28
Postkarten
herausgegeben, anhand derer Postrouten, Poststationen und Distanzen herausgefunden
werden konnten.
97
Seit 1722 war die Post in den österreichischen und böhmischen Ländern unter
staatlicher Kontrolle. Zusätzlich wurde das Straßennetz ausgebaut und der regelmäßige
Postwagenverkehr mit der Postordnung von 1748 eingeführt. Durch diese Maßnahmen gewann
die Post eine große Bedeutung in der Personenbeförderung.
98
Johannes Dörflinger durchforstete die Verlagsanzeigen in Ausgaben der „Wiener Zeitung“ aus
dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts und dem frühen 19. Jahrhundert. Dabei stieß er auf
Anzeigen, die den Zeitungslesern den Zweck und Nutzen der angepriesenen Landkarten
erläuterten. Die Anzeigen der Kartenverlage sind als Werbemaßnahme zu verstehen. Um die
eigenen Publikationen zu vermarkten, benutzten die Verleger
Superlative und führten den
Zeitungslesern die Nützlichkeit der neuen Landkarten vor Auge.
99
Sebastian Hartl bewirbt seine
„Neueste Kriegskarte Österreichs, Rußlands und der Türkey für Zeitungsleser“ in der Wiener
Zeitung vom 15. 07. 1789 (siehe 8.1 Anhang 1).
100
Dass in der Anzeige Zeitungsleser als
Zielgruppe explizit angeführt werden, macht einen Grund für Kartenbesitz deutlich: Um die
Ereignisse der Zeit auch räumlich zu verfolgen, wurden
Karten als Begleitung zur
Zeitungslektüre erworben. Karten konnten auch als Beilage zu Zeitungen erscheinen, wie es bei
dem in Sammelatlas 4 mit der Signatur 108.9 enthaltenen „Plan der Stadt Washington in
America“ der Fall ist, der als Beilage zur „Grätzer Zeitung“ erschien (Abb. 7).
101
97
Heinz, „allerneueste Landkarten“, 112.
98
Dörflinger, 18.
Jahrhundert, 81f.
99
Dörflinger, 18. Jahrhundert, 21-23.
Dörflinger, 19. Jahrhundert, 805.
100
Wiener Zeitung, 15. 07. 1789, 14f. In: Anno. Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften,
http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrz&datum=17890715&seite=17&zoom=33
(eingesehen am 4. März
2012).
101
Schottenstift, Sammelatlas 4, 108.9-17a, Plan der Stadt Washington in America (Wien 1796).
30
Auf der Karte des Mittelmeeres mit der Signatur 108.9-75 befindet sich ein Hinweis auf den
Verwendungszweck der Karte, die Zeitungslesern helfen sollte, die Entfernungen der Häfen im
Mittelmeer zu ermitteln, ohne selbst messen zu müssen (Abb. 8).
103
Abb. 8 Karte des Mittelmeers für Zeitungsleser
104
In Zeitungen des 18. Jahrhunderts wurde vor allem über militärische,
politische und dynastische
Ereignisse berichtet. Für die Zeitungsleser war es wichtiger, über aktuelle politische Umstände
wie zum Beispiel Grenzverläufe informiert zu sein als über die exakte Lokalisierung oder
Ausdehnung einer räumlichen Einheit. Wichtiger als die genauen Koordinaten eines Ortes war
die Zuordnung zu einem Gebiet, sodass sich der Zeitungsleser, der die Karte betrachtete,
ein Bild
von der Umgebung und den Verhältnissen des Ortes machen konnte.
105
So bewirbt der Wiener
Verlag Artaria und Compagnie ein Kriegstheater in einer Anzeige in der Wiener Zeitung vom 15.
07. 1789 (siehe 8.2 Anhang 2) mit den Worten:
„[...] besonders fleißig bearbeitet, sondern auch die kleinsten Oerter, wo es der Raum zugelassen,
sorgfältigst eingetragen, und viele enge Pässe, Gebürge und Flüsse genau angezeigt.“
106
103
Schottenstift, Sammelatlas 4, 108.9-75, Distanz-Karte von und zu den vornehmsten Häfen des Mittelländischen
Meeres (Wien, s.a.).
Dörflinger, 18. Jahrhundert, 125.
104
Schottenstift, Sammelatlas 4, 108.9-75, Distanz-Karte von und zu den vornehmsten Häfen des Mittelländischen
Meeres (Foto: Arnold
Burghardt).
105
Heinz, Zweck und Verwendung, 155.
106
Wiener Zeitung, 15. 07. 1789, 17. Anno. Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften,
http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrz&datum=17890715&seite=17&zoom=33
(eingesehen am 04. 03.
2012).
31
Wie groß die Bedeutung politischer Grenzen für die Kartenproduktion war, zeigt auch eine von
Markus Heinz durchgeführte nähere Betrachtung des 1707
im Verlag von Johann Baptist
Homann erschienenen „Neuen Atlas über die gantze Welt“.
„Die reichhaltigsten Auskünfte – ganz unabhängig davon, ob die Angaben nun richtig oder falsch
sind – enthält der Atlas aber zweifellos zu Grenzen, Bezeichnung der Territorien und zu Orten und
Städten.“
107
Karten dienten außerdem zur Information der Bevölkerung in Zeiten des Kriegs.
108
Auch darüber
gibt die schon erwähnte Verlagsanzeige von Sebastian Hartl Aufschluss (siehe 8.1 Anhang 1).
„Bey nun gegenwärtig wieder eröffnetem Feldzug, wo jeder an den sich ereignenden
Kriegsvorfällen so warmen Antheil nimmt, daß selbe größtentheils der Gegenstand aller
gesellschaftlichen Gespräche sind, biethet man dem verehrungswürdigen Publikum eine nach
zuverlässigen Karten mit möglichster Genauigkeit gezeichnete, mit allem Fleiß gestochen, und
schön illuminirte Kriegskarte an, und welche die Königreiche Ungarn, Kroatien [...] Rußland und
Polen enthält.„
109
Mit der Anspielung auf die wichtige Rolle, die das Gespräch über die aktuellsten
Kriegsereignisse im gesellschaftlichen Umgang der Zeit spielte, sollten Leser indirekt zum
Kartenkauf angespornt werden, um sich in der Konversation mit anderen keine Blöße
zu geben,
oder mit ganz aktuellen Informationen über das Kriegsgebiet brillieren zu können.
Betrachtet man die abgebildeten Gebiete in den fünf untersuchten Sammelatlanten des
Schottenstifts, bestätigt sich diese Annahme und lässt darauf schließen, dass auch im
Schottenstift reges Interesse an den zeitgenössischen politischen Ereignissen vorhanden gewesen
sein dürfte.
110
Dass der Fokus der Landkartenproduktion und der Benutzung von Landkarten auf
der Ereignisgeschichte der eigenen Zeit beruht, kann auch aus der Tatsache abgelesen werden,
dass von den 350 Karten, die in den
fünf Atlanten enthalten sind, 277 Karten politische Karten im
weiteren Sinn sind, während sich die restlichen 73 Karten auf 17 andere Themen aufteilen.
111
In
den Atlanten sind Karten aus den Jahren zwischen ca. 1700 und 1809 enthalten.
112
107
Heinz, Zweck und Verwendung, 164.
108
Dörflinger, 18. Jahrhundert, 21-23.
109
Wiener Zeitung, 15. 07. 1789, 14f. In: Anno. Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften,
http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrz&datum=17890715&seite=17&zoom=33
(eingesehen am 04. 03.
2012).
110
Siehe: Kapitel 5.3 Auswertung.
111
Siehe: Kapitel 5.3.6 Auswertung gesamt. Zu den politischen Karten im weiteren Sinn zählen neben den
klassischen politischen Karten, die administrative Einheiten zeigen, Diözesankarten, Klosterkarten, Karten von
Koloniegebieten Schlachtenkarten und Kriegstheater. Die Themen der übrigen 84 Karten sind: Himmelskarten ,
Seekarten, Postkarten, religionsgeschichtliche Karten, Erdkarten, Umgebungskarten, hydrographische Karten,
Schlachtordnungspläne, Stadtpläne, Herrscherlisten, Flaggen, Mondkarten, Phantasiekarten und Straßenkarten.
112
Siehe: Kapitel 5.3.6 Auswertung gesamt. Vgl.
Heinz, Zweck und Verwendung, 154f. Heinz weist auf die starke
Verbindung zwischen den Disziplinen der Geschichte und der Geographie im 18. Jahrhundert hin.