Alice’s Abenteuer im Wunderland Lewis Carroll Alice’s Abenteuer im Wunderland


Caucus-Rennen und was daraus wird



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3. Caucus-Rennen
und was daraus wird

E s war in der That eine wunderliche Gesellschaft, die sich am Strande versammelte – die Vögel mit triefenden Federn, die übrigen Thiere mit fest anliegendem Fell, Alle durch und durch naß, verstimmt und unbehaglich.

Die erste Frage war, wie sie sich trocknen könnten: es wurde eine Berathung darüber gehalten, und nach wenigen Minuten kam es Alice ganz natürlich vor, vertraulich mit ihnen zu schwatzen, als ob sie sie ihr ganzes Leben gekannt hätte. Sie hatte sogar eine lange Auseinandersetzung mit dem Papagei, der zuletzt brummig wurde und nur noch sagte: »ich bin älter als du und muß es besser wissen«; dies wollte Alice nicht zugeben und fragte nach seinem Alter, und da der Papagei es durchaus nicht sagen wollte, so blieb die Sache unentschieden.

Endlich rief die Maus, welche eine Person von Gewicht unter ihnen zu sein schien: »Setzt euch, ihr Alle, und hört mir zu! ich will euch bald genug trocken machen!« Alle setzten sich sogleich in einen großen Kreis nieder, die Maus in der Mitte. Alice hatte die Augen erwartungsvoll auf sie gerichtet, denn sie war überzeugt, sie werde sich entsetzlich erkälten, wenn sie nicht sehr bald trocken würde.

»Hm!« sagte die Maus mit wichtiger Miene, »seid ihr Alle so weit? Es ist das Trockenste, worauf ich mich besinnen kann. Alle still, wenn ich bitten darf! – Wilhelm der Eroberer, dessen Ansprüche vom Papste begünstigt wurden, fand bald Anhang unter den Engländern, die einen Anführer brauchten, und die in jener Zeit sehr an Usurpation und Eroberungen gewöhnt waren. Edwin und Morcar, Grafen von Mercia und Northumbria –«

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»Oooh!« gähnte der Papagei und schüttelte sich.

»Bitte um Verzeihung!« sprach die Maus mit gerunzelter Stirne, aber sehr höflich; »bemerkten Sie etwas?«

»Ich nicht!« erwiederte schnell der Papagei.

»Es kam mir so vor«, sagte die Maus. – »Ich fahre fort: Edwin und Morcar, Grafen von Mercia und Northumbria, erklärten sich für ihn; und selbst Stigand, der patriotische Erzbischof von Canterbury fand es rathsam –«

»Fand was?« unterbrach die Ente.

»Fand es«, antwortete die Maus ziemlich aufgebracht: »du wirst doch wohl wissen, was es bedeutet.«

»Ich weiß sehr wohl, was es bedeutet, wenn ich etwas finde«, sagte die Ente: »es ist gewöhnlich ein Frosch oder ein Wurm. Die Frage ist, was fand der Erzbischof?«

Die Maus beachtete die Frage nicht, sondern fuhr hastig fort: – »fand es rathsam, von Edgar Atheling begleitet, Wilhelm entgegen zu gehen und ihm die Krone anzubieten. Wilhelms Benehmen war zuerst gemäßigt, aber die Unverschämtheit der Normannen – wie steht’s jetzt, Liebe?« fuhr sie fort, sich an Alice wendend.

»Noch ganz eben so naß«, sagte Alice schwermüthig; »es scheint mich gar nicht trocken zu machen.«

»In dem Fall«, sagte der Dodo feierlich, indem er sich erhob, »stelle ich den Antrag, daß die Versammlung sich vertage und zur unmittelbaren Anwendung von wirksameren Mitteln schreite.«

»Sprich deutlich!« sagte der Adler. »Ich verstehe den Sinn von deinen langen Wörtern nicht, und ich wette, du auch nicht!« Und der Adler bückte sich, um ein Lächeln zu verbergen; einige der andern Vögel kicherten hörbar.

»Was sich sagen wollte«, sprach der Dodo in gereiztem Tone, »war, daß das beste Mittel uns zu trocknen ein Caucus-Rennen wäre.«

»Was ist ein Caucus-Rennen?« sagte Alice, nicht daß ihr viel daran lag es zu wissen; aber der Dodo hatte angehalten, als ob er eine Frage erwarte, und Niemand anders schien aufgelegt zu reden.

»Nun«, meinte der Dodo, »die beste Art, es zu erklären, ist, es zu spielen.« (Und da ihr vielleicht das Spiel selbst einen Winter-Nachmittag versuchen möchtet, so will ich erzählen, wie der Dodo es anfing.)

Erst bezeichnete er die Bahn, eine Art Kreis (»es kommt nicht genau auf die Form an«, sagte er), und dann wurde die ganze Gesellschaft hier und da auf der Bahn aufgestellt. Es wurde kein »eins, zwei drei, fort!« gezählt, sondern sie fingen an zu laufen wenn es ihnen einfiel, hörten auf wie es ihnen einfiel, so daß es nicht leicht zu entscheiden war, wann das Rennen zu Ende war. Als sie jedoch ungefähr eine halbe Stunde gerannt und vollständig getrocknet waren, rief der Dodo plötzlich: »Das Rennen ist aus!« und sie drängten sich um ihn, außer Athem, mit der Frage: »Aber wer hat gewonnen?«

Diese Frage konnte der Dodo nicht ohne tiefes Nachdenken beantworten, und er saß lange mit einem Finger an die Stirn gelegt (die Stellung, in der ihr meistens Shakespeare in seinen Bildern seht), während die Uebrigen schweigend auf ihn warteten. Endlich sprach der Dodo: »Jeder hat gewonnen, und Alle sollen Preise haben.«

»Aber wer soll die Preise geben?« fragte ein ganzer Chor von Stimmen.

»Versteht sich, sie!« sagte der Dodo, mit dem Finger auf Alice zeigend, und sogleich umgab sie die ganze Gesellschaft, Alle durch einander rufend: »Preise Preise!«

Alice wußte nicht im Geringsten, was da zu thun sei; in ihrer Verzweiflung fuhr sie mit der Hand in die Tasche und zog eine Schachtel Zuckerplätzchen hervor (glücklicherweise war das Salzwasser nicht hinein gedrungen); die vertheilte sie als Preise. Sie reichten gerade herum, eins für Jeden.

»Aber sie selbst muß auch einen Preis bekommen, wißt ihr«, sagte die Maus.

»Versteht sich«, entgegnete der Dodo ernst. »Was hast du noch in der Tasche?« fuhr er zu Alice gewandt fort.

»Nur einen Fingerhut«, sagte Alice traurig.

»Reiche ihn mir herüber«, versetzte der Dodo. Darauf versammelten sich wieder Alle um sie, während der Dodo ihr den Fingerhut feierlich überreichte, mit den Worten: »Wir bitten, Sie wollen uns gütigst mit der Annahme dieses eleganten Fingerhutes beehren«; und als er diese kurze Rede beendigt hatte, folgte allgemeines Beifallklatschen.

Alice fand dies Alles höchst albern; aber die ganze Gesellschaft sah so ernst aus, daß sie sich nicht zu lachen getraute, und da ihr keine passende Antwort einfiel, verbeugte sie sich einfach und nahm den Fingerhut ganz ehrbar in Empfang.

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Nun mußten zunächst die Zuckerplätzchen verzehrt werden, was nicht wenig Lärm und Verwirrung hervorrief; die großen Vögel nämlich beklagten sich, daß sie nichts schmecken konnten, die kleinen aber verschluckten sich und mußten auf den Rücken geklopft werden. Endlich war auch dies vollbracht, und Alle setzten sich im Kreis herum und drangen in das Mäuslein, noch etwas zu erzählen.

»Du hast mir deine Geschichte versprochen«, sagte Alice – »und woher es kommt, daß du K. und H. nicht leiden kannst«, fügte sie leise hinzu, um nur das niedliche Thierchen nicht wieder böse zu machen.

»Ach«, seufzte das Mäuslein, »ihr macht euch ja aus meinem Erzählen doch nichts; ich bin euch mit meiner Geschichte zu langschwänzig und zu tragisch.« Dabei sah sie Alice fragend an.

»Langschwänzig! das muß wahr sein!« rief Alice und sah nun erst mit rechter Verwunderung auf den geringelten Schwanz der Maus hinab; »aber wie so tragisch? was trägst du denn?« Während sie noch darüber nachsann, fing die langschwänzige Erzählung schon an, folgendergestalt:

style-left=20mmFilax sprach zu


style-hshift=8mmder Maus, die
style-hshift=24mmer traf
style-hshift=28mmin dem
style-hshift=32mmHaus:
style-hshift=26mm»Geh’ mit
style-hshift=24mmmir vor
style-hshift=22mmGericht,
style-hshift=18mmdaß ich
style-hshift=14mmDich
style-hshift=12mmverklage.
style-hshift=12mmKomm und
style-hshift=14mmwehr’ dich
style-hshift=18mmnicht mehr;
style-hshift=20mmich muß
style-hshift=22mmhaben ein
style-hshift=28mmVerhör,
style-hshift=26mmdenn ich
style-hshift=30mmhabe
style-hshift=24mmNichts
style-hshift=22mmzu thun
style-hshift=20mmschon
style-hshift=18mmzwei
style-hshift=16mmTage.«
style-hshift=12mmSprach die
style-hshift=10mmMaus zum
style-hshift=8mmKöter:
style-hshift=6mm»Solch
style-hshift=10mmVerhör,
style-hshift=12mmlieber Herr,
style-hshift=18mmohne
style-hshift=16mmRichter,
style-hshift=12mmohne
style-hshift=8mmZeugen
style-hshift=10mmthut nicht
style-hshift=20mmNoth.«
style-hshift=18mm»Ich bin
style-hshift=16mmZeuge,
style-hshift=12mmich bin
style-hshift=10mmRichter«,
style-hshift=8mmsprach
style-hshift=10mmer schlau
style-hshift=14mmund schnitt
style-hshift=16mmGesichter,
style-hshift=16mm»das Verhör
style-hshift=18mmleite ich
style-hshift=28mmund
style-hshift=18mmverdamme
style-hshift=16mmdich
style-hshift=12mmzum
style-hshift=16mmTod!«

»Du paßt nicht auf!« sagte die Maus strenge zu Alice. »Woran denkst du?«

»Ich bitte um Verzeihung«, sagte Alice sehr bescheiden: »du warst bis zur fünften Biegung gekommen, glaube ich?«

»Mit nichten!« sagte die Maus entschieden und sehr ärgerlich.

»Nichten!« rief Alice, die gern neue Bekanntschaften machte, und sah sich neugierig überall um. »O, wo sind sie, deine Nichten? Laß mich gehen und sie her holen!«

»Das werde ich schön bleiben lassen«, sagte die Maus, indem sie aufstand und fortging. »Deinen Unsinn kann ich nicht mehr mit anhören!«

»Ich meinte es nicht böse!« entschuldigte sich die arme Alice. »Aber du bist so sehr empfindlich, du!«

Das Mäuslein brummte nur als Antwort.

»Bitte, komm wieder, und erzähle deine Geschichte aus!« rief Alice ihr nach; und die Andern wiederholten im Chor: »ja bitte!« aber das Mäuschen schüttelte unwillig mit dem Kopfe und ging schnell fort.

»Wie schade, daß es nicht bleiben wollte!« seufzte der Papagei, sobald es nicht mehr zu sehen war; und eine alte Unke nahm die Gelegenheit wahr, zu ihrer Tochter zu sagen, »Ja, mein Kind! laß dir dies eine Lehre sein, niemals übler Laune zu sein!« »Halt den Mund, Mama!« sagte die junge Unke, etwas naseweis.

»Wahrhaftig, du würdest die Geduld einer Auster erschöpfen!«

»Ich wünschte, ich hätte unsere Dinah hier, das wünschte ich!« sagte Alice laut, ohne Jemand insbesondere anzureden. »Sie würde sie bald zurückholen!«

»Und wer ist Dinah, wenn ich fragen darf?« sagte der Papagei.

Alice antwortete eifrig, denn sie sprach gar zu gern von ihrem Liebling: »Dinah ist unsere Katze, und sie ist euch so geschickt im Mäusefangen, ihr könnt’s euch gar nicht denken! Und ach, hättet ihr sie nur Vögel jagen sehen. Ich sage euch, sie frißt einen kleinen Vogel, so wie sie ihn zu Gesicht bekommt.«

Diese Mittheilung verursachte große Aufregung in der Gesellschaft. Einige der Vögel machten sich augenblicklich davon; eine alte Elster fing an, sich sorgfältig einzuwickeln, indem sie bemerkte: »Ich muß wirklich nach Hause gehen; die Nachtluft ist nicht gut für meinen Hals!« und ein Canarienvogel piepte zitternd zu seinen Kleinen, »Kommt fort, Kinder! es ist die höchste Zeit für euch, zu Bett zu gehen!« Unter verschiedenen Entschuldigungen entfernten sie sich Alle, und Alice war bald ganz allein.

»Hätte ich nur Dinah nicht erwähnt!« sprach sie bei sich mit betrübtem Tone. »Niemand scheint sie gern zu haben, hier unten, und dabei ist sie doch die beste Katze von der Welt! Oh, meine liebe Dinah! ob ich dich wohl je wieder sehen werde!« dabei fing die arme Alice von Neuem zu weinen an, denn sie fühlte sich gar zu einsam und muthlos. Nach einem Weilchen jedoch hörte sie wieder ein Trappeln von Schritten in der Entfernung und blickte aufmerksam hin, halb in der Hoffnung, daß die Maus sich besonnen habe und zurückkomme, ihre Geschichte auszuerzählen.



4. Die Wohnung des Kaninchens

E s war das weiße Kaninchen, das langsam zurückgewandert kam, indem es sorgfältig beim Gehen umhersah, als ob es etwas verloren hätte, und sie hörte wie es für sich murmelte: »die Herzogin! die Herzogin! Oh, meine weichen Pfoten! o mein Fell und Knebelbart! Sie wird mich hängen lassen, so gewiß Frettchen Frettchen sind! Wo ich sie kann haben fallen lassen, begreife ich nicht!« Alice errieth augenblicklich, daß es den Fächer und die weißen Glaceehandschuhe meinte, und gutmüthig genug fing sie an, danach umher zu suchen, aber sie waren nirgends zu sehen – Alles schien seit ihrem Bade in dem Pfuhl verwandelt zu sein, und der große Corridor mit dem Glastische und der kleinen Thür war gänzlich verschwunden.

Das Kaninchen erblickte Alice bald, und wie sie überall suchte, rief es ihr ärgerlich zu: »Was, Marianne, was hast du hier zu schaffen? Renne augenblicklich nach Hause, und hole mir ein Paar Handschuhe und einen Fächer! Schnell, vorwärts!« Alice war so erschrocken, daß sie schnell in der angedeuteten Richtung fortlief, ohne ihm zu erklären, daß es sich versehen habe.

»Es hält mich für sein Hausmädchen«, sprach sie bei sich selbst und lief weiter. »Wie es sich wundern wird, wenn es erfährt, wer ich bin! Aber ich will ihm lieber seinen Fächer und seine Handschuhe bringen – nämlich, wenn ich sie finden kann.« Wie sie so sprach, kam sie an ein nettes kleines Haus, an dessen Thür ein glänzendes Messingschild war mit dem Namen »W. Kaninchen« darauf. Sie ging hinein ohne anzuklopfen, lief die Treppe hinauf, in großer Angst, der wirklichen Marianne zu begegnen und zum Hause hinausgewiesen zu werden, ehe sie den Fächer und die Handschuhe gefunden hätte.

»Wie komisch es ist«, sagte Alice bei sich, »Besorgungen für ein Kaninchen zu machen! Vermuthlich wird mir Dinah nächstens Aufträge geben!« Und sie dachte sich schon aus, wie es Alles kommen würde:

»Fräulein Alice! Kommen Sie gleich, es ist Zeit zum Ausgehen für Sie!« »Gleich Kinderfrau! aber ich muß dieses Mäuseloch hier bewachen bis Dinah wiederkommt, und aufpassen, daß die Maus nicht herauskommt.« »Nur würde Dinah«, dachte Alice weiter, »gewiß nicht im Hause bleiben dürfen, wenn sie anfinge, die Leute so zu commandiren.«

Mittlerweile war sie in ein sauberes kleines Zimmer gelangt, mit einem Tisch vor dem Fenster und darauf (wie sie gehofft hatte) ein Fächer und zwei oder drei Paar winziger weißer Glaceehandschuhe; sie nahm den Fächer und ein Paar Handschuhe und wollte eben das Zimmer verlassen, als ihr Blick auf ein Fläschchen fiel, das bei dem Spiegel stand. Diesmal war kein Zettel mit den Worten: »Trink mich« darauf, aber trotzdem zog sie den Pfropfen heraus und setzte es an die Lippen. »Ich weiß, etwas Merkwürdiges muß geschehen, sobald ich esse oder trinke; drum will ich versuchen, was dies Fläschchen thut. Ich hoffe, es wird mich wieder größer machen; denn es ist mir sehr langweilig, solch winzig kleines Ding zu sein!«

Richtig, und zwar schneller, als sie erwartete: ehe sie das Fläschchen halb ausgetrunken hatte fühlte sie, wie ihr Kopf an die Decke stieß, und mußte sich rasch bücken, um sich nicht den Hals zu brechen. Sie stellte die Flasche hin, indem sie zu sich sagte: »Das ist ganz genug – ich hoffe, ich werde nicht weiter wachsen – ich kann so schon nicht zur Thüre hinaus – hätte ich nur nicht so viel getrunken!«

O weh! es war zu spät, dies zu wünschen. Sie wuchs und wuchs, und mußte sehr bald auf den Fußboden niederknien; den nächsten Augenblick war selbst dazu nicht Platz genug, sie legte sich nun hin, mit einem Ellbogen gegen die Thür gestemmt und den andern Arm unter dem Kopfe. Immer noch wuchs sie, und als letzte Hülfsquelle streckte sie einen Arm zum Fenster hinaus und einen Fuß in den Kamin hinauf, und sprach zu sich selbst: »Nun kann ich nicht mehr thun, was auch geschehen mag. Was wird nur aus mir werden?«

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Zum Glück für Alice hatte das Zauberfläschchen nun seine volle Wirkung gehabt, und sie wuchs nicht weiter. Aber es war sehr unbequem, und da durchaus keine Aussicht war, daß sie je wieder aus dem Zimmer hinaus komme, so war sie natürlich sehr unglücklich.

»Es war viel besser zu Hause«, dachte die arme Alice, »wo man nicht fortwährend größer und kleiner wurde, und sich nicht von Mäusen und Kaninchen commandiren zu lassen brauchte. Ich wünschte fast, ich wäre nicht in den Kaninchenbau hineingelaufen – aber – aber, es ist doch komisch, diese Art Leben! Ich möchte wohl wissen, was eigentlich mit mir vorgegangen ist! Wenn ich Märchen gelesen habe, habe ich immer gedacht, so etwas käme nie vor, nun bin ich mitten drin in einem! Es sollte ein Buch von mir geschrieben werden, und wenn ich groß bin, will ich eins schreiben – aber ich bin ja jetzt groß«, sprach sie betrübt weiter, »wenigstens hier habe ich keinen Platz übrig, noch größer zu werden.«

»Aber«, dachte Alice, »werde ich denn nie älter werden, als ich jetzt bin? das ist ein Trost – nie eine alte Frau zu sein – aber dann – immer Aufgaben zu lernen zu haben! Oh, das möchte ich nicht gern!«

»O, du einfältige Alice«, schalt sie sich selbst. »Wie kannst du hier Aufgaben lernen? Sieh doch, es ist kaum Platz genug für dich, viel weniger für irgend ein Schulbuch!«

Und so redete sie fort; erst als eine Person, dann die andere, und hatte so eine lange Unterhaltung mit sich selbst; aber nach einigen Minuten hörte sie draußen eine Stimme und schwieg still, um zu horchen.

»Marianne! Marianne!« sagte die Stimme, »hole mir gleich meine Handschuhe!« dann kam ein Trappeln von kleinen Füßen die Treppe herauf. Alice wußte, daß es das Kaninchen war, das sie suchte, und sie zitterte so sehr, daß sie das ganze Haus erschütterte; sie hatte ganz vergessen, daß sie jetzt wohl tausend Mal so groß wie das Kaninchen war und keine Ursache hatte, sich vor ihm zu fürchten.

Jetzt kam das Kaninchen an die Thür und wollte sie aufmachen; da aber die Thür nach innen aufging und Alice’s Ellbogen fest dagegen gestemmt war, so war es ein vergeblicher Versuch. Alice hörte, wie es zu sich selbst sprach: »dann werde ich herum gehen und zum Fenster hineinsteigen.«

»Das wirst du nicht thun«, dachte Alice, und nachdem sie gewartet hatte, bis sie das Kaninchen dicht unter dem Fenster zu hören glaubte, streckte sie mit einem Male ihre Hand aus und griff in die Luft. Sie faßte zwar nichts, hörte aber einen schwachen Schrei und einen Fall, dann das Geklirr von zerbrochenem Glase, woraus sie schloß, daß es wahrscheinlich in ein Gurkenbeet gefallen sei, oder etwas dergleichen.

Demnächst kam eine ärgerliche Stimme – die des Kaninchens – »Pat! Pat! wo bist du?« und dann eine Stimme, die sie noch nicht gehört hatte: »Wo soll ich sind? ich bin hier! grabe Aepfel aus, Euer Jnaden!«

»Aepfel ausgraben? so!« sagte das Kaninchen ärgerlich. »Hier! komm und hilf mir heraus!« (Noch mehr Geklirr von Glasscherben.)

»Nun sage mir, Pat, was ist das da oben im Fenster?«

»Wat soll’s sind? ’s is en Arm, Euer Jnaden!« (Er sprach es »Arrum« aus.)

»Ein Arm, du Esel! Wer hat je einen so großen Arm gesehen? er nimmt ja das ganze Fenster ein!«

»Zu dienen, des thut er, Euer Jnaden; aber en Arm is es, und en Arm bleebt es.«

»Jedenfalls hat er da nichts zu suchen: geh’ und schaffe ihn fort!«

Darauf folgte eine lange Pause, während welcher Alice sie nur einzelne Worte flüstern hörte, wie: »Zu dienen, des scheint mer nich, Euer Jnaden, jar nich, jar nich!« »Thu’, was ich dir sage, feige Memme!« zuletzt streckte sie die Hand wieder aus und that einen Griff in die Luft. Diesmal hörte sie ein leises Wimmern und noch mehr Geklirr von Glasscherben. »Wie viel Gurkenbeete da sein müssen!« dachte Alice. »Mich soll doch wundern, was sie nun thun werden! Mich zum Fenster hinaus ziehen? ja, wenn sie das nur könnten! Ich bliebe wahrlich nicht gern länger hier!«

Sie wartete eine Zeit lang, ohne etwas zu hören; endlich kam ein Rollen von kleinen Leiterwagen, und ein Lärm von einer Menge Stimmen, alle durcheinander; sie verstand die Worte: »Wo ist die andere Leiter? – Ich sollte ja nur eine bringen; Wabbel hat die andere  Wabbel, bringe sie her, Junge! – Lehnt sie hier gegen diese Ecke – Nein, sie müssen erst zusammengebunden werden – sie reichen nicht halb hinauf – Ach, was werden sie nicht reichen: seid nicht so umständlich – Hier, Wabbel! fange den Strick – Wird das Dach auch tragen? – Nimm dich mit dem losen Schiefer in Acht – oh, da fällt er! Köpfe weg!« (ein lautes Krachen) – »Wessen Schuld war das? – Wabbel’s, glaube ich – Wer soll in den Schornstein steigen? – Ich nicht, so viel weiß ich! Ihr aber doch, nicht wahr? – Nicht ich, meiner Treu! – Wabbel kann hineinsteigen – Hier, Wabbel! der Herr sagt, du sollst in den Schornstein steigen!«

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»So, also Wabbel soll durch den Schornstein hereinkommen, wirklich?« sagte Alice zu sich selbst. »Sie scheinen mir Alles auf Wabbel zu schieben: ich möchte um Alles nicht an Wabbel’s Stelle sein; der Kamin ist freilich eng, aber etwas werde ich doch wohl mit dem Fuße ausschlagen können!«

Sie zog ihren Fuß so weit herunter, wie sie konnte, und wartete, bis sie ein kleines Thier (sie konnte nicht rathen, was für eine Art es sei) in dem Schornstein kratzen und klettern hörte; als es dicht über ihr war, sprach sie bei sich: »Dies ist Wabbel«, gab einen kräftigen Stoß in die Höhe, und wartete dann der Dinge, die da kommen würden.

Zuerst hörte sie einen allgemeinen Chor: »Da fliegt Wabbel!« dann die Stimme des Kaninchens allein: – »Fangt ihn auf, ihr da bei der Hecke!« darauf Stillschweigen, dann wieder verworrene Stimmen: – »Haltet ihm den Kopf – etwas Branntwein – Ersticke ihn doch nicht – Wie geht’s, alter Kerl? Was ist dir denn geschehen? erzähle uns Alles!«

Zuletzt kam eine kleine schwache, quiekende Stimme (»das ist Wabbel«, dachte Alice): »Ich weiß es ja selbst nicht – Keinen mehr, danke! Ich bin schon viel besser – aber ich bin viel zu aufgeregt, um euch zu erzählen – Ich weiß nur, da kommt ein Ding in die Höhe, wie’n Dosen-Stehauf, und auf fliege ich wie ’ne Rackete!«

»Ja, das hast du gethan, alter Kerl!« sagten die Andern.

»Wir müssen das Haus niederbrennen!« rief das Kaninchen; da schrie Alice so laut sie konnte: »Wenn ihr das thut, werde ich Dinah über euch schicken!«

Sogleich entstand tiefes Schweigen, und Alice dachte bei sich: »Was sie wohl jetzt thun werden? Wenn sie Menschenverstand hätten, würden sie das Dach abreißen.« Nach einer oder zwei Minuten fingen sie wieder an sich zu rühren, und Alice hörte das Kaninchen sagen: »Eine Karre voll ist vor der Hand genug.«

»Eine Karre voll was?« dachte Alice; doch blieb sie nicht lange im Zweifel, denn den nächsten Augenblick kam ein Schauer von kleinen Kieseln zum Fenster herein geflogen, von denen ein Paar sie gerade in’s Gesicht trafen. »Dem will ich ein Ende machen«, sagte sie bei sich und schrie hinaus: »Das laßt mir gefälligst bleiben!« worauf wieder tiefe Stille erfolgte.

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Alice bemerkte mit einigem Erstaunen, daß die Kiesel sich alle in kleine Kuchen verwandelten, als sie auf dem Boden lagen, und dies brachte sie auf einen glänzenden Gedanken. »Wenn ich einen von diesen Kuchen esse«, dachte sie, »wird es gewiß meine Größe verändern; und da ich unmöglich noch mehr wachsen kann, so wird es mich wohl kleiner machen, vermuthe ich.«

Sie schluckte demnach einen kleinen Kuchen herunter, und merkte zu ihrem Entzücken, daß sie sogleich abnahm. Sobald sie klein genug war, um durch die Thür zu gehen, rannte sie zum Hause hinaus, und fand einen förmlichen Auflauf von kleinen Thieren und Vögeln davor. Die arme kleine Eidechse, Wabbel, war in der Mitte, von zwei Meerschweinchen unterstützt, die ihm etwas aus einer Flasche gaben. Es war ein allgemeiner Sturm auf Alice, sobald sie sich zeigte; sie lief aber so schnell sie konnte davon, und kam sicher in ein dichtes Gebüsch.

»Das Nöthigste, was ich nun zu thun habe«, sprach Alice bei sich, wie sie in dem Wäldchen umher wanderte, »ist, meine richtige Größe zu erlangen; und das Zweite, den Weg zu dem wunderhübschen Garten zu finden. Ja, das wird der beste Plan sein.«

Es klang freilich wie ein vortrefflicher Plan, und recht nett und einfach ausgedacht; die einzige Schwierigkeit war, daß sie nicht den geringsten Begriff hatte, wie sie ihn ausführen sollte; und während sie so ängstlich zwischen den Bäumen umherguckte, hörte sie plötzlich ein scharfes feines Bellen gerade über ihrem Kopfe und sah eilig auf.

Ein ungeheuer großer junger Hund sah mit seinen hervorstehenden runden Augen auf sie herab und machte einen schwachen Versuch, eine Pfote auszustrecken und sie zu berühren. »Armes kleines Ding!« sagte Alice in liebkosendem Tone, und sie gab sich alle Mühe, ihm zu pfeifen; dabei hatte sie aber große Angst, ob er auch nicht hungrig wäre, denn dann würde er sie wahrscheinlich auffressen trotz allen Liebkosungen.

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Ohne recht zu wissen was sie that, nahm sie ein Stäbchen auf und hielt es ihm hin; worauf das ungeschickte Thierchen mit allen vier Füßen zugleich in die Höhe sprang, vor Entzücken laut aufbellte, auf das Stäbchen losrannte und that, als wolle es es zerreißen; da wich Alice ihm aus hinter eine große Distel, um nicht zertreten zu werden; und so wie sie auf der andern Seite hervorkam, lief der junge Hund wieder auf das Stäbchen los und fiel kopfüber in seiner Eile, es zu fangen. Alice, der es vorkam, als wenn Jemand mit einem Fuhrmannspferde Zeck spielt, und die jeden Augenblick fürchtete, unter seine Füße zu gerathen, lief wieder hinter die Distel; da machte der junge Hund eine Reihe von kurzen Anläufen auf das Stäbchen, wobei er jedes Mal ein klein wenig vorwärts und ein gutes Stück zurück rannte und sich heiser bellte, bis er sich zuletzt mit zum Munde heraushängender Zunge und halb geschlossenen Augen, ganz außer Athem hinsetzte.

Dies schien Alice eine gute Gelegenheit zu sein, fortzukommen; sie machte sich also gleich davon, und rannte bis sie ganz müde war und keine Luft mehr hatte, und bis das Bellen nur noch ganz schwach in der Ferne zu hören war.

»Und doch war es ein lieber kleiner Hund!« sagte Alice, indem sie sich an eine Butterblume lehnte um auszuruhen, und sich mit einem der Blätter fächelte. »Ich hätte ihn gern Kunststücke gelehrt, wenn – wenn ich nur groß genug dazu gewesen wäre! O ja! das hätte ich beinah vergessen, ich muß ja machen, daß ich wieder wachse! Laß sehen – wie fängt man es doch an? Ich dächte, ich sollte irgend etwas essen oder trinken; aber die Frage ist, was?«

Das war in der That die Frage. Alice blickte um sich nach allen Blumen und Grashalmen; aber gar nichts sah aus, als ob es das Rechte sei, das sie unter den Umständen essen oder trinken müsse. In der Nähe wuchs ein großer Pilz, ungefähr so hoch wie sie; nachdem sie ihn sich von unten, von beiden Seiten, rückwärts und vorwärts betrachtet hatte, kam es ihr in den Sinn zu sehen, was oben darauf sei. Sie stellte sich also auf die Fußspitzen und guckte über den Rand des Pilzes, und sogleich begegnete ihr Blick dem einer großen blauen Raupe, die mit kreuzweise gelegten Armen da saß und ruhig aus einer großen Huhka rauchte, ohne die geringste Notiz von ihr noch sonst irgend Etwas zu nehmen.


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