Rudolf steiner



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alles Streben darauf gerichtet ist, wiederum einen Zugang zur geistigen
Welt zu finden. Im «Märchen» von der grünen Schlange und der schö-
nen Lilie sucht er die Imagination, die den Menschen begreiflich ma-
chen soll. In seinem «Faust» sucht er auch zur Imagination zu kom-
men, aber er kann nicht zur selbständigen Imagination kommen, er
muß noch die katholische Symbolik zu Hilfe nehmen. So daß sogar
sein Schlußtableau noch eine Ähnlichkeit mit der ungeschickten Dar-
stellung der Hroswitha aus dem 9. Jahrhundert verrät, nur natürlich
ausgeführt von einem der größten Dichter.

Man muß schon auf diese verschlungenen Wege, welche die geistige


Geschichte der Menschheit gegangen ist, hinweisen, um zu einem Be-
griff davon zu kommen, was alles in dieser Geistesgeschichte wirkt.
Denn dann erst geht einem auf, wie, ich möchte sagen, durch die
Menschheitsgeschichte hindurch Karma wirkt. Man braucht sich nur
einmal hypothetisch vor Augen zu stellen, daß die Dinge, die nicht
geschehen sind, geschehen wären - nicht um rückwärts die Geschichte
zu korrigieren, sondern um sich das, was eben da ist, begreiflich zu
machen. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Schiller, der bei seinem
Tode noch ein junger Mann war, hätte weitergelebt. Die «Malteser»
hatte er im Pulte; den «Demetrius» arbeitete er eben aus. Im Zusammen-
hang mit Goethe entwickelte sich gerade die höchste Geistigkeit in ihm,
die erst bei beiden zusammen lebt. Es riß der Faden. Was Goethe an-
strebte, was er nicht vermochte, man sieht es, wenn man den zweiten
Teil des «Wilhelm Meister», wenn man die «Wahlverwandtschaften»
nimmt. Goethe strebte überall danach, den Menschen einzugliedern in
einen großen geistigen Zusammenhang. Allein konnte er es nicht mehr.
Schiller war ihm genommen.

Es drückt sich in diesem Ganzen eben aus, wie die neuere Geistes-


entwickelung der Menschheit nach einem gewissen Ziele hingeht, nach
dem Ziele, den Menschen in seiner Verwandtschaft mit der geistigen
Welt zu suchen, wie aber überall Hemmnisse da sind. Und so wird
Ihnen vielleicht so etwas wie der Goethesche «Faust» in seiner ganzen

Größe erst dadurch anschaulich, daß man sieht, was er nicht hat, daß


man sieht, auf welchem Wege die ganze Geistesentwickelung der
Menschheit war. Ja, man kommt natürlich nicht dadurch zur Erkennt-
nis dessen, was an geistiger Größe in der Menschheitsentwickelung vor-
handen ist, daß man bloß sagt: Ein unvergleichlich großes Werk! - daß
man dann alle möglichen Erklärungen gibt, sondern nur dadurch
kommt man dazu, daß man eben dieses Ringen des ganzen Menschen-
geistes nach einem gewissen Entwickelungsziele hin ins Auge faßt. Das
kann einem bei diesen Dingen ganz besonders stark entgegentreten.
Und dann, im 19. Jahrhundert, da reißt der Faden gänzlich ab! Das
19. Jahrhundert, auf naturwissenschaftlichem Gebiete so großartig,
schläft ja auf geistigem Gebiete. Es kommt höchstens dazu, daß dann
aus höchster naturwissenschaftlicher Weisheit etwas ausgesetzt wird
an einer Schöpfung, wie es der «Faust» ist.

Goethe braucht Schiller, um Faust, den er zuerst als Persönlichkeit


gestaltet hat, hineinzustellen in ein großes umfassendes Weltentableau.
Man kann fühlen, was Goethe vielleicht noch aus dieser Faust-Philo-
sophie gemacht hätte, wenn er Schiller nicht so früh verloren hätte.
Dann kommen diejenigen, die über die Dinge nachdenken und sagen:
«Faust» ist ein mißliches Werk, Goethe hat eigentlich die ganze Sache
verfehlt. Hätte er die Sache richtig gemacht, so hätte Faust Gretchen
geheiratet, sie ehrlich gemacht, hätte die Elektrisiermaschine und die
Luftpumpe erfunden; dann wäre der richtige Faust vor die Menschheit
hingestellt worden!

Ein großer Ästhetiker, Friedrich Theodor Vischer, sagte: Dieser


zweite Teil des «Faust», der ist ja nichts. Er entwirft einen Plan, wie er
hätte sein sollen: so eine Art besserer Eugen Richter aus dem 19. Jahr-
hundert ist da herausgekommen, so ein Parteimann, der nur etwas mas-
siver ist, als dann im 19. Jahrhundert die Parteimänner gewirkt haben.
Nicht von einem unbedeutenden Menschen, sondern von einem sehr
bedeutenden Menschen - denn ein solcher war Friedrich Theodor
Vischer - rührt ja das Wort her: Der zweite Teil des «Faust» ist ein
/usammengeschustertes, zusammengeleimtes Machwerk des Alters!

Es war überhaupt der Zusammenhang mit dem Streben nach der


Geistigkeit verloren. Man schlief in bezug auf die Geistigkeit. Aber

gerade aus all diesen Verhältnissen heraus muß der Mensch der Gegen-


wart die Aufgaben finden bezüglich eines neuen Weges zur geistigen
Welt. Wir können uns natürlich nicht etwa darauf berufen:

Die hohe Kraft

Der Wissenschaft,

Der ganzen Welt verborgen!

Und wer nicht denkt,

Dem wird sie geschenkt.

Er hat sie ohne Sorgen.

Wir können nicht beschließen, aufzuhören zu denken, denn das


Denken ist einmal eine Kraft, die heraufgekommen ist mit dem fünften
nachatlantischen Zeitraum, und diese Kraft muß geübt werden. Aber
sie muß eben entwickelt werden nach derjenigen Seite hin, die im
Grunde genommen bei Goethe schon mit dem «Märchen» von der
grünen Schlange und der schönen Lilie begonnen war. Sie muß geübt
werden nach der Imagination hin. Man muß sich klar sein darüber: die
Verstandeskraft verscheucht den Geist; aber wenn man den Verstand
selber entwickelt zur Imagination hin, so kommt man wiederum an den
Geist heran. Das ist es, was erkannt werden kann aus einer lebendigen
Betrachtung dessen, was sich eben auf dem Gebiete, das wir hier be-
rührt haben, abgespielt hat.

DREIZEHNTER VORTRAG


Dornach, 26. Februar 1922

Die beiden vorangehenden Vorträge waren Betrachtungen gewidmet,


die darauf hinweisen sollten, wie jener gewaltige Umschwung, der in
der ganzen Seelenverfassung der zivilisierten Menschheit mit dem
15. Jahrhundert eingetreten ist, also mit dem Übergänge von dem
vierten nach dem fünften nachatlantischen Zeitraum, nachgewirkt hat
in bedeutenden Persönlichkeiten. Und ich darf vielleicht das, was ich
in diesen beiden Betrachtungen ausgeführt habe, mit wenigen Worten
einleitend heute noch einmal skizzieren. Ich habe darauf hingewiesen,
wie intensiv eine Persönlichkeit wie Goethe das Nachzittern jenes Um-
schwunges fühlte, wie er fühlte, als sicheres Erlebnis zieht jetzt in die
menschliche Seele das Verstandesmäßige, das Intellektualistische ein;
wie er fühlte, man muß zurechtkommen in der Seele mit diesem Intel-
lektualistischen, und wie er noch gewisse Ahnungen davon hatte, daß
diesem Intellektualistischen vorangegangen ist ein unmittelbarer Ver-
kehr des Menschen mit der geistigen Welt. Wenn es auch nicht so war
wie in den Zeiten des alten atavistischen Hellsehens, war immerhin
vorhanden eine Art Rückblick auf die Zeit, in welcher die Menschen
noch, wenn sie von Erkenntnis sprachen, sich bewußt waren, daß eine
solche Erkenntnis nur möglich ist, wenn man gewissermaßen aus der
Welt der Sinne wegtritt, um die hinter der Sinneswelt befindlichen
geistigen Wesenheiten irgendwie zu schauen.

Goethe hat diese ganze Empfindungswelt seiner Seele in seine Faust-


Figur gelegt. Wir sehen, wie Faust unbefriedigt ist von dem bloßen
Intellektualismus, der ihm entgegengetreten ist in den vier Fakultäten:

Habe nun, ach! Philosophie,

Juristerei und Medizin,

Und, leider, auch Theologie!

Durchaus studiert...

Das heißt: Habe den ganzen Komplex des intellektualistischen Wissens


auf meine Seele geladen und stehe nun mit dem vollständigsten Zweifel
da; drum hab' ich mich der Magie ergeben.

Also Goethe legt in diese Faust-Gestalt das Zurückgehen zu dem


Verkehr mit der geistigen Welt hinein wegen der Unbefriedigtheit in
den intellektualistischen Wissenschaften. Das stand dem jungen
Goethe ganz deutlich vor der Seele, das wollte er in seiner Faust-Figur
zum Ausdrucke bringen. Und indem er dieses, sein eigenes Seelenrin-
gen, darstellen wollte, griff er dazu, als Repräsentanten dafür eben
die Faust-Gestalt zu nehmen. Und ich sagte, wenn das auch bei dem hi-
storischen, mythologischen Faust nicht der Fall ist, in bezug auf das, was
Goethe geschildert hat, können wir uns den Faust vorstellen als den
Professor, der etwa im 16. oder auch im 17. Jahrhundert in Witten-
berg gelehrt haben könnte, und der ja «an die zehen Jahr» seine Schü-
ler kreuz und quer und grad und krumm an der Nase herumgeführt
hat. Und man kann schon hinschauen, wenn man einmal diese Hypo-
these aufstellt, wie es da in diesem Bildungsgange ausgesehen hat, wie
da vermischt war das neue Intellektualistische mit dem, was noch hin-
wies in die alten Zeiten, wo noch der Verkehr mit der geistigen Welt
und mit den geistigen Schöpferkräften für den Menschen möglich
war.

Nun fragte ich, ob wir außer dem, was uns in der Faust-Dichtung


vorgeführt wird, etwa im weiteren Umkreis auf Wirkungen stoßen
können von dem, was so jemand wie Faust gelehrt haben könnte im
15., 16., 17. Jahrhundert. Und da stießen wir denn auf Hamlet und
konnten sagen: die Gestalt, die Shakespeare aus dem Hamlet gemacht
hat — den er seinerseits wiederum aus den dänischen Sagen genommen,
aber umgestaltet hat -, diese Gestalt des Hamlet erscheint uns als der
Schüler des Faust, als einer derjenigen, die gerade eben von solchen
Persönlichkeiten, wie der Faust war, die zehn Jahre an der Nase
herumgezogen worden waren. Wir sehen dann diesen Hamlet, wie er
selber hineingestellt ist in den Verkehr mit der geistigen Welt, wie ihm
sein Auftrag wird aus der geistigen Welt heraus, wie er fortwährend
aber gestört wird durch das, was er sich durch die intellektualistische
Bildung angeeignet hat. Kurz, wir sehen gewissermaßen den ganzen
Übergang vom vierten in den fünften nachatlantischen Zeitraum auch
an dieser Figur des Hamlet.

Und ich konnte weiter sagen: Wenn man nun eingeht auf die ganze

Stimmung, auf die künstlerische Gestaltung in den Shakespeareschen
Dramen, in den Shakespeareschen Königsdramen: findet man da, daß
in dem künstlerischen Schaffen des Dichters der Shakespeareschen
Dramen selber diese Dämmerstimmung des Übergangs liegt. Ich
machte dann darauf aufmerksam, wie in einer gewissen Weise gerade
in Mitteleuropa Goethe und Schiller mit ihrem ganzen Seelenleben
drinnengestanden haben in dem Nachzittern dieses Überganges, wie
sie aber in einem gewissen Sinne nicht akzeptieren wollten, was die
intellektualistische Weltanschauung seither im Leben der Menschen
gestiftet hatte. Dadurch wurden sie zurückgeführt zu Shakespeare,
weil sie ja bei Shakespeare die Kunst fanden, im «Hamlet», in
«Macbeth» und so weiter, heranzurücken an die geistige Welt; weil
sie, von da ausgehend, den Blick auf die nun schon für die intellektua-
listische Anschauung verborgenen geistigen Mächte werfen konnten.

Goethe hat das in seinem «Götz von Berlichingen» getan, indem er


gewissermaßen Partei nimmt noch für die alte Zeit des vierten nach-
atlantischen Zeitraumes in ihrem Nachklingen, ablehnend, was durch
den Intellektualismus heraufgekommen ist. Und Schiller stellt sich
geradezu mit seinen Jugenddramen, namentlich mit den «Räubern», so
hinein, daß er zwar nicht auf das Übersinnliche hinweist, ganz rea-
listisch sein will, daß wir aber fast bis auf die Worte hin in der
Charakteristik des Karl Moor etwas nachklingen haben von dem luzi-
ferischen Element, wie es in Miltons «Verlorenem Paradies» waltet.
Kurz, wir sehen, trotz dem Realismus, eine Art des Zurückstrebens
nach einer solchen Auffassung der Wirklichkeit, daß man in dieser
Auffassung durchschimmern sieht die geistigen Mächte und die gei-
stigen Kräfte.

Ich deutete weiter an, wie im Westen Shakespeare in der Lage war,


wenn ich mich so ausdrücken darf, in vollem Einklang mit seiner so-
zialen Umgebung künstlerisch zu schaffen. Zunächst, wenn wir das
für Shakespeare charakteristischste Hamlet-Drama nehmen, sehen
wir, wie er die Handlung überall ganz nahe heranrückt an die über-
sinnliche Welt; und ebenso in «Macbeth». Wir sehen, wie er im
«König Lear» zum Beispiel diese übersinnliche Welt mehr in die
menschliche Persönlichkeit hereinzieht, aber in die abnorme mensch-

liehe Persönlichkeit, in das Element des Wahnsinns. Wir sehen, wie er


dann in Königsdramen zwar zur Realistik übergeht, wie aber doch
eigentlich in ihnen eine einzigartige lange dramatische Entwickelungs-
darstellung waltet, wie er überall das Walten von Schicksalsmächten
darinnen hat, aber so, daß das alles zuletzt ausläuft in das Zeitalter
der Königin Elisabeth.

Man möchte sagen: Was in Shakespeares Dramen waltet, das ist ein


Rückblick auf die alte Zeit, die seine Gegenwart herbeigeführt hat,
aber so, daß diese Gegenwart akzeptiert wird; daß alles, was künst-
lerisch aus den alten Zeiten dargestellt wird, eine Art von Begreiflich-
machen der Gegenwart darstellt. Man kann sagen, Shakespeare schil-
dert die Vergangenheit; aber er schildert sie so, daß er sich in seine
soziale Gegenwart des Westens so hineinstellt, daß nunmehr ein ge-
wisser Zeitraum erreicht ist, in dem die Dinge laufen können, wie sie
eben ablaufen. Wir sehen, daß eine gewisse Befriedigung eintritt
gegenüber dem, was nun gekommen ist in bezug auf die äußere Welt.
Der Intellektualismus in der sozialen Ordnung wird akzeptiert vom
Menschen der äußeren physischen Erdenwelt, vorn sozialen Menschen,
während der künstlerische Mensch in Shakespeare zurückgeht und
eigentlich das darstellt, was aus dem Übersinnlichen heraus das bloße
Intellektualistische geschaffen hat.

Wir sehen, wie das in Mitteleuropa dann eine Unmöglichkeit wird.


Da können sich Goethe und Schiller, und vorher schon Lessing, nicht
so in die soziale Ordnung hineinstellen, daß sie sie akzeptieren. Sie
gehen alle auf Shakespeare zurück, aber auf den Shakespeare, der sel-
ber zurückgegangen ist zum Vergangenen. Sie möchten, daß das Ver-
gangene eine andere Fortsetzung finde als die ihrer Umgebung.
Shakespeare ist gewissermaßen zufrieden mit seiner Umgebung; sie
sind unzufrieden mit ihrer Umgebung.

Goethe schafft aus dieser geistigen Revolutionsstimmung heraus das


Götz-Drama, Schiller schafft seine Jugenddramen. Wir sehen, wie
hier die äußere Erdenwirklichkeit kritisiert wird und wie im Künst-
lerischen ein Auf- und Abwogen desjenigen wirkt, was nur in der
Idee erreicht werden kann, was nur im Geiste erreicht werden kann.
So daß man sagen kann: In Goethe und Schiller ist nichts vorhanden

von einem Akzeptieren der Gegenwart, sondern nur, daß man sich


über das, was in der äußeren sinnlichen Wirklichkeit ist, trösten muß
mit dem, was aus der geistigen Welt herunterwirkt. Shakespeare leitet
gewissermaßen das Übersinnliche in das Sinnliche herein. Goethe und
Schiller können das Sinnliche nur akzeptieren, indem sie immer das
Geistige ins Auge fassen. Man hat also in Goethes und Schillers Dra-
men ein Zusammenwirken des Geistigen mit dem Physischen, im
Grunde genommen eine unaufgelöste Disharmonie. Und ich sagte
dann: Ginge man weiter nach Osten hinüber, so würde man finden,
daß das, was geistig ist, überhaupt gar nicht mehr auf der Erde ist.
Der Osten von Europa hat nicht so etwas geschaffen, in das herein-
spielt das Geistige, sondern der Osten sieht hinauf zu dem Gei-
stigen; er flieht die äußeren Wirkungen und geht hinauf zu dem Gei-
stigen als dem Erlösenden.

So konnte ich Ihnen sagen, indem ich das Ganze dann in ein Bild,


in eine Imagination kleidete: Wenn wir uns Faust in Wittenberg vor-
stellen als Lehrer des Hamlet, dann sehen wir unten auf der Schul-
bank den Hamlet, zuhörend, dann zurückgehend nach dem Westen
und sich in die westliche Zivilisation wieder einlebend. Wenn wir
aber diejenige Wesenheit aufsuchen wollten, welche nach dem Osten
hätte gehen können, nachdem sie im Auditorium des Faust zugehört
hätte, so müßten wir einen Engel suchen, der von der geistigen Welt
aus dem Faust zugehört hätte und dann nach dem Osten gegangen
wäre. So daß alles das, was er nun vermittelt hätte, sich nicht so ab-
gespielt hätte, wie Hamlets Taten und Handlungen sich auf dem phy-
sischen Plane abspielen, sondern das würde sich über den Menschen,
in der geistigen Welt, abgespielt haben.

Und ich führte dann gestern aus, wie aus dieser Stimmung heraus,


gerade in der Zeit der Bekanntschaft mit Schiller, Goethe dazu ge-
drängt worden ist, das Wesen des Menschen wiederum heranzurücken
an die geistige Welt; wie er - denn er konnte es nicht so theoretisch
ausführen wie Schiller als Philosoph in seinen Ästhetischen Briefen -
genötigt war, es ins Imaginative hineinzutreiben in dem «Märchen»
von der grünen Schlange und der schönen Lilie. Wie dann weiter
Schiller dazu genötigt worden ist, das äußere Wirkliche des Menschen-

lebens auch wiederum an das Geistige heranzurücken, und zwar, ich


möchte sagen, experimentierend, indem er im «Wallenstein» den Ge-
stirnglauben des Wallenstein walten läßt, der wie ein Schicksal über
der Persönlichkeit Wallensteins wirkt, indem er in der «Braut von
Messina» ein Schicksal geradezu in Verwobenheit mit dem Sternen-
glauben wirken läßt. So daß also diese Persönlichkeiten genötigt wa-
ren, immer wieder und wiederum sich zurückzuwenden zu jener Zeit,
in der die Menschen noch einen unmittelbaren Verkehr mit der gei-
stigen Welt hatten.

Ich habe dann gesagt, daß Goethe und Schiller doch eben in einer


Zeit lebten, in der es noch nicht möglich war, aus der modernen See-
lenverfassung heraus wiederum den Zugang zur geistigen Welt zu fin-
den. Schiller namentlich hätte bei seinem philosophischen Streben,
wenn er länger gelebt hätte - man sieht es aus dem Malteserfrag-
ment -, zweifellos, wenn er dieses Drama zu Ende geführt hätte, sich
einen Blick verschafft in die Art und Weise, wie gerade innerhalb
eines solchen Ordens wie im Johanniter- oder Malteserorden oder im
Templerorden, wie da die geistigen Welten mitgewirkt haben in den
Taten der Menschen. Aber es war eben Schiller nicht gegönnt, seine
«Malteser» als fertiges Drama vor die Welt hinzustellen; er ist zu früh
gestorben. Goethe hingegen konnte nicht bis zu einem wirklichen Er-
greifen der geistigen Welt vorrücken, daher wandte er sich zurück.
Und wir können sagen: Allerdings in wesentlich metamorphosierter
Umgestaltung ist Goethe doch zurückgegangen zu dem katholischen
Symbolismus, zu dem katholischen Kultus, zu dem Bildkultus. So daß
wir förmlich an die Theophiluslegende der guten Nonne Hroswitha
aus dem 9. Jahrhundert erinnert werden, wenn auch Goethe Faust zu-
letzt in einem christianisierenden Tableau erlöst sein läßt. Man möchte
sagen, man spürt noch - wenn auch allerdings mit Goetheschem gran-
dios-künstlerischem Sinn ausgestaltet - in dem: «Das Ewig-Weibliche
zieht uns hinan!» das Hinaufziehen des Theophilus aus dem 9. Jahr-
hundert durch die Jungfrau Maria.

Wenn man diese Dinge überblickt, dann sieht man tief hinein, wie


in dem Intellektualismus gerungen wird, in jenem Intellektualismus,
der den Menschen innerlich den Gedankenleichnam erleben läßt des-

sen, was der Mensch ist, bevor er durch die Geburt beziehungsweise


durch die Konzeption heruntersteigt in sein physisches Erdenleben.
Was als Gedanke in uns lebt, wenn wir es nicht befruchten durch die
Erkenntnisse der Geisteswissenschaft, ist ja bloß ein Geistesleichnam.
Was wir geistig eigentlich sind bis zum Erdenleben hin, das stirbt, in-
dem es in den Leib einzieht, und den Leichnam davon tragen wir in
uns. Es ist unsere irdische Gedankenkraft, die Gedankenkraft unseres
gewöhnlichen Bewußtseins.

Wie kommt das wieder zum Leben, was eigentlich tot ist in geistiger


Beziehung? Das ist die große Seelenfrage, die in Goethe und Schiller
lebt. Sie drücken das nicht philosophisch aus, sie haben es aber in der
Empfindung. Sie richten ihre Dichtungen danach ein. Aber sie haben
diese Empfindung: Da ist etwas Totes, wenn wir bloß bei dem Intel-
lektualistischen bleiben. Wir müssen es zum Leben erwecken. Aus die-
ser Empfindung streben sie zurück zum Sternenglauben, zu allem
möglichen, um Geist hereinzubekommen in das, was sie darstellen
wollen. Es ist schon notwendig, daß man darauf sieht, wie in solchen
hervorragenden Persönlichkeiten sich eben der Weltenlauf darstellt,
der hereinströmt in ihre Seelen und ihr eigenes Ringen bedeutet. Man
begreift die Gegenwart nicht, wenn man nicht sieht, wie das, wonach
in der Gegenwart gestrebt werden muß — ein neuerliches Erreichen der
geistigen Welt —, wie das gerade das große Problem bei Goethe und
bei Schiller bildete.

Es ist schon so, daß mit diesem großen Umschwung im 15. Jahr-


hundert, der in den gewöhnlichen landläufigen Geschichtsdarstellun-
gen einfach ganz und gar unberücksichtigt bleibt, der Mensch eine
ganz andere Stellung zu sich selbst gewann. Und man muß nicht ver-
suchen, das mit theoretischen Begriffen einzufangen. Man muß ver-
suchen, es in den Empfindungen der Menschen zu verfolgen, wie es
sich vorbereitete und wie es später dann auslief, nachdem der Um-
schwung sich bereits, seiner wesentlichen geistigen Kraft nach, voll-
zogen hat.

An den entscheidenden Stellen der Geistesentwickelung wird auch


maßgebend auf diese Dinge hingewiesen. Sehen Sie sich einmal an,
wie uns dieses entgegentritt bei Wolfram von Eschenbach in seinem

«Parzival». Sie kennen ja alle die Vorgänge des Parzival. Sie wissen,


daß das Entscheidende bei Parzival in seiner ganzen Entwickelung
darinnen liegt, daß er zuerst von einer Art Unterweiser die Anwei-
sung bekommt, durch die Welt zu gehen, ohne viel zu fragen. In Gur-
nemanz zeigt sich uns eben ein Vertreter jener alten Weltrichtung, die
durchaus den Menschen noch im Verkehr mit der geistigen Welt sieht,
indem er Parzival sagt: Frage nicht; denn die Fragen kommen ja im
Grunde genommen aus dem Intellekt, und vor dem Intellekt fliehen
die Geister. Willst du also nahekommen der geistigen Welt, so darfst
du nicht fragen.

Aber die Zeit hat sich geändert, der Umschwung tritt ein. Er wird


vorherverkündet: Wenn auch Parzival noch viele Jahrhunderte zu-
rückversetzt werden muß, etwa ins 7. oder 8. Jahrhundert, ist es so,
daß alles schon vorgelebt wurde im Gralstempel. Da sind gewisser-
maßen schon die Einrichtungen der Zukunft; da muß man fragen.
Denn das ist das Wesentliche, daß die Stellung des Menschen sich jetzt
mit diesem Umschwung vom vierten in den fünften nachatlantischen
Zeitraum ändert, und daß man vorher nicht zu fragen brauchte, daß
vorher gewissermaßen das galt, was Goethe in paradoxen Worten
sagt:

Die hohe Kraft

Der Wissenschaft -

Der ganzen Welt verborgen!

Und wer nicht denkt,

Dem wird sie geschenkt,

Er hat sie ohne Sorgen.

Nicht fragen, denn das Denken vertreibt die Geister! Das war vorher


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