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hat sie das Unversöhnte zu bezeugen und gleichwohl tendenziell zu versöh-
nen“. (GS 7, 251) In derselben Weise paradox ist Adornos Konstruktion des
Engels. Als himmlischer Bote bezeugt und verkündet dieser Erlösung, ist aber
nicht der Gott, der sie bewirken oder der Messias, der sie einläuten könnte.
Adornos Engel sind, was er in Kunstwerken erblickt: vergängliche Lichtge-
stalten, die Versöhnung eben bildlich zu antizipieren versprechen, ohne dass
sie dabei wirklich greifbar würde. Zunächst erinnern die Grasengel, wie sie
permanent in Scharen entstehen und verglühen, an Adornos Vergleich der
ästhetischen Wahrheit mit dem Feuerwerk. Es geht um „empirisch Erschei-
nendes, befreit von der Last der Empirie als einer der Dauer, Himmelszeichen
und hergestellt in eins, Menetekel, aufblitzende und vergehende Schrift, die
doch nicht ihrer Bedeutung nach sich lesen läßt.“ (a. a. O., 126) Dabei ist zu
erinnern, dass die Erfahrung von Musik, wie sie Adorno vorschwebt, selbst
temporär, ein einmaliger Akt des Hörens ist. Die davon erhoffte Antizipation
der Versöhnung liegt ebenfalls im Moment des Vergänglichen. Der Begriff der
Vergängnis taucht schon in Adornos frühem Vortrag zur
Idee der Naturgeschichte
auf, und zwar unter Rückgriff auf Benjamins
Trauerspielbuch. Zum Einen ist die
Natur, sind alle Menschen vergänglich, und durch
den zeitlichen Untergang
alles Kreatürlichen stellt sich Natur als geschichtlich dar. (vgl. GS 1, 358) Zum
Zweiten wird
die Natur nicht als solche, sondern nur noch vermittelt durch
den Zugriff der Kultur sichtbar, sie ist von der menschlichen Geschichte affi-
ziert. Als naturhaft und vergänglich stellt sich drittens die zur zweiten Natur
erstarrte Geschichte dar. Deren Erzeugnisse enthalten einerseits unerfüllte, ja
unbewusste Glücksversprechen.
403
Die universale Vergängnis erlaubt anderer-
seits nach einem weiteren Gedanken Adornos die Hoffnung darauf, dass die
Naturgeschichte wiederum vergänglich ist und selbst vielleicht einst vergeht.
404
Etwa nach dem hegelschen Muster: „Die Entfaltung des Wesens macht das
Wesen selbst unwesentlich.“ (NL I/1, 199) Vergängnis ist also „das Moment
[…] in dem Natur und Geschichte einander kommensurabel werden […].“
(GS 6, 353) Die Verklärung der Vergängnis zum Fingerzeig auf Transzendenz
meint nicht, dass naturgeschichtliche Vergänglichkeit an sich positiv bewertet
wird, sondern dass ihr Gegenteil – die Versöhnung – sich nur noch denken
lässt, wenn es als faktisch völlig abwesend realisiert wird. Eine auf Rettung
403
„Die Zeugnisse der in sich befangenen Naturgeschichte weisen blind zugleich auf die Ver-
söhnung hin, um die jene die Menschen betrügt.“ (Klaue.
Verschenkte Gelegenheiten. S. 175).
404
Vgl. Liedke.
Naturgeschichte und Religion. S. 56 ff.
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ausgerichtete Perspektive darf die Allgegenwart von Vergängnis nicht aus-
blenden, sondern muss sie zum Ausgangspunkt der Reflexion machen. Diesen
Gedanken formuliert Adorno in der
Negativen Dialektik: „Kein Eingedenken
an Transzendenz ist mehr möglich als kraft der Vergängnis; Ewigkeit erscheint
nicht als solche sondern nur gebrochen durchs Vergänglichste hindurch.“
(a. a. O.) Derart vermag er in Beethovens Musik engelhafte Lobgesänge zu ver-
nehmen und durch das Szenario ihrer Zerstörung hindurch eine Andeutung
der Versöhnung zu erblicken. Gerhard Scheit schärft das Konzept der Ver-
gängnis daher gegen Adornos Idee der fleischlichen Auferstehung. Das letztere
Bild abstrahiere „noch vom Leib, insofern es seine Vergängnis nicht als etwas
zu ihm Gehöriges“, d. h. die „Einzigartigkeit des je Lebenden“ nicht „wahrha-
ben will.“
405
Hier wird deutlich, dass Vergängnis diesseits der Naturgeschichte
Merkmal der zu Rettenden, der Menschen als leiblicher Wesen ist. Gerade
das Vergängliche und Vereinzelte ist ja Gegenstand von Adornos verzwei-
felter Rettungsabsicht. Nur für das Vergängliche wäre, in einer Abwandlung
von Benjamins Satz, Hoffnung gegeben. Dem nähert sich eine Formulierung
aus Adornos
Kierkegaard: „Ist die Geschichte der schuldhaften Natur die des
Zerfalls ihrer Einheit, so bewegt sie zerfallend der Versöhnung sich zu, und
ihre Fragmente tragen die Risse des Zerfalls als verheißende Chiffren.“ (GS 2,
198) Und insofern rücken Vergängnis und Versöhnung nicht nur durch ihre
Verflechtung in eine paradoxe Denkfigur, sondern in der Sache zusammen.
Versöhnung hätte an den „Rissen“ erst ihren Ort, sie wäre die der Vergängnis.
Das Formgesetz des Schrumpfens. Die Vergänglichkeit der Natur und
aller Momente der blind-naturwüchsigen Gesellschaft deuten auf Versöhnung
folglich nur an den einzelnen verfallenden Objekten, zuvorderst am sterb-
lichen Leib hin. Dies macht erneut eine mikrologische Fixierung auf Kleinste
nötig, wie sie die sich zur Totalität aufspreizende Gesellschaft epistemologisch
erzwingt. Adorno reklamiert das in seinem Aufsatz über Anton Weben im
Buch
Klangfiguren, das er Scholem 1959 zusandte (vgl. BW 8, 177 f.):
„In Hegels Phänomenologie kommt einmal der Ausdruck ‚Furie des Verschwindens‘
vor: Weberns Werk hat diese in einen Engel gewandelt. Das Formgesetz seines
Komponierens, auf allen seinen Stufen, ist das des Schrumpfens: seine Werke
erscheinen gleichsam
am ersten Tag so wie das,
was am Ende,
durch einen
405
Scheit.
Quälbarer Leib. S. 125.