5
Es besteht ein umgekehrt lineares Verhältnis zwischen dem Umfang der physischen Aktivität und der
Multimorbidität, wie z.B. Schmerzen, Osteoporose, Depression und kardiovaskuläre Krankheiten
55,56
.
Physische Inaktivität erhöht das Risiko von zahlreichen nachteiligen Gesundheitsproblemen sowie
Herzkrankheiten, Diabetes Mellitus Typ 2, Brust- und Darmkrebs und verursacht eine reduzierte
Lebenserwartung
63
.
Körperliches Training über das empfohlene Minimum hinaus und die Aufgabe des bewegungsarmen
Verhaltens führen erwartungsgemäss zu verminderter vorzeitiger Sterblichkeit und zu weiteren
Gesundheitsverbesserungen, inbesondere der kardiovaskulären Funktion.
4.2 Transfers S.38
Komplexe Bewegungsabläufe wie Transfers und manuelle Tätigkeiten werden bei fortschreitender
Krankheit nicht mehr automatisch ausgeführt und verursachen häufig Schwierigkeiten für PMP
64
.
Problematische Transfers sind insbesondere das Aufstehen vom Stuhl und das Hinsetzen auf einen Stuhl,
das Abliegen oder Aufsitzen im Bett und das Drehen im Bett
65
. Ein vielfach auftretendes Problem beim
Aufstehen ist die Tendenz der PMP, zu wenig Oberkörpervorlage zu haben, weshalb sie wieder nach
hinten fallen (Retropulsionstendenz)
53
. Wahrscheinlich spielen Faktoren wie schwache Unterstützung
der Beine gegen die Schwerkraft, mangelndes Timing in die Vorwärtsbewegung und Geschwindigkeit
des Rumpfes eine wichtige Rolle
66
. Das Drehen im Bett wird ausserdem komplexer durch eine
Bettdecke, reduzierter Levodopalevel während der Nacht und wenig visuellem Input/Unterstützung
53
.
4.3 Hand-/Armgebrauch S.38
Unimanuelle und oder bimanuelle Tätigkeiten können bei PMP beeinträchtigt sein und führen zu einer
reduzierten Lebensqualität
67,68
. Der Hand- und Armgebrauch, einschließlich des feinmotorischen
Handgebrauchs werden immer schwieriger. Häufig sind Flüssigkeit, Koordination, Effizienz und
Geschwindigkeit beim Greifen sowie die Geschicklichkeit der Bewegungen verringert. Das Timing und
die Integration von Bewegungskomponenten können eine Rolle spielen, ebenso wie die beeinträchtigte
Regulierung der erforderlichen Kraft und ein beeinträchtigter Präzisionsgriff. Ein Ruhe-Tremor der
Hand kann eine Tätigkeit negativ beeinflussen, wenn z.B. ein Gegenstand für längere Zeit gehalten wird.
Bei bestimmtem PMP zeigt sich ein Aktionstremor, welcher die Willkürbewegung beeinträchtigt.
Während einer Doppelaufgabe kann sich eine zusätzlich kognitive Aufgabe negativ auswirken auf die
Handschrift
69
.
4.4 Gehen S. 39-40
Beeinträchtigungen beim Gehen erscheinen bereits in den frühen Krankheitsphasen. 2 Typen können
unterschieden werden: die ‚konstanten‘ und die ‚episodischen‘Gangschwierigkeiten
70
.
4.4.1 Konstante Gangschwierigkeiten
Häufige konstante Beeinträchtigungen des Gangbildes bei PMP sind ein asymmetrischer Gang,
reduziertes Armpendel, Flexionshaltung, reduzierte und variable Schrittlänge sowie Schwierigkeiten
beim Drehen (im Stand, v.a. beim bradykinetisch-rigiden Typ). Im fortschreitenden Krankheitsverlauf
wird das Gehen langsamer und das Gangbild zeigt das parkinsontypische „Schlurfen“ mit kurzen
Schritten, bilateral reduziertem Armpendel und langsamen ‚en bloc‘ Drehungen. Die Reduktion der
Schrittlänge wird noch deutlicher, wenn eine kognitive Aufgabe dazu kommt (Dual Tasking)
71
oder
beim Gehen im Dunkeln
72
. PMP gehen durchschnittlich langsamer als gleichaltrige Gesunde (0.88 m/s)
wobei PMP in H&Y 3 bis 4 wiederum 24% langsamer sind als PMP bei H&Y 1
73
und es eine weitere
Reduktion gibt beim Gehen im Dunkeln
72
. Das ist viel langsamer als der internationale Standard für
sicheres Strassenüberqueren (0.94- 1.2 m/s)
74
. Weiter steht eine selbstgewählte Gehgeschwindigkeit
unterhalb 0.98 m/s bis 1.1 m/s für ein deutlich erhöhtes Sturzrisiko
75
. Vor allem die reduzierte
Gehgeschwindigkeit korrelliert mit Einschränkungen in den ADL
76
und ist ein unabhängiger
Risikofaktor für Mortalität
77
.
4.4.2 Episodische Gangschwierigkeiten: Freezing Of Gait (FOG)
Zusätzlich zu den oben erwähnten Gehbeeinträchtigungen können PMP episodisch auftretende
Beeinträchtigungen wie Festination und Freezing zeigen. Dabei sind PMP plötzlich nicht mehr in der
6
Lage, effektive Schrittbewegungen auszulösen
3
. Bei der Festination verlagert sich der
Körperschwerpunkt unwillkürlich vor beide Füsse (oder die Unterstützungsfläche). Dies führt wiederum
zu schnellen, unwillkürlichen kleinen Schritten und einem erhöhten Sturzrisiko. Bei PMP führt häufig
ein Ausfallschritt nach vorne zu einer Propulsionstendenz und ein Ausfallschritt nach hinten zu einer
Retropulsionstendenz. Während Freezing Episoden haben PMP oft das Gefühl, dass ihre Füssen „am
Boden fest kleben“
78
. Meistens präsentiert sich Freezing eher als ein schlurfendes kleinschrittiges
Gangbild oder ein Zittern der Beine auf der Stelle als in einer kompletten Akinesie
79
. In einer Kohorte
von PMP berichteten ungefähr die Hälfte über Freezing-Episoden
80
. Freezing ist assoziiert mit einer
Beeinträchtigung der ADL. Von allen PMP berichten bis zu 60% über regelmässige Freezing-Episoden.
Bei einer Krankheitsdauer länger als 8 Jahre wird Freezing sogar in 80% der PMP beschrieben
81
. Selbst
wenn die Prävalenz von Freezing mit der Krankheitsdauer und Progredienz steigt, kommt es auch in
früheren Krankheitsstadien vor, sogar bei PMP ohne Medikation
4
. Freezing tritt häufig auf beim
Loslaufen (verzögertes Starten), beim Drehen, beim Gehen durch engere Stellen (z.B. durch die Tür
gehen) oder sich ändernden Raumverhältnissen (z.B. sich einem offenen Raum oder einem Ziel nähern),
während des Dual Tasking (z.B. Gespräch führen während des Gehens) oder beim Gehen im
Dunkeln
5,82,83
.
Die meisten „Freezing-Episoden“ sind mit einer Zeitspanne von weniger als 10 Sekunden eher kurz
5
. In
den späteren Krankheitsstadien kann die Zeitspanne Minuten dauern. Es tritt meistens in der „Off-
Phase“ auf, wenn die Wirkung der Medikamente abnimmt („Off Freezing“) und verbessert sich wieder
nach der Einnahme von dopaminergen Medikamenten. Es kommt aber auch vor, dass Freezing in „On-
Phasen“ („On Freezing“) als eine mögliche Nebenwirkung der dopaminergen Medikamente auftritt. Das
Freezing wird zusätzlich durch Emotionen, Stress oder enge räumliche Verhältnisse negativ beeinflusst
oder sogar provoziert.
4.5 Gleichgewicht und Stürze S. 38-39
Stürze sind sehr häufig bei PMP. In prospektiven Assessments kam heraus, dass die Anzahl Stürze
zwischen 38% und 54% über 3 Monate variierte
84
, bis 68% über 12 Monate
85
und bis zu 87% über 20
Monate
43
.
In der Regel entstehen die ersten Defizite bezüglich des Gleichgewichtes (Halten und Verändern von
Körperhaltungen) 5 Jahre nach Auftreten der ersten Symptome, meistens durch progressive, reduzierte
posturale Reflexe. Defizite in der Propriozeption, der Beweglichkeit der Wirbelsäule und
Veränderungen der Levodopamedikamente können das Gleichgewicht weiterhin negativ beeinflussen
86
.
Bis jetzt wurde angenommen, dass Stürze im Durchschnitt nach 5 Jahren auftreten
87
. Vor Kurzem wurde
aber deutlich, dass PMP bereits in den frühen Krankheitsjahren ein erhöhtes Sturzrisiko haben
88,89
. Ein
reduziertes Sturzrisiko in den späten Phasen wiederum lässt sich durch eine passivere Lebensweise oder
durch die Immobilität erklären
84
. Stürze zeigen sich vor allem bei den PMP, bei denen sich
Gehschwierigkeiten als Erstsymptome zeigten
79
.
4.5.1 Folge von Stürzen
Stürze verursachen physische, soziale and finanzielle Belastungen während der Krankheit. Nicht
weniger als 65% der Stürze führen in einem von drei Fällen zu Hüft- und Beckenverletzungen
90
. PMP
haben eine zwei- bis vierfache Wahrscheinlichkeit Hüftfrakturen zu erleiden
91,92
. Im Vergleich mit ihren
Altersgenossen liegen PMP mit einer Hüftfraktur länger im Krankenhaus und haben eine längere und
weniger erfolgreiche Rehabilitation
93,94
. Dies ist eine Erklärung für Stürze als Hauptursache von
Pflegebedürftigkeit.
4.5.2 Assoziierte Faktoren
Die Faktoren, die mit Stürzen in Verbindung gebracht werden, sind teilweise krankheitsspezifisch, z.B.
FOG, reduzierte Schritthöhe, Bradykinesie und eingeschränkte posturale Reflexe
85,95–97
. Weitere
Faktoren können z.B. Nebenwirkungen von sedativen Medikamenten, täglicher Alkoholkonsum und
Urininkontinenz sein
95,97,98
. Welche Rolle die Flexionshaltung spielt ist unklar. Einerseits könnte die
Haltung Ausfallschritte beeinträchtigen, die das Gleichgewicht halten, anderseits könnte es eine
natürliche, vorbeugende Antwort sein um Stürze nach hinten zu verhindern
99
. PMP, die aktiv versuchen,
ihre Haltung zu korrigieren, können
als Folge instabiler werden
100
.