr macht.

„Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen", das erlebte er buchstäblich. Auf der Straße traf er eines Tages zwei kleine Mädchen, die — er sah das ihrer Tracht an — aus dem Hessenlande stammten. Mit ihnen suchte er deren Eltern auf und hatte die Freude, daß sie ihm ihre Kinder für den Unterricht anvertrauten. „Es war ein feierlicher Augenblick", erzählte Bodelschwingh später, „als sie kamen." Er hatte in seiner Stube ein Bild des Gekreuzigten, das stellte er vor die Kinder und erzählte. Sie hatten nie etwas davon gehört. Pädagogisch gesehen war dieser Anfang etwas Unmögliches; aber das eine der beiden Mädchen war so ergriffen, daß ihm die Tränen rannen. Das ließ Bodelschwingh innerlich jubeln. Da ward ihm klar: „Wenn mich die Kinder verstehen, dann kann ich auch anderen predigen." Er ist von da an nie wieder in seinem Glauben wankend geworden. Er hielt sich an das Kreuz, und der Gekreuzigte hielt ihn.

Es war wie eine Bestätigung Gottes für Bodelschwingh, daß er ihm den wunderbaren Anfang in Paris segnete. Aus den zwei Kindern wurden mehr. Aus allen Vorstädten, manchmal fast zwei Stunden weit, kamen sie, so daß seine kleinen Zimmer die Zahl nicht mehr faßten. Er schreibt: „Es wurde mir zur lebendigen Auslegung und Erfüllung der Verheißung des Herrn: Wenn ich erhöht sein werde von der Erde, will ich sie alle zu mir ziehen." Bodelschwingh fand Eingang in die Krankenhäuser, wo Deutsche zwischen Franzosen lagen, die meist katholisch waren. Schon einWort in der Muttersprache öffnete ihm ihre Herzen, und mancher unter ihnen gewann sofort Vertrauen. Mancher ging nach seiner Genesung in die Heimat, andere verfielen wieder ihrem alten, bösen Leben. Mancher aber, der in Schuld und in der Verachtung Gottes gelebt hatte und auch um alles irdische Glück gekommen war, schloß in Frieden mit seinem Gott seine Augen.

Bodelschwingh erlebte, wie Gott eine Gemeinde werden läßt; aus den zwei Kindern wurden in sechs Jahren zwei Gemeinden: La Vilette und Batignolles. Auch hier hat er rückwärtsschauend sagen müssen: „Ich weiß nicht, wie es geworden ist". Er hat nichts gemacht, hat nur immer die nächstliegende Aufgabe tapfer und treu angegriffen. — So ist immer der Weg, den Gott jeden Christenmenschen führen will: nur die in den Weg gelegte Aufgabe mutig und im Glauben angreifen, alles übrige ist Gottes Sache.

Bodelschwingh erlebte auch, daß Gott dem Menschen, der eine Arbeit nicht mehr allein bewältigen kann, zur rechten Zeit die geeigneten Mitarbeiter und Freunde schenkt. Einer war ein alter Schäfer, Blank mit Namen, der litt an der Wassersucht und war immer krank, so daß er seine Hütte — so konnte man seine Behausung nur nennen — nicht mehr verlassen konnte. Er hatte allen Glauben verloren; aber ein Weihnachtsbaum, den Bodelschwingh mit seinen Kindern ihm gebracht hatte, brachte die versunkenen Glocken seines Gemütes wieder zum Klin-

gen. Er wurde ein glaubensstarker Mann. Von diesem Krankenlager ging in die ganze Gemeinde hinein ein Strom von Segen. Gott tut oft durch die schwächsten seiner Kinder die größten Taten.

Auf einem Kirchentag in Hamburg berichtete Bodelschwingh von seiner Arbeit in Paris. Dort gewann er einen jungen Lehrer Witt, der zunächst allein und später mit seiner jungen Frau den Unterricht der Kinder übernahm. Mittel für seine Arbeit erbat sich Bodelschwingh durch seine Arbeitsberichte, die in Kirchenblättern veröffentlicht wurden. Volkeningin Jöllenbeck, einer der Erweckungsprediger im Ravensberger Land, schickte die Kosten für die kleine Blockhauskapelle, 800 Taler, in einer Summe. Außerdem sammelten noch Klein-Schlatter in Barmen, Sengelmann in Hamburg und auch Ludwig Harms in Hermannsburg für seine Arbeit. Den Freundeskreis, der ihm die Mittel für sein Werk gab, besuchte Bodelschwingh treulich; denn sie trugen seine Arbeit. Er fühlte sich verpflichtet, sie zu besuchen und persönlich zu berichten. Er machte dabei die Erfahrung, wie die Mitfreude der Geber ihre Herzen williger machte und der Segen seiner Arbeit draußen wieder in die Herzen der Geber zurückfloß; sie bekamen immer mehr zurück, als sie gaben. War er einmal Gottes Bote für die Ausländsdeutschen, so war er umgekehrt auch der Bote der Ausländsdeutschen an die Heimat, der von den Taten Gottes im fremden Lande erzählte und so durch das Gotteswort die Herzen draußen und daheim




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aneinanderband. So wurde über die Landesgrenze hinweg Gemeinschaft der Heiligen.

Auf einer Besuchsreise 1861 gewann Bodel- schwingh die Gefährtin seines Lebens. Er hatte innerlich längst gewählt: die Erwählte war seine Base, Ida von Bodelschwingh, die zweite Tochter des Finanzministers Karl von Bodelschwingh. Sie war die Frau, die er brauchte, einfach und sparsam, von tiefer und heiterer Frömmigkeit, mit einem feinen und scharfen Blick für das Wesentliche. Sie war bereit, mit ihrem Mann den schweren Dienst in Paris zu tun. Als Volkening ihre Ehe einsegnete, sagte er zu der jungen Frau: „Sie gehen unter die Löwen und Bären."

Nun hatte Bodelschwingh in Paris seine Heimat. Kirche und Schule, die bisher nur Blockhäuser waren, wurden aus Stein errichtet. Aus dem verkauften Schmuck der jungen Frau erhielt die Kirche eine Orgel; die alte Blockhausschule und -kirche wurde Kleinkinderschule. Die Gemeinde in Paris hatte auch das Grundstück kaufen können, auf dem diese Gebäude standen; jetzt hatte sie dort äußerlich und innerlich ein Zuhause.

Das Haus des jungen Paares war kein stilles Haus. Es gehörte zur Zurüstung Bodelschwinghs, daß er immer wieder an neue Menschen mit neuer Not kam. Oben, in dem Giebelstübchen über seiner Wohnung, fanden sich heimatlose Durchwanderer und Reisende ein, manchmal von recht zweifelhafter Art. Sie wurden beherbergt, unterstützt, verpflegt, beraten. Es fehlte nicht an Enttäuschungen; beide Bodelschwinghs wurden belogen, betrogen, bestohlen, aber — sie gaben die Arbeit nicht auf. Das ist die Gnade Gottes, daß er den Menschen, die in der Liebe Christi arbeiten, immer wieder die nötige Spannkraft und den erforderlichen Mut gibt, die Hände von neuem ans Werk zu legen und sich durch keine, auch noch so schwere Enttäuschung von dem gewiesenen Wege abbringen zu lassen.

Dem Aufenthalt in Paris machte eine Erkrankung der Frau Pastorin ein Ende. Nach der Geburt ihres ersten Kindes wurde sie schwermütig; sie mußte in die Heimat. So kam das Leid an Bo- delschwingh. Es hat seine Arbeit nur geläutert. Das Leid kam ein zweites Mal: Sein Bruder Ernst, mit dem er innerlich im Glauben stets verbunden gewesen war, starb ganz plötzlich an einem Hitzschlag. Bodelschwingh schrieb seiner Frau: „Solch einen Bruder darf man getrost in die Ewigkeit ziehen lassen."

Schwere Wege

„Leid und Loben kann miteinander

stehen, wenn beides zum Gebet wird."

Was Bodelschwingh von der Rückkehr in die Heimat erhoffte, geschah: Seine Frau lebte in der Stille der Gemeinde Dellwig, wo er neben dem glaubensstarken Pastor Philipps wirkte, wieder auf. Ihre Schwermut schwand. Auch für Bodelschwingh selber war die Stille nach der harten, unruhigen und rastlosen Zeit der Arbeit in Paris segensreich. Hatte er doch oft genug, um

nur Ruhe zum Ueberlegen seiner Predigt zu haben, aus seiner Wohnung hinaus in die unruhigen Straßen von Paris flüchten müssen. Zwar war das Pfarrhaus in Dellwig das alte Witwenhaus und wohl das schlechteste in der ganzen Grafschaft Mark, aber der Verkehr mit den Freunden und Mitarbeitern, der Besuch der Mutter, die mit der Schwester oft von Velmede herüberkam, und vor allen Dingen der Sonnenschein, den die Kinder ins Haus brachten, halfen über alles hinweg. Zu dem einen Ernst waren noch drei Kinder gekommen: Elisabeth, Friedrich und Karl.

Es war nicht leicht für den neuen Pastor, sich die Herzen der Gemeinde zu gewinnen. Zwar hatte einer, als er seine Probepredigt hielt, gesagt: „Wenn wir den doch bekämen, den muß

man ja liebhaben, wenn man ihn nur ansieht, ehe er ein Wort sagt", aber das war nur eine Stimme. Jedoch gelang es ihm im Laufe der Zeit. Zu solchem Ziel ging er den untersten Weg, der ist immer der sicherste. Er diente, wo er konnte. Die kleinen Hilfen und die kleinen Freundlichkeiten waren es, die seine Liebe zu den Gemeindegliedern offenbar machten. Es sprach sich bald herum, wie er hier einer alten Frau das Holzbündel getragen und ein anderes Mal einem anderen einen Sack abgenommen hatte. Sie sahen, der Pastor liebt nicht bloß mit dem Wort, sondern mit der Tat.

Als sich zwei Bauern einmal um einen Baum stritten, der auf der Grenze stand, und jeder ihn für sich beanspruchte, beendete Bodelschwingh den Streit damit, daß er sich von jedem den Baum schenken ließ; er verwandte ihn dann zum Bau der Kirche. Er war nicht zu stolz zum Bitten. Er konnte herzbeweglich bitten; denn wer beten kann, der kann auch Menschen bitten. Als er in Dellwig die Kirche umbaute und erweiterte, bat er die Bauern, doch die Steine freiwillig und kostenlos zu fahren. Mancher hatte sich vorgenommen; „Wenn er kommt, schlägst du es ihm ab"; aber wenn er vor ihnen stand und sie bat, dann erfüllten sie ihm seine Bitte doch.

Wie stark trotz der emsigen Arbeit des alten Pastors Philipps und der Liebesglut Bodel- schwinghs der innere Widerstand der Gemeinde war, der sich nicht von Gottes Wort überwinden ließ, zeigte der Wahlkampf, der nach dem Tode des Pastors Philipps entbrannte. Es standen in der Gemeinde zwei Parteien gegeneinander. Länger als ein Jahr ging dieser Sturm durch die Gemeinde, in dem Bodelschwingh nicht nur die doppelte Last der Arbeit, sondern auch viele Beschimpfungen mancher Gemeindeglieder zu tragen hatte. Kaum war diese schwere Zeit vorbei, da verschwand der Sonnenschein aus dem Pfarrhaus, um das Elternpaar wurde es dunkle Nacht. Innerhalb von zwölf Tagen verloren die Eltern ihre vier blühenden Kinder. Die schwerste Schule, die des Leides, hatte angefangen.

Daß auch sie, ja gerade sie, für die beiden Eltern ihren Segen in sich barg, hörten wir von Bodelschwingh selbst in dem Bericht, der schon Tausende getröstet und aufgerichtet hat: „Vom Leben und Sterben vier seliger Kinder":

„Der Arzt stellte fest, daß bei Ernst eine Lungenentzündung hinzugetreten und sein Zustand recht bedenklich sei. Die drei jüngeren Kinder waren inzwischen ebenfalls erkrankt, auch ihr fröhlicher Jubel verstummte schnell, und es zeigte sich, daß bei ihnen der Stickhusten denselben bösartigen Charakter annahm, indem heftige Fieber hinzutraten und die Lungen angegriffen wurden.

Unser lieber dreijähriger Friedrich, der mit seinem treuherzigen Wesen und mit seinen tiefdunklen, fast schwermütigen Augen sich in aller Herzen stahl, und der mit der ihm eigenen großen Entschiedenheit sich längst entschlossen hatte, er wolle Pastor werden, um Papa zu helfen, machte den Vorgang unter der heimziehenden Schar. Ich werde es nie vergessen, mit welch treuen Augen er in seinen gesunden Tagen an des Vaters Lippen hing, um als der erste bei der Morgenandacht mit kräftiger Stimme sein Vaterunser anzustimmen.

Gar bescheiden und still ging das liebe Kind in seinen Tod. Ein Schlückchen Wasser, das war fast seine einzige Bitte, die er in den letzten Tagen vorbrachte; freilich zuletzt fast jede Minute, denn sein Durst war sehr groß. Er behielt seine Besinnung bis ans Ende. Wie versuchte die Mutter, ihm noch die erkalteten Händchen und Füßchen zu erwärmen, in der Hoffnung, es sei nur ein Krampf — eine Krisis! Wir beide waren allein an seinem Bettchen. Plötzlich hebt er seine Augen auf gen Himmel, sie werden leuchtend, wirklich himmlisch schön. Was siehst du,

Friedemännchen?, fragte die Mutter. Keine Antwort. Da brechen die Augen, und wir nehmen schon Abschied. Doch nein, noch einmal schlägt er sie freundlich hell auf und bittet: Mama, Schoß! Die Mutter nimmt ihn auf den Schoß, und die Tränen fließen ihr über die Wangen. Das sieht der Kleine noch und hebt seine Händchen auf, um der Mutter, wie er so oft getan, die Tränen abzuwischen. Es ist sein letzter Liebesdienst. Das kleine Haupt fällt vornüber, und noch keine Viertelstunde ist vergangen, da sind die letzten schweren Atemzüge getan.

Die Heimat, in die der kleine Pilgrim einge- zogen, war mit ihrem Frieden auch uns nicht fern. Ich faltete ihm die lieben kleinen Flände, und die Mutter ließ es sich nicht nehmen, ihm die letzten Liebesdienste zu erweisen und ihm selbst das Sterbehemdchen anzuziehen.

Ebenso lieblich war Elisabeths Heimgang. Diese liebe einzige fünfjährige Tochter, ein Bild strahlender Freude und Gesundheit, hatte ein gar sorgsames, williges Gemüt. Der Mutter an den Augen hängend, suchte sie ihr bereits mit tausend kleinen Liebesdiensten an die Hand zu gehen in unermüdlicher Geschäftigkeit. Rührend, ja erbaulich war die Freundlichkeit und Herzensstille des lieben Kindes bis zu ihrer Todesstunde. Kein Klageton kam über ihre Lippen. Wenn es ihr in ihrer Atemnot schwer wurde, so redete sie sich selbst zu: So, so, nun ist’s gut. Als in den letzten Tagen ihr Sümmchen zu einem kaum hörbaren Lispeln zusammengebrochen war, lag sie dennoch mit demselben freundlichen

Gesichte da und versicherte, sooft man sie fragte, wie es ihr gehe: Gut! Ja, als sie nicht mehr sprechen konnte, nickte sie dem Fragenden diese Antwort noch zu.

Es war in der Nacht vom 19. zum 20., daß ich, an Ernstchens Bett wachend, meine Frau rufen ließ, weil ich glaubte, sein Todeskampf sei angebrochen, wie es der Arzt bei jedem schweren Hustenanfall erwartete. Statt seiner fährt plötzlich Elisabethehen aus einem leichten Schlummer, dem ersten seit drei Tagen, auf, versucht zu husten, es gelingt nicht mehr, und augenblicklidi bricht sie zusammen, die Augen richten sich hellleuchtend himmelwärts, und der Todeskampf ist da. In diesem Zustand, mitunter leise schlummernd, aber mit glänzendem Angesicht, die Augen voll Klarheit der zukünftigen Welt unverwandt gen Himmel gerichtet, aber für diese Welt ganz abgestorben, blieb sie bis fünf Uhr morgens, wo sie auf des Vaters Schoß die letzten bangen Atemzüge aushauchte. Schöner als sie je im Leben gewesen, und wie plötzlich gereift zu einer Jungfrau, als eine rechte Braut Christi, lag die liebe Tochter in ihrem Todesschrein.

Als nun auch Elisabeth abgerufen war und ihre Leiche vor dem Wege zum Grabe auf Ernsts Verlangen noch an sein Bettchen getragen wurde und er ihr, selbst zum Tode matt, das letzte Lebewohl gesagt hatte, da wurde sein Heimweh immer größer. Zwar willigte er wohl noch, ein, daß er bleiben wolle, als die Mutter ihm vorstellte, daß der Vater doch an ihm einen Gehilfen haben müßte, wenn er alt würde, und daß der kleine Karl ja doch sonst ganz allein spielen müßte. Als aber nun vollends am nächsten Sonntagabend auch unser kleiner Karl, der mit rührender Stille seit vierzehn Tagen gekämpft hatte, ohne einen Klageton von sich zu geben, sein freundliches kleines Haupt in den Tod neigte und ich mir von Ernstchen, der mich in den letzten Tagen nur ungern von seinem Bette ließ, Urlaub ausbat, bis Karlchen im Himmel sei, da rief er mit lauter Stimme und mit dem Ausdruck tiefer Sehnsucht: Ich will auch mit, Papa! Wohin denn? Zu Friedemännchen und Elisabeth, lautete die Antwort.

Und die ersehnte Stunde kam ja auch endlich für ihn, den allein übriggebliebenen kleinen Leidträger. Die großen Schmerzen hatten ihn in den letzten drei Tagen verlassen, und er konnte mitunter stundenlang still schlummern. Nur einigemal noch faltete er am letzten Tage still seine Hände, doch so, daß es seine Eltern nicht sahen, und betete: Ach, lieber Gott, hilf mir doch! Gegen vier Uhr am Montagnachmittag hatte ich ihn auf seine Bitte in ein ganz neues Bettchen gelegt, das die Großmutter ihm zu Weihnachten geschenkt hatte, das aber jetzt eben erst eingetroffen war. Das neue Bettchen war ihm ein besonderer Gegenstand der Sehnsucht gewesen. Allein auch das neue Bett konnte ihm die Ruhe nicht geben, nach der er sich sehnte.

Die glückliche Stunde war da, wo er in seines Hirten Arm und Schoß gebettet werden sollte.

Wir legten abwechselnd das Haupt auf das Kissen des sterbenden Kindes, während ein lieber Hausgenosse uns mit kurzen Unterbrechungen die schönsten Lieder aus dem Gesangbuch und die köstlichsten Trostworte aus der Heiligen Schrift vorlas. Ich kann es nicht aussprechen, wie sehr uns diese letzten bangen Stunden durch die wunderbare Kraft des Wortes Gottes abgekürzt und erleichtert wurden. Er hatte gerade Offb. Joh. 7 zu Ende gelesen, da war's vollbracht, und wir durften dem letzten geliebten Kinde die brechenden Augen zudrücken. Es war elf Uhr nachts am 25. Januar.

Drei Tage danach standen zwei Särge nebeneinander an der Stelle, wo die beiden ersten gestanden hatten, mitten im Winter über und über mit grünen Kränzen behängen, aus der Ferne und Nähe von liebenden Händen gespendet. Jerusalem, du hochgebaute Stadt, wollt’ Gott, ich wär in dir! Mein sehnend Herz so groß Verlangen hat und ist nicht mehr bei mir! — wurde angestimmt und klang uns tiefer aus dem Herzen als wohl je bisher. Und: ,Selig sind, die nicht sehen und doch glauben’, dies von Pastor von Velsen mit wärmster Liebe uns ins Herz geworfene Wort mußte fester als je von uns ergriffen und zu dem letzten Wege zum Friedhof mit den beiden letzten Kindern festgehalten werden."

„Damals", so sagte Bodelschwingh später einem trauernden Vater, „als unsere vier Kinder gestorben waren, merkte ich erst, wie hart Gott gegen Menschen sein kann, und darüber bin ich barmherzig geworden gegen andere."

Samariterdienst

„Ein Körnlein Liebe ist mehr wert als

ein ganzer Sack voll Gold."

Die Arbeit in B e t h e 1 wurde Bodelschwinghs eigentliches Lebenswerk. Als ihm der Dienst an den Epileptischen — es waren nur wenige Kranke in dem kleinen Haus Ebenezer bei Bielefeld — angeboten wurde, nahm er ihn an. Für den natürlichen Menschen sah es wie ein Abstieg aus: Bodelschwingh, der Ministersohn, der nach seiner Begabung und nach seiner Arbeit in Paris einen ganz anderen Platz ausfüllen konnte, geht an diese kleine Arbeit. Der Mensch aber, der vor dem Auferstandenen lebt, hat ein feines Gehör. Er hört, ob die Stimme, die ruft, wirklich die Stimme des Herrn oder eines anderen ist. Bodelschwingh fühlte sich dorthin gerufen und am rechten Platz.

Der barmherzige Samariter der Welt, unser Herr Christus, war immer da zu finden, wo Menschen in Schuld, Not und Krankheit, ja in Tod versanken. Er lebte in der Gemeinschaft der von der Sünde Gezeichneten und der von der Gesellschaft Ausgestoßenen. Gerade das reizte den Widerspruch der Frommen seiner Zeit. Ja, wenn er zu i h n e n gekommen wäre! Sie ahnten nicht, daß ihre Frömmigkeit eine selbstgemachte war und der Gott, auf den sie sich beriefen, auch die anderen liebte, die sie ausstießen. Gerade darum mußte Jesu Gleichnis vom barmherzigen Samariter sie so tief treffen. Darum bestanden die Taten der Liebe Jesu immer darin, daß er den Ausgestoßenen auf jede nur mögliche Weise den Glauben wiederzugeben suchte: Gott hat auch dich lieb. Welche Kraft Christus — und nicht nur damals bei seinen Lebzeiten, sondern zu jeder Zeit als der Auferstandene — von oben her vermittelt, das hatte Bodelschwingh in seiner bisherigen Arbeit und besonders durch das selige Sterben seiner vier Kinder erfahren. Für ihn war die Ewigkeit in die Zeit eingebrochen, und Christus ging als der Lebendige, wenn auch Unsichtbare, durchs Land, um dieselben Taten zu tun, die er damals getan hatte — ja noch größere hatte er ja seinen Jüngern verheißen. Aus diesem Glauben nahm Bodel- schwinghs Glut der Liebe ihre Kraft, hier liegen die Quellen seines Lebens. So war er für den Dienst an den Epileptischen äußerlich und innerlich bestens ausgerüstet; wollte man eine Ausbildung ausdenken, man könnte gar keine bessere und geeignetere finden als die, die er in seiner Lebensführung gehabt hat, wenn auch er, der spätere Ehrendoktor der Theologie, nie Zeit gehabt hat, das 2. theologische Examen zu machen.

Die natürlichen Gaben, die ein Mensch hat, werden in einem rechten Christenleben geheiligt und im Dienst der Liebe verklärt. Schon als Knabe war Bodelschwingh in Berlin mehrfach mit einem Kandidaten, der seinen Bruder unterrichtete, zu armen Leuten in die Häuser gekommen. Er sah dort alle Engigkeit und Armut, und ihm fiel der Unterschied zwischen den engen Wohnungen und den großen Räumen zu Hause auf. Als er einmal bei einem dienstlichen Empfang, den der Minister zu geben hatte, die festlich geschmückte Tafel sah und etwas von den Herrlichkeiten, die daraufstanden, fing er an zu weinen, weil er daran dachte, daß die Armen, die er soeben besucht hatte, nicht einmal das Nötigste hätten, und hier war alles im Ueber- fluß. Damals hatte seine Mutter ihn kaum beruhigen können.

Bei seinem Inspektordienst in Gramenz hatte Bodelschwingh die Hütten und die Lebensart der Tagelöhner kennengelernt und auch hier schon zu helfen versucht, so gut er das vermochte. Er besaß die natürliche Art und die praktische Gabe, das Notwendige zu erkennen, und die Ausdauer, eine angefangene Sache weiterzuführen. Manches Lehrgeld hat er — wie alle seine Vorgänger und Nachfolger — dabei zahlen müssen.

In den Jahren nach seinem Studium war Bodelschwingh mit der Gabe beschenkt worden, die Paulus als die köstlichste der Geistesgaben hinstellt, die der himmlische Vater zu vergeben hat: Bodelschwingh hatte das Liebhaben gelernt, das Liebhaben um Jesu willen. Wer sich dessen bewußt geworden ist, daß er selber von der Barmherzigkeit Gottes lebt und nur von ihm alle Tage Vergebung der Sünde und neue

Kraft erhält, kennt den Jungbrunnen, aus dem die Glut der Liebe immer neu quillt. Der — aber auch nur der — hat auch die rechte innere Haltung zu den anderen Menschen —• auch zu ihrer Sünde! Nur wer wirklich glaubt, daß er selbst erlöst ist und auch die andern Menschen durch Christus erlöst sind, der weiß um den Wert, den jeder andere Mensch vor Gott hat, sei er, wer er wolle. Von dieser Erlösung und dieser Freiheit, zu der Christus uns befreit hat, den Menschen etwas zu sagen, das hat Bodel- schwingh als seine Aufgabe erkannt, und zwar gerade an der Stelle des Lebens, wo das größte Elend erkennbar wird. Das wurde seine Lebenslosung, die er so oft unter sein Bild schrieb: „Nachdem uns Barmherzigkeit widerfahren ist, werden wir nicht müde !"

DieNotderEpileptischen war eine Not, um die sich, von ganz geringen Anfängen abgesehen, bisher niemand recht gekümmert hatte; dabei gab es von diesen Tausende. Durch ihr Leiden sind sie ausgestoßen aus der Gesellschaft. Von klein auf sind sie Sonderlinge unter den Geschwistern, Hemmnisse in der Schule, untauglich für ein Handwerk, weil niemand sie nimmt, anderen Menschen anstößig oder zum mindesten auffällig. So kommt in ihr Leben hinein ganz von selbst eine große innere Vereinsamung, das Gefühl, ausgestoßen oder mindestens überflüssig zu sein. Eine innere Verbitterung, ja eine Entwicklung zur Bosheit ist leicht die Folge. Sie sind sich selber und ihren

Mitmenschen eine Last, ohne Hoffnung für die Zukunft, in ihrem Herzen verzweifelt. Jedesmal kommt bei einem Anfall, und es sind manchmal bis 30, 40 an einem Tage, ein markerschütternder Schrei, der den Anfall begleitet, aus ihrem Munde. Als Bodelschwingh dies erste kleine Haus „Ebenezer" übernahm, sah er hinter diesen wenigen Kranken die Tausende und hörte ihren Hilferuf.

Menschlich gesehen war jeder Versuch der Hilfe an diesen Kranken ein hoffnungsloses Unternehmen. DieEpilepsie ist trotz aller Forschungen bis heute eine Krankheit, hinter deren Geheimnisse man noch nicht gekommen ist. Wohl kennt man gewisse Linderungsmittel, aber der Kranke ist entweder einem frühen Tode oder einem späteren Siechtum, oftmals bis zur völligen Verblödung, ausgesetzt, wenn er nicht, was gelegentlich auch bei Jugendlichen vorkommt, wieder gesund wird. Solche Arbeit konnte nur ein Mensch anfassen, der das so oft falsch verstandene Gleichnis vom barmherzigen Samariter recht verstanden hatte. Bodelschwingh fragte nicht wie der Schriftgelehrte: „Wer ist denn

mein Nächster?" und „Sind das meine Nächsten?" Er wußte, als die Wahl einmal auf ihn gefallen war: Ich bin der Nächste und stellte sich mit all seinen Gaben in diese Not hinein, ein „Hoffender unter Hoffnungslosen".

Aus der Hoffnungslosigkeit führt nur ein Weg zu neuer Hoffnung: Christus. Diesen Weg hatte Bodelschwingh selbst kennengelernt, er hatte ihn aus der Nacht des Leidens in Dellwig herausgeführt. Wenn Bodelschwingh seine Kranken ansah, ihre Launen und Stimmungen, ihre Reizbarkeit und ihre Blödigkeit, dann war menschlich gesehen nichts zu erhoffen. Bodelschwingh wußte und ging den Weg der Hoffnung. Er tat genau das, was er in Paris getan hatte, als die beiden kleinen Mädchen vor dem Dornengekrönten saßen, das, was von Anfang an in der Kirche Christi geschehen ist und den Bestand der Kirche garantierte; er malte ihnen Christus vor die Augen. Gewiß war der Leib der Epileptischen krank, ihr Gemüt verdüstert, ihr Seelenleben verkümmert, oft so, daß es einen Menschen jammern mußte, aber das hatte mit dem Zustand des Herzens nichts zu tun. Weil Bodelschwingh das wußte, bejammerte er die Kranken nicht, sondern ging mit ihnen um, als wären sie gesund, malte ihnen Christus vor die Augen, als hätte er eine Gemeinde Gesunder vor sich. Damit weckte er in ihnen das Verantwortungsgefühl, gab ihnen den Adel des Menschseins wieder. Daraus mußten sie spüren, daß sie nicht mehr Menschen zweiter Klasse, nicht Ausgestoßene und Ausgeschlossene waren, sondern Menschen, denen das Wort Gottes auch galt. Weil Bodelschwingh sich nicht scheute, seine eigene Sündhaftigkeit auch vor ihnen offen zu bekennen, wurde in ihnen das Verständnis für Schuld geweckt. Entscheidend war, wie er das sagte und machte. Für dieses „W i e" gibt es kein Rezept, nur die Liebe, die niemand geben kann, dem sie nicht

zuvor und immer von neuem von oben gegeben wird. Macht aber Liebe erfinderisch, dann die von oben erst recht. In diesem Liebhaben war Bodelschwingh ein Meister. Er fand immer neue Wege zu den Herzen und Mittel, auf die niemand verfallen wäre.

Zuallererst war es sein Wort. Er verstand die Sprache der Kranken zu sprechen, die direkt den Weg zum Herzen des Menschen findet. Das war seine Kunst. Er mußte sie selbst erst lernen; denn die Sprache der Beschränkten und Blöden will gelernt sein. Er lernte sie, und seine Kranken verstanden ihn. Das Aufleuchten der Augen, das freudig erregte Zappeln ihrer Glieder, die rauhen Freudentöne aus ihrem Munde verrieten; „Ich habe dich verstanden,ich danke dir." Er schreckte nicht zurück vor der Berührung der kranken, oft so ungelenken, häßlichen und verkrüppelten Finger und Hände, er sah nicht die oft verunstalteten Gesichter und Gliedmaßen, wie er sie vor sich hatte, er sah in ihnen den Menschen, den Christus auch erlöst hatte, hinter dieser Ungestalt das Ebenbild Gottes und das, was Gottes Kraft noch aus ihnen machen konnte.

Wer weiß denn bis heute unter uns Menschen, ob und wieviel das Gemüt und der Verstand solcher Kranken aufzunehmen und zu verstehen vermag? Gewiß können viele von ihnen sich uns nicht verständlich machen, wir verstehen ihre Sprache nicht, der Sendeapparat der Kranken ist nicht in Ordnung. Weiß man aber, ob der Empfangsapparat solcher Kranken auch in Unordnung ist? Weiß man, ob sie nicht von dem, was




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4 Bodelschwingh

sie sehen und hören und erleben, viel mehr verstehen, als wir ahnen? Weiß man wirklich, ob sie die Lebensentscheidung des Christen nicht vollziehen können? Das Verhalten vieler Kranken beweist immer wieder, daß sie verstehen, daß sie sich freuen, daß sie liebhaben, daß sie Treue halten können, daß sie sich mitfreuen und mitleiden, daß sie auch ein Gehör für die Stimme von oben haben. Unter ihnen sind feine und tiefgründige Christenmenschen, um deren Herzensfrieden und innere Gewißheit viele Gesunde sie beneiden könnten. EswirdamEnde der Tage ein großes Verwundern geben, wieviele der Kranken den Lobgesang oben fortsetzen dürfen, den sie hier unten einmal angefangen haben. — Mag mancher die Herzen der Kranken für Oedland halten, es ist kein Oedland. Wenn es nur bestellt wird, wenn nur das Wort Gottes hineinfällt und die Sonne der Liebe, so wächst dort lebendiger, quellfrischer Glaube, der jeden froh stimmen muß, der selbst glaubt.

Kein Wunder, daß Bodelschwingh selber die Menschen nicht nach ihrer Gesundheit und ihrer Krankheit beurteilte, wie es meist geschieht, sondern nach dem Zustand der Herzen. Wer den Zugang zum Herrn Christus gefunden hatte, wer auf diesem Wege ins Leben und Danken gekommen war, der war in seinen Augen gesund geworden. Der andere hingegen, der trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Gesundheit das Danken für überflüssig hielt, war für ihn der Kranke. Eine christliche Umwertung der irdi- sehen Werte, die er von seinem Meister gelernt hat. Man mag sie für anstößig halten und sich daran ärgern, für den, der weiß, daß nur die Verbundenheit mit Gott dem Menschen den vollen Menschenwert gibt und den wirklichen Adel, ist diese Beurteilung nichts Auffälliges, sondern recht vor Gott. Wer anders urteilt, nimmt Gottes Wort nicht ernst.

An Bodelschwingh merkten die Kranken, daß er das Wort Gottes ernst nahm. Als Schuldiger stand er unter Schuldigen. Zugleich aber lebte er ihnen vor, wie der schuldige Mensch die Gnade für sich in Anspruch nehmen darf, die Gott anbietet. So stellte er sich mit den Kranken unter das Kreuz, das Zeichen des Gerichtes und der Gnade, der tiefsten Traurigkeit und der größten Freude. Dieser Ton der Freude ist in Bethel zu Hause. GustavvonBodel- s c h w i n g h schreibt in dem Lebensbild seines Vaters, daß einer der allerersten epileptischen Kranken, ein kleiner Junge, auf seiner Mundharmonika vor dem Haus Bethel immer das eine Lied spielte:

Weil ich Jesu Schäflein bin, freu' ich mich nur immerhin über meinen guten Hirten, der mich wohl weiß zu bewirten, der mich liebet, der mich kennt und bei meinem Namen nennt.

„Das war in die kindlichste Form gebracht die Summe der Theologie, in der Vater lebte, und die er auch seinen Kranken brachte."



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