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dige Kauf und Verkauf der Arbeitskraft ist die Form. Der Inhalt ist, daß der Kapitalist einen Teil der be-
reits vergegenständlichten fremden Arbeit, die er sich unaufhörlich ohne Äquivalent aneignet, stets wie-
der gegen größeres Quantum lebendiger fremder Arbeit umsetzt. Ursprünglich erschien uns das Eige n-
tumsrecht gegründet auf eigne Arbeit. Wenigstens mußte diese Annahme gelten, da sich nur gleichbe-
rechtigte Warenbesitzer gegenüberstehn, das Mittel zur Aneignung fremder Ware aber nur die Veräuße-
rung der eignen Ware, und letztere
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nur durch Arbeit herstellbar ist. Eigentum erscheint jetzt auf Seite des Kapitalisten als das Recht, fremde
unbezahlte Arbeit oder ihr Produkt, auf Seite des Arbeiters als Unmöglichkeit, sich sein eignes Produkt
anzueignen. Die Scheidung zwischen Eigentum und Arbeit wird zur notwendigen Konsequenz eines Ge-
setzes, das scheinbar von ihrer Identität ausging.[23]
Sosehr die kapitalistische Aneignungsweise also den ursprünglichen Gesetzen der Warenproduktion ins
Gesicht zu schlagen scheint, so entspringt sie doch keineswegs aus der Verletzung, sondern im Gegenteil
aus der Anwendung dieser Gesetze. Ein kurzer Rückblick auf die Reihenfolge der Bewegungsphasen,
deren Schlußpunkt die kapitalistische Akkumulation ist, stelle dies nochmals klar.
Zuerst haben wir gesehn, daß die ursprüngliche Verwandlung einer Wertsumme in Kapital sich durchaus
gemäß den Gesetzen des Austausches vollzog. Der eine Kontrahent verkauft seine Arbeitskraft, der andre
kauft sie. Der erstre empfängt den Wert seiner Ware, deren Gebrauchswert – die Arbeit – damit an den
zweiten veräußert ist. Dieser verwandelt nunmehr ihm bereits gehörende Produktionsmittel mit Hilfe von
ihm ebenfalls gehörender Arbeit in ein neues Produkt, das ihm ebenfalls von Rechts wegen gehört.
Der Wert dieses Produkts schließt ein: erstens den Wert der verbrauchten Produktionsmittel. Die nützli-
che Arbeit kann diese Produktionsmittel nicht verbrauchen, ohne ihren Wert auf das neue Produkt zu
übertragen; um aber verkäuflich zu sein, muß die Arbeitskraft imstande sein, in dem Industriezweig, wo
sie verwandt werden soll, nützliche Arbeit zu liefern.
Der Wert des neuen Produkts schließt ferner ein: das Äquivalent des Werts der Arbeitskraft und einen
Mehrwert. Und zwar deshalb, weil die für einen bestimmten Zeitraum, Tag, Woche etc., verkaufte Ar-
beitskraft weniger Wert besitzt, als ihr Gebrauch während dieser Zeit schafft. Der Arbeiter aber hat den
Tauschwert seiner Arbeitskraft bezahlt erhalten und hat damit ihren Gebrauchswert veräußert – wie das
bei jedem Kauf und Verkauf der Fall.
Daß diese besondre Ware Arbeitskraft den eigentümlichen Gebrauchswert hat, Arbeit zu liefern, also
Wert zu schaffen, das kann das allgemeine
[23] Das Eigentum des Kapitalisten an dem fremden Arbeitsprodukt "ist strenge Konsequenz des
Gesetzes der Aneignung, dessen Fundamentalprinzip umgekehrt der ausschließliche Eigentum-
stitel jedes Arbeiters am Produkt seiner eignen Arbeit war", (Cherbuliez, "Richesse ou Pauvreté",
Paris 1841, p.58, wo jedoch dieser dialekische Umschlag nicht richtig entwickelt wird.)
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Gesetz der Warenproduktion nicht berühren. Wenn also die in Arbeitslohn vorgeschoßne Wertsumme
sich in Produkt nicht bloß einfach wieder vorfindet, sondern um einen Mehrwert vermehrt vorfindet, so
rührt dies nicht her aus einer übervorteilung des Verkäufers, der ja den Wert seiner Ware erhalten, son-
dern nur aus dem Verbrauch dieser Ware durch den Käufer.
Das Gesetz des Austausches bedingt Gleichheit nur für die Tauschwerte der gegeneinander weggegebe-
nen Waren. Es bedingt sogar von vornherein Verschiedenheit ihrer Gebrauchswerte und hat absolut nichts
zu schaffen mit ihrem Verbrauch, der erst nach geschloßnem und vollzognem Handel beginnt.
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Die ursprüngliche Verwandlung des Geldes in Kapital vollzieht sich also im genauesten Einklang mit den
ökonomischen Gesetzen der Warenproduktion und mit dem daraus sich ableitenden Eigentumsrecht.
Trotzdem aber hat sie zum Ergebnis:
1. daß das Produkt dem Kapitalisten gehört und nicht dem Arbeiter;
2. daß der Wert dieses Produkts, außer dem Wert des vorgeschoßnen Kapitals, einen Mehrwert ein-
schließt, der dem Arbeiter Arbeit, dem Kapitalisten aber nichts gekostet hat und der dennoch das recht-
mäßige Eigentum des Kapitalisten wird;
3. daß der Arbeiter seine Arbeitskraft forterhalten hat und sie aufs neue verkaufen kann, wenn er einen
Käufer findet.
Die einfache Reproduktion ist nur die periodische Wiederholung dieser ersten Operation; jedesmal wird,
stets von neuem, Geld in Kapital verwandelt. Das Gesetz wird also nicht gebrochen, im Gegenteil es er-
hält nur Gelegenheit, sich dauernd zu betätigen.
Plusieurs échanges successifs n'ont fait du dernier que le représentant du premier."[1*] (Sismon-
di, l.c. p.70.)
Und dennoch haben wir gesehn, daß die einfache Reproduktion hinreicht, um dieser ersten Operation –
soweit sie als isolierter Vorgang gefaßt war – einen total veränderten Charakter aufzuprägen.
"Parmi ceux qui se partagent le revenu national, les uns" (die Arbeiter) "y acquièrent chaque
année un nouveau droit par un nouveau travail, les autres" (die Kapitalisten) "y ont acquis anteri-
eurement un droit permanent par un travail primitif."[2*] (Sismondi, l.c. p.110, 111.)
[1*] "Mehrere aufeinander folgende Tauschakte machen aus dem letzten nur den Repräsentanten
des ersten." – [2*] "Von denen, die sich in das nationale Einkommen teilen, erwerben die einen"
(die Arbeiter) "jedes Jahr durch neue Arbeit ein neues Recht darauf, die andren" (die Kapitalisten)
"haben bereits vorher durch eine ursprüngliche Arbeit ein dauerndes Recht darauf erworben."
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Das Gebiet der Arbeit ist bekanntlich nicht das einzige, wo die Erstgeburt Wunder tut.
Es verschlägt auch nichts, wenn die einfache Reproduktion ersetzt wird durch die Reproduktion auf er-
weiterter Stufenleiter, durch die Akkumulation. Bei jener vermöbelt der Kapitalist den gesamten Mehr-
wert, bei dieser beweist er seine Bürgertugend durch Verzehrung nur eines Teils, und Verwandlung des
Restes in Geld.
Der Mehrwert ist sein Eigentum, er hat nie einem andern gehört. Schießt er ihn zur Produktion vor, so
macht er, ganz wie am Tag, wo er zuerst den Markt beschritt, Vorschüsse aus seinem eignen Fonds. Daß
dieser Fonds diesmal aus der unbezahlten Arbeit seiner Arbeiter stammt, tut absolut nichts zur Sache.
Wird Arbeiter B beschäftigt mit dem Mehrwert, den Arbeiter A produziert hat, so hat erstens A diesen
Mehrwert geliefert, ohne daß man ihm den gerechten Preis seiner Ware um einen Heller verkürzt hat, und
zweitens geht dies Geschäft den B überhaupt nichts an. Was B verlangt und das Recht hat zu verlangen,
ist, daß der Kapitalist ihm den Wert seiner Arbeitskraft zahle.
"Tous deux gagnaient encore; l'ouvrier parce qu'on lui avançait les fruits de son travail" (soll hei-
ßen du travail gratuit d'autres ouvriers) "avant qu'il fût fait;" (soll heißen: avant que le sien ait
porté de fruit) "le maˆtre, parce que le travail de cet ouvrier valait plus que le salaire" (soll
heißen: produisait plus de valeur que celle de son salaire).[1*] (Sismondi, l.c. p.135.)
Allerdings sieht die Sache ganz anders aus, wenn wir die kapitalistische Produktion im ununterbrochnen
Fluß ihrer Erneuerung betrachten und statt des einzelnen Kapitalisten und des einzelnen Arbeiters die
Gesamtheit, die Kapitalistenklasse und ihr gegenüber die Arbeiterklasse ins Auge fassen. Damit aber
würden wir einen Maßstab anlegen, der der Warenproduktion total fremd ist.
In der Warenproduktion stehn sich nur, voneinander unabhängig, Verkäufer und Käufer gegenüber. Ihre
gegenseitigen Beziehungen sind zu Ende mit dem Verfalltag des zwischen ihnen abgeschloßnen Vertrags.