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men kann, ohne daß der andre abnimmt. Der Wert der Arbeitskraft kann nicht von 3 sh. auf 4 steigen,
ohne daß der Mehrwert von 3 sh. auf 2 fällt, und der Mehrwert kann nicht von 3 auf 4 sh. steigen, ohne
daß der Wert der Arbeitskraft von 3 sh. auf 2 fällt. Unter diesen Umständen also ist kein Wechsel in der
absoluten Größe, sei es des Werts der Arbeitskraft, sei es des Mehrwerts, möglich ohne gleichzeitigen
Wechsel ihrer relativen oder verhältnismäßigen Größen. Es ist unmöglich, daß sie gleichzeitig fallen oder
steigen.
Der Wert der Arbeitskraft kann ferner nicht fallen, also der Mehrwert nicht steigen, ohne daß die Produk-
tivkraft der Arbeit steigt, z.B. im obigen Fall kann der Wert der Arbeitskraft nicht von 3 auf 2 sh. sinken,
ohne daß
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erhöhte Produktivkraft der Arbeit erlaubt, in 4 Stunden dieselbe Masse Lebensmittel zu produzieren, die
vorher 6 Stunden zu ihrer Produktion erheischten. Umgekehrt kann der Wert der Arbeitskraft nicht von 3
auf 4 sh. steigen, ohne die Produktivkraft der Arbeit fällt, also 8 Stunden zur Produktion derselben Masse
von Lebensmitteln erheischt sind, wozu früher 6 Stunden genügten. Es folgt hieraus, daß die Zunahme in
der Produktivtät der Arbeit den Wert der Arbeitskraft senkt und damit den Mehrwert steigert, während
umgekehrt die Abnahme der Produktivität den Wert der Arbeitskraft steigert und den Mehrwert senkt.
Bei Formulierung dieses Gesetzes übersah Ricardo einen Umstand: Obgleich der Wechsel in der Größe
des Mehrwerts oder der Mehrarbeit einenumgekehrten Wechsel in der Größe des Werts der Arbeitskraft
oder der notwendigen Arbeit bedingt, folgt keineswegs, daß sie in derselben Proportion wechseln. Sie
nehmen zu oder ab um dieselbe Größe. Das Verhältnis aber, worin jeder Teil des Wertprodukts oder des
Arbeitstags zu- oder abnimmt, hängt von der ursprünglichen Teilung ab, die vor dem Wechsel in der Pro-
duktivkraft der Arbeit stattfand. War der Wert der Arbeitskraft 4 sh. oder die notwendige Arbeitszeit 8
Stunden, der Mehrwert 2 sh. oder die Mehrarbeit 4 Stunden und fällt, infolge erhöhter Produktivkraft der
Arbeit, der Wert der Arbeitskraft auf 3 sh. oder die notwendige Arbeit auf 6 Stunden, so steigt der Mehr-
wert auf 3 sh. oder die Mehrarbeit auf 6 Stunden. Es ist dieselbe Größe von 2 Stunden oder 1 sh., die dort
zugefügt, hier weggenommen wird. Aber der proportionelle Größenwechsel ist auf beiden Seiten ver-
schieden. Während der Wert der Arbeitskraft von 4 sh. auf 3, also um 1/4 oder 25% sinkt, steigt der
Mehrwert von 2 sh. auf 3, also um 1/2 oder 50%. Es folgt daher, daß die proportionelle Zu- oder Abnah-
me des Mehrwerts, infolge eines gegebnen Wechsels in der Produktivkraft der Arbeit, um so größer, je
kleiner, und um so kleiner, je größer ursprünglich der Teil des Arbeitstags war, der sich in Mehrwert dar-
stellt.
Drittens: Zu- oder Abnahme des Mehrwerts ist stets Folge und nie Grund der entsprechenden Ab- und
Zunahme des Werts der Arbeitskraft.[10]
[10] Zu diesem dritten Gesetz hat MacCulloch u.a. den abgeschmackten Zusatz gemacht, daß der
Mehrwert ohne Fall im Wert der Arbeitskraft steigen kann durch Abschaffung von Steuern, die
der Kapitalist früher zu zahlen hatte. Die Abschaffung solcher Steuern ändert absolut nichts an
dem Quantum Mehrwert, das der industrielle Kapitalist in erster Hand dem Arbeiter auspumpt.
Sie ändert nur die Proportion, worin er Mehrwert in seine eigne Tasche steckt oder mit dritten
Personen teilen muß. Sie ändert slso nichts an dem Verhältnis zwischen Wert der Arbeitskraft
und Mehrwert. Die Ausnahme des MacCulloch beweist also nur sein Mißverständnis der Regel,
ein
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Da der Arbeitstag von konstanter Größe ist, sich in einer konstanten Wertgröße darstellt, jedem Größen-
wechsel des Mehrwerts ein umgekehrter Größenwechsel im Wert der Arbeitskraft entspricht und der Wert
der Arbeitskraft nur wechseln kann mit einem Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit, folgt unter diesen
Bedingungen offenbar, daß jeder Größenwechsel des Mehrwerts aus einem umgekehrten Größenwechsel
im Wert der Arbeitskraft entspringt. Wenn man daher gesehn, daß kein absoluter Größenwechsel im Wert
der Arbeitskraft und des Mehrwerts möglich ist ohne einen Wechsel ihrer relativen Größen, so folgt jetzt,
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daß kein Wechsel ihrer relativen Wertgrößen möglich ist ohne einen Wechsel in der absoluten Wertgröße
der Arbeitskraft.
Nach dem dritten Gesetz unterstellt der Größenwechsel des Mehrwerts eine durch Wechsel in der Pro-
duktivkraft der Arbeit verursachte Wertbewegung der Arbeitskraft. Die Grenze jenes Wechsels ist durch
die neue Wertgrenze der Arbeitskraft gegebnen. Es können aber, auch wenn die Umstände dem Gesetz zu
wirken erlauben, Zwischenbewegungen stattfinden. Fällt z.B. infolge erhöhter Produktivkraft der Arbeit
der Wert der Arbeitskraft von 4 sh. auf 3 oder die notwendige Arbeitszeit von 8 Stunden auf 6, so könnte
der Preis der Arbeitskraft nur auf 3 sh. 8 d., 3 sh. 6 d., 3 sh. 2 d. usw. fallen, der Mehrwert daher nur auf 3
sh. 4 d., 3sh. 6 d., 3 sh. 10 d usw. steigen. Der Grad des Falls, dessen Minimalgrenze 3 sh., hängt von dem
relativen Gewicht ab, das der Druck des Kapitals von der einen Seite, der Widerstand der Arbeiter von
der andern Seite in die Waagschale wirft.
Der Wert der Arbeitskraft ist bestimmt durch den Wert eines bestimmten Quantums von Lebensmitteln.
Was mit der Produktivkraft der Arbeit wechsel, ist der Wert dieser Lebensmittel, nicht ihre Masse. Die
Masse selbst kann, bei steigender Produktivkraft der Arbeit, für Arbeiter und Kapitalist gleichzeitig und
in demselben Verhältnis wachsen ohne irgendeinen Größenwechsel zwischen Preis der Arbeitskraft und
Mehrwert. Ist der ursprüngliche Wert der Arbeitskraft 3 sh. und beträgt die notwendige Arbeitszeit 6
Stunden, ist der Mehrwert ebenfalls 3 sh. oder beträgt die Mehrarbeit auch 6 Stunden, so würde eine Ver-
dopplung in der Produktivkraft der Arbeit, bei gleichbleibender Teilung des Arbeitstags, Preis der Ar-
beitskraft und Mehrwert unverändert lassen. Nur stellte sich jeder derselben in doppelt so vielen, aber
verhältnismäßig verwohlfeilerten Ge-
Malheur, das ihm in der Vulgarisation Ricardos ebensooft passiert als dem J. B. Say in der Vulga-
risation A. Smiths.
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brauchswerten dar. Obgleich der Preis der Arbeitskraft unverändert, wäre er über ihren Wert gestiegen.
Fiele der Preis der Arbeitskraft, aber nicht bis zu der durch ihren neuen Wert gegebnen Minimalgrenze
von 1 1/2 sh., sondern auf 2 sh. 10 d., 2 sh. 6 d. usw., so repräsentierte dieser fallende Preis immer noch
eine wachsende Masse von Lebensmitteln. Der Preis der Arbeitskraft könnte so bei steigender Produktiv-
kraft der Arbeit beständig fallen mit gelichzeitigem, fortwährendem Wachstum der Lebensmittelmasse
des Arbeiters. Relativ aber, d.h. verglichen mit dem Mehrwert, sänke der Wert der Arbeitskraft beständig
und erweiterte sich also die Kluft zwischen den Lebenslagen von Arbeiter und Kapitalist.[11]
Ricardo hat die oben aufgestellten drei Gesetze zuerst streng formuliert. Die Mängel seiner Darstellung
sind, 1. daß er die besondern Bedingungen, innerhalb deren jene Gesetze gelten, für die sich von selbst
verstehenden, allgemeinen und ausschließlichen Bedingungen der kapitalistischen Produktion ansieht. Er
kennt keinen Wechsel, weder in der Länge des Arbeitstags noch in der Intensität der Arbeit, so daß bei
ihm die Produktivität der Arbeit von selbst zum einzigen variablen Faktor wird; – 2. aber, und dies ver-
fälscht seine Analyse in viel höherem Grad, hat er ebensowenig wie die andern Ökonomen jemals den
Mehrwert als solchen untersucht, d.h. unabhängig von seinen besondern Formen, wie Profit, Grundrente
usw. Er wirft daher die Gesetze über die Rate des Mehrwerts unmittelbar zusammen mit den Gesetzen der
Profitrate. Wie schon gesagt, ist die Profitrate das Verhältnis des Mehrwerts zum vorgeschossenen Ge-
samtkapital, während die Mehrwertsrate das Verhältnis ist des Mehrwerts zum bloß variabeln Teil dieses
Kapitals. Nimm an, ein Kapital von 500 Pfd.St. (C) teile sich in Rohstoffe, Arbeitsmittel etc. für zusam-
men 400 Pfd.St. (c) und in 100 Pfd.St. Arbeitslöhne (v); daß ferner der Mehrwert = 100 Pfd.St. (m). Dann
ist die Mehrwertsrate m/v = 100 Pfd.St/100 Pfd.St = 100%. Aber die Profitrate m/C = 100 Pfd.St./500
Pfd.St. = 20%. Es leuchtet außerdem ein, daß die Profitrate abhängen kann von Umständen, die keines-
wegs auf die Mehrwertsrate einwirken. Ich werde später im Dritten Buch dieser Schrift beweisen, daß
[11] "Wenn in der Produktivtät der Industrie eine Änderung Platz greift, so daß durch eine ge-
gebne Menge von Arbeit und Kapital mehr oder weniger erzeugt wird, kann der Lohnanteil sich
offensichtlich ändern, während die Menge, welche dieser Anteil darstellt, die gleiche bleibt, oder