Mitteleuropa zwischen Ost und West Kosmische und menschliche Geschichte Sechster Band



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Schon ein äußeres Kennzeichen gibt es für das, was ich eben ausgesprochen habe. Versuchen Sie einmal Ihre Zuflucht zu nehmen zu

den gelehrten Hilfsmitteln, die bei solcher Gelegenheit auch benützt werden können, dann werden Sie etwas Sonderbares erfahren können: Nehmen Sie die heute gelehrtesten Dinge auf diesem Gebiete zur Hand und versuchen Sie, sich eine Kenntnis davon zu verschaffen, welches der Ursprung eines sehr gebräuchlichen Wortes ist. Sie werden namentlich ein Wort finden, von dem Ihnen alle Gelehrten innerhalb des deutschen Sprachgebietes sagen werden: Den Ursprung davon kann man nicht ergründen. - Das ist das Wort Gott und sein Adjektiv göttlich. Nehmen Sie das Deutsche Wörterbuch: Der Artikel «Geist» im Wörterbuch ist auch recht wenig befriedigend, aber doch noch befriedigender als der Artikel «Gott». Da kommt man überhaupt nur dazu, zu wissen: Man weiß nicht, woher das Wort Gott kommt. ~ Es gibt ja alle möglichen Hypothesen, aber man weiß nicht, woher es kommt. Wird man gegenüber einem solchen gelehrten Resultat noch zurückschrecken können vor der Behauptung, daß zahlreiche Menschen, die von Gott und dem Göttlichen sprechen, gar nicht wissen, wovon sie reden? Ganz selbstverständlich, weil sie ein Wort unbekannten Ursprungs zu irgend etwas verwenden, nun, wozu sie es eben gerade gerne verwenden möchten. Die Dinge liegen eben ernster, als sie sich gestehen möchten. Aber man will diesen Dingen nicht zu Leibe gehen. Man weiß gar nicht, wie stark man in der Phrase lebt und wie glücklich man sich fühlt, in dieser Phrase leben zu können. Das ist das eine. Man kann aber auch noch etwas anderes finden.

Wenn man auf das Reale losgeht, das die Leute dann erleben, wenn sie heute, sogar über das Konfessionelle hinausschreitend, von ihrem Gott sprechen, den sie in ihrem eigenen Inneren erleben, mögen sie es mystisch nennen oder theosophisch, kann man unendlich oft erfahren, daß die Leute sagen: Es kommt nur darauf an, den Gott in seinem Inneren zu erleben, mit dem Gott in seinem Inneren eins zu werden! — Mit was wird man denn da eigentlich eins? Geht man der Sache nach, mit der dann der Mensch eins wird, ohne daß er es erkennt, so ist das nichts anderes als die eigene Seele, wie sie war, bevor sie durch die Empfängnis beziehungsweise Geburt in das physische Dasein getreten ist, wie diese Seele gelebt hat zwischen dem letzten Tod und dieser. Geburt. Entweder betet heute der Mensch, auch wenn er aufrichtig

religiös sein will, seinen Engel an oder sein eigenes Ich, wie es war vor der Geburt oder Empfängnis. Er nennt es seinen Gott und belegt es mit dem Worte unbekannten Ursprungs; aber dasjenige, was er in Wirklichkeit heraufdämmern fühlt aus dem Unbewußten, das ist er selbst. Und das Kuriose tritt zutage für denjenigen, der die Wirklichkeit durchschaut, daß von allen Kanzeln fortwährend geredet wird von der Prädestination, und da man diese nicht denken kann ohne die wiederholten Erdenleben, so wird in Wahrheit geredet von diesen Erdenleben, nämlich von dem eigenen Selbst, das durch diese geht, und es wird gleichzeitig verleugnet die Tatsache dieser wiederholten Erdenleben. In Wahrheit wird von nichts mehr geredet als von dem, was Anthroposophie zum bewußten Erkennen der Menschen bringen will.

Nun finden die Menschen, daß es notwendig ist, der Sache einen Namen unbekannten Ursprungs beizulegen. Sie reden eigentlich davon, daß aus dem Unterbewußten etwas heraufdämmere, was man erfahren kann im mystischen Erleben. Sie nennen es das Zusammensein des Menschen mit Gott. In Wirklichkeit ist es das Zusammensein des Menschen mit sich selbst, mit seinem Selbst, wie es war vor der Geburt. Nennt man es Gott und fordert die Menschen auf, es anzubeten, so fordert man die Menschen auf, sich selber anzubeten. Götzendienst mit sich selbst ist heute vielfach dasjenige, was als Religion gefeiert wird. Das auszusprechen ist heute notwendig, weil es den ganzen Ernst der Wirklichkeit bezeichnet. Aber es ist zu gleicher Zeit unbequem, weil es ja hinweist auf die ungeheuer tiefgehende Lebenslüge, die unser Leben durchzieht.

Zu dieser Lebenslüge hat im wesentlichen dasjenige geführt, was ich schon hier erwähnt habe: daß im Jahre 869 auf dem achten allgemeinen ökumenischen Konzil von Konstantinopel der Geist abgeschafft worden ist. Ich habe erwähnt, daß die philosophischen, vorurteilslosen Leute, die von der sogenannten voraussetzungslosen Wissenschaft ausgehen, heute davon sprechen, der Mensch bestehe aus Leib und Seele. In Wahrheit besteht er aus Leib, Seele und Geist. Aber im Jahr 869 ist verboten worden, vom Geist zu sprechen. Und es ist ja nichts, nichts so sehr vermieden von den christlichen Philosophen des Mittelalters, als von der sogenannten Trichotomie, von dem Geist zu sprechen. So-

bald man aber die Trichotomie verließ, von welcher zum Beispiel noch ausgegangen war Dionysios der Areopagite, von dem noch Abschriften angefertigt worden sind im 6. Jahrhundert, die noch alle von den höheren Hierarchien sprechen, sobald man Abschied nahm von dem, was man auch in der heutigen Zeit so eifrig bekämpft, von der alten Gnosis, die ja heute natürlich in einer anderen Form uns entgegentreten muß, die aber eben für ihre Zeit ein ungeheuer Hohes war, sobald man von ihr Abschied nahm und Rücksicht nahm auf die Bequemlichkeit des Intellekts, war man auch dazu verurteilt, allmählich von etwas zu sprechen, was eigentlich seelisch in eine furchtbare Lebenslüge hineinführt. Kein Wunder, daß, weil Geisteswissenschaft die Wahrheit sagen muß über diese Dinge, sie heute die heftigste Gegnerschaft erweckt. Und man läßt sich ja heute vielfach nicht ein auf das, was eigentlich die Menschen in ihrem Inneren zum Ausdruck bringen wollen, sondern es ist wirklich so, daß die Menschen zum großen Teile heute das seelische Zuhören vollständig verlernt haben.

Das tritt ja manchmal in grotesken Beispielen an die Oberfläche. Den Leuten kommt es gar nicht mehr darauf an, was in Wirklichkeit gesagt wird, sondern darauf, irgend etwas selber zu sagen, ganz gleichgültig, ob es trifft oder nicht trifft. Das ist nicht eine vereinzelte Erscheinung, das ist typisch, das geschieht überall auf Schritt und Tritt. Beispiele dafür könnte ich Ihnen nicht in hundert-, sondern in tausendfältiger Weise erzählen. So geht es zu auf literarischen Gebieten, so geht es auch zu auf dem großen Welttableau.

Mit solchen Dingen, mit solcher geistigen Verfassung der Gegenwart hängt aber innig zusammen, was in der Gegenwart überhaupt impulsierend ist, was die Gegenwart treibt und schließlich in eine solche Katastrophe hineingeführt hat. Darauf muß man immer und immer wiederum hinweisen. Es finden sich ja immer noch heute Leute gedrängt, von Nächstenliebe zu sprechen, davon zu sprechen, daß man verständnisvoll, daß man liebevoll auf den anderen einzugehen hat. Aber in Wirklichkeit ist das alles nicht vorhanden, sondern in Wirklichkeit ist die Grundstimmung die, welche bei Fritz Mauthner sich ausspricht, in dem Ihnen bekannten Falle Boll, wo er fürchterlich losschimpft auf einen, der eigentlich ganz mit ihm einverstanden ist.

In solchen Dingen drückt sich charakteristisch und typisch das aus, was man in der Gegenwart klar und scharf ins Auge zu fassen hat. Nur wenn man den Willen dazu entwickelt, einzugehen auf solche Dinge, wird man den Standpunkt finden, der notwendig ist, um heute irgendwie an einem Ort, auf den man durch sein Karma gestellt ist, im Sinne der Menschheitsentwickelung vorwärts zu kommen.

Erkennen müssen wird man heute vor allen Dingen folgendes: Man wird wirklich hinschauen müssen auf dasjenige, was sich im Menschenwesen entwickelt hat vom letzten Tod bis zu der jetzigen Geburt. Man wird nicht mehr weiter sich täuschen können, sich Illusionen vormachen können durch Selbstvergötterung, durch Selbstanbetung, indem man dasjenige, was man eigentlich in sich findet als sein wirkliches Ich, Gott nennt. Man wird sich nicht mehr solchen Täuschungen hingeben können, sondern wird hinschauen müssen auf das, was wie ein Erbgut aus geistigen Welten jeder durch seine Geburt in sein physisches Dasein hereinbringt. Wo steckt das eigentlich? Ja, meine lieben Freunde, wir bringen es alle mit herein, wir bringen ein ungeheures Weisheitsund Geistesgut durch unsere Geburt ins physische Dasein herein. Wo steckt es denn? Wir sind, indem wir geboren werden, alle so weise, daß wir es gar nicht glauben können, wie weise wir sind. Aber wo steckt diese Weisheit? Auf der einen Seite steckt sie verzaubert in unserer Leiblichkeit und ihren Anlagen, mit denen sie sich vereinigt hat, und auf der anderen Seite in unserem Schicksal. Daraus will sie erlöst werden. Und im heutigen Zeitenzyklus der Menschheit liegt es, daß dieses Erbgut durch die freie Betätigung des Menschen erlöst werde, heraufgeholt werde als höhere Ich-Erkenntnis dessen, was verzaubert in uns selber und unserem Schicksal liegt. Wir können dadurch, daß wir uns klarmachen: Der heutige Mensch lebt anders als der Mensch verflossener Kulturepochen -, über solche Dinge auch zu einiger Einsicht kommen.

Ich will Sie an etwas erinnern, was ich auch hier schon erwähnt habe. Ich habe erwähnt, daß im ersten Kulturzeitraum der nachatlantischen Epoche der Mensch in anderer Weise lebte als heute. Er lebte geistig-seelisch das mit, was körperlich sich in ihm darlebte. So wie wir als Kinder heute den Zahnwechsel als einen besonderen Um-

schwung miterleben, die Geschlechtsreife auch im Seelischen als Umschwung erleben, so erlebte bis in die Fünfzigerjahre hinein der Mensch der ersten nachatlantischen Kulturperiode sein leibliches Werden. Dann kam die Zeit, wo man das nur bis in die Vierzigerjahre hinein erlebte, dann bis in die Dreißigerjahre. Wir erleben heute diese Dinge nur bis in die Zwanzigerjahre hinein. Bis in die Zwanzigerjahre hinein erlebt der Mensch heute dasjenige, was leiblich, körperlich in ihm vorgeht; dann wird er gewissermaßen emanzipiert. Er kann nicht mehr das, was in der absteigenden Lebensentwickelung lebt, von selbst erleben; er muß es dadurch erleben, daß er sich seelisch von dem Geistigen anregen läßt. Die Geisteswissenschaft muß den Impuls geben, um das zu erlösen, was in unserem Leibe oder in unserem Schicksal verzaubert liegt. Dazu ist unsere heutige Erziehung lange noch nicht einmal herangedrungen, geschweige denn vorgedrungen. Das wird man einsehen müssen, daß in frühester Jugend in den Menschen ein Impuls gelegt werden muß, damit der Mensch verstehen lerne, älter zu werden. Die Menschen verstehen heute nicht, alt zu werden. Sie verstehen höchstens, daß sie graue Haare bekommen oder - heute besonders häufig - frühe Glatzen oder ähnliche Alterszeichen, aber es ist nicht dasjenige da, was da sein kann in den Menschen: die Erwartung, die hoffnungsvolle Erwartung auf jedes neue Jahr, mit der Gewißheit: Man erlebt, indem man älter wird, jedes Jahr etwas, was man gar nicht früher erleben kann. Jedes Jahr bringt ein Neues, jedes Jahr bringt eine neue Offenbarung, wenn man es zu nützen versteht.

Die Stimmung freilich muß über die Menschen dann kommen, durch die sie sich sagen: Jetzt werde ich zwanzig Jahre alt, der Dreißig- bis Vierzigjährige hat etwas erlebt, was ich heute noch nicht erleben kann. Ich muß warten, dann wird sich mir das offenbaren. - Bedenken Sie nur einmal ganz im Ernste in allen Teilen, was das eigentlich bedeuten würde, wenn die Erziehung dahin wirken würde, daß man hoffnungsvoll erwartend das Herankommen seines Lebens erschaut. Die gegenteilige Stimmung wird heute großgezogen. In die Staatsparlamente und in die anderen Parlamente wollen die Leute in frühester Jugend gewählt werden, weil sie. glauben, man ist in frühester Jugend fertig, man hat das schon alles. Was trifft man heute Öfter, als daß die jüngsten

Dachse und Dachsinnen bei jeder Gelegenheit sagen: Das ist mein Standpunkt! - Jeder hat heute schon einen Standpunkt in der aller-frühesten Lebensjugend. Es ist den Menschen vollständig unbekannt, daß erwartungsvoll die Hoffnung lebt, das Leben berge Geheimnisse, die sich nach und nach offenbaren. Es würde aber viel bedeuten, wenn das in unsere Erziehung hineinkäme. Dann würde man den Willen haben, nach und nach dasjenige zu erlösen, was in unseren Leib und in unser Schicksal hineinverzaubert ist.

Allerdings, man wird die Kultur, wie sie sich allmählich entwickelt hat, in einem ganz besonderen Lichte sehen müssen, wenn man sich über solche Dinge wird aufklären wollen. Man wird sich fragen müssen: Wie findet man eigentlich den richtigen Standpunkt, um das, was in uns verzaubert liegt, nach und nach zu erlösen? - Ja, man wird sich vielleicht sogar etwas anderes noch als Frage vorlegen müssen: Warum soll man denn das, was man in Verzauberung in sich hat, erlösen? Ist es nicht viel bequemer, das da unten dem Fleisch und den Nerven und dem Blut zu überlassen? Da kann es ja ruhen, bis man stirbt, und in die andere Welt hineinkommen; da kann es ja sein Dasein fristen. Man überläßt den Nerven, den Muskeln, dem Schicksal, was in einem verzaubert liegt. Warum soll man denn das erlösen? - Man soll und muß es aus dem Grund erlösen, weil der Geist auf seinem Wege ganz bestimmten Gesetzen unterliegt. Dasjenige, was uns mitgegeben wird als Erbgut aus geistigen Welten, das will heraus, will aus seiner Gefangenschaft befreit sein. Und das tritt ein, indem es aufgenommen wird in das Bewußtsein. Was im Leib und im Schicksale liegt, will heraufwandern in unser Bewußtsein. Es hat seinen richtigen Hort in unserem Bewußtsein. Es soll in unserem Bewußtsein leben, nicht verzaubert in unserem Nervensystem und Blutsystem, in unseren Muskeln oder in unseren Knochen. Denn bleibt es in den Nerven, Muskeln, Knochen oder in dem unbestimmten, nur erlittenen Schicksal, dann verwandelt sich dieses Geistige in etwas anderes: in schlechte Kräfte. Es ist dazu bestimmt, durch das Bewußtsein ins Leben getragen zu werden. Bleibt es außer dem Bewußtsein mit dem Menschen vereint, so verwandelt es sich entweder in luziferische oder in ahrimanische Kräfte, es wird Ahriman oder Luzifer nach und nach übergeben.

Aber man hat eine lange Zeit mit luziferischen Kräften in unserer abendländischen Kulturentwickelung gerechnet und schickt sich eben jetzt an, durch eine ganz besonders angesehene geistige Strömung mit ahrimanischen Kräften zu rechnen, mit ihnen weiter zu leben. Der Mensch soll ja hineingestellt werden in das Leben, soll seinen Platz finden im Leben: daraufhin erzieht man ihn. Man züchtet gewisse Impulse, gewisse Empfindungen, gewisse Gefühle. Was hat man denn insbesondere für Impulse, für Gefühle benützt? Sehen Sie sich um in der Welt, jetzt ist es im Abnehmen, wird sehr bald sehr wenig bedeuten, aber es hat durch Jahrhunderte viel, viel bedeutet: Orden, Ehrenzeichen, Titel, Würden. Aber was steckt hinter all dem? Gefühle, Empfindungen, die einen darnach streben lassen, Triebe, Begierden, Luzi-ferisches in der Menschheit zu entwickeln. Denken Sie nach, wieviel Luziferisches in der Menschennatur angestrebt wurde, angezüchtet wurde, um auf dem Umweg durch dieses Luziferische den Menschen hinzustellen auf den Platz, auf den man ihn eben stellen wollte. Das war die luziferische Periode. Sie ist im Abfluten. Man braucht heute über sie kaum mehr zu reden, denn dasjenige, was auf diesem Gebiete geschieht, ist im Abfluten. Wenn auch die Menschen noch nicht glauben, wie sehr dies der Fall ist, sie werden es schon sehen. Man redet von etwas, was im Abfluten ist, wenn man von den eigentlich luziferischen Kulturimpulsen redet.

Aber die ahrimanischen ziehen in bedrohlicher Form herauf. Ein Beispiel dafür: Jetzt eben geht - ja, wie nennt man es? - durch den deutschen und durch den anderen kulturellen «Gelehrtenwald» gerade in ruhmvoller Vertretung dasjenige, wovon man sich so ungeheuer viel verspricht für die Kultivierung der Menschheit in der Zukunft, dasjenige, was man die Begabtenprüfung nennt, das Prüfen der menschlichen Begabungen. Es haben sich ja innerhalb der Gelehrtenwelt in der neuesten Zeit ganz besondere Pflanzen ergeben: das sind gewisse Psychologen, gewisse Seelenkenner. Sie treiben Experimental-psychologie, sie experimentieren an den Menschen herum, um das Seelische zu erforschen. Nun, in der allerletzten Zeit haben sich diese Menschen auch über die Jugend hergemacht. Weil man eigentlich nicht mehr zurechtkommt mit dem alten Examenwesen und der alten sozia-

len Ordnung, macht man sich über die Jugend her und prüft die Begabungen, damit, wie man sagt - das ist ja an hervorragenden Stellen schon gesagt worden -, der rechte Mann an den rechten Platz gestellt wird. Da muß man selbstverständlich schon beim Kinde anfangen, um zu prüfen, wie man den Rechten findet. Man prüft zunächst die Auffassungsfähigkeit, indem man allerlei Experimente anstellt: wie schnell ein Kind das oder jenes errät, was irgendein unbestimmtes Zeug ist, in das es einen Sinn hineinlegen soll. Man prüft dann die Intelligenz, man prüft das Gedächtnis. Die Intelligenz zum Beispiel dadurch, daß man zwei möglichst unzusammenhängende Worte dem Kinde oder dem jungen Menschen vorlegt, sagen wir zum Beispiel «Spiegel» und «Räuber». Und dann weist man so eine Anzahl von jungen Leuten, deren Intelligenz man prüfen will, an, diese Worte sinnvoll zu verbinden, zu sagen, was sie zwischen diese Worte Spiegel und Räuber hineinsetzen wollen. Der eine setzt hinein: Auch ein Räuber kann sich, wenn er sich im Spiegel sieht, selber begucken. - Den betrachtet man als den Unintelligentesten. Ein anderer denkt sich aus: Derjenige, der von dem Räuber bestohlen oder gar getötet werden soll, hat einen Spiegel; da sieht er von weitem den Räuber herankommen und er kann sich retten. - Das ist ein intelligenterer Knabe oder ein intelligenteres Mädchen.

Es liegen jetzt Zeitschriften auf, in denen man diese haarsträubenden Methoden, die Intelligenz zu prüfen, geschildert findet; sie werden als eine besondere Errungenschaft der Gegenwart entwickelt und analysiert. Auf diese Weise wird das Gedächtnis, wird die Intelligenz geprüft. Man geht da statistisch vor. Derjenige, der am meisten erzählt hat von dem, was zum Beispiel zwischen Räuber und Spiegel sich ereignen kann, bei dem werden zwei oder mehr Zeichen gemacht, wie bei der Zensur, und wer dann die meisten Strichelchen hat, wer am meisten geistvolle Zusammenhänge hat finden können, der ist der Intelligenteste. Das ist der Mann oder die Frau, die irgendwie an besonderen Hochschulen durch alle möglichen Unterstützungen zu fördern sind, und dergleichen mehr. Das Charakteristische bei diesen Dingen, die heute wirklich als eine besondere Errungenschaft der Menschheit gerühmt werden - und die wackersten Pädagogen setzen

sich mit all ihrer Energie für diese Begabtenprüfungen ein —, ist, daß man überhaupt auf diese Weise an das Seelische nicht herankommt, sondern nur im Menschen prüft, was ahrimanisch in seiner Körperlichkeit ruht, daß man auf diese Weise nur prüft, wie stark Ahriman sich entwickeln kann durch den einen oder anderen jungen Menschen. Was man einführen wird auf diese Weise in die menschliche Kultur, das werden die ahrimanischen Impulse sein. Aber solchen Illusionen, solchen Täuschungen gibt man sich heute hin.

Das muß aber das Bedeutsame in unserer geisteswissenschaftlichen Entwickelung sein, daß deren Ernst erkannt wird. Gewiß, in kleinen Konventikeln kann man sich zusammensetzen und, wie ich gesagt habe, in familienartiger Behaglichkeit Vorträge vorlesen: Das tut nicht weh, beziehungsweise dasjenige, was von außen kommt, tut dann nicht weh. Aber indem sich diese Geisteswissenschaft allmählich auszubreiten beginnt, beginnt auch der Ernst, und dieser Ernst kann nur darin bestehen, daß man sich rückhaltlos einläßt auf das, was aufzunehmen ist im Zusammenhang mit dem, was um uns herum sich entwickelt. Es ist notwendig, daß man diese Dinge versteht, und sie so tief versteht, als sie zu verstehen sind; notwendig, daß man die Beweglichkeit des Geistes entwickle, die es ermöglicht, aus dem Sektiererischen herauszukommen zu einer weltmännischen Erfassung dessen, was in unserer geisteswissenschaftlichen Strömung darinnen sein soll. Denn aus dieser Geisteswissenschaft müssen verschiedene Impulse kommen, die gesunde Impulse sind gegenüber mancherlei, das in unserer Zeit in der Gestalt auftaucht, die eine dekadente, eine niedergehende ist. Vor allen Dingen ist innerhalb derer, die in diese geisteswissenschaftliche Strömung eintreten wollen, Freiheit, Auf-sich-Gestelltheit des Geistes notwendig.

Mit dem Autoritätsglauben geht es bei uns gar nicht, nur mit dem Aneignen eines freien, selbständigen Urteils. Denn nichts von dem, was gesagt wird auf geisteswissenschaftlichem Gebiet, kann generalisiert, verallgemeinert werden; alles gilt individuell, alles gilt im Konkreten für den besonderen Fall. Es ist zwar eine gewisse Bequemlichkeit, daß der menschliche Geist so vielfach die Dinge zu verallgemeinern sucht, aber das kann nicht geschehen, sobald man auf geistige Gebiete kommt. Heute hat man es notwendig, wirklich richtig notwendig, auch auf

solche Erkenntnisse sich einzulassen, welche nicht beim bloßen Unbestimmten, Abstrakten, Mystischen stehen bleiben, sondern vom Erfassen des Geistigen aus in die Wirklichkeit eindringen. Man kann glauben, ein großer Mystiker zu sein, unberührt von den Weltereignissen seinen einsamen Weg durch die Welt gehend, in seinem Inneren den Gott zu erleben glauben. Aber das ist alles dünnes geistiges Leben, so dünn, daß es nicht herandringt an das, was draußen in der Welt als Wirklichkeit vorhanden ist. Solche Mystiker fordert die Gegenwart nicht. Der einzelne kann solche Mystik fordern, weil es ihn in den behaglichen Glauben einlullen kann, sehr Erhabenes in seiner Seele zu erleben. Aber die Gegenwart fordert starke Geistigkeit, die eindringt in die unmittelbare Wirklichkeit. Sie fordert sogar nicht bloß ein Reden von den höheren Hierarchien, sondern ein solches Eindringen in das Wesen der höheren Hierarchien, daß man, von diesem Erkennen des Wesens der Hierarchien ausgehend, Einsicht gewinnen kann in das, was uns auf der Erde umgibt. Denn jetzt beginnt die Zeit, wo man die menschliche Ordnung nicht anders mehr finden kann als aus den wirklichen Einsichten in das Wesen dessen, was sich hier auf der Erde entwickelt, wenn es auch unbequem ist, es zu erkennen.

Lesen Sie den Zyklus, den ich längere Zeit vor dem Krieg, um auf die heutige Zeit vorzubereiten, in Kristiania gehalten habe über die einzelnen Völkerseelen, über den Zusammenhang der Struktur der einzelnen Völker. Da werden Sie sehen, daß man ernst nehmen kann dasjenige, was in den höheren Hierarchien erkannt wird, daß man es anwenden kann auf die Konfiguration der Erde. Solche Erkenntnis ist für die Gegenwart notwendig. Denn solche Erkenntnis muß die praktische Grundlage abgeben für dasjenige, was unternommen werden soll in der Zukunft. Man wird das, was zu tun ist, erkennen müssen, nicht aus den phrasenhaften Schreibereien und Redereien der Menschen, die heute über die europäischen Völkerschaften aus dem heraus reden, was sie ihre Beobachtungen nennen, sondern man wird wirklich eindringen müssen in das, was auf der Erde lebt an Impulsen aus dem Gebiet des Geistigen.

Freilich, man denkt heute, derjenige habe unter allen Umständen etwas zu sagen, der etwas erlebt hat. Ja, glauben Sie, daß jeder über

die Französische Revolution etwas sehr Gescheites zu sagen wußte, der in irgendeinem Dorf der Provence von 1789 bis 1800 ein stumpfes Dasein lebte? Er hat die Sache miterlebt; er braucht deshalb doch nichts Erhebliches darüber zu sagen zu wissen! Ebenso können Unzählige nach Amerika, nach Italien reisen, und können, wie man heute sagt, Land und Leute beurteilen. Aber das, was sie sagen, das braucht nicht sehr wertvoll zu sein für die Beurteilung dessen, was notwendig ist. Dies hängt davon ab, daß man die Möglichkeit hat, in die Untergründe des Daseins hineinzukommen, und dazu ist heute notwendig, daß man nicht auf der einen Seite meinetwillen den Materialismus annimmt oder ablehnt, oder den Spiritualismus annimmt oder ablehnt, nein, dem Wirklichkeitsforscher, dem Geistesforscher in unserem Sinn muß es ganz einerlei sein, ob einer seinen Ausgangspunkt davon nimmt, daß er Materialist ist oder Spiritualist. Wir haben auch nicht notwendig, die Materialisten unter allen Umständen zu verachten, denn darauf kommt es nicht an, ob man von der Materie oder von dem Geist ausgeht, wenn man bloß zu Ende geht! Wer in der wirklichen Betrachtung der Materie zu Ende geht, der findet in dem, was materiell um uns herum geschieht, den Geist, und wer sich auf den Geist stützen will und immer sagt: Geist, Geist, Geist -, der soll vor allen Dingen sehen, daß er den Weg findet von der abstrakten Erfassung des Geistes zu der konkreten Erfassung dessen, was materiell geschieht. Denn das, was materiell geschieht, ist Offenbarung des Geistes, aber man muß den rechten Glauben an das Geistige entwickeln. Derjenige, der nicht das erwartungsvolle Leben hat, daß jedes neue Jahr neue Geheimnisse in uns hineinstrahlen können, indem wir älter werden, der glaubt in Wirklichkeit, wenn er noch so sehr von Gott und dem Geiste spricht, nicht an Gott und den Geist. Denn er glaubt, in alledem, was den Menschen urteilsfähig macht, mit fünfundzwanzig Jahren reif zu sein. Dann ist aber das übrige Leben für die Seele nutzlos, wertlos; da offenbart die Gottheit nicht mehr etwas anderes.


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